IT- und Medienrecht

Identifizierende Berichterstattung bei Strafverfahren wegen Wahlfälschung

Aktenzeichen  23 O 2114/18

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 42945
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs.1, § 1004 Abs.1
GG Art. 2 Abs. 1

 

Leitsatz

Es Besteht ein durchaus erhebliches öffentliches Interesse an einer etwas näheren Personenbeschreibung des Hauptbeschuldigten in einem Strafverfahren, wenn der aufsehenserregende Vorwurf erhoben wird, in eine Kommunalwahl durch Organisierung von Stimmen, die der eigenen Parteiwahl entsprechen, eingegriffen zu haben, was zu einer Wiederholung der Kommunalwahl wegen solcher Vorwürfe geführt hat. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung vom 11.10.2018, Az. 23 O 2114/18, wird aufgehoben.
2. Der Antrag auf einstweilige Verfügung vom 10.10.2018 wird zurückgewiesen.
3. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Es besteht eine ausschließliche Zuständigkeit des Hauptsachegerichts nach §§ 919, 937 Abs. 1, 802 ZPO. Hauptsachegericht ist das Landgericht Regensburg, welches nach §§ 71 Abs. 1, 23 GVG sachlich und nach §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig ist.
Weiter ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ordnungsgemäß i.S.v. § 253 Abs. 2 ZPO. Anspruchsgrund und Rechtsschutzziel wurden hinreichend konkretisiert. Es ist klar erkennbar, welche Handlungen die Verfügungsbeklagte unterlassen soll.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Es besteht kein Verfügungsanspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB. Insbesondere ist das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG enthaltene Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers nicht verletzt, da die vorzunehmende Abwägung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Pressefreiheit nicht zur Annahme einer unzulässigen Berichterstattung durch Text und/oder Bildveröffentlichung führt.
1. Der Verfügungskläger hat eine Veröffentlichung unverpixelter Fotos durch die Verfügungsbeklagte nicht nachweisen können. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass angesichts des Eilcharakters im einstweiligen Verfügungsverfahren eine geringere Wahrscheinlichkeit als der Vollbeweis genügt. Die Behauptungs- und Beweislast sind grundsätzlich wie im Hauptverfahren verteilt, sodass es Sache des Verfügungsklägers war, eine Rechtsverletzung durch die Verfügungsbeklagte nachzuweisen (vgl. Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 922 Rn 5 f.).
Aus der Anlage … ist eine unverpixelte Aufnahme des Verfügungsklägers, welcher unmittelbar anschließend an die Richterbank links stehend gerade noch als Gestalt erkennbar ist, nicht ersichtlich. Es kann dabei offenbleiben, ob das beklagtenseits in der Widerspruchsschrift auf Seite 12 vorgelegte Foto einen vergrößerten Bildausschnitt der Anlage … zeigt; dann wäre sogar eine Verpixelung nachgewiesen, wofür viel spricht. Entscheidend ist aber, dass keineswegs, wie klägerseits ausgeführt, die Beklagtenseite glaubhaft machen müsste, dass die Fotos nicht unverpixelt veröffentlicht worden seien; hierfür ist vielmehr der Verfügungskläger selbst beweispflichtig. Den Beweis kann er durch die vorgelegten Fotos sicher nicht führen.
2. Eine Erkennbarkeit trotz Verpixelung ist nicht gegeben, jedenfalls nicht im erforderlichen Umfang. Wie aus den antragstellerseits vorgelegten Bildern aus der streitgegenständlichen Berichterstattung auf die Person des Verfügungsklägers, abgebildet auf Seite … der Widerspruchsschrift, geschlossen werden kann, ist schlechthin nicht nachvollziehbar. Dem steht nicht entgegen, dass Personen, welche wissen, dass gerade gegen den Verfügungskläger das gegenständliche Strafverfahren durchgeführt wird, vermuten können, es könne sich bei der Person links neben dem Richtertisch möglicherweise um den Verfügungskläger handeln
3. Auch die Textberichterstattung verstößt nicht gegen die Grundsätze, welche bei einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung zu beachten sind. Zwar ist richtig, dass Personen aus dem Bekanntenkreis des Verfügungsklägers aus der Beschreibung des Angeklagten … auf die Person des Verfügungsklägers schließen können. Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass die Personen, die aus diesen Informationen auf die Person des Verfügungsklägers schließen können, mit großer Wahrscheinlichkeit bereits wissen, dass es gerade der Verfügungskläger ist, welcher der Hauptangeklagte im Strafverfahren wegen des Verdachts der Wahlfälschung ist. Hierzu hat der Verfügungskläger selbst beigetragen, indem er noch im Jahr 2014 in verschiedenen Interviews, in welchen er auch unverpixelt und mit vollständiger Namensnennung zu sehen war, öffentlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung nahm. Selbstverständlich verdient er auch nach einer solchen freiwilligen Selbstöffnung Persönlichkeitsschutz. Allerdings war es angesichts des breiten öffentlichen Interesses und des eigenen Auftritts des Verfügungsklägers unvermeidbar, dass die Person des damaligen Beschuldigten und jetzigen Verfügungsklägers einem breiten Publikum als derjenige bekannt wurde, gegen den die Vorwürfe wegen Wahlfälschung erhoben wurden. Die aus der streitgegenständlichen Berichterstattung ziehbaren Rückschlüsse auf die Person des Verfügungsklägers waren daher nicht geeignet, den Personenkreis, der bereits wusste, es handele sich bei dem Hauptangeklagten im Strafverfahren um den Verfügungskläger, wesentlich zu erweitern.
Es ist daher nur von einem geringen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch die streitgegenständliche Berichterstattung in Textform auszugehen. Dem gegenüber ist ein durchaus erhebliches öffentliches Interesse an einer etwas näheren Personenbeschreibung des Hauptbeschuldigten im genannten Strafverfahren ersichtlich. Hierbei kommt es nicht entscheidend auf die konkrete Strafandrohung und die Tatsache an, dass lediglich ein Vergehen angeklagt wurde. Maßgeblich ist vielmehr der aufsehenserregende Vorwurf, in eine Kommunalwahl durch Organisierung von Stimmen, die der eigenen Parteiwahl entsprechen, eingegriffen zu haben, was tatsächlich einen erheblichen Eingriff in die Demokratie darstellen würde. Es stellt auch einen absoluten Ausnahmefall dar, dass eine Kommunalwahl wegen solcher Vorwürfe zu wiederholen war.
4. Auch die Kombination aus Bild- und Textberichterstattung war zulässig. Da die Person des Verfügungsklägers auf den klägerseits beigefügten Fotos gerade nicht erkennbar war – bzw. nur mit den oben genannten Einschränkungen – ergibt sich aus der Kombination von Text- und Bildberichterstattung kein anderes Ergebnis als bereits unter 3. ausgeführt wurde.
5. Es liegt auch kein Verstoß gegen §§ 22 f. Kunsturhebergesetz vor, da der Verfügungskläger ein Verbreiten seines Bildnisses nicht nachweisen konnte. Auf obige Ausführungen wird Bezug genommen.
6. Es kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht oder ein Verstoß gegen § 22 Kunsturhebergesetz dann vorliegen würde, wenn unverpixelte Fotos bzw. solche Fotos, die eine weitere Erkennbarkeit des Verfügungsklägers ermöglichen würden, gegeben wäre. Auch bei einer dann anzunehmenden Erkennbarkeit des Verfügungsklägers für ein breiteres Publikum müsste eine umfassende Abwägung des Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers mit dem öffentlichen Interesse an näheren Informationen und der Pressefreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG stattfinden. Eine individualisierende Berichterstattung ist grundsätzlich nicht unzulässig (vgl. BGH NJW 2013, 229). Es wäre durchaus denkbar, dass angesichts der Art des Tatvorwurfes der Person des Täters, welcher immerhin unbestritten ein großer Arbeitgeber in der Region ist und gerade in dieser Eigenschaft erst die konkrete Ausführung der Tat ermöglicht hätte (Heranziehung der eigenen Arbeitnehmer in unzulässiger Weise zu einer Kommunalwahl) eine besondere Bedeutung beizumessen ist, sodass die Güterabwägung auch nach den Grundsätzen des Landgerichts Essen im Verfahren 4 O 152/17, welches klägerseits näher ausgeführt wird, nicht zu Gunsten des Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK ausfallen würde.
7. Zum Schreiben der Klägerseite vom 30.11.2018:
Dieser Schriftsatz ist hinsichtlich des tatsächlichen Vorbringens schon nicht mehr berücksichtigungsfähig, § 296 a ZPO. Jedoch sind auch die rechtlichen Ausführungen nicht geeignet, die o.g. Ausführungen in Frage zu stellen.
Eine sekundäre Darlegungslast der Verfügungsbeklagten hinsichtlich der Veröffentlichung zweier weiterer Fotos, die angeblich unverpixelt gewesen sein sollten, besteht sicher nicht. Durch die bloße Äußerung eines Verdachts auf unverpixelte Berichterstattung können Presseunternehmen nicht gezwungen werden, gegenüber dem Verfügungskläger die erfolgten Veröffentlichungen nachzureichen. Es liegt auch nicht im Verantwortungsbereich der Verfügungsbeklagten, wenn das Sekretariat des klägerischen Bevollmächtigten versehentlich Fotos löscht.
Nicht nachvollziehbar sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen zum rechtlichen Gehör im Hinblick auf den ursprünglichen Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung. Es liegt in der Natur der Sache, dass Entscheidungen im Rahmen des Eilverfahrens vor Anhörung des Antragsgegners auf unsicherer Tatsachengrundlage erfolgen müssen. Gerade die Umstände, die im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung von Bedeutung waren, fanden sich erstmals in der Erwiderung der Beklagtenseite.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 6 ZPO.

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