Aktenzeichen 21 U 51/20
VO (EG) 715/2007 Art. 5
StGB § 263
Leitsatz
1. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals: BGH BeckRS 2020, 19146; für Konzernmarken bestätigt mit BGH BeckRS 2020, 45195; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 33026; OLG München BeckRS 2020, 33025; BeckRS 2020, 33054; BeckRS 2020, 34843; BeckRS 2020, 45188; OLG Bamberg BeckRS 2020, 33158; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 40118; BeckRS 2020, 45120; KG BeckRS 2020, 16615; OLG Jena BeckRS 2020, 31770; BeckRS 2020, 41011; sowie mit zahlreichen weiteren Nachweisen OLG Bamberg BeckRS 2020, 33154 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27980 (dort Ls. 1); OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7457 (dort Ls. 4); noch weitergehend: OLG Braunschweig BeckRS 2020, 28511; zur früheren a.A. vgl. zusammenfassend OLG München BeckRS 2020, 33025 (LS. 1 am Ende); OLG Oldenburg BeckRS 2020, 31981. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch nach § 826 BGB scheitert daran, dass in Bezug auf den Erwerb des Fahrzeugs im Dezember 2016 keine sittenwidrige Schädigung und kein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Herstellerin und dem Eintritt des behaupteten Schadens auf Käuferseite besteht sowie ein Schädigungsvorsatz bei der Herstellerin nicht (mehr) angenommen werden kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auf die Kenntnisse des Käufers vom Dieselskandal sowie seiner Folgen auch für das konkrete Fahrzeug kommt es nicht entscheidungserheblich an. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hat die Herstellerin in Bezug auf ein – mit dem Software-Update aufgespieltes – Thermofenster die Rechtslage fahrlässig verkannt, fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
72 O 685/19 2019-11-28 LGINGOLSTADT LG Ingolstadt
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 28.11.2019, Az. 72 O 685/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte als Herstellerin eines Fahrzeugs in der Folge des sog. Dieselabgasskandals geltend macht.
Die Klagepartei erwarb am 19.12.2016 zu einem Preis von 21.990 € (Anlage K1) von einem Autohaus einen Gebrauchtwagen … (103 kw), Erstzulassung 2012, der mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Der Motor wurde von der … AG zugeliefert. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 60.850 km. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-(NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxid-Ausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typengenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand.
Die … AG räumte im Herbst 2015 öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Im Oktober 2015 schaltete sie eine Internetwebseite, über die sich die Fahrzeughalter anhand der FIN informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. Auch die Beklagte richtete eine entsprechende Internetseite ein und unterrichtete hierüber die Öffentlichkeit in einer Pressemitteilung vom 02.10.2015 (Anlage B1). Es folgte eine intensive Berichterstattung in den Medien. Die … AG informierte ferner über den Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt auch in Bezug auf die Konzernmarken sowie die zur Umsetzung des Rückrufs anstehenden Maßnahmen. Auch insoweit folgte jeweils ein breites Medienecho in Zeitungen, Internet und Fernsehen. Nach Erhalt der Halterdaten informierte die Beklagte im Februar 2016 postalisch die Halter der betroffenen Fahrzeuge über den Rückruf. Ein zweites Anschreiben erfolgte, sobald das jeweilige Update verfügbar war.
Im Dezember 2015 erging gegen die Beklagte ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung, der auch das Fahrzeug der Klagepartei betrifft (vgl. Anlage B4 und Anlage K15 zu Bl. 165 ff. d.A.). Das Kraftfahrtbundesamt ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Das von der Beklagten angebotene und vom Kraftfahrtbundesamt im Rahmen der mit dem Rückruf angeordneten Nebenbestimmungen geprüfte und mit Bestätigung vom 01.06.2016 (Anlage B4) freigegebene Softwareupdate wurde an dem streitgegenständlichen Fahrzeug durch die Klagepartei wenige Tage nach dem Erwerb, und zwar am 30.12.2016, durchgeführt.
Mit der Klage verlangte die Klagepartei im Wesentlichen die Zahlung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst u.a. deliktischer Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Rücknahme sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Die Klagepartei meint, die Beklagte schulde Schadensersatz nach § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB sowie aus §§ 826, 31, 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB, aus § 823 Abs. 2, 31 BGB i. V.m. §§ 6, 27 EG-FGV und aus § 831 BGB. Sie behauptet, sie habe keine Kenntnis gehabt von dem Einsatz der Motorsteuerungssoftware. Bei Kenntnis der vorhandenen Software hätte sie das Fahrzeug nicht erworben; die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs sei für sie ein schlagendes Argument gewesen. Die allgemeine Information über den Abgasskandal vermittle keine konkrete Kenntnis zu dem betroffenen Fahrzeug. Entscheidend sei, dass die Klagepartei im Zeitpunkt des Erwerbs nichts von der drohenden Betriebsuntersagung gewusst habe. Durch das Softwareupdate sei ein sog. Thermofenster eingebaut worden, welches ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung mit erhöhtem Verbrauch, erhöhten Emissionen und verkürzter Lebensdauer einzelner Bauteile darstelle.
Die Beklagte bestreitet, dass die Klagepartei das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn sie von der Abgasthematik gewusst hätte. Sie geht davon aus, dass der Klagepartei in Anbetracht des Kaufzeitpunktes die Betroffenheit des Fahrzeugs von der Abgasproblematik bekannt war. Die Beklagte sei außerdem lediglich Herstellerin des Wagens, nicht des Motors. Von der dort eingesetzten Software habe sie nichts gewusst. Bei dem mit dem Softwareupdate eingebauten Thermofenster handele es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung; sie bestreitet die von der Beklagten vorgebrachten negativen Auswirkungen. Der Klagepartei stünden unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die geltend gemachten Ansprüche zu.
Das Landgericht hat die Klagepartei persönlich angehört.
Wegen der festgestellten Tatsachen und weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 ZPO.
Mit Urteil vom 28.11.2019 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, dass vertragliche Ansprüche mangels Vertrags nicht bestünden. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV stehe entgegen, dass es sich bei §§ 6, 27 EG-FGV nicht um ein Schutzgesetz handele. Ansprüche nach §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 826 BGB schieden aus, da bei der Beklagten aufgrund der von ihr getroffenen Maßnahmen zur Information über den Abgasskandal der für eine Haftung erforderliche Vorsatz zu verneinen sei. Ein Anspruch gem. § 826 BGB sei im Hinblick auf das Thermofenster zu verneinen, da dessen rechtliche Bewertung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ nicht eindeutig sei, weshalb jedenfalls nicht von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ausgegangen werden könne.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klagepartei, die ihr erstinstanzlich geltend gemachtes Begehren weiterverfolgt.
Die Klagepartei rügt insbesondere, die Beklagte hätte keine zureichenden Maßnahmen getroffen, um von potentiellen Autokäufern Schaden abzuwenden. Sie hätte die Käufer über die Möglichkeit der FIN-Abfrage informieren bzw. sämtliche betroffenen Fahrzeuge unverzüglich vom Markt nehmen müssen. Die Beklagte hätte selbst nur eine Pressemitteilung veröffentlicht und könne sich die Berichterstattung durch die Medien nicht zurechnen. Die veröffentlichte Adhoc-Mitteilung sei inhaltlich wie vom Adressatenkreis her ungeeignet zur ausreichenden Information. Betroffene Kunden seien erst im Jahr 2016 wegen des Rückrufs angeschrieben worden. Alle Aussagen der Beklagten hätten die drohende Betriebsuntersagung nicht benannt und seien verharmlosend gewesen. Den Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes habe die Beklagte nie veröffentlicht. Eine FIN-Abfrage sei potentiellen Käufern wegen Unkenntnis der FIN ohnehin nicht möglich. Der Vorsatz der Beklagten ergebe sich auch aus ihrer Mitteilung der Rückrufaktion an das Händlernetz. Die Beklagte habe damit eine Aufklärungspflichtverletzung begangen, den Nachweis, dies nicht vertreten zu müssen, habe sie nicht erbracht. Außerdem treffe die Beklagte eine Garantenstellung aus Ingerenz.
Sie rügt ferner, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung erster Instanz angegeben habe, zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs keine Kenntnis gehabt zu haben von dessen Betroffenheit. Das Landgericht habe diese Einlassung nicht gewürdigt.
Die Klagepartei beruft sich weiter wie in erster Instanz darauf, mit dem Softwareupdate sei eine neue unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden in Form eines Thermofensters. Die Beklagte habe dessen Existenz seinerzeit bei der Beantragung der EG-Typengenehmigung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt verschwiegen. Das Landgericht habe den Vortrag der Klagepartei zum OBD-System nicht berücksichtigt.
Die Klagepartei vertieft ihren Vortrag zur Haftung nach 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV, § 831 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 321 ff. d.A.) und den weiteren Schriftsatz vom 27.04.2020 (Bl. 433 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Klagepartei beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, 72 O 685/19, verkündet am 28.11.2019 und zugestellt am 04.12.2019, zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 21.990,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent seit dem 20.12.2016 bis 21.12.2018 und seither fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrgestellnummer …, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 21.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.789,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2018 zu zahlen.
Hilfsweise:
4. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 72 O 685/19, verkündet am 28.11.2019 und zugestellt am 04.12.2019, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
Hilfsweise:
5. Die Revision wird zugelassen.
Die Beklagte beantragt (Bl. 376 ff. d.A.)
die Zurückweisung der Berufung.
Ein Schadensersatzanspruch bestehe nicht. Die … AG und die Beklagte hätten ab dem 22. September 2015 umfassende Aufklärung über ihre Website und durch zahlreiche Pressemitteilungen über die Medien geleistet und Halter wie Servicepartner sowie das Vertriebsnetzwerk unterrichtet. Eine Täuschungshandlung oder ein entsprechender Vorsatz der Beklagten sei ebenso wenig gegeben wie ein Irrtum der Klagepartei. Auch das Thermofenster sei nicht zu beanstanden und vom Kraftfahrtbundesamt genehmigt worden.
Hinsichtlich des Parteivortrags in der Berufung im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat am 11.05.2020 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll, Bl. 446 ff. d.A., wird verwiesen.
II.
Die Berufung der Klagepartei ist zulässig, aber unbegründet und damit zurückzuweisen.
Die Berufung konnte – im Ergebnis – nicht aufzeigen, dass das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler beruht (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO), oder dass nach § 529 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte bei der vorliegenden Fallkonstellation kein Schadensersatzanspruch zu. Die begehrte Rückabwicklung des Kaufvertrages kommt hier nicht in Betracht.
1. Der erstinstanzlich noch erhobene Anspruch auf Schadensersatz aus § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB ist zu verneinen (vgl. etwa OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, Az.: 7 U 134/17).
2. Ein Anspruch der Klagepartei nach § 826 BGB scheitert bereits daran, dass der Senat keine sittenwidrige Schädigung und keinen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Eintritt des behaupteten Schadens auf Klageseite sieht sowie zudem auch in Bezug auf den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch diese im Dezember 2016 ein entsprechender Schädigungsvorsatz bei der Beklagten nicht (mehr) angenommen werden kann. Auf eine konkrete Kenntnis der Klagepartei, dass gerade der von ihr erworbene Wagen vom Abgasskandal betroffen war, und welche Folgen hieran möglicherweise knüpfen, kommt es damit nicht an.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist eine deliktische Haftung der Beklagten nach Bekanntwerden des Dieselskandals zu verneinen, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 5/20 (derzeit vorliegend Pressemitteilung vom 30.07.2020). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf das Gesamtverhalten der Beklagten ist gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt.
b) Ferner ist der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen der schädigenden Handlung der Beklagtenseite und einem Schaden auf Klägerseite zu verneinen.
Eine Ersatzpflicht setzt voraus, dass der Schaden, der grundsätzlich in dem Abschluss des Kaufvertrages durch die Klagepartei zu sehen wäre, durch das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis, das hier in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeuges mit einem Motor mit Software zur Unterscheidung des Fahr- und Prüfbetriebes läge, verursacht worden ist. In Fällen der mittelbaren Kausalität, in denen der Schaden erst durch ein Handeln des Geschädigten (mit-)verursacht wird, nämlich durch den Abschluss des Kaufvertrages, ist der Zurechnungszusammenhang zu verneinen, wenn die Handlung des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis nicht herausgefordert oder wesentlich mitbestimmt worden ist und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses darstellt. Die Beweislast für die Herausforderung trägt der Geschädigte (Palandt/Grüneberg, 79. Aufl. 2020, Vorb v. § 249, Rdnrn. 24, 41, speziell im Hinblick auf § 826: BGH, Urteil vom 20.02.1979, Az.: VI ZR 189/78). Danach ist der Zurechnungszusammenhang vorliegend zu verneinen wegen der von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen zur Abwehr eines Schadens von potientiellen Käufern und auch wegen der – jedenfalls durch die Informationspolitik der Beklagten mitveranlassten – öffentlichen Berichterstattung der Medien. In Anbetracht der erfolgten Information und ergriffenen Maßnahmen durch die Beklagte kommt es dabei letztlich nicht darauf an, in welchem Umfang die Medien von sich aus oder auf Veranlassung der Beklagten Informationen zum Abgasskandal veröffentlicht haben.
Der Vortrag der Beklagten zu Veröffentlichungen und Hinweisen seit Herbst 2015 wurde von der Klagepartei nicht bestrittenen; sie zieht daraus lediglich andere rechtliche Schlussfolgerungen. Unstreitig (und gerichtsbekannt) hat die … AG als Konzernmutter der Beklagten am 22.09.2015 eine an den Kapitalmarkt gerichtete Adhoc-Mitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informierte und mitteilte, dass „die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des … Konzerns vorhanden“ sei. Hinzu kommt eine unmittelbar anschließende Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte selbst: Sie hat in einer Mitteilung vom 02.10.2015 die Presse über die Dieselproblematik informiert und eine in zahlreichen Medien erwähnte Internetwebseite geschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der fraglichen Software-Konfiguration ausgestattet ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Thematik Gegenstand einer sehr intensiven Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen sowie Fernsehsendern und Onlinemedien in Deutschland, z.B. Bild, Spiegelonline, Süddeutsche Zeitung, Welt etc. (Schriftsatz vom 25.09.2019, S. 29 f., vom 06.11.2019, S. 5 ff. und Berufungserwiderung, Bl. 385 ff.). Die Berichterstattung erfolgte zwar überwiegend unter dem Stichwort „…-Abgasskandal“, es wurde aber regelmäßig auch über die Betroffenheit der im Konzern hergestellten Fahrzeuge berichtet und auch über die Abfragemöglichkeit für …-Fahrzeuge. Auch die Händler und Vertriebspartner wurden von der Beklagten informiert. Überdies hat die Beklagte im Februar 2016 die jeweiligen Halter informiert. Die Berichterstattung war auch nicht verharmlosend. Aufgrund der Mitteilungen und der Presseberichterstattungen war bekannt, dass Millionen von Dieselfahrzeugen des …konzerns und auch der Beklagten mit einer Technik ausgestattet waren, die in unzulässiger Weise Abgaswerte auf dem Prüfstand verändert (Stichwort „Abgasskandal“). Zum Erwerbszeitpunkt war auch geklärt und allgemein publiziert, wie die Behörden die technische Einrichtung beurteilen und wie sie auf diese Problematik reagieren. Damit waren die wesentlichen Fakten zum Abgasskandal bekannt. Durch die Schaltung der Website (mit entsprechender Bekanntmachung), über die die individuelle Betroffenheit eines Fahrzeugs recherchierbar war, ermöglichte die Beklagte die konkrete Feststellung für individuelle Halter und Kunden noch im Jahr 2015. Diese Abfragemöglichkeit umfasste auch das Fahrzeug der Klagepartei. Auch für einen potentiellen Käufer war es ohne weiters möglich, die FIN vom Verkäufer zu erfragen und eine entsprechende Überprüfung durchzuführen. Aus Sicht des Senats hat die Beklagte damit ausreichend die Betroffenheit der von ihr produzierten und in Verkehr gebrachten Fahrzeuge vom Abgasskandal für die Allgemeinheit offen gelegt und sie hat damit auch vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (Dezember 2016) hinreichende Maßnahmen getroffen, um die weiteren Auswirkungen ihres – unterstellt – sittenwidrigen Verhaltens einzudämmen. Damit ist der Zurechnungszusammenhang auf diese Weise unterbrochen worden.
Soweit die Klagepartei darauf abhebt, die Beklagte hätte die Fahrzeuge aus dem Verkehr nehmen müssen und nicht weiter vertreiben dürfen, so ist darauf hinzuweisen, dass die Klagepartei das Fahrzeug nicht von der Beklagten erworben hat. Wie die Beklagte – außer über die Mitteilung an ihr Vertriebsnetzwerk – gerade die Klagepartei darauf hätte hinweisen können, dass der Wagen, den sie erwirbt, eine unzulässige Abschalteinrichtung hatte, erschließt sich daher nicht. Darüber hinaus hat das Kraftfahrtbundesamt nur eine Nachrüstung angeordnet und nicht die Stilllegung oder die endgültige „Rückholung“ aller betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte. Ebenso wenig kann nachvollzogen werden, auf welche sonstigen, für den Haftungstatbestand des § 826 BGB relevanten „Aufklärungsdefizite“ die Klagepartei abstellt. Der Senat verkennt nicht, dass die Beklagten die Verwendung der Abschaltsoftware weder als illegal noch als verwerflich betrachtet. Es kommt jedoch bei der Frage zivilrechtlicher Ansprüche – anders als im Strafrecht – weder auf Geständnisse noch auf Schuldeinsicht an.
Auch soweit die Klagepartei auf die – im Strafrecht und Wettbewerbsrecht entwickelte – Rechtsfigur des „Garanten aus Ingerenz“ verweist, ändert dies an der rechtlichen Beurteilung nichts. Die Rechtsprechung zieht die Garantenstellung heran, wenn es um die Verantwortlichkeit von Personen geht, die nicht selbst (unmittelbarer oder mittelbarer) Täter oder Teilnehmer einer deliktischen Handlung sind, denen aber dennoch ein Untätigbleiben (Unterlassen) zum Vorwurf gemacht wird, weil sie bei wertender Betrachtung rechtlich dafür einzustehen haben, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt (vgl. BGH vom 20.02.20, Az.: I ZR 193/18, Rdnr. 33 ff., zitiert nach Juris). Hier geht es aber nicht um ein Unterlassen, sondern darum, ob die Beklagte (als unterstellte „Täterin“) in der Gesamtschau ausreichende Maßnahmen ergriffen hat, um den Zurechnungszusammenhang zu ihrem vorangegangenen Tun zu unterbrechen, was zur Überzeugung des Senats der Fall ist.
c) Der Senat sieht auch keinen Schädigungsvorsatz der Beklagten, weil im Hinblick auf das Bekanntwerden und die Offenlegung der maßgeblichen Aspekte der Manipulation durch die Pressemitteilung und überdies die Informationen an die Halter von betroffenen Fahrzeugen nicht (mehr) davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte bei der Inverkehrgabe der betroffenen Fahrzeuge die Eingehung einer – trotz dieser Umstände – ungewollten Verbindlichkeit durch potentielle Käufer in ihren Willen aufgenommen, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hatte.
d) Auf die Kenntnisse der Klagepartei vom Dieselskandal sowie seiner Folgen auch für das konkrete Fahrzeug kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an, weshalb der Senat von einer Anordnung des persönlichen Erscheinens und Anhörung der Klagepartei abgesehen hat trotz der insofern fehlenden Feststellungen erster Instanz bei gleichzeitig durchgeführter Anhörung.
e) Soweit der Kläger weiter vorträgt, ein Schadensersatzanspruch bestehe unabhängig von der Umschaltautomatik auch wegen des mit dem Softwareupdate implementierten Thermofensters, greift dies ebenfalls nicht durch:
Es kann dahinstehen, ob das Thermofenster in seiner konkreten Ausgestaltung eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Sein Einsatz ist jedenfalls nicht sittenwidrig. Eine Sittenwidrigkeit kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Rdnr. 6, zitiert nach Juris). Das ist jedoch nicht der Fall.
Der Kläger hat selbst im Schriftsatz vom 09.10.2019 (dort S. 22, 37) ausgeführt, dass es sich „entgegen der Auffassung der Beklagten sowie des KBA und des BMVI“ bei einem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle. Bereits aus diesen Ausführungen des Klägers ergibt sich damit, dass es gegenläufige Auffassungen zur Zulässigkeit von Thermofenstern gibt, die Gesetzeslage an dieser Stelle also gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig ist. Dies zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 2007/715/EG auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrtbundesamt wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des behaupteten sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können.
Es muss daher eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. ebenso OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Rdnr. 6; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19, Rdnr. 81 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019, Az.: 3 U 416/19, Rdnr. 36 ff., jeweils zitiert nach Juris). Hat die Beklagte aber die Rechtslage fahrlässig verkannt, dann fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826, Rdnr. 8) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände.
Dass auf Seiten der Beklagten im Hinblick auf das Thermofenster das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Das Softwareupdate wurde vom Kraftfahrtbundesamt genehmigt. Aus dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 01.06.2016 (Klageerwiderung vom 25.07.2019, S. 10 f., Anlage B4) ergibt sich, dass dieses das Softwareupdate auf das Nichtvorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen überprüft, die vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft und die Einhaltung der zulässigen Schadstoffemissionen sowie die Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und die Einhaltung der ursprünglich angegebenen Verbrauchswerte und Leistung bestätigt hat.
Die Beklagte hat erstinstanzlich unbestritten vorgetragen, sie habe gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt die Implementierung des Thermofensters offen gelegt (Klageerwiderung vom 25.07.2019, S. 14). Demgegenüber beschränkte sich die Klagepartei auf Mutmaßungen zu einer engen Verflechtung zwischen der … AG und dem Kraftfahrtbundesamt (Schriftsatz vom 09.10.2019, S. 38). Zweifelhaft ist, ob die in der Berufung (dort S. 11 = Bl. 331 d.A.) erhobene Rüge, es sei davon auszugehen, dass die Beklagte die Existenz des Thermofensters „seinerzeit bei der Beantragung der EG-Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt nicht offengelegt“ habe, insofern noch als rechtzeitig zu sehen ist. Dies kann aber letztlich offen bleiben. Denn der Vortrag bleibt zu vage.
Greifbare Anhaltspunkte zur Begründung einer absichtlichen Täuschung des Klägers durch die Beklagte – die … AG – durch den Einsatz des Softwareupdates trotz der Prüfung und Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt enthält der Sachvortrag der Klagepartei indes nicht. Sie nimmt zur Funktionsweise des Softwareupdates Bezug auf eine als Anlage K17 (zu Bl. 165 ff. d.A.) vorgelegte Veröffentlichung unter dem Titel „Was dahinter steckt“. Der Aufsatz befasst sich indes mit der durch das Softwareupdate beseitigten Motorsteuerungssoftware zur Abgasbeeinflussung in Unterscheidung des Fahr- und Prüfbetriebes („EDC 17“ von Bosch) und wie man eine solche Software künftig in Zulassungsverfahren sicherer erkennen kann. Die von der Klagepartei zitierten Planungsvorgaben (Anlage K4 zur Klageschrift) betreffen solche der … AG, nicht der hiesigen Beklagten. Außerdem sollen nach den dortigen Zielvorgaben für Dieselmotoren EA 189 Euro 5 die NOx-Vorgaben der EU im NEFZ-Zyklus (kalt) künftig unterschritten werden und die Beklagte rügt, nur diese Werte – und nicht solche des realen Fahrbetriebs – seien im Rahmen des Zulassungsverfahrens maßgeblich (Klageerwiderung vom 25.07.2019, S. 15 f. und Schriftsatz vom 06.11.2019, S. 28 ff.). Soweit die Klagepartei schließlich Messungen der Deutschen Umwelthilfe (Anlage K18 zu Bl. 165 ff. d.A.) zitiert, betreffen diese ebenfalls Abgaswerte im realen Fahrbetrieb und der hier streitgegenständliche Fahrzeugtyp ist überdies nicht identisch mit dem dort getesteten Fahrzeug (… 1.6 TDI Variant). Die mit der Berufung gerügte Nichtberücksichtigung des Vortrags zum OBD-System ist für den Senat nicht ersichtlich. Sollte sich dies auf die dem Senat aus anderen Fällen bekannte Argumentation beziehen, der Vorsatz der Beklagten ergebe sich aus einem Eingriff in das On-Board-Diagnosesystem – dies sei so programmiert, dass es keine Fehlermeldung anzeige außerhalb des vorprogrammierten Temperaturfensters – überzeugt dies nicht. Ist die Technik des Thermofensters durch das Kraftfahrtbundesamt freigegeben, ist eine Fehlermeldung nicht veranlasst.
Letztlich kann der Einwand, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden, schon deshalb nicht zum Erfolg der Berufung führen, weil die nach dem Kauf mit dem Update vorgenommenen Maßnahmen zur Beseitigung der Abschalteinrichtung – unabhängig davon, ob sie tauglich sind oder nicht – jedenfalls nicht kausal für den Kaufvertragsabschluss über das Fahrzeug – mithin für den geltend gemachten Schaden – geworden sein können.
3. Angesichts der Ausführungen zu 2. kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB von vornherein nicht in Betracht, ohne dass es auf die übrigen Anspruchsvoraussetzungen ankäme.
4. Ein Schadensersatzanspruch besteht auch nicht wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach §§ 6, 27 EG-FGV, weil § 27 EG-FGV schon kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Insoweit folgt der Senat dem Oberlandesgericht Braunschweig in seinem Urteil vom 19.02.2019, Az.: 7 U 134/17. Dies entspricht im Übrigen der rechtlichen Bewertung durch den Bundesgerichtshof (Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 72 ff.).
5. Nachdem ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht besteht, können auch der Feststellungsantrag und der Antrag auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten keinen Erfolg haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die maßgeblichen Rechtsfragen mittlerweile höchstrichterlich geklärt sind.
Verkündet am 14.08.2020