Aktenzeichen S 38 KA 1792/14
Leitsatz
1. Ist ein vorausgegangenes Klageverfahren durch beidseitige Erledigterklärung abgeschlossen, kann mit dem gleichen Klagegegenstand erneut eine Klage erhoben werden. Das Rechtsschutzbedürfnis ist deshalb nicht zu verneinen. (Rn. 14)
2. Die Erforderlichkeit der Datenerhebung nach Art. 47 Abs. 1 BayRDG ist von dem Grundsatz der Datensparsamkeit zu unterscheiden. Letzterer ist ausdrücklich in § 3a Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) genannt. Dieser Grundsatz der Datensparsamkeit gilt jedoch im Zusammenhang mit der Erhebung von Daten im Rahmen des Rettungsdienstes (BayRDG) nicht. (Rn. 20)
3. Mit Datenschutzrecht nicht vereinbar ist, wenn personenbezogene Daten zu noch nicht bestimmbaren Zwecken, quasi auf Vorrat gesammelt werden (vgl. Kassler Kommentar, Komment. zum SGB, Rn 7 zu § 284). (Rn. 26)
4. Je mehr Stellen die Daten zugänglich gemacht werden bzw. zugänglich zu machen sind, umso mehr besteht die Gefahr des Datenmissbrauchs. Deshalb sind bei dieser Konstellation an der Erforderlichkeit der Datenerhebung äußerst strenge Maßstäbe zu stellen. (Rn. 27)
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, nachfolgend bezeichnete Daten zum Zwecke der Abrechnung, Qualitätssicherung oder für Forschungszwecke im Regelfall an die Beklagte zu übermitteln, so wie sie durch „emDoc“ seitens der Beklagten derzeit erhoben werden:
Nummer des Kreisverbands, Wache des Rettungswagens, Alarmzeit, Zeit des Einsatzendes, Postleitzahl, Einsatzstraße, Einsatzort, Auftragsnummer der Leitstelle für den Rettungswagen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Gründe
Die zum Sozialgericht eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Es handelt sich um eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Ziff. 1 SGG. Danach kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Unter einem Rechtsverhältnis versteht man die Rechtsbeziehungen zwischen Personen und Gegenständen, die sich aus einen Sachverhalt aufgrund einer Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Komment. zum SGG, Rn 4 zu § 55).
Der Kläger ist Vertragsarzt und nimmt am Notarztdienst teil. Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob der Kläger verpflichtet ist, im Rahmen von „emDoc“ Angaben über die Nummer des Kreisverbands, die Wache des Rettungswagens, Alarmzeit, Zeit des Einsatzendes, Postleitzahl, Einsatzort und Auftragsnummer der Leitstelle für den Rettungswagen zu machen. Es geht somit um ein konkretes Rechtsverhältnis.
Die Feststellungsklage nach § 55 SGG ist grundsätzlich subsidiär gegenüber der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Der Kläger kann hier aber seine Rechte nicht durch eine andere Klageart verfolgen, so dass die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage keine Rolle spielt. Auch ist ein Feststellungsinteresse vorhanden, weil der Kläger auch künftig am Notarztdienst teilnimmt und insofern eine Wiederholungsgefahr besteht. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt ebenfalls vor. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 21 KA 884/10 in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2013 einvernehmlich für erledigt erklärt wurde. Dort war Gegenstand die Abhängigkeit der Abrechnung von der Eingabe von Daten in die online- EDV-Anwendung von „emDoc“. Der Kläger macht geltend, es gehe hier nicht darum, sondern um eine übermäßige Datenerhebung durch die Beklagte. Das Gericht ist der Auffassung, dass zwischen dem Verfahren unter dem Aktenzeichen S 21 KA 884/10 und dem Verfahren unter dem Aktenzeichen S 38 KA 1792/14 sehr wohl ein Zusammenhang besteht. Dies hindert den Kläger aber nicht daran, erneut eine Klage zu erheben, da der Beschluss über die übereinstimmende Erledigterklärung keinerlei materielle Rechtskraft erlangt und das Gericht nicht über den Anspruch entschieden hat. Derselbe prozessuale Anspruch kann deshalb nochmals mit der Klage geltend gemacht werden (vgl. Thomas/Putzo, Komment. zur ZPO, Rn 50 zu § 91a).
Die Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Ziff. 1 SGG ist auch begründet.
Vorab ist anzumerken, dass durch das Gericht nicht zu beurteilen war, ob die Datenerhebung im Rahmen des Rettungswageneinsatzes rechtens, insbesondere mit dem Datenschutz zu vereinbaren ist.
Unstrittig dürfte sein, dass auch für den Notarzt eine Dokumentationspflicht besteht und mit „emDoc“ der gesetzliche Auftrag der Dokumentation in Art. 46 Abs. 1 BayRDG umgesetzt werden kann. Danach hat der Notarzt die Pflicht, die Einsätze und die dabei getroffenen aufgabenbezogenen Feststellungen und Maßnahmen zu dokumentieren. Die Dokumentation hat nach Art. 46 Abs. 3 BayRDG nach einheitlichen Grundsätzen zu erfolgen. Gemäß Art. 34 Abs. 8 BayRDG ist für den Vollzug der Abs. 2-7 und des Art. 35 (insbesondere Vollzug der Benutzungsentgeltvereinbarung) eine Zentrale Abrechnungsstelle eingeschaltet, die auch Auszahlungen auf die mit den Sozialversicherungsträgern vereinbarten oder rechtskräftig festgesetzten Kosten der Leistungserbringung an die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns vornimmt (vgl. § 34 Abs. 8 Ziff. 5 BayRDG).
Die Einführung von “emDoc“ soll insbesondere dazu dienen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Dokumentation (Art. 46 BayRDG) und deren Einheitlichkeit (Art. 46 Abs. 3 BayRDG) sichergestellt wird. Ferner soll sie dem Qualitätsmanagement dienen.
Wie die Dokumentation im Einzelnen für den Notarzt im Detail aussehen soll, ist allerdings gesetzlich nicht geregelt. Hierfür finden sich weder im Bayerischen Rettungsdienstgesetz (Art. 46, 47 BayRDG), noch in §§ zu 285, 294, 295 SGB V entsprechende Anhaltspunkte. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die Grund-sätze der sog. Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG Entscheidung vom 08.08.1978, Az. 2 BvL 8/77) und das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 15.12.1983, Az. 1 BvR 209/83) eingehalten wurden.
Abgesehen davon ist die Zulässigkeit der Dokumentation nicht unbegrenzt, soweit es sich um die Erfassung personenbezogener Daten handelt. Nach Art. 47 Abs. 1 BayRDG dürfen personenbezogene Daten unter anderem nur erhoben werden, wenn dies für rettungsdienstliche Aufgaben (Art. 47 Abs. 1 Ziff. 1-6 BayRDG) oder für Zwecke der wissenschaftlichen notfallmedizinischen Forschung erforderlich ist oder die betroffene Person eingewilligt hat. Damit wird wie in anderen gesetzlichen Regelungen (vgl. § 35 Abs. 2 SGB I i.V.m. § 67 a SGB X, § 284 Abs. 1 S. 1 SGB V, § 285 Abs. 1 und 2 SGB V) die Zulässigkeit der Erhebung von der Daten von der Erforderlichkeit abhängig gemacht. Die Erforderlichkeit der Datenerhebung nach Art. 47 Abs. 1 BayRDG ist von dem Grundsatz der Datensparsamkeit zu unterscheiden. Letzterer ist ausdrücklich in § 3a Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) genannt. Dieser Grundsatz der Datensparsamkeit gilt jedoch im Zusammenhang mit der Erhebung von Daten im Rahmen des Rettungsdienstes (BayRDG) nicht. Nach § 1 Abs. 3 BDSG gehen zwar nur andere Rechtsvorschriften des Bundes den Vorschriften des BDSG vor. Ein Nachrang gegenüber Landesgesetzen besteht somit nicht. Jedoch sind die allgemeinen Datenschutzregeln des § 285 Abs. 2 SGB V, die sich ebenfalls auf die Zulässigkeit der Erhebung personenbezogener Daten durch die Kassenärztliche Vereinigung beziehen und ebenfalls wie Art. 47 BayRDG auf die Erforderlichkeit, nicht aber die Datensparsamkeit abstellen, sowie die Datenschutzregeln des § 35 SGB I i.V.m. §§ 67 ff. SGB X heranzuziehen, so dass eine Anwendung von § 3a BDSG ausscheidet (vgl. LSG Baden-Württem-berg, Urteil vom 21.06.2016, L 11 KR 2510/15).
Nach Auffassung des Gerichts bestehen gegen die Dokumentation, wie sie in der aktuellen Fassung (Kurz-Fassung) vorgesehen ist, rechtliche Bedenken, insbesondere vor dem Hintergrund datenschutzrechtlicher Aspekte.
Zwar hat der Datenschutzbeauftragte in seiner Stellungnahme vom 12.01.2010 zum Projekt („emDoc“) die Auffassung geäußert, „die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten durch die KVB im Rahmen des Projekts „emDoc“ könne zur Erfüllung rettungsdienstlicher Aufgaben im Ergebnis als erforderlich angesehen werden. Außerdem wurde auf die Begründung zur Novelle des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes hingewiesen. Dort sei zum Ausdruck gebracht worden, dass der Gesetzgeber eine Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten zu den in Art. 47 genannten Zwecken für zulässig erachte, weil andernfalls ein zweiter Datensatz notwendig wäre und dies in der Praxis einen erheblichen Zeitaufwand bedeuten würde (siehe Landtags-Drucksache 15/10391, Anmerkungen zu Art. 47 – Datenschutz). Die Stellungnahme bezieht sich jedoch nicht auf die aktuelle Kurz-Fassung von „emDoc“. Außerdem ist sie für das Gericht nicht bindend.
Die Beklagte beruft sich insbesondere darauf, die in „emDoc“ vorgesehenen Daten seien im Hinblick auf die Abrechnung der erbrachten Leistungen bzw. aus Gründen der Qualitätssicherung notwendig. Damit beruft sie sich auf Art. 47 Abs. 1 Ziff. 2 bzw. auf Art. 47 Abs. 1 Ziff. 4 i.V.m. Art. 45 BayRDG. Fraglich scheint zunächst, ob es sich bei den Angaben über die Einsatzzeit, die Kreisverbandsnummer, die Wache, die Auftragsnummer des Rettungstransportwagens, die PLZ, den Einsatzort und die Alarmierungszeit um personenbezogene Daten handelt. Denn ein direkter Zusammenhang mit einer bestimmten Person besteht nicht. Es reicht aber aus, dass es sich um personenbeziehbare Daten handelt (vgl. Kassler Kommentar, Komment. zum SGB, Rn 5 zu § 284 SGB V). Personenbeziehbare Daten sind personenbezogenen Daten gleichzusetzen. Kann beispielsweise durch Zusammenfügen von Daten auf eine bestimmte Person geschlossen werden, liegen personenbeziehbare Daten vor. Die geforderten Pflichtangaben in „emDoc“ lassen nach Auffassung des Gerichts in Gesamtschau befürchten, dass eine Identifizierung möglich ist.
Soweit sich die Beklagte auf Gründe der Qualitätssicherung (Art. 47 Abs. 1 Ziff. 4 i.V.m. Art. 45 BayRDG) bezieht, lässt sich daraus aktuell eine Erforderlichkeit nicht herleiten. Denn die Beteiligten haben übereinstimmend angegeben, dass eine Dokumentation aus Gründen der Qualitätssicherung bis zur Neuregelung von „emDoc“ ausgesetzt wurde. Insofern widerspricht sich die Beklagte, wenn sie sich auf Gründe der Qualitätssicherung beruft.
Somit ist zu prüfen, ob die Dokumentation personenbeziehbarer Daten, die vom Kläger abverlangt wird, aus sonstigen rettungsdienstlichen Gründen – mit Ausnahme der Gründe der Qualitätssicherung – erforderlich ist. Die Beklagte hält die Erhebung der Daten insbesondere zur Abrechnung der erbrachten Leistungen (Art. 47 Abs. 1 Ziff. 2 BayRDG) oder für Zwecke der wissenschaftlichen notfallmedizinischen Forschung für erforderlich.
Auch nach der hierzu von der Beklagten vom Gericht ausdrücklich angeforderten und abgegebenen Stellungnahme ist nicht nachvollziehbar, warum die Angaben, die vom Kläger abverlangt werden und von ihm beanstandet werden, zur Abrechnung der im Notarztdienst erbrachten Leistungen erforderlich sein sollen. Bedeutsam ist, dass auch im Datenschutzrecht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt. Der in Art. 47 BayRDG formulierte Datenschutz als Ausfluss des Persönlichkeitsrechts von Art. 2, 1 Grundgesetz verlangt, dass die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt wird, das gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der rechtfertigen Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BVerfG 65, 1,41 f.; 56, 37, 41ff.). Auszuschließen und mit Datenschutzrecht nicht vereinbar ist, wenn personenbezogene Daten zu noch nicht bestimmbaren Zwecken, quasi auf Vorrat gesammelt werden (vgl. Kassler Kommentar, Komment. zum SGB, Rn 7 zu § 284).
Die obligatorischen Angaben über die Nummer des Kreisverbands, Wache des Rettungswagen, Postleitzahl, Einsatzort, Auftragsnummer der Leitstelle für den Rettungswagen dienen nach Auffassung des Gerichts nicht der Abrechnung der Leistungen des Notarztes, sondern vielmehr, wie von der Beklagten eingeräumt wird, allenfalls dem Datenabgleich bei der Zentralen Abrechnungsstelle für den Rettungsdienst Bayern GmbH (ZAST). Die Aufgabe der ZAST, einer juristischen Person des Privatrechts besteht nach Art. 34 Abs. 8 BayRDG u.a. darin, die Abrechnung der Einsätze aller Durchführenden des öffentlichen Rettungsdienstes gegenüber den Kostenträgern durchzuführen. So sind auch Auszahlungen an die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns vorzunehmen. Ein Abgleich der Daten des Notarztes einerseits und der sonstigen Durchführenden des Rettungsdienstes ist aber speziell zur Abrechnung der Leistungen des Notarztes nicht erforderlich und nicht von Art. 47 Abs. 1 BayRDG bzw. §§ 285 Abs. 2, 295 Abs. 1 SGB V gedeckt. Letztendlich führt die „Zwischenschaltung“ der ZAST, die gesetzlich zwar in Art. 34 Abs. 8 BayRDG vorgesehen ist, dazu, dass ein „Mehr“ an Daten u.U. erforderlich ist. Diese „Zwischenschaltung“ rechtfertigt aber nicht das Erfordernis der Erhebung dieser Daten. Im Gegenteil! Je mehr Stellen die Daten zugänglich gemacht werden bzw. zugänglich zu machen sind, umso mehr besteht die Gefahr des Datenmissbrauchs. Deshalb sind bei dieser Konstellation an die Erforderlichkeit der Datenerhebung äußerst strenge Maßstäbe zu stellen. Im Übrigen erscheint die Aussage der Beklagten, die Angaben dienten der „Verifizierung“ des Einsatzes, sehr pauschal, zumal auch Art. 47 Abs. 1 Ziff. 2 BayRDG nicht von einer „Verifizierung“, sondern von der „Abwicklung“ des Einsatzes spricht. Davon abgesehen kann es nicht Aufgabe des Notarztes sein, im Nachhinein ihm zunächst nicht bekannte Daten (Kreisverbandsnummer, Nummer der Rettungswache) zu erfragen.
Ebensowenig besteht eine Erforderlichkeit der Angaben über Alarmzeit und Zeit des Einsatzendes, Postleitzahl und Einsatzort zu Abrechnungszwecken. Diese Angaben mögen bestimmte Vergütungszuschläge auslösen, sind aber nicht abrechnungsrelevant. Wenn hierzu keine Angaben gemacht werden, entfällt ein etwaiger Zuschlag. Gegen eine freiwillige Angabe – wenn also der Notarzt auch Zuschläge abrechnen will – bestehen aber keine rechtlichen Bedenken.
Schließlich sind die Angaben zur Postleitzahl und zum Einsatzort nicht abrechnungsnotwendig. Denn die Vergütung der im Notarztdienst zu erbringenden Leistungen hängt davon nicht ab.
Auch ist nicht erkennbar, warum die Angaben dem Zweck der wissenschaftlichen notfallmedizinischen Forschung dienen sollen. Diesbezüglich wurde auch von der Beklagten nichts vorgetragen.
Aus den genannten Gründen, war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.