Aktenzeichen M 17 K 15.5610
JMStV § 4, § 5, § 14, § 16, § 17, § 20
BGB § 823, § 1004
BayMG Art. 10, Art. 16
Leitsatz
1. Eine medienaufsichtlichte Beanstandung ist als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine medienaufsichtliche Beanstandung ist auch bei in der Vergangenheit liegenden Verstößen möglich, wenn ihr Zweck noch erreicht werden kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da die Vorschrift des § 184 StGB auch den Schutz Erwachsener vor ungewollter Konfrontation mit Pornografie dient, ist der Begriff der Pornografie einheitlich auszulegen und nicht ausschließlich durch den Gedanken des Jugendschutzes geprägt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2015 wird aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Klägerin und Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Aufgrund des erklärten Einverständnisses der Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO).
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg, soweit sie sich gegen die medienaufsichtliche Beanstandung richtet. Der diesbezügliche Bescheid der Beklagten vom 19.11.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Soweit mit dem zweiten Klageantrag die zukünftige Unterlassung von Presseveröffentlichungen begehrt wird, ist die Klage unbegründet.
1. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 19.11.2015 ist rechtswidrig, da zu Unrecht davon ausgegangen wurde, dass das der Beanstandung zugrunde liegende Rundfunkangebot gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV in sonstiger Weise pornogarfisch sei, darüber hinaus ist die Beanstandung unverhältnismäßig.
1.1 Mit dem fraglichen Bescheid stellt die Beklagte fest und missbilligt, dass im Programm der Klägerin in der Sendung „…“ am …2014 in der Zeit von 23:54 Uhr bis 00:45 Uhr pornografische Inhalte verbreitet worden seien, was einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV darstelle. Die gewählte Formulierung beinhaltet die förmliche Feststellung eines Rechtsverstoßes gegen die angegebene Vorschrift und die diesbezügliche Missbilligung. Hierbei handelt es sich um eine in der Praxis der Medienaufsicht gängige und einheitlich zu verstehende Maßnahme (BVerwG, B.v. 23.07.2014 – 6 B 1/14 – juris Rn. 20; OVG NRW, U.v. 17.06.2015 – 13 A 1072/12 – juris Rn. 29). Das der von der KJM gefasste Beschluss vom 16.09.2015 nicht ausdrücklich eine Missbilligung nennt, ist deshalb ebenso unschädlich wie die demgegenüber abweichende Formulierung im Bescheid, der zufolge in der Sendung „pornografische Inhalte“ verbreitet worden seien.
1.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und andere Telemedien in Bayern (Bayerisches Mediengesetz – BayMG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2003, GVBl 2003, 799, BayRS 2251 – 4 – S/W) trifft die Beklagte als Landesmedienanstalt im Sinne des Rundfunkstaatsvertrags und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass dieser gegen Bestimmungen des Staatsvertrags über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV – GVBl 2003, 147, BayRS 2251 – 16 – S) verstoßen hat, § 20 Abs. 1 JMStV. Die KJM dient der zuständigen Landesmedienanstalt, hier der Beklagten, als deren Organ bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (§ 14 Abs. 2 JMStV). Die KJM ist funktionell für die abschließende Beurteilung von Angeboten nach dem JMStV und den insoweit zu treffenden Entscheidungen zuständig (§§ 16 Satz 1, 20 Abs. 2 JMStV). Die an die Feststellung eines Verstoßes anknüpfende Maßnahme mit Außenwirkung, insbesondere Anordnungen gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG, trifft die Landesmedienanstalt als zuständige Aufsichtsbehörde, § 20 Abs. 1 JMStV.
1.3. Die vorgenommene medienaufsichtliche Beanstandung stellt einen Rechtsverstoß förmlich fest und missbilligt diesen. Sie ist deshalb als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren (OVG NRW, U.v. 17.06.2015, a.a.O, Rn. 31).
1.4. Die medienaufsichtliche Beanstandung der Sendung ist formell rechtmäßig.
1.4.1 Die Klägerin als Adressat des eingreifenden Verwaltungsakts wurde angehört. Insbesondere wurde das von ihr vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. L… „Straf- und jugendschutzrechtliche Bewertung einer Episode der Sendung, …´“ vom …2015, das sie sich als ihren Sachvortrag zu eigen machte, in die weitere Behandlung, insbesondere durch die KJM, einbezogen.
1.4.2. Der vorgenommenen medienaufsichtlichen Beanstandung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass im Zeitpunkt ihres Ergehens – ausweislich des Bescheids (dort S. 8) – die streitgegenständliche Sendung offensichtlich bereits aus dem Rundfunkprogramm genommen worden war.
Eine Beanstandung kann – auch ohne die damit häufig verbundene Untersagung unzulässiger Angebote oder Inhalte – insbesondere im Bereich sich schnell oder häufig verändernder Angebote bzw. nur für kurze Zeit vorhandener und deshalb im Zeitpunkt der Beschussfassung der KJM bzw. einer hieran anknüpfenden Maßnahme einer Landesmedienanstalt bereits nicht mehr gegebener bzw. beendeter Verstöße (wie sie im Bereich der Telemedien nicht selten sind) sinnvoll sein. Sie sind auch bei in der Vergangenheit liegenden Verstößen möglich, jeweils unter der Voraussetzung, dass ihr Zweck noch erreicht werden kann. Sinn und Zweck einer medienaufsichtlichen Beanstandung ist es, Anbietern das entsprechende Unrechtsbewusstsein in Bezug auf die Anforderungen des Jugendmedienschutzes zu vermitteln und dadurch andauernde, aber auch weitere bzw. künftige Rechtsverletzungen zu vermeiden. Zur Vermittlung der Maßstäbe zur zulässigen Pornografie für die Zukunft erscheint daher auch eine Beanstandung rechtswidrigen Verhaltens in der Vergangenheit (noch) sinnvoll (so auch für ein Telemedienangebot: OVG NRW a.a.O, Rn. 32, 86 ff.).
1.4.3 Die vorgenommene Beanstandung ist noch ausreichend begründet.
1.4.3.1 § 17 JMStV enthält mehrere Regelungen zum Verfahren der KJM. Unter anderem ist ausdrücklich bestimmt, dass die KJM ihre Beschlüsse, die gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zugrunde zu legen sind (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV), zu begründen hat (§ 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV). In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen (§ 17 Abs. 1 Satz 4 JMStV). Die Begründungspflicht des § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV ist Teil der vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung geforderten gesetzlichen Rundfunkordnung zum Schutz der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geforderten Rundfunkfreiheit, die anders als Grundrechte sonst ihren Träger nicht nur zum Zweck der Persönlichkeitsentfaltung und Interessenverfolgung eingeräumt ist, sondern auch der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dient. Sie soll zum einen die KJM dazu anhalten, den von ihr zu beurteilenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln und diesen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Anbieters in jugendschutzrechtlicher Hinsicht selbst sachverständig zu bewerten. Des Weiteren dient sie der Klarheit für die anderen Organe der zuständigen Landesmedienanstalt, denen gegenüber die Beschlüsse der KJM bindend sind und die sie einschließlich der Begründung ihren Entscheidungen zugrunde zu legen haben (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV; vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 06.10.1992 – 1 BvR 1586/89 und 1 BvR 487/92 – BVerfGE 87, 181/198; B.v. 20.09.1998 – 1 BvR 661/94 – BVerfGE 97, 298/313 ff u. U.v. 12.03.2008 – 2 BvF 4/03 – BVerfGE 121, 30/50 ff. sowie BayVGH U.v. 19.09.2013 – 7 B 12.2358 – MMR 2014, 348, 351).
Der Begründungspflicht kann auch genüge getan sein durch Bezugnahme auf eine Beschlussvorlage, wenn diese selbst eine klare und unmissverständliche Begründung enthält und der Wille der KJM, sich diese zu eigen zu machen, klar erkennbar ist. Die in diesem Sinne geforderte Klarheit wird in der Regel nicht mehr gegeben sein, wenn die Beschlussvorlage für die KJM ihrerseits auf andere Beschlussvorlagen Bezug nimmt (sog. Kettenverweisung) bzw. wenn durch Bezugnahme auf sonstige Dokumente ein „Pool“ von Begründungselementen geschaffen wird, aus dem die für den Bescheiderlass zuständige Behörde nach Belieben auswählen kann (BayVGH, U.v. 19.09.2013 a.a.O. sowie OVG NRW, a.a.O. Rn. 43, 52).
1.4.3.2 Gemessen an vorstehenden Anforderungen einer Entscheidungsbegründung durch die KJM könnten Bedenken bestehen, da im Sitzungsprotokoll zur fraglichen Sitzung der KJM (dort Tagesordnungspunkt 7.3) begründungsrelevante Fragen zur Bewertung des Prüfsachverhalts nur angerissen werden und genaue Angaben dazu, wie viele Mitglieder des Gremiums welche Auffassung im einzelnen Vertreten haben, fehlen. Im Ergebnis ergibt sich hieraus jedoch kein Verstoß gegen das Begründungserfordernis, da sich am Ende die KJM-Mitglieder nicht nur die Beschlussempfehlung der Vorlage, sondern die Vorlage selbst und damit auch die dort niedergelegte Begründung für die Beanstandung (Bl. 24 der Beschlussvorlage bis Bl. 29) ausdrücklich zu eigen machen. Die dem vorangehende Protokollniederschrift ist insoweit als Verlaufsprotokollierung zu verstehen, die Bezugnahme auf die Entscheidungsbegründung der Vorlage und die Beschlussfassung selbst als Ergebnisprotokollierung.
Der vorgenannte maßgebliche Begründungsteil findet sich auch (nahezu vollständig) in der Bescheidsbegründung (dort unter Ziff. II. 2) wieder und wird so der Begründungspflicht durch die KJM noch gerecht.
1.5 Die medienaufsichtliche Beanstandung der Sendung ist jedoch materiell rechtswidrig, weil die streitgegenständliche Sendung kein in sonstiger Weise pornografisches Angebot im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV ist.
1.5.1 Nach der genannten Vorschrift sind Angebote, die in sonstiger Weise pornografisch sind, im Rundfunk generell unzulässig. In sonstiger Weise pornografisch sind Angebote, die nicht schon gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 JMStV pornografisch sind (Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner/Cole/Wagner, Heidelberger Kommentar, 70 Auflage 2017, Rn. 57). Hinsichtlich des Begriffs der Pornografie stellt die Vertragsbegründung (LT-DRs. 14/10246) klar, dass mit der Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JMStV pornografische Darstellungen gemäß § 184 Abs. 1 und 2 StGB (heute geregelt in § 184 StGB und § 184d StGB) erfasst sind. Der Pornografiebegriff des JMStV entspricht damit dem des Strafrechts, wobei der Gesetzgeber bewusst auf eine Definition der Pornografie verzichtet und diese Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen hat, sodass dieser offen für die Entwicklung der Sexualmoral ist (VG München, U.v. 26.07.2012 – M 17 K 11.6112 – ZUM-RD 2013, 223, 229 sowie juris Rn. 26).
Übereinstimmend wird als pornografisch jedoch eine Darstellung angesehen, die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt und die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt ist sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreitet. Wesentlich ist danach zunächst inhaltlich die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns und die Entmenschlichung der Sexualität, mit anderen Worten, dass der Mensch durch die Vergröberung des Sexuellen auf ein physiologisches Reiz-/ Reaktions-/ Wesen reduziert bzw. zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert wird. Zum anderen kann formal die vergröbernde, aufdringliche, übersteigerte, anreißerische oder jedenfalls plump-vordergründige Art der Darstellung Indiz für den pornografischen Charakter sein. Maßgeblich ist die objektive Gesamttendenz der Darstellung. Eine Darstellung kann nur als pornografisch gewertet werden, wenn sie die in Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreitet. Dabei ist gerade der durch das Kommunikationszeitalter bedingte gesellschaftliche Wandel zu berücksichtigen, so dass Inhalte, die in älteren Entscheidungen noch als Pornografie qualifiziert wurden, heute möglicherweise anders zu beurteilen sind. Dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG kann in der Weise Rechnung getragen werden, dass die Unsicherheit der in Bezug genommenen außergesetzlichen Wertmaßstäbe nicht zu Lasten des Täters gehen darf. Nur wenn sich aus diesem eine Entscheidung ergibt, die eindeutig oder jedenfalls relativ eindeutig in dem Sinn ist, dass eine abweichende Auffassung schlechterdings nicht mehr vertretbar erscheint, kann eine Darstellung als pornografisch bezeichnet werden, nicht aber, wenn darüber vernünftigerweise gestritten werden kann (vgl. zum ganzen Schönke/Schröder/Eisele, 29. Auflage 2014, § 184 StGB, Rn. 8). Da die Vorschrift des § 184 StGB auch den Schutz Erwachsener vor ungewollter Konfrontation mit Pornografie dient, ist der Begriff der Pornografie einheitlich auszulegen und nicht ausschließlich durch den Gedanken des Jugendschutzes geprägt (BVerwG, U.v. 20.02.2002 – 6 C 13/01 – BVerwGE 116, 5, 28 sowie juris Rn. 48).
1.5.2. Die Beurteilung, ob ein Angebot entsprechend der vorstehenden Begriffsbestimmung pornografisch ist, ist gerichtlich voll überprüfbar. Einen Beurteilungsspielraum der KJM kann es schon deshalb nicht geben, weil die Begriffsbestimmung der Pornografie gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV der des Strafrechts entspricht und schon deshalb nach dem Bestimmtheitsgebot gerichtlich voll überprüfbar sein muss (Art. 103 Abs. 2 GG). Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zur Rechtsanwendung bei § 5 JMStV, im Rahmen deren der KJM hinsichtlich der Frage, ob eine Sendung geeignet ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zukommt und deren sachverständige Einschätzung nur in besonderer Weise im gerichtlichen Verfahren infrage gestellt werden kann (vergleiche hierzu BayVGH, U.v. 23.03.2011 – 7 BV 09.2512 – MMR 2011, 483, 486 und juris sowie OVG NRW a.a.O., Rn. 60 ff.).
1.5.3. Die von der Beklagten vorgenommene Einstufung der Sendung als pornografisches Angebot im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV ist rechtswidrig, weil schon von einem unzutreffenden Sachverhalt und außerdem in der Rechtsanwendung von einem unzutreffenden Begriff der Pornografie ausgegangen wird, der über dies im Rahmen der konkret für die streitgegenständliche Sendung vorzunehmenden Subsumtion überdehnt wird.
1.5.3.1 Für die Bewertung der Sendung als pornografisches Angebot werden auch die in der Sendung durch die Moderatoren gegebenen Hinweise auf pornografische Filme des Studiogasts (siehe Beanstandungsbescheid S. 5 unten, S. 7 unten, S. 8 oben) sowie Werbeeinschübe für Telefonsexhotlines (Beanstandungsbescheid S. 5 unten) zur Begründung des stimulativen Charakters der Sendung, der hierdurch unterstrichen werde, herangezogen. In beiden Fällen handelt es sich um außerhalb der Sendung liegende Umstände, die nicht zur Bewertung der Sendung herangezogen werden dürfen. Da dies dennoch geschehen ist, ist die KJM und die Beklagte insoweit von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
1.5.3.2 Hinsichtlich des Begriffs der Pornografie ist die KJM durch Bezugnahme auf die Vorlage (dort Gliederungspunkt II.1.b) im Ausgangspunkt von einem zutreffenden Begriff der Pornografie ausgegangen. Im Gegensatz dazu fehlt dem in der Bescheidbegründung herangezogenen Begriff der Pornografie (zu Beginn der Ausführungen unter der dortigen Gliederungsnummer II Nr. 2 der Bescheidgründe) – ungeachtet sprachlicher Abweichungen im Einzelnen – das letzte Kriterium, wonach die jeweilige Darstellung die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreitet. Da auch im Rahmen der Einzelbetrachtung der Sendeinhalte weder in der seitens der KJM in Bezug genommenen Vorlage, noch im Beanstandungsbescheid selbst eine Thematisierung der aktuellen gesellschaftlichen Wertevorstellungen vorgenommen wird, muss davon ausgegangen werden, dass dieses Kriterium der Pornografie schlicht unbeachtet geblieben ist.
Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass die Mitglieder der KJM im Rahmen ihrer Beurteilung der Sendung nicht vom allein maßgeblichen strafrechtlichen Begriff der Pornografie ausgegangen sind. Denn dem Bewusstsein, dass eine medienaufsichtliche Beanstandung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV nur möglich ist, wenn gleichzeitig auch der objektive Tatbestand des Zugänglichmachens pornografischer Inhalte mittels Rundfunk gemäß §§ 184d, 184 StGB verwirklicht ist, steht die Anmerkung der KJM Mitglieder entgegen, dass auch für § 184 StGB Kriterien zu entwickeln seien, um die Vorschrift praktisch anwenden zu können (so ausdrücklich im Sitzungsprotokoll festgehalten). Dieses bekräftigt auch die Argumentation der Beklagten in der Klageerwiderung vom 28. April 2016, wenn dort ausgeführt wird, dass die Beanstandung nicht auf einer Subsumtion der Strafrechtsnorm des § 184 StGB beruhe, sondern vielmehr auf einer jugendmedienschutzrechtlichen Bewertung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV (S. 13) bzw. zu unterscheiden sei zwischen der zu § 184 StGB entwickelten Definition des Pornografiebegriffs einerseits und den gerade auf die Entscheidungspraxis der KJM bezogenen Grundlagen, den jugendschutzmedienrechtlichen Vorgaben, andererseits (S. 14).
1.5.3.3 Im Rahmen der vorzunehmenden Subsumtion gelangen die KJM und die Beklagte unzutreffend zur Einstufung der Sendung als pornografisches Angebot.
Kernelement der Definition der Pornografie ist die Darstellung sexueller Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge. Diese Anforderungen werden typischerweise dadurch erfüllt, dass sexuelle Vorgänge hervorgehoben (quasi im Großformat dargestellt) und mehr oder weniger kontextlos aneinandergereiht präsentiert werden. Dies bedingt, dass die sexuellen Vorgänge, die so exponiert dargestellt werden, für die betreffende Sendung ganz vorherrschend prägend sind und entsprechend breiten Raum einnehmen.
Hieran fehlt es bezüglich der beurteilten streitgegenständlichen Sendung. Die Klagepartei hat insoweit in der Klagebegründung vom … Januar 2016 (dort S. 26) – von der Beklagten unwidersprochen – vorgetragen, dass nur in der Schlusssequenz und zwar mit einem Anteil von 5,6% der Sendung eine genitale Stimulation des Studiogasts und damit eine einschlägige sexuelle Handlung vorgelegen habe (wobei auch hier der Intimbereich optisch geschützt wird). Soweit die KJM und die Beklagte unter Heranziehung weiterer Gesichtspunkte (etwa die Erregung der Moderatoren, deren Kommentare und die Verwendung von Vulgärsprache und die so intendierte Wirkung auf den Zuschauer) von einer Gesamttendenz der Sendung ausgehen, die ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation gerichtet ist, wird der begrifflich vorausgesetzte Tatbestand der Pornografie überdehnt. Denn diese Gesichtspunkte mögen zwar für ein Abzielen der Sendung auf Stimulation sprechen, sie können aber nicht die im Ausgangspunkt für die Einstufung eines Angebots als Pornografie erforderliche prägende Darstellung sexueller Vorgänge ersetzen. Die sexuellen Vorgänge dieser Art liegen auch nicht in den Fragen und Antworten des in der Sendung durchgeführten Interviews des Studiogasts durch die Moderatoren. Die Fragen und Antworten – insoweit ist der Beklagten zuzustimmen – beinhalten zwar erhebliche Obszönitäten, stellen aber auch nicht sexuelle Vorgänge im Stile pornografischer Literatur, fokussiert und reduziert auf eine detailgetreue Schilderung sexueller Vorgänge, dar. Das Fehlen raumgreifender und prägender sexueller Vorgänge steht einer Einstufung des Angebots als pornografisch entgegen.
Des Weiteren kann das Gericht auch nicht – wie von der KJM und der Beklagten angenommen – erkennen, dass der weibliche Studiogast zum (auswechselbaren) sexuellen Objekt degradiert wird. Der Studiogast wirkt zu keinem Zeitpunkt von den Moderatoren zu einem Verhalten gedrängt oder überredet. Auch bei den Aktionsspielen, die ebenso erkennbar freiwillig erfolgen, erkundigen sich die Moderatoren wiederholt, ob es so für den Studiogast in Ordnung (gewesen) sei und äußern auch im Übrigen ihre Bewunderung für diesen. Der Gesamtauftritt des Studiogasts steht im Einklang mit der erkennbaren Intention, für diesbezügliche Internetangebote Werbung zu machen.
Völlig unberücksichtigt geblieben in der Bewertung durch die KJM bzw. die Beklagte ist die Bewertung der Inhalte der Sendung am Maßstab der aktuell geltenden allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen. Nach der gesetzgeberischen Intention, die bewusst auf eine Definition der Pornografie verzichtete, um den diesbezüglichen Tatbestand entsprechend dem Wandel der gesellschaftlichen Wertevorstellungen offen zu gestalten, ist jedes Angebot im Einzelfall auch an den aktuellen gesellschaftlichen Wertevorstellungen zu messen. Dabei genügt es für die vom Gericht vorzunehmende Überprüfung, festzustellen, dass die Tendenz gesellschaftlicher Wertevorstellungen hinsichtlich der Toleranz und der akzeptablen Grenzen gegenüber sexuellen Vorgängen generell großzügiger gegenüber früher geworden ist. Damit wäre eine Ausweitung des Begriffs der Pornografie dahingehend, dass auch beim Fehlen raumgreifender und prägender sexueller Vorgänge Pornografie vorliegen kann, wie sie die Beklagte vertritt, wohl nicht in Einklang zu bringen.
1.6 In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen (insbesondere zu 1.5.3.) ist deshalb, ohne das es näherer Darlegungen bedarf, davon auszugehen, dass einer medienaufsichtlichen Beanstandung der gegenständlichen Sendung auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 19.9.2013 a.a.O.) entgegensteht.
Der Klage war daher im Klageantrag 1 stattzugeben.
2. Im Übrigen, hinsichtlich des auf Unterlassung von Presseveröffentlichungen gerichteten Klageantrags, ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
2.1 Die Klage ist auf Verpflichtung der Beklagten gerichtet, es künftig zu unterlassen, selbst oder durch ihr Organ KJM öffentlich, insbesondere in der Zeitschrift „kjm informiert“, zu verbreiten, eine Rundfunksendung der Klägerin habe gegen Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen, solange der Klägerin dies nicht durch Zustellung eines entsprechenden begründeten Bescheides bekanntgegeben worden ist.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage in Form der vorbeugenden Unterlassungsklage statthaft. Die Klägerin als juristische Person des Privatrechts kann sich auch auf eine Verletzung ihr zustehender grundrechtlicher Positionen (Rundfunkfreiheit, unternehmerische Freiheit) berufen (BVerwG. U.v. 21.5.2008 – 6C 13/07 – BVerwGE 131, 171, 186). Die Wiederholungsgefahr für eine Presseveröffentlichung, wie sie bereits vorgenommen wurde (vgl. Anlage K2 zum Klageschriftsatz vom …12.2015), ist ohne weiteres anzunehmen.
2.2 Die Klage ist auch zutreffend gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen die Beklagte gerichtet, die als Rechtsträger ihres Organs, der KJM, den geltend gemachten Leistungsanspruch, hier in Form der begehrten Unterlassung, zu erfüllen hat (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2010 – 7 ZB 09.2655 – sowie VG München, U.v. 18.3.2015 – M 7 K 14.3011, jeweils juris, sowie Rennert in Eyermann 14. Auflage 2014, § 40 VwGO, Rn. 83).
2.3 Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg.
2.3.1 Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin, wie geltend gemacht, kann aus grundrechtlichen Rechtspositionen oder entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB abgeleitet werden. Die Grundrechte schützen vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, auch solchen – wie hier – durch schlichtes Verwaltungshandeln (BVerwG, U.v. 21.5.2008, a.a.O., Rn. 13). Ein Unterlassungsanspruch besteht bei öffentlichen Verlautbarungen und sonstigen Veröffentlichungen, die den Zuständigkeitsbereich einer Behörde betreffen, wenn diese unrichtige Tatsachen enthalten oder sonst gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen (BayVGH, B.v. 24.5.2006 – 4CE06.1217 – juris) bzw. unverhältnismäßig sind.
2.3.2 Die den Anlass des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs liefernde Veröffentlichung der KJM in ihrem Informationsblatt „kjm informiert“ (Ausgabe … 2015) enthält erkennbar weder eine unrichtige Tatsachenbehauptung noch eine unsachliche Bewertung. Sie informiert ihrer Zielsetzung entsprechend über das Thema „…“ aus der Sicht der KJM. Dabei wird unter Bezeichnung der hier streitgegenständlichen Sendung, aber ohne Nennung der Klägerin als Rundfunkanbieter, auch ausgeführt, dass die KJM bei ihrer Prüfung abschließend zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Folge der Erotik-Talkshow gegen die Bestimmungen des JMStV verstoße und nicht im Fernsehen hätte gezeigt werden dürfen. Letzteres gibt die Auffassung der KJM und deren abschließend getroffene Entscheidung im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit gemäß § 16 JMStV wieder. Hierin liegt weder eine unzutreffende Tatsachenbehauptung noch ein unsachliches Werturteil. Selbst wenn sich die angesprochene Entscheidung der KJM im Rahmen des weiteren Fortgangs als rechtswidrig erweisen sollte, ändert dies nichts an deren getroffener Entscheidung und macht daher auch nicht die Presseveröffentlichung per se rechtswidrig. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass diese Presseveröffentlichung unzumutbar in Rechtspositionen der Klägerin eingreift. Denn im Unterschied zu der seitens der Klagepartei in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig (vom 5.11.2013 – 8 B 50/13, Anlage K7 der Klageschrift vom 14.12.2015), der Presseveröffentlichungen zugrunde liegen, bei denen nicht nur die dortige Betroffene namentlich genannt wird, sondern auch gezielte Hinweise und Warnungen gegeben werden, ist die Rechtsbetroffenheit der Klägerin, die selbst in der Mitteilung der KJM gar nicht genannt wird, ungleich geringer. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass es für die Klägerin unzumutbar wäre, sich zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. nach Ergehen eines Beanstandungsbescheids) argumentativ zu Wehr zu setzen. Auch sonst erscheint die Berichterstattung in der angesprochenen Presseveröffentlichung, die, wie ausgeführt, die Sichtweise der KJM wiedergibt, nicht unverhältnismäßig.
Die Klage war daher in Klageantrag 2 abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.