Aktenzeichen 224 C 20896/15
Leitsatz
1. Teilt der Rechtsinhaber im Rahmen einer Abmahnung weitere ihm bekannte Zeitpunkte einer Urheberrechtsverletzung durch Filesharing nicht oder nicht rechtzeitig mit, sind die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast reduziert. (amtlicher Leitsatz)
2 Aus dem zwischen den Parteien auf Basis von Treu und Glauben bestehenden Prozessrechtsverhältnis ergibt sich für den Rechteinhaber die Obliegenheit, dem Anschlussinhaber auch weitere seinen Anschluss betreffende Verletzungszeitpunkte mitzuteilen, damit dieser den ihn aufgrund der sekundären Darlegungslast treffenden Nachforschungspflichten nachkommen und durch die Kenntnis weiterer Zeitpunkte etwa die Täterschaft weiterer Haushaltsangehöriger ausschließen oder die Ermittlungen des Rechtsinhabers sogar gänzlich widerlegen kann. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.106,00 € festgesetzt.
Gründe
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klägerin hat den Beweis der Täterschaft des Beklagten für die unerlaubte Urheberrechtsverletzung nicht erbracht.
1. Für den Nachweis der Täterschaft in Filesharing-Fällen gelten folgende Grundsätze (OLG München, Urteil vom 14.01.2016 – Aktenzeichen 29 U 2593/15, BeckRS 2016, 01186, Hervorhebungen hinzugefügt):
a) Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen eines geltend gemachten Schadensersatzanspruchs erfüllt sind, trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Anspruchsteller; danach ist es grundsätzlich seine Sache nachzuweisen, dass der in Anspruch Genommene für die von ihm behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist. Wenn allerdings ein urheberrechtlich geschütztes Werk […] der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers (vgl. BGH GRUR 2013, 511 – Morpheus Tz. 33; GRUR 2010, 633 – Sommer unseres Lebens Tz. 12). […]
Eine tatsächliche Vermutung begründet einen Anscheinsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; NJW 2010, 363 Tz. 15; NJW 1993, 3259; jeweils m. w. N.), zu dessen Erschütterung nicht allein der Hinweis auf die Möglichkeit eines anderen Verlaufs genügt; es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, aus denen sich die ernste Möglichkeit eines anderen als des vermuteten Verlaufs ergeben soll, die gegebenenfalls vom Beweisgegner zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden müssen (vgl. BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; Beschl. v. 6. Juli 2010 – XI ZR 224/09, juris, Tz. 10; NJW 1993, 3259; NJW 1991, 230 [231]; Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, vor § 284 Rz. 29; Bacher in: Vorwerk/Wolf, Beckscher OnlineKommentar, ZPO, Stand 1. September 2015, § 284 Rz. 98; Foerste in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 286 Rz. 23; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 286 Rz. 13; Rinken in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2015, § 286 Rz. 60; Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 286 Rz. 65).
b) Voraussetzung für das Eingreifen der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses ist allerdings nicht nur das Vorliegen einer Verletzungshandlung, die von diesem Internetanschluss ausging, sondern – im Falle der hinreichenden Sicherung des Anschlusses – auch, dass der Anschluss nicht bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde (vgl. BGH, Urt. v. 11. Juni 2015 – I ZR 75/14, juris, – Tauschbörse III Tz. 37; ähnlich BGH GRUR 2014, 657 – BearShare Tz. 15; unklar BGH, a. a. O., – Morpheus Tz. 34, wo ausgeführt wird, dass die tatsächliche Vermutung in jenem Fall „entkräftet“ und „erschüttert“ sei, weil die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass allein ein Dritter und nicht auch der Anschlussinhaber den Internetzugang für die behauptete Rechtsverletzung genutzt habe).
Will sich der Anspruchsteller auf die tatsächliche Vermutung stützen, so obliegt es grundsätzlich ihm, deren Voraussetzungen darzulegen und nötigenfalls zu beweisen. Jedoch trifft in diesen Fällen den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast, der er nur genügt, wenn er vorträgt, ob und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen; in diesem Umfang ist er im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Anschlussinhabers lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht gerecht (vgl. BGH, a. a. O., – Tauschbörse III Tz. 37 und 42).
Entspricht der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache des Anspruchstellers, die für eine Haftung des Anschlussinhabers als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (vgl. BGH, a. a. O., – Tauschbörse III Tz. 37 a. E.); dazu muss er entweder beweisen, dass entgegen dem substantiierten Vorbringen des Anschlussinhabers doch kein Dritter Zugriff auf den Anschluss hatte, und sich anschließend auf die dann geltende tatsächliche Vermutung berufen, oder er muss unmittelbar – ohne Inanspruchnahme der tatsächlichen Vermutung – die Täterschaft des Anschlussinhabers beweisen. Entspricht der Anschlussinhaber dagegen seiner sekundären Darlegungslast nicht, so ist zugunsten des Anspruchstellers dessen Vorbringen zugrunde zu legen (vgl. BGH NJW 2010, 2506 Tz. 26 m. w. N.), das die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers begründet. Dann muss zu deren Widerlegung der Anschlussinhaber den Beweis führen, dass auch andere als Täter in Betracht kommen.
2. Wichtig ist im vorliegenden Fall die Frage, inwieweit sich die Klägerin darauf berufen kann, dass der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht genügen konnte, wenn sie selbst ihn wiederum nicht mit denjenigen Informationen in einer angemessenen Zeit versorgt hat, die es ihnen ermöglicht hätten, genauer vorzutragen.
Jedenfalls ist zu bedenken, dass auch nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung z. B. mittelbare Tatsachen oder sonstige Indizien herangezogen werden können. In diesem Bereich spricht der BGH zutreffender Weise vom Beweistatbestand als einem Mosaik, in welchem auch Indiztatsachen als Steinchen bedeutsam werden können (BGH NJW 1983, 2034, 2035; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 694 Rn. 9a).
Dabei ist auch im Prozessrecht in gewisser Weise von einem nach Treu und Glauben zu bemessenden Verhältnis zwischen den Parteien auszugehen. Dieses ist vorliegend dadurch begründet, dass die Klägerin gerade durch die Versendung der Abmahnung dem Beklagten nicht nur die Gelegenheit verschaffen will, einen kostspieligen Prozess wegen der begehrten Unterlassung zu umgehen, sondern auch Ermittlungen anzustellen, die gegen seine Täterschaft sprechen. Dies ist auch der Grund, warum nach der obergerichtlichen Rechtsprechung dann dem Beklagten sogar der Vollbeweis für das Gegenteil auferlegt wird, wenn er „zumutbare Anstrengungen nicht unternimmt“ und aus diesem Grunde seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt. Etwa führt das OLG München in der bereits zitierten Entscheidung aus:
Sekundäre Darlegungslast und tatsächliche Vermutung stehen daher nicht einander ausschließend nebeneinander, sondern greifen wie folgt ineinander: Die sekundäre Darlegungslast betrifft die der Feststellung der Täterschaft vorgelagerte Frage, ob die Voraussetzungen für die tatsächliche Vermutung vorliegen, der Anschlussinhaber sei der Täter. Erst wenn der Anschlussinhaber dieser sekundären Darlegungslast genügt, trifft den Anspruchsteller die Last der dann erforderlichen Beweise; genügt der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast dagegen nicht, so muss er zur Widerlegung der dann für den Anspruchsteller streitenden tatsächlichen Vermutung den Gegenbeweis erbringen (OLG München, Urteil vom 14.01.2016 – Aktenzeichen 29 U 2593/15, BeckRS 2016, 01186)
3. Im hiesigen Fall bedeutet dies, dass sich die Klägerin nicht auf die tatsächliche Vermutung der Täterschaft aufgrund der Anspruchsinhaberschafft berufen kann. Denn der Beklagte hat dargelegt, dass auch andere Familienmitglieder als Täter in Betracht kommen. Diese Darlegungen waren auch hinreichend konkret, um die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensverlaufs aufzuzeigen. Zum einen wirkte der Beklagte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung sehr engagiert, tatsächlich den Sachverhalt aufzuklären. Zum anderen hat er konkret vorgetragen, dass er seine Kinder konkret auch nach den weiteren Zeitpunkten gefragt hätte. Denn der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig und glaubhaft dargelegt, dass er weitere Ermittlungen angestellt hätte und insbesondere seine Haushaltsangehörigen noch intensiver zur Rede gestellt hätte, wenn ihm alle Zeitpunkte einer möglichen Urheberrechtsverletzung bekannt gewesen wären. Insbesondere wäre es ihm dann möglicherweise gelungen, aufgrund der Anwesenheitszeiten innerhalb des Haushalts einige Haushaltsangehörige als Täter sicher auszuschließen.
Möglicherweise wäre es ihm sogar möglich gewesen, die Ermittlungen gänzlich zu widerlegen, wenn er aufgrund der Modem-Protokolle hätte nachweisen können, dass zu einem oder mehrerer Verletzungszeitpunkte dieses sicher ausgeschaltet war. Denn der Beklagte gab auch an, dass er das Modem regelmäßig elektronisch ausschalte.
Da die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast nicht überspitzt werden dürfen (vgl. hierzu insbesondere OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2015 – I-20 U 172/14, das wohl ein noch niedrigeren Standard anzulegen scheint), ist vorliegend anzunehmen, dass ihnen genügt ist.
4. Anders als die Klägerin meint, ist zwischen den Parteien auch nicht unstreitig, dass die übrigen Familienangehörigen nicht als Täter in Betracht kämen. Zwar hat die Klägerin dies unstreitig gestellt, jedoch nicht der Beklagte. Denn er hat lediglich angegeben, dass selbst seinen Kindern diese Urheberrechtsverletzung nicht zutraut. Dies ist insbesondere daher zu erklären, dass der Beklagte ja sogar das Ergebnis der Ermittlungen weiterhin bestreitet, und er als Vater wohl emotional hinter seine Kinder stellen darf.
II.
Ebenso ausgeschlossen ist die Inanspruchnahme des Beklagten aufgrund einer Störerhaftung. Denn der Beklagte hatte unstreitig den WLAN-Router mit einer ausreichenden Verschlüsselungs-Technologie abgesichert; WPA2 entspricht den aktuellen Sicherheitsstandards, wie das Gericht aus eigener Sachkunde weiß. Belehrungspflichten trafen ihn vorliegend nicht, da alle übrigen Familienangehörigen bereits volljährig waren und daher selbst über die Illegalität der Verfügungstellung von urheberrechtlich geschützten Werken Bescheid wussten.
III.
Die Kosten ergeben sich aus § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.