Aktenzeichen M 10 K 15.5639
EnwG § 36
AO AO § 12
Leitsatz
1 Für Energielieferungsunternehmen besteht keine persönliche Beitragspflicht nach der Fremdenverkehrsbeitragssatzung, weil sie keine örtlichen Unternehmen sind. Eine örtlich objektiv verfestigte Beziehung ergibt sich insbesondere nicht aus einer gewerblichen Niederlassung oder Betriebsstätte (§ 12 AO) im Gemeindegebiet. Die Stromzähler und Steckdosen in Verbindung mit den Endgeräten der Kunden sind keine Betriebsstätte des Unternehmens, da sie seiner Verfügungsgewalt nicht unterliegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Stromnetz im Gemeindegebiet ist keine Betriebsstätte, da es Teil eines überregionalen Verbundnetzes ist. Zudem ist der Energielieferant nicht Eigentümer dieses Stromnetzes und darf es nach den EnWG auch nicht sein. Der örtliche Bezug ergibt sich ferner nicht aus der Grundversorgungspflicht (§ 36 Abs. 1 EnWG) des Energieversorgers. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Fremdenverkehrsbeitragsbescheide des Beklagten vom 10. Juli 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes … vom 3. Dezember 2015 werden aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet
IV.
Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Die Fremdenverkehrsbeitragsbescheide des Beklagten vom 10. Juli 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes … vom 3. Dezember 2015, mit der der Beklagte für die Veranlagungsjahre 2013 und 2015 je 8.850,41 Fremdenverkehrsbeiträge bzw. eine Vorauszahlung festgesetzt hat, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Nach Art. 6 Kommunalabgabengesetz (KAG) können Gemeinden, in denen die Zahl der Fremdenübernachtungen im Jahr in der Regel das Siebenfache der Einwohnerzahl übersteigt, zur Deckung ihres Aufwands für die Fremdenverkehrsförderung von den selbstständig tätigen, natürlichen und den juristischen Personen, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Vorteile erwachsen, einen Fremdenverkehrsbeitrag erheben.
Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte Gebrauch gemacht durch den Erlass ihrer Fremdenverkehrsbeitragssatzung (FBS) zuletzt in der Fassung vom 25. März 2009 (in Kraft seit dem 1. Januar 2006). Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung sowie gegen die materiell-rechtliche Wirksamkeit der entscheidungserheblichen Satzungsregelungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sind jedoch rechtswidrig, da eine Fremdenverkehrsbeitragspflicht der Klägerin im Sinne der Fremdenverkehrsbeitragsatzung des Beklagten nicht vorliegt.
Bei der Klägerin besteht schon keine persönliche Beitragspflicht, da sie keine örtliche Unternehmerin im Sinne des § 1 Abs. 1 FBS ist.
Die Klägerin ist zwar als juristische Person selbstständig tätig im Sinne der Vorschrift; sie übt als Energielieferunternehmen eine gewerbliche Tätigkeit aus, erzielt also Einkünfte nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 7 und 8 KStG und unterliegt gemäß § 2 Abs. 2 GewStG der Gewerbesteuerpflicht.
Fremdenverkehrsbeitragspflichtig sind nach § 1 Abs. 1 FBS alle selbstständig tätigen natürlichen und juristischen Personen, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet – mittelbare oder unmittelbare (vgl. § 2 Abs. 1 FBS) wirtschaftliche (vgl. Art. 6 Abs. 1 KAG) – Vorteile erwachsen. Der Beitragspflicht können nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch ortsfremde Personen unterfallen; das setzt allerdings voraus, dass sie zu der beitragserhebenden Gemeinde in einer nicht nur vorübergehenden, objektiv verfestigten Beziehung stehen (etwa BayVGH, U. v. 23.3.1988 – 4 B 86.02555 – juris; U. v. 7.2.1990 – 4 B 87.1411 – NVwZ-RR 1990, 647). Eine derartige Beziehung kann insbesondere durch den Besitz einer gewerblichen Niederlassung bzw. einer Betriebsstätte gemäß § 12 AO in der Gemeinde vermittelt werden. Dieses Merkmal ermöglicht eine aus Gründen der Rechtsklarheit unumgängliche und praktikable Abgrenzung des Kreises der Beitragspflichtigen und verhindert, dass auswärtige Lieferanten, die lediglich in Geschäftsbeziehung zu ortsansässigen Betrieben stehen, zum Fremdenverkehrsbeitrag herangezogen werden mit der Folge, dass der Kreis der Beitragspflichtigen unüberschaubar würde (vgl. BayVGH, U. v. 29.11.2002 – 4 B 98.1347 – juris Rn. 15).
Die Annahme einer Betriebsstätte setzt eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Abgabepflichtige nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Geschäftseinrichtung ist jeder körperliche Gegenstand bzw. jede Zusammenfassung körperlicher Gegenstände, die geeignet ist, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein. Eine „feste“ Betriebsstätte liegt vor, wenn eine feste Verbindung zum Erdboden besteht bzw. die Geschäftseinrichtung oder Anlage sich für eine gewisse Dauer an einem bestimmten Ort befindet. Dabei kann sich die örtliche Fixierung aus mechanischer Verbindung mit der Erde oder aus bloßer Belegenheit an derselben Stelle ergeben (vgl. BFH, U. v. 30.10.1996 – II R 12/92 – BStBl 1997 II, S. 12/14, eine Betriebsstätte wurde hier angenommen beim bloßen Durchleiten (Transport) von Rohöl durch eine Pipeline).
Eine Betriebsstätte kann im vorliegenden Fall nicht aufgrund der im Gemeindegebiet vorhandenen Stromzähler und Steckdosen in Verbindung mit den daran angeschlossenen Endgeräten angenommen werden.
Nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. November 2002 (Az.: 4 B 98.1347 – juris Rn. 17) zur Fremdenverkehrsbeitragspflicht eines Telekommunikationsunternehmens handelte es sich bei den im Gemeindegebiet vorhandenen Telefon- und Kabelanschlüssen in Verbindung mit den daran angeschlossenen Endgeräten nicht um Betriebsstätten, da dem in diesem Verfahren beigeladenen Telekommunikationsunternehmen die Verfügungsmacht hierüber fehle. Diese liege vielmehr allein bei ihren Kunden, denen die Endgeräte bei rechtlicher wie tatsächlicher Betrachtung zuzuordnen seien.
Gleiches muss auch im vorliegenden Fall gelten. Auch die Kunden der Klägerin haben die alleinige Verfügungsmacht über die von ihnen an das Stromnetz angeschlossenen Endgeräte, nicht dagegen die Klägerin.
Das von der Klägerin durch Lieferantenrahmenvertrag mit dem Elektrizitätsverteilernetzbetreiber … AG vorgehaltene Leitungsnetz zur Durchleitung des Stromes mag zwar als Betriebsstätte zu beurteilen sein.
Gleichwohl kann daraus keine hinreichend verfestigte Beziehung der Klägerin zum Gemeindegebiet des Beklagten hergeleitet werden. Das Vorhalten eines Stromnetzes ist hierbei zu vergleichen mit dem Vorhalten eines Telefonnetzes, für das der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (U. v. 29.11.2002 – Az.: 4 B 98.1347 – juris Rn. 17) angenommen hat, dass es sich hierbei nicht um eine Betriebsstätte „in der Gemeinde“ handelt, sondern um eine (einheitliche) überregionale Betriebsstätte, die sich lediglich auch auf das Gebiet des Beklagten erstreckt. Mit ihr hält danach das Telekommunikationsunternehmen die technische Voraussetzung – das Medium – für Telekommunikation bereit, die ihrerseits wiederum auf Überörtlichkeit angelegt ist. Deshalb unterliegt dieses mit dem Betreiben des Leitungsnetzes ebenso wenig der Fremdenverkehrsbeitragspflicht wie ein auswärtiges Nahverkehrsunternehmen, das die Fremdenverkehrsgemeinde anfährt und dort eine Haltestelle eingerichtet hat (vgl. BayVGH, U. v. 23.3.1988 – 4 B 86.02555 – juris).
Dies muss auch für das Vorhalten eines Energienetzes im vorliegenden Fall gelten. Die Klägerin unterhält nicht nur – wie ein regionales Energielieferunternehmen – ein Energienetz im Gemeindegebiet des Beklagten, sondern hat sich vertraglich mit dem jeweiligen Elektrizitätsverteilernetzbetreiber die Nutzung des einheitlichen, überregionalen Netzes im ganzen Bundesgebiet gesichert. Das Stromnetz im Gemeindegebiet des Beklagten ist lediglich Teil des Gesamtstromnetzes, das gemeindeübergreifend ausgelegt und Teil eines sog. Verbundnetzes ist, bei dem die einzelnen Netz- bzw. Spannungsebenen über Transformatoren, die den jeweiligen Netzbetreibern gehören, miteinander verbunden sind. Da die Durchleitung von Strom sich aufgrund seiner physikalischen Form nicht auf bestimmte Teile des Leitungsnetzes eingrenzen lässt, sondern stets im gesamten Leitungsnetz fließt und sich daher Stromentnahmen oder Stromeinspeisungen wegen der Netzverbindungen sofort auf andere Bereiche verteilen und sich damit stets überregional auswirken, ist ein örtlicher Bezug des Leitungsnetzes zum Gemeindegebiet nicht gegeben.
Die Klägerin ist nicht Eigentümerin des regionalen und überregionalen Stromnetzes. Dies würde schon den gesetzlichen Vorgaben des EnWG widersprechen. Nach dessen §§ 6 ff. ist der Netzbetrieb von den anderen energiewirtschaftlichen Funktionen rechtlich und organisatorisch zu trennen (sog. „Unbundling“). Die Klägerin ist selbst daher nicht mehr als Netzbetreiberin tätig. Der mit der … AG abgeschlossene Lieferantenrahmenvertrag vermittelt der Klägerin zwar den Zugang zum gesamten Elektrizitätsversorgungsnetz, bei dem es sich aufgrund grenzüberschreitender Verbindungsleitungen um ein europaweites Netz handelt. Jedoch wird dieses Recht jedem Energielieferanten eingeräumt, der Endkunden in den entsprechenden Gebieten hat, in denen der Netzbetreiber sein Leitungsnetz betreibt. Die Klägerin leitet den von ihr an die Endkunden zu liefernden Strom dabei lediglich durch das Leitungsnetz hindurch, ohne weitergehende Ansprüche auf bestimmte Netzgestaltungen, Veränderungen am Netz oder auf Funktionsweise des Netzes etc. zu haben. Dabei kann auch nicht der von dem Beklagten angeführte Vergleich zu den Vertragstypen der Miete oder Pacht gezogen werden. Denn die Klägerin kann durch den Abschluss des Lieferantenrahmenvertrages keine anderen Energielieferunternehmen davon ausschließen, das selbe Netz, im vorliegenden Fall das der Netzbetreiberin … AG, zu nutzen. Vielmehr wird das Nutzungsrecht jedem Energielieferanten eingeräumt, der im Gemeindegebiet Vertragsbeziehungen mit Endkunden unterhält. Das Elektrizitätsverteilernetz wird von zahlreichen Stromanbietern genutzt.
Auch die Grundversorgungspflicht nach § 36 Abs. 1 EnWG der Klägerin im Gemeindegebiet kann entgegen der Auffassung des Beklagten keine objektiv verfestigte Beziehung zum Gemeindegebiet des Beklagten herstellen. Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist Grundversorger jeweils das Energieversorgungsunternehmen, das die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert. Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen, § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG. Auch die Stromkunden, die die Grundversorgung in Anspruch nehmen, unterliegen also denselben Bedingungen wie die übrigen Kunden, die mit der Klägerin einen Stromliefervertrag abgeschlossen haben. Auch diese Kunden versorgt die Klägerin im Rahmen ihres Energieliefervertrages über das gesamte, überörtliche Stromnetz des jeweiligen Netzbetreibers – hier der … AG.
Da die Klägerin bereits nicht persönlich beitragspflichtig ist, unterfällt sie nicht der Fremdenverkehrsbeitragspflicht.
Die Klage ist daher insgesamt begründet.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.
5. Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124 und 124a Abs. 1 VwGO kann die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
Über die Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 17.700,82 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.