Aktenzeichen 20 BV 16.90
GO Art. 89
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) bb) Spiegelstrich 1 KAG
Leitsatz
Wird aus Altanlagen für die Entwässerung unter erheblichem Investitionsaufwand eine neue Entwässerungsanlage hergestellt, kommt es für das Entstehen der Vorteilslage und damit für die Berechnung des Laufes der Zwanzigjahresfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG auf die Fertigstellung und die Benutzbarkeit der Neuanlage an.
Verfahrensgang
AN 1 K 14.1740 2015-12-01 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist im Ergebnis richtig. Der Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid des Beklagten vom 13. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2014 findet in der Beitrags- und Gebührensatzung vom 23. November 2011 (BGS/EWS 2011) eine rechtliche Grundlage und verletzt den Kläger auch mit der konkreten Festsetzung nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 5 Abs. 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählen auch öffentlich betriebene Entwässerungseinrichtungen, wie die des Beklagten. Von dieser Ermächtigung hat der Beklagte durch den Erlass seiner Beitrags- und Gebührensatzung vom 23. November 2011 (BGS/EWS 2011) Gebrauch gemacht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Abgabesatzung und der zugrunde liegenden Entwässerungssatzung sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der streitgegenständliche Bescheid hat auf jeden Fall eine rechtliche Grundlage in der BGS/EWS 2011, weil es sich bei der durch den streitgegenständlichen Bescheid abgerechneten Maßnahme um eine Neuherstellung der Entwässerungsanlage des Beklagten handelt, so dass es auf die Wirksamkeit der Vorgängersatzungen nicht ankommt.
Der Beklagte ist als selbständiges Kommunalunternehmen (Art. 84 BayGO) in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts richtiger Beklagter (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil er den streitgegenständlichen Bescheid erlassen hat. Der Beklagte ist auch für den Erlass des Herstellungsbeitragsbescheids sachlich zuständig und befugt. Die Gemeinden können Kommunalunternehmen einzelne oder alle mit einem bestimmten Zweck zusammenhängende Aufgaben ganz oder teilweise übertragen (Art. 89 Abs. 2 BayGO). Die Aufgabe der Abwasserbeseitigung hat die Stadt S. an das Kommunalunternehmen S. durch § 2 Abs. 1 der Unternehmenssatzung des Kommunalunternehmens S. vom 16. November 2004 übertragen, die entsprechende Befugnis, Abgabebescheide zu erheben, ausdrücklich jedoch nicht. Zwar ist zu beachten, dass eine dem Art. 22 Abs. 1 KommZG entsprechende Regelung, wonach ausdrücklich auch die Befugnis, Abgaben zu erheben auf den Zweckverband übergeht, in Art. 89 GO nicht enthalten ist und es eine allgemeine Regel, die Befugnis folge immer der Aufgabe, nicht gibt. Bei der Gründung von Kommunalunternehmen ist aber eine ausdrückliche Übertragung der Befugnis, Beiträge zu erheben neben der Aufgabenübertragung nicht erforderlich. Art. 91 Abs. 4 GO bestimmt, dass das Unternehmen zur Vollstreckung von Verwaltungsakten in demselben Umfang berechtigt ist wie die Gemeinde, wenn es auf Grund einer Aufgabenübertragung nach Art. 89 Abs. 2 hoheitliche Befugnisse ausübt und bei der Aufgabenübertragung nichts Abweichendes geregelt wird. Damit geht die Vorschrift stillschweigend davon aus, dass bei Kommunalunternehmen mit der Aufgabe auch die Befugnis übergeht.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung eines Herstellungsbeitragsbescheides (Art. 5 Abs. 1 KAG) liegen vor. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung für eine öffentliche Einrichtung ist nicht verletzt, weil der Beklagte zu Recht von einer Neuherstellung der Wasserversorgungsanlage in seinem Gemeindegebiet ausgegangen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 19.5.2010 – 20 N 09.3077 – BayVBl. 2011, 116 = juris Rn. 43 m.w.N.) wird der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung für eine öffentliche Einrichtung dann nicht verletzt, wenn Beiträge für eine Neueinrichtung verlangt werden sollen, denn für sie war eine früher erbrachte Leistung nicht bestimmt. Von einer wiederum beitragsfähigen Herstellung einer neuen Einrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG ist bei leitungsgebundenen Einrichtungen dann auszugehen, wenn die vorhandene Einrichtung durch die Baumaßnahme grundlegend umgestaltet bzw. erneuert wird und sie nach der Verkehrsauffassung nunmehr als eine andere bzw. neue Einrichtung anzusehen ist. Dabei kommt es maßgeblich auf den bisherigen Umfang und Zustand der alten Einrichtung an, etwa ob sie unter Beachtung neuzeitlicher Anforderungen unzureichend oder untragbar geworden ist, und auf Erfordernisse und Zwänge, die Anlass für die Umgestaltung sind. Weisen in der neuen Gesamteinrichtung die neuen Teile ein erhebliches Übergewicht auf, ist im Regelfall von einer neuen Einrichtung auszugehen. An der Neuherstellung ändert sich auch nichts dadurch, dass in der neuen Einrichtung Teile der alten Anlage weiter verwendet werden, für die bereits Beiträge geleistet worden sind. Dies hindert nicht das Entstehen neuer Beitragspflichten, sondern wirkt sich allenfalls aufwandmindernd aus (vgl. BayVGH U.v. 27.11.2003 – 23 B 03.1250 – BeckRS 2003, 31487, beck-online). Soweit Altanlagenteile in die Neuanlage einbezogen werden, ist zweckmäßigerweise deren Restbuchwert bei der Kalkulation der Beitragssätze für die neu erstellte Anlage zu berücksichtigen. Frühere Beitragsleistungen der Altanschließer sind durch die Gewährung eines Abschlags auf die neue Beitragsschuld zu berücksichtigen, der sich an dem Verhältnis des Restbuchwertes zum Gesamtbuchwert zu orientieren hat (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 749 m.w.N.). So verhält es sich auch hier. Mit dem Zusammenschluss der vormals zumindest technisch getrennten Entwässerungsanlagen ist eine neue Entwässerungsanlage entstanden. Diese Betrachtung wird durch die getätigten umfangreichen Verbesserungsmaßnahmen untermauert. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten hätten Anlagegüter im Umfang von rund 65% des noch vorhandenen Wertes der Kläranlage erneuert oder zusätzlich geschaffen werden müssen. Die Kläranlagen in W … und Sch … sind aufgelassen worden. Die erforderlichen Maßnahmen zur Umgestaltung des Kanalnetzes hätten fast der Hälfte des Wertes des vorhandenen Kanalnetzes (zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses) entsprochen. Die Umgestaltung beinhalte folgende Maßnahmen: Erstellung von Verbindungsleitungen (über 6,8 km) zur Zentralkläranlage, Auswechslung hydraulisch überlasteter Kanäle, Erneuerung bestehender Kanäle, Umstellung in Teilbereichen von Mischauf Trennsystem, Erweiterung des Kanalnetzes, 13 zusätzliche Sonderbauwerke, Erneuerung eines weiteren Sonderbauwerks in Wa … Damit kann nicht mehr von einer Verbesserung, Reparatur oder Erneuerung gesprochen werden. Infolgedessen hat der Beklagte den Restbuchwert der vorhandenen Anlagenteile in die Kalkulation eingestellt, wobei allerdings die (Neu-)Investitions-maßnahmen diesen Restbuchwert bei weitem überstiegen haben.
Von dieser Einschätzung ist das Verwaltungsgericht in seinem durch die Berufung des Klägers angefochtenen Urteil (Seite 10 f.) ebenfalls ausgegangen. Unzutreffend zieht das Verwaltungsgericht jedoch den Schluss, dass für das erstmalige Entstehen der für die streitgegenständliche Beitragserhebung maßgeblichen Vorteilslage der erstmalige Anschluss des Grundstücks des Klägers an die ursprüngliche Entwässerungseinrichtung maßgeblich ist. Handelt es sich um eine Neuherstellung einer Entwässerungsanlage, kommt es für das Entstehen der Vorteilslage und damit für die Berechnung des Laufes der Zwanzigjahresfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG auf die Fertigstellung und die Benutzbarkeit der Neuanlage an. Dies war frühestens im Jahr 2008. Obwohl in der neuen Anlage noch nicht vollends abgeschriebene Investitionsgüter aus den Altanlagen vorhanden sind, stellt dies keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsklarheit dar, denn dieser Umstand wurde durch die Ansetzung des Restbuchwertes in der Beitragskalkulation entsprechend berücksichtigt. Damit kommt es auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung nach Art. 19 Abs. 2 KAG nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.