IT- und Medienrecht

Haftung eines Pflegeheimbetreibers: Notwendigkeit von Vorkehrungen zur Verhinderung einer Selbstschädigung durch einen demenzkranken Pflegeheimbewohner bei erkennbarer Selbstschädigungsgefahr

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Aktenzeichen  III ZR 168/19

Datum:
14.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:140121UIIIZR168.19.0
Normen:
§ 241 Abs 2 BGB
§ 280 Abs 1 BGB
§ 823 BGB
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Leitsatz

1. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit von Vorkehrungen zur Verhinderung einer Selbstschädigung durch den Bewohner eines Pflegeheims ist maßgebend, ob im Einzelfall wegen der körperlichen oder geistigen Verfassung des Bewohners aus der ex-ante-Sicht ernsthaft damit gerechnet werden musste, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Dabei muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bereits eine Gefahr, deren Verwirklichung nicht sehr wahrscheinlich ist, aber zu besonders schweren Folgen führen kann, geeignet ist, Sicherungspflichten des Heimträgers zu begründen (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 28. April 2005 – III ZR 399/04, BGHZ 163, 53 und vom 22. August 2019 – III ZR 113/18, BGHZ 223, 95).
2. Bei erkannter oder erkennbarer Selbstschädigungsgefahr darf ein an Demenz erkrankter Heimbewohner, bei dem unkontrollierte und unkalkulierbare Handlungen jederzeit möglich erscheinen, nicht in einem – zumal im Obergeschoss gelegenen – Wohnraum mit unproblematisch erreichbaren und einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung besteht hingegen keine Pflicht zu besonderen (vorbeugenden) Sicherungsmaßnahmen.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 20. November 2019, Az: 12 U 9/19, Urteilvorgehend LG Bochum, 8. November 2018, Az: I-8 O 8/18

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. November 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem und abgetretenem Recht auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes wegen tödlicher Verletzungen in Anspruch, die ihr Ehemann (im Folgenden: Erblasser) bei dem Sturz aus einem Fenster in einem Alten- und Pflegeheim erlitten hat. Sie ist gemeinsam mit ihrer Tochter dessen Erbin in ungeteilter Erbengemeinschaft.
2
Der 1950 geborene Erblasser war seit dem 25. Februar 2014 Bewohner eines von der Beklagten betriebenen Alten- und Pflegeheims. Er war hochgradig dement und litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-motorischer Unruhe. Ausweislich eines unter dem 27. Juli 2014 erstellten Verlegungsberichts war er örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert. Die Notwendigkeit besonderer Betreuung wurde im Hinblick auf Lauftendenz, Selbstgefährdung, nächtliche Unruhe und zeitweise Sinnestäuschungen bejaht (Anlage K 2 zur Klageschrift = GA I 10-13).
3
Die Beklagte brachte den Erblasser in einem Zimmer im dritten Obergeschoss (Dachgeschoss) unter, das über zwei große Dachfenster verfügte, die gegen unbeaufsichtigtes Öffnen nicht gesichert waren. Der Abstand zwischen dem Fußboden und den Fenstern betrug 120 Zentimeter. Vor den Fenstern befanden sich ein 40 Zentimeter hoher Heizkörper sowie in 70 Zentimetern Höhe eine Fensterbank, über die man gleichsam stufenweise zur Fensteröffnung gelangen konnte. Am Nachmittag des 27. Juli 2014 stürzte der Erblasser aus einem der beiden Fenster. Dabei erlitt er schwere Verletzungen, an denen er trotz mehrerer Operationen und Heilbehandlungen am 11. Oktober 2014 verstarb.
4
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte habe geeignete Schutzmaßnahmen zur Verhinderung des Fenstersturzes unterlassen. Aus dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 19. Dezember 2013 (Anlage K 2a zur Klageschrift = GA I 14-19), den Pflegeberichten (Anlagen K 1 und K 2 zum Schriftsatz der Klägerin vom 7. Mai 2018 = GA I 139-157) und dem Verlegungsbericht vom 27. Juli 2014 hätten sich zwingende Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung ergeben. Der Erblasser sei gerade auf Grund seiner Demenz mit Gedächtnisstörungen im Pflegeheim der Beklagten untergebracht worden. Dieser habe sich die Möglichkeit eines Sturzes geradezu aufdrängen müssen. Vor diesem Hintergrund stelle die Unterbringung des Erblassers im dritten Obergeschoss in einem Zimmer, dessen Fenster leicht zu öffnen oder zum Lüften bereits geöffnet gewesen seien, eine erhebliche Pflichtverletzung dar.
5
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie habe ihre Überwachungs- und Fürsorgepflichten nicht verletzt. Begründete Anhaltspunkte für eine Selbstschädigungs- oder Suizidgefahr hätten nicht vorgelegen. Zu einer dauerhaften Überwachung des Erblassers sei sie nicht verpflichtet gewesen.
6
Das Landgericht hat die auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 50.000 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.

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