IT- und Medienrecht

Identifizierende Berichterstattung über Verdacht einer Vergewaltigung

Aktenzeichen  9 O 8402/15

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157428
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2,  § 1004
KUG § 22
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
StGB § 186

 

Leitsatz

1 Lässt sich der Vorwurf einer Vergewaltigung wegen des noch nicht abgeschlossenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens von einem hierüber berichtenden Presseorgan (noch) nicht beweisen, stellt eine Berichterstattung, nach der der mutmaßliche Täter identifizierbar ist, eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des mutmaßlichen Täters dar; eine solche identifizierende Berichterstattung ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verdachtsberichterstattung nicht gerechtfertigt.  (Rn. 20 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da der Wahrheitsgehalt des erhobenen Vorwurfs im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht zuverlässig gesichert war, sodass der sehr gravierende Vorwurf einer Vergewaltigung auf einem jedenfalls damals nur wenig gefestigten Ermittlungsfundament beruhte, muss in dem konkreten Fall ein Interesse an der identifizierenden Berichterstattung hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers zurücktreten. (Rn. 32 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagten zu 1) wird unter Androhung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, bei Nichteinbringlichkeit Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft, die Ordnungshaft zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft, wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
im Zusammenhang mit der wörtlichen oder sinngemäßen Behauptung,
•er habe eine strafbare Behandlung begangen,
•es sei gegen ihn Strafanzeige erstattet worden, oder
•er sei Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
den Kläger identifizierende Angaben und/oder Bilder wiederzugeben, zu veröffentlichen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen bzw. wiedergeben, veröffentlichen, verbreiten und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
wenn dies geschieht wie in dem Artikel „Staatsanwalt ermittelt gegen Star-Anwalt“ auf … vom 23.02.2015.
2. Der Beklagten zu 2) wird unter Androhung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, bei Nichteinbringlichkeit Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft, die Ordnungshaft zu vollziehen an dem Vorstand, wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
im Zusammenhang mit der wörtlichen oder sinngemäßen Behauptung,
•er habe ein strafbare Behandlung begangen,
•es sei gegen ihn Strafanzeige erstattet worden, oder
•er sei Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
den Kläger identifizierende Angaben und/oder Bilder wiederzugeben, zu veröffentlichen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen bzw. wiedergeben, veröffentlichen, verbreiten und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
wenn dies geschieht wie in dem Artikel „Staatsanwalt ermittelt gegen Star-Anwalt“ auf Seite 08 der … vom 22.02.2015.
3. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer 1 dieses Urteils bezeichneten Handlungen, wie geschehen in dem Artikel „Staatsanwalt ermittelt gegen Star-Anwalt“ auf …m 23.02.2015, vorgenommen hat;, dabei hat die Beklagte zu 1) die Dauer der öffentlichen Zugänglichmachung sowie die Anzahl der Abrufe des Artikels durch Nutzer, auch soweit der vollständige Artikel über den kostenpflichtigen Dienst … laufgerufen wurde, anzugeben.
4. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer 2 dieses Urteils bezeichneten Handlungen, wie geschehen in dem Artikel „Staatsanwalt ermittelt gegen Star-Anwalt“ auf Seite 08 der … vom 22.02.2015 vorgenommen hat; dabei hat die Beklagte zu 2) Auskunft über das Verbreitungsgebiet der … vom 22.02.2015 sowie über die Höhe der Auflage zu geben.
5. Im Übrigen wird die Klage hinsichtlich der Anträge zu I)-IV) abgewiesen.
6. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
7. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich – soweit über die Anträge zu I)-IV) im Wege des Teilurteils zu entscheiden war – als überwiegend begründet. Denn der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung einer identifizierenden Berichterstattung und auf Auskunft über das Ausmaß der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Berichterstattung.
I.
Über die Klage ist gem. § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Wege des Teilurteils zu entscheiden. Denn hinsichtlich der geltend gemachten Unterlassungsansprüche war die Klage entscheidungsreif, wohingegen über die geltend gemachten Ansprüche auf Geldentschädigung und Schadenersatz eine Entscheidung nicht ohne die mit dem Auskunftsanspruch verfolgten Auskünfte möglich ist; zudem steht insoweit auch noch die – u.U. vorgreifliche – Entscheidung des Landgerichts München I bezüglich der erhobenen Anklage gegen den Kläger aus.
II.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Berichterstattung, soweit er dabei durch ein Foto oder Angaben zu seiner Person identifizierbar gemacht wird, gem. §§ 1004, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB, § 22 KunstUrhG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Denn eine solche identifizierende Berichterstattung verletzt ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und ist auch nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen – etwa unter dem Gesichtspunkt der Verdachtsberichterstattung – gedeckt.
1.1. Die streitgegenständliche Berichterstattung verletzt, da sie in den Kläger identifizierender Weise erfolgt, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.
1.1.1. Der Kläger wird in dem Artikel sowohl durch das Bild als auch durch die Angaben zu seiner Person identifizierbar dargestellt.
Das Bild ist zwar nur von geringer Größe und mit einem schwarzen Balken über den Augen des Klägers versehen. Gleichwohl sind markante Merkmale des Klägers, etwa der nur noch geringe Haarwuchs oder die Mundpartie, gut erkennbar und der Kläger für Personen, die ihn – auch flüchtig – kennen, zu identifizieren. Davon konnte sich die Kammer selbst unschwer in der mündlichen Verhandlung ein Bild machen.
Hinzu kommen eine Reihe von Angaben zu dem Kläger, die ihn auch für entferntere Bekannte – etwa aus dem beruflichen, aber auch dem privaten Umfeld – erkennbar machen. So werden der Vorname des Klägers, der Anfangsbuchstabe seines Nachnamens, sein Alter, sein Familienstand, die Zahl seiner Kinder, die Kanzlei, in der er tätig war, und auch einzelne von ihm betreute Mandanten genannt.
Diese Angaben im Zusammenspiel mit dem Foto ermöglichen auch entfernteren Bekannten recht zwanglos eine Zuordnung zu dem Kläger. Er ist identifizierbar und wurde auch – wie nicht zuletzt die Aussage des Zeugen … der mündlichen Verhandlung vom 09.01.2017 deutlich gemacht hat – identifiziert.
1.1.2. Bei den in dem streitgegenständlichen Artikel enthaltenen Darstellungen zum Geschehen am Abend des Oktoberfestes und dem daraus resultierenden Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens – Vergewaltigung – handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt noch nicht fest steht. Der Vorwurf der Vergewaltigung ist indessen von erheblichem Gewicht und geeignet, den Kläger in seinem Ansehen in außerordentlichem Maße herabzuwürdigen. Unter Berücksichtigung der Wertung des § 186 StGB liegt daher die Beweislast für die Wahrheit der Behauptungen bei der Beklagten zu 2). Den Nachweis hat sie nicht geführt und kann dies – jedenfalls bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens – auch nicht tun; allein die Strafanzeige des anderen ehemaligen Kanzleipartners ist jedenfalls kein geeignetes Beweismittel.
1.1.3. Die identifizierende Berichterstattung über nicht erweislich wahre, den Kläger in der öffentlichen Wahrnehmung herabwürdigende Tatsachenbehauptungen verletzt den Kläger aber in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG.
1.2. Dieser Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen – hier insbesondere nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung – gerechtfertigt.
1.2.1. Grundsätzlich hat zwar bei Straftaten von Gewicht das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer aktuellen Berichterstattung nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung regelmäßig Vorrang gegenüber den Interessen des davon Betroffenen hat. Auch sind Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist, in diesem Zusammenhang solange zulässig, wie der Äußernde sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen – eben der Verdachtsberichterstattung gem. Art. 5 Abs. 1 GG – für erforderlich halten darf (BGH v. 18.11.2014 – Az. VI ZR 76/14 – Rz. 15 alle Entscheidungen, soweit nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank).
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Verdachtsberichterstattung ist zum einen das Vorliegen eines Mindestbestandes an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „öffentlichkeitswert“ verleihen, wobei die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen sind, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird. Ferner darf die Darstellung keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also insbesondere nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt. Unzulässig ist demnach eine auf Sensationen ausgehende, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung, sondern vielmehr müssen auch die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente berücksichtigt werden. Das bedeutet insbesondere auch, dass dem Betroffenen vor der Veröffentlichung regelmäßig auch Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. statt vieler BGH v. 07.12.1999 – Az. VI ZR 51/99 – Rz. 20 m.w.N.; BGH v. 18.11.2014 – Az. VI ZR 76/14 – Rz. 16; OLG Karlsruhe v. 02.02.2015 – Az. 6 U 130/14 – Rz. 23).
Über den Stand eines Ermittlungsverfahrens darf – unter Einhaltung dieser Voraussetzungen – grundsätzlich berichtet werden, allerdings ist dabei zu beachten, in welchem Stadium sich das Ermittlungsverfahren befindet. Gerade im Hinblick auf die Gefahr einer Prangerwirkung sind daher an die Zulässigkeit einer namentlichen Erwähnung oder eine identifizierende Bildberichterstattung strenge Anforderungen zu stellen (OLG Dresden v. 27.11.2003 – Az. 4 U 991/03 – Rz. 10/11 OLG Köln v. 15.11.2011 – Az. 15 U 60/11 – Rz. 29/30). Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass das Informationsinteresse umso größer ist, je schwerer die Vorwürfe wiegen; andererseits wird aber auch das Ansehen des Betroffenen umso stärker beeinträchtigt. Dies erfordert eine sorgfältige Abwägung, die auch den Bekanntheitsgrad der betroffenen Person und die Bedeutung seiner (identifizierbaren) Person für die Berichterstattung berücksichtigen muss.
1.2.2. Vorliegend führt die Abwägung der widerstreitenden Interessen dazu, dass die identifizierende Berichterstattung über den Kläger und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht zulässig war.
Zwar ist zu Gunsten der Beklagten zu 2) zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Artikel in der Tat die für den Vorwurf relevanten Anknüpfungstatsachen – das geschilderte Geschehen in der mutmaßlichen Tatnacht – wiedergibt und zugleich deutlich macht, dass es sich bislang nur um Vorwürfe, nicht um feststehende Tatsachen handelt, indem sowohl auf die Angaben des die anzeigeerstattenden Partners und dessen Schilderungen Bezug genommen wird und die Detailschilderungen durch Formulierungen wie „soll…“ und die Verwendung der indirekten Rede als Behauptungen, nicht Erwiesenes gekennzeichnet werden. Der Kläger hatte auch – auf Grund der E-Mail-Anfrage vom 19.02.2015 – Gelegenheit zur Stellungnahme und sein Bestreiten wird berichtet. Schließlich handelt es sich bei dem Vorwurf der Vergewaltigung einer studentischen Mitarbeiterin um einen gravierenden, das Interesse der Öffentlichkeit in besonderer Weise berührenden Tatverdacht.
Dem steht allerdings entgegen, dass zum damaligen Zeitpunkt die berichteten Anknüpfungstatsachen im Wesentlichen auf den Angaben des anderen ehemaligen Linklaters-Partners beruhten, insoweit also zunächst einmal dessen Angaben und das Bestreiten des Klägers einander gegenüberstanden und der andere Partner auch teilweise allenfalls Zeuge vom Hörensagen war. Der Wahrheitsgehalt des von ihm erhobenen Vorwurfs war zum damaligen Zeitpunkt damit keineswegs zuverlässig gesichert; weitergehende Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft wurden nicht berichtet. Der sehr gravierende Vorwurf einer Vergewaltigung beruhte damit auf einem jedenfalls damals nur wenig gefestigten Ermittlungsfundament. Zugleich ist dieser Vorwurf aber in besonderem Maße geeignet, den Kläger herabzuwürdigen – sowohl in der Familie als auch im privaten Umfeld, im beruflichen Umfeld und in der Öffentlichkeit allgemein. Hinzu kommt, dass der Kläger keine Person des öffentlichen Interesses ist und nicht in der Öffentlichkeit steht. Ihn identifizierbar zu machen, ist daher nicht erforderlich, um über die Dimensionen des Tatvorwurfes und des Umfeldes berichten zu können. Diese Angaben kolorieren allenfalls den Bericht und sind geeignet, dem Sensationsinteresse Rechnung zu tragen, ohne indessen für das Verständnis des Artikels überhaupt erforderlich zu sein.
Eine identifizierende Berichterstattung in einem so frühen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens stigmatisiert den Kläger daher in besonderer Weise und ist auch im Falle seiner Unschuld durch eine spätere – möglicherweise in der Öffentlichkeit nicht einmal wahrgenommene – Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder einen etwaigen Freispruch nicht adäquat auszugleichen (vgl. auch OLG Köln v. 15.11.2011 – Az. 15 U 60/11 – Rz. 30 ff.). Daher muss in dem konkreten Fall ein Interesse an der identifizierenden Berichterstattung hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers zurücktreten.
1.3. Der Kläger hat daher gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf Unterlassung der identifizierenden Berichterstattung in dem tenorierten Umfang.
2. Der Kläger hat – soweit die Berichterstattung danach unzulässig war – auch einen Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der Verbreitung gem. § 242 BGB i.V.m. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB und Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG.
2.1. Auf Grund der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat der Kläger gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen materiellen Schadens; die Höhe des Schadens ist allerdings noch nicht bestimmbar und hängt u.a. auch von den zu erteilenden Auskünften ab.
2.2. Darüber hinaus hat der Kläger auch einen Anspruch auch auf Geldentschädigung, weil die identifizierende Berichterstattung einen besonders schwerwiegenden Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht darstellt.
2.2.1. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung steht dem Opfer einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf Geldentschädigung zu, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH v. 15.11.1994 – Az. VI ZR 56/94 – Rz. 74; BGH v. 30.01.1996 – Az. VI ZR 386/94 – Rz. 41). Dabei handelt es sich nicht im eigentlichen Sinn um ein Schmerzensgeld, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückgeht (BVerfG v. 14.02.1973 – Az. 1 BvR 112/65 – Rz. 45; BGH v. 15.11.1994 – Az. VI ZR 56/94 – Rz. 84; BGH v. 05.12.1995 – Az. VI ZR 332/94 – Rz. 12; BGH v. 12.12.1995 – Az. VI ZR 223/94 – Rz. 14). Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre eines Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH v. 15.11.1994 – Az. VI ZR 56/94 – Rz. 84; BGH v. 05.12.1995 – Az. VI ZR 332/94 – Rz. 13). Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht dabei der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll der Rechtsbehelf der Prävention dienen (BGH v. 15.11.1994 – Az. VI ZR 56/94 – Rz. 84; BGH v. 05.12.1995 – Az. VI ZR 332/94 – Rz. 13; BGH v. 12.12.1995 – Az. VI ZR 223/94 – Rz. 14). Ob eine schwerwiegende Verletzung vorliegt, welche die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH v. 15.11.1994 – Az. VI ZR 56/94 – Rz. 74; BGH v. 30.01.1996 – Az. VI ZR 386/94 – Rz. 41; BGH v. 30.06.2009 – Az. VI ZR 339/08 – Rz. 3). Dies ist in jedem Einzelfall auf Grund der jeweiligen gesamten Umstände zu prüfen (BGH v. 30.06.2009 – Az. VI ZR 339/08 – Rz. 3).
2.2.2. Vorliegend wird gegen den identifizierbaren – und identifizierten – Kläger der Vorwurf erhoben, eine studentische Mitarbeiterin vergewaltigt zu haben. Dieser Vorwurf wiegt nicht nur wegen des hohen kriminellen Gewichts, sondern gerade der Umstand, dass es sich um eine studentische Mitarbeiterin der Kanzlei handelt, in der der Kläger Partner ist, bedeutet auch ein besonderes Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen. Zugleich wird über den Kläger berichtet, dass er verheiratet sei und drei Kinder habe. So wird die besondere Verwerflichkeit des mit dem Vorwurf behaupteten Tuns herausgestrichen. Der Kläger wird dadurch als kriminell, Abhängigkeiten ausnutzend, gegenüber Frau und Kindern rücksichtslos und nur an der Befriedigung sexueller Begierden interessiert dargestellt. Das ist in besonderem Maße geeignet, ihn in der öffentlichen Wahrnehmung herabzuwürdigen und zu stigmatisieren.
Die Konsequenzen einer solchen identifizierenden Berichterstattung wären auch für die Beklagte zu 2) erkennbar gewesen, so dass sich die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als mindestens fahrlässig darstellt.
2.2.3. Eine solche Herabwürdigung und Stigmatisierung ist auch nicht durch eine Unterlassung oder – im Falle, dass der Strafvorwurf fallen gelassen würde – einen entsprechend klarstellenden Bericht ausgleichbar. Denn zum einen wäre ein solcher, in deutlichem zeitlichen Abstand veröffentlichter Bericht von geringerem Interesse, zöge weniger Aufmerksamkeit auf sich und wäre insgesamt nicht von gleichem Gewicht. Zum andern und vor allem ist jedenfalls für die Zeit bis zu einer Klärung der Vorwürfe die Stigmatisierung und Vorverurteilung damit nicht aufgewogen. Daher hat der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Geldentschädigung.
2.3. Allerdings ist für eine Geldentschädigung auch von Bedeutung, in welchem Umfang die streitgegenständlichen Aufnahmen tatsächlich verbreitet worden sind. Dies ist Gegenstand des – insoweit im Wege der Stufenklage – vom Kläger verfolgten Auskunftsanspruchs, der sich nach dem eben Gesagten als begründet erweist. Denn nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB steht demjenigen, dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB verletzt worden ist, ein Auskunftsanspruch – etwa hinsichtlich des Umfangs der Verbreitung – gegen den Verletzer zu, um seinen Schadenersatz- oder Geldentschädigungsanspruch näher beziffern zu können (Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., München 2012, Kap. 44, Rz. 50; Söder in Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, München 2014, § 823 BGB, Rz. 319).
3. Demgegenüber hat der Kläger gegen die Beklagte zu 2) keinen Anspruch auf Unterlassung der einzelnen, streitgegenständlichen Tatsachenbehauptungen zu dem Geschehen am Abend des Oktoberfestbesuches. Denn insoweit sind – sofern der Kläger nicht in identifizierender Weise dargestellt wird – die Voraussetzungen für eine Verdachtsberichterstattung nach dem oben Gesagten erfüllt. Gerade in Anbetracht des erheblichen Interesses in der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung über Straftaten von großem Gewicht und insbesondere von Sexualdelikten – nicht zuletzt im Zusammenhang mit Volksfesten, Alkoholkonsum und arbeitsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnissen – ist die Berichterstattung über den Vorwurf zulässig. Dazu gehört auch, dass die Tatsachengrundlage dargestellt wird und dies wird durch die beschriebenen Aussagen zu dem angeblichen Geschehen erreicht. Der Kläger wird demgegenüber auch nicht – sofern nicht identifizierend berichtet wird – in seiner Intimsphäre verletzt, weil das Geschehen ihm dann nicht vom Leser zugeordnet werden kann. Der Kläger hatte auch Gelegenheit zur Stellungnahme und sein Bestreiten des Vorwurfes wird gleichfalls berichtet. Insgesamt erscheint die Berichterstattung – von der Ausnahme der identifizierenden und daher (siehe oben) zu untersagenden Angaben zu seiner Person – hinreichend offenlassend und somit zulässig. Insoweit war die Klage daher (hinsichtlich des Antrags zu II Nr. 2) abzuweisen
III.
1. Aus den gleichen, oben dargestellten Erwägungen hat der Kläger auch gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Unterlassung der identifizierenden Berichterstattung. Entsprechendes gilt auch für den Auskunftsanspruch. Insoweit kann auf die Ausführungen unter II. Bezug genommen werden.
2. Soweit der Kläger demgegenüber von der Beklagten zu 1) die Unterlassung der Aussage, er habe eine Studentin bzw. Mitarbeiterin vergewaltigt, begehrt, betrifft dies den Kernbereich des Vorwurfs, über den im Rahmen der Verdachtsberichterstattung gerade berichtet werden soll. Soweit das in nicht-identifizierender Weise erfolgt, ist die Tatsachenbehauptung daher zulässig; auch insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Hinsichtlich des Antrages zu I Nr. 2 war die Klage daher als unbegründet abzuweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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