Aktenzeichen 2 Sa 167/15
ArbGG § 64 Abs. 1, Abs. 2 b), Abs. 6, § 66 Abs. 1, § 72 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 72a
ZPO § 97 Abs. 1, § 519, § 520
EPÜ Art. 4 Abs. 2, Art. 8, Art. 13, Art. 33 Abs. 2
PPI Art. 3 Abs. 1, Abs. 1a, Abs. 4
Statut ILOAT II.7
Statut der Beamten des EPA Art. 30a, Art. 63, Art. 65
GG Art. 24 Abs. 1
EMRK Art. 6
Leitsatz
1 Das Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung. (red. LS Thomas Ritter)
2 Die Immunität stellt ein Verfahrenshindernis dar. (red. LS Thomas Ritter)
3 Die Europäische Patentorganisation genießt gem. Art. 8 EPÜ iVm Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 PPI zur Durchführung ihrer Aufgaben bzw. im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität. Sie ist also in diesem Rahmen im Sinne des § 20 Abs. 2 GVG von der deutschen Gerichtsbarkeit freigestellt. Als internationale Organisation besitzt sie die Befugnis zur autonomen Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse (Fortschreibung BVerfG BeckRS 2010, 49575). (red. LS Thomas Ritter)
4 Die Immunität der Europäischen Patentorganisation ist nicht absolut und unbeschränkt, sondern eine funktionelle. Sie setzt insbesondere voraus, dass die mit der Klage jeweils angegriffenen Maßnahmen von der Europäischen Patentorganisation im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit ergriffen wurden. (red. LS Thomas Ritter)
5 Die deutsche Gerichtsbarkeit kann ausnahmsweise trotz bestehender Immunität gegeben sein. Nach Art. 24 Abs. 1 GG kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Organisationen übertragen. Diese Übertragungsmöglichkeit verlangt, dass der von der zwischenstaatlichen Einrichtung zu gewährende Rechtsschutz dem nach dem Grundgesetz „im Wesentlichen gleich kommt“, wozu in aller Regel ein Individualrechtsschutz durch unabhängige Gerichte gehört (Fortschreibung BVerfG BeckRS 9998, 152125; BGH BeckRS 2009, 21141; BVerfG BeckRS 2010, 49575). (red. LS Thomas Ritter)
6 Das Rechtsschutzsystem des EPÜ mit seinen Beschwerdemöglichkeiten und der Möglichkeit, das ILOAT anzurufen, entspricht im Wesentlichen dem Standard des Grundgesetzes und damit dem des Art. 24 Abs. 1 GG (Fortschreibung BVerfG BeckRS 2010, 49575). (red. LS Thomas Ritter)
Verfahrensgang
16 Ca 2864/14 2015-01-13 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin zu 2 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 13.01.2015 – 16 Ca 2864/14 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerinnen tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten in beiden Instanzen tragen die Klägerinnen jeweils zur Hälfte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 64 Abs. 1, 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 und 520 ZPO).
Für die Zulässigkeit der Berufung ist es unerheblich, ob die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist, denn diese Frage betrifft die Zulässigkeit der Klage, die erst im Rahmen der Begründetheit der Berufung zu prüfen ist. Auch die anderen Gesichtspunkte, die die Beklagte auf den Seiten 8 und 9 ihrer Berufungserwiderung anführt und aus denen sie die Unzulässigkeit der Berufung ableiten möchte, betreffen die Zulässigkeit der Klage, nicht dagegen die Zulässigkeit der Berufung.
II.
Die Berufung ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht die Klage zu Recht für unzulässig angesehen und angenommen hat, dass sich die Klageanträge auf Maßnahmen beziehen, hinsichtlich derer die Beklagte Immunität genießt. Der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten, hier zu den Gerichten der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit, ist – wie ebenfalls vom Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt – auch nicht deshalb eröffnet, weil es andernfalls an einem Mindeststandard des Schutzes von Menschenrechten und deren prozessualer Absicherung fehlen würde. Da die Klägerin den internen Beschwerdeweg und den Klageweg zum ILOAT nicht beschritten hat, steht die Unmöglichkeit, im von der Beklagten geschaffenen Rechtsschutzsystem rechtliches Gehör zu erhalten, nicht fest. Die Angriffe der Klägerin gegen die Begründung des Arbeitsgerichts führen zu keinem vom Arbeitsgericht abweichenden Ergebnis.
1. Die Klage ist unzulässig, weil die Beklagte hinsichtlich der Klageanträge Immunität genießt.
a) Wie vom Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, ist das Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung. Die Immunität stellt ein Verfahrenshindernis dar. Die Klage ist also als unzulässig abzuweisen, wenn die Beklagte für den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens Immunität genießt und nicht auf Ihre Immunität verzichtet hat. Nach § 20 Abs. 2 GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit u.a. nicht auf zwischenstaatliche Organisationen, soweit sie aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstige Rechtsvorschriften von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind.
Die Beklagte genießt gem. Art. 8 EPÜ i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 4 PPI zur Durchführung ihrer Aufgaben bzw. im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität. Sie ist also in diesem Rahmen im Sinne des § 20 Abs. 2 GVG von der deutschen Gerichtsbarkeit freigestellt. Als internationale Organisation besitzt sie die Befugnis zur autonomen Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse (BVerfG vom 27.04.2010 – 2 BvR 1848/07).
Die Immunität der Beklagten ist damit nicht absolut und unbeschränkt, sondern eine funktionelle. Sie setzt insbesondere voraus, dass die mit der Klage angegriffenen Maßnahmen von der Beklagten im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit ergriffen wurden.
b) Nach der Ansicht der Kammer ist dem nationalen Gericht eine Prüfung, ob es sich bei den angegriffenen Maßnahmen um solche zur Durchführung der Aufgaben der Beklagten bzw. im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit handelt, nicht generell verwehrt. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Prüfung, ob Aufgaben der Beklagten bzw. ihre amtliche Tätigkeit betroffen sind, eine inhaltliche Prüfung der Anträge erfordert.
b) Eine solche Prüfung muss aber nicht zwingend einen Eingriff in die Immunität der Beklagten bedeuten. Dies wäre vielmehr nur dann der Fall, wenn die Immunität der Beklagten absolut wäre. Wie ausgeführt ist dies nicht der Fall. Allerdings wäre eine detaillierte Prüfung, inwieweit die Klageanträge die amtliche Tätigkeit der Beklagten betreffen, mit der ihr gewährten Immunität nicht vereinbar. Damit ist eine Unzulässigkeit der Anträge wegen der Immunität der Beklagten nur dann zu verneinen, wenn offensichtlich kein Zusammenhang mit den Aufgaben der Beklagten bzw. ihrer amtlichen Tätigkeit vorliegt.
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich eine fehlende Immunität der Beklagten bezüglich der Klageanträge nicht schon damit begründen, der Beklagten sei weder die Aufgabe noch die Befugnis übertragen worden, Regelungen zu erlassen, die die Rechtsstellung der Klägerin als gewerkschaftliche Interessenvertretung betreffen. Schon der Wortlaut von Art. 8 EPÜ und Art. 3 PPI verdeutlicht, dass nicht ausdrücklich eine Befugnis zu einer Maßnahme eingeräumt sein muss, um insoweit Immunität zu gewähren. Danach genießt die Beklagte schon dann Immunität, wenn Maßnahmen einen Bezug zu ihren Aufgaben bzw. ihrer amtlichen Tätigkeit haben. Bestätigt wird dies durch den Zweck der Immunität der Beklagten. Sie folgt nicht wie die Staatenimmunität aus der souveränen Gleichwertigkeit der Staaten, sondern soll es der Beklagten ermöglichen, ihre Aufgaben effektiv zu erfüllen. Damit setzt sie – anders als die Immunität von Staaten – auch kein hoheitliches Handeln voraus. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben besitzt die Beklagte als internationale Organisation (Art. 4 EPÜ) die Befugnis zur autonomen Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse (Organisationsgewalt). Dies schließt die Möglichkeit ein, die Rechtsverhältnisse mit ihren Bediensteten eigenständig und unabhängig vom nationalen Recht der Mitgliedsstaaten einschließlich des Sitzstaates zu regeln (Personalhoheit; BVerfG vom 03.07.2006 – 2 BvR 1458/03).
d) Wegen des oben unter b) erläuterten eingeschränkten Prüfungsmaßstabs müssen die Klageanträge nicht detailliert daraufhin geprüft werden, ob die darin angesprochenen Begehren den Kernbereich der Aufgaben der Beklagten betreffen. Jedenfalls ist das Fehlen eines Bezugs zum Aufgabenbereich der Beklagten und zu ihrer amtlichen Tätigkeit nicht offensichtlich. Wie ausgeführt ist dabei davon auszugehen, dass die Beklagte zur autonomen Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse befugt ist und Personalhoheit hat.
– Antrag 1 betrifft Änderungen des Beamtenstatus, der Ausfluss der Personalhoheit der Beklagten ist.
– Wenn es der Beklagten im Antrag 2 untersagt werden soll, gegenüber Bediensteten und/oder Dritten bestimmte Äußerungen zu machen oder bestimmte Ansichten zu vertreten, so hat dies einen Bezug zur Organisationshoheit der Beklagten.
– Ähnliches gilt für den Antrag 3. Der Beklagten sollen insbesondere konkrete Vorgaben zu Maßnahmen gegenüber der Klägerin und zum Inhalt eines sozialen Dialogs gemacht werden.
– Auch wenn es der Klägerin nach Ihrer Darstellung mit dem Antrag 4 darum geht, ihre Kommunikation zu ermöglichen, sind damit jedenfalls auch Fragen der Organisation der Beklagten betroffen.
2. Es liegt kein Fall vor, in dem trotz grundsätzlich bestehender Immunität der Beklagten ausnahmsweise die deutsche Gerichtsbarkeit zu bejahen wäre.
a) Dabei kann mit der Klägerin davon ausgegangen werden, dass die deutsche Gerichtsbarkeit ausnahmsweise trotz bestehender Immunität gegeben sein kann. Nach Art. 24 Abs. 1 GG kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatlicher Organisationen übertragen. Diese Übertragungsmöglichkeit verlangt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der von der zwischenstaatlichen Einrichtung zu gewährende Rechtsschutz dem nach dem Grundgesetz „im Wesentlichen gleich kommt“, wozu in aller Regel ein Individualrechtsschutz durch unabhängige Gerichte gehört (BVerfG vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83; BGH vom 09.07.2003 – III ZR 46/08, BVerfG vom 27.04.2010 – 2 BvR 1848/07).
Auch der EGMR geht davon aus, dass die Beklagte nicht schon allein deshalb nicht vor nationalen Gerichten verklagt werden kann, weil ihr durch Art. 8 EPÜ und Art. 3 PPI Immunität eingeräumt wurde. Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass die den internationalen Organisationen eingeräumte Immunität nur dann als proportional und angemessen anerkannt werden kann, wenn fundamentale Rechte, auch das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 MRK) gewährleistet werden (Entscheidungen vom 29.01.2015 Az. 15521/08 und 415/07; 30.06.2005 Az. 45036/98). Im Verfahren 415/07 (Fall Klausecker) war die Immunität der Beklagten und der daraus resultierende beschränkte Zugang des Beschwerdeführers zu den deutschen Gerichten nach Ansicht des EGMR verhältnismäßig. Der Gerichtshof hat dies damit begründet, die Beklagte habe dem Beschwerdeführer die Durchführung eines Schiedsverfahrens angeboten; er habe folglich eine alternative Möglichkeit der Streitbeilegung gehabt.
Wie vom Arbeitsgericht ausgeführt hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass das Rechtsschutzsystem des EPÜ mit seinen Beschwerdemöglichkeiten und der Möglichkeit, das ILOAT anzurufen, im Wesentlichen dem Standard des Grundgesetzes und damit dem des Art. 24 Abs. 1 GG entspricht (Beschluss vom 27.04.2010 – 2 BvR 1848/07).
b) Hier kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Zugang der Klägerin zu den deutschen Gerichten unverhältnismäßig und unangemessen beschränkt ist, solange die Klägerin nicht den Versuch unternommen hat, im internen Beschwerdeverfahren bzw. in einem Verfahren vor dem ILOAT rechtliches Gehör zu erhalten.
Die Klägerin verweist darauf, das ILOAT habe sich gegenüber der Beklagten vertraglich verpflichtet, diese bei der Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes für ihre Beschäftigten zu unterstützen. Das ILOAT könne nur den vertraglich vereinbarten Personen Rechtsschutz gewähren, nicht jedoch der Klägerin, die nicht klagebefugt sei.
Die Auffassung der Klägerin, sie könne schon deshalb keinen Rechtsschutz durch das ILOAT erlangen, weil dieses fest an seine vertraglich geregelte Zuständigkeit gebunden sei, überzeugt nicht. Nach seinem Statut (Art. II. 7.) hat das ILOAT zu prüfen, wer Zugang zu ihm hat. Selbst wenn es keine Regelung zur Klagebefugnis der Klägerin bzw. von Gewerkschaften beim ILOAT gibt, kann nicht unterstellt werden, dort könne kein Rechtsschutz erlangt werden. Die Klägerin trägt selbst vor, das ILOAT unterstütze die Beklagte bei der Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für ihren Bediensteten. Die Klägerin ist die Interessenvertretung der Bediensteten. Schon vor diesem Hintergrund erscheint eine Auslegung der vertraglichen Regelung dahingehend, dass auch eine Gewerkschaft klagebefugt ist, zumindest denkbar. Außerdem geht die Beklagte davon aus, das ILOAT sei befugt, über eine Klage der Klägerin zu entscheiden. Sie hat im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsfrage darauf hingewiesen, das ILOAT könne rechtsfortbildend tätig werden und im Schriftsatz vom 22.06.2016 verschiedene prozessuale Handlungsoptionen der Klägerin aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund kann nicht von vornherein angenommen werden, das ILOAT werde die Klägerin als nicht klagebefugt ansehen. Zu berücksichtigen ist auch die wiedergegebene Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das Rechtsschutzsystem des EPÜ entspreche im Wesentlichen dem Standard des Grundgesetzes. Eine Rechtsschutzlücke für Gewerkschaften, die nicht geschlossen werden kann, dürfte kaum dem Standard des Art. 24 Abs. 1 GG entsprechen.
Bevor ein nationales Gericht tätig wird und damit in die der Beklagten gewährte Immunität eingreift, muss also zunächst das bei der Beklagten existierende Rechtsschutzsystem ausgeschöpft werden. Nur durch ein internes Beschwerdeverfahren bzw. ein Klageverfahren zum ILOAT lässt sich feststellen, ob evtl. Lücken im Rechtsschutzsystem der Beklagten für Gewerkschaften innerhalb dieses Systems geschlossen werden können und ob die Beschränkung des Zugangs zu deutschen Gerichten durch die Immunität der Beklagten unverhältnismäßig im Sinne der Rechtsprechung des EGMR ist.
III.
Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt die unterliegende Klägerin die Kosten ihrer erfolglosen Berufung.
IV.
Dieses Urteil ist unanfechtbar, denn die Beklagte ist nicht beschwert und es gibt keinen Grund, für die Klägerin die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Die angesprochenen Fragen der Immunität der Beklagten und der Angemessenheit ihrer Immunität im Hinblick auf die EMRK haben deshalb keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, weil sie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR weitgehend geklärt sind. Auf § 72 a ArbGG (Nichtzulassungsbeschwerde) wird hingewiesen.
Waitz Werner
Brenninger