Aktenzeichen 52 O 2333/18
StGB § 229
Leitsatz
Der Aufenthalt in einem potenziell gefährlichen Bereich kann nur zu einem Mitverschulden des Geschädigten führen, wenn der Schädiger nachweist, dass der Geschädigte hinreichende Kenntnis von der Gefahrenlage hatte. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Anspruch der Klägerin aus dem Unfall vom 9.11.2015 auf dem Reiterhof in der XY-Straße, L. ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Der Anspruch der Klägerin ist dem Grunde nach gerechtfertigt, ein Mitverschulden kommt nicht in Betracht.
Der Anspruch der Klägerin aus fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB als solcher ist unstreitig, streitig ist allein, inwiefern der Klägerin ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB – wobei für das Vorliegen der Voraussetzungen der Beklagte beweisbelastet ist – zur Last liegt. Der Ansatz eines Mitverschuldensanteils ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin bei Entstehung des Schadens in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat in der Form, dass sie diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren. Des Weiteren muss dieses Verschulden für die Schädigung mitursächlich im Sinne der Adäquanztheorie gewesen sein und darf nicht außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen. Ein mitursächliche Sorgfaltspflichtverletzung unterfällt nur dann dem Schutzzweck der Norm, wenn sie den Zweck hatte, Schäden wie den eingetretenen zu verhindern.
Eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung der Klägerin, soweit ihr Beklagte vorwirft, sich in einem potenziell gefährlichen Bereich unter der Abwurfluke aufgehalten zu haben, liegt nicht vor. Insoweit trifft lediglich zu, dass sich die Klägerin unstreitig in dem gefährlichen Bereich aufgehalten hat, ein Schuldvorwurf, beruhend auf nachweisbaren Tatsachen, ist ihr jedoch nicht zu machen. Dies würde voraussetzen, dass seitens des Beklagten einmal nachgewiesen wird, dass die Klägerin Kenntnis vom Vorhandensein der Abwurfluke und der Möglichkeit des Abwurfs der Heuballen hatte, eine hierzu geäußerte Vermutung, die Klägerin müsse aus früheren Aufenthalten Kenntnis haben, oder durch vereinzelt herabfallendes Heu aufmerksam geworden sein, reicht hierzu nicht aus. Die Klägerin selbst hat bestritten, von der Luke Kenntnis gehabt zu haben. Konkrete Umstände, die mit der erforderlichen Sicherheit den Rückschluss auf die Kenntnis der Klägerin zuließen, sind nicht vorgetragen. Insbesondere ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aufgrund der Angaben der Zeugin S. auch bestätigt, dass im Gefahrenbereich weder ein Hinweis auf die Gefahrenquelle vorhanden war, noch eine Sicherung gegen die Gefahr des herabfallenden Heuballens, etwa in Form einer Absperrung oder Sicherung durch einen Dritten, vorhanden gewesen ist. Weiter besteht auf der Grundlage der Angaben der Zeugin S. kein gesicherter Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin die geschilderten Warnrufe vorwerfbar missachtet hätte. Die von der Zeugin geschilderten Sicherungsmaßnahmen bieten gerade keine Gewähr dafür, dass eine vor der Abwurfluke stehende Person unmittelbar vor Herabfallen des Heuballens auf die Gefahr sicher aufmerksam gemacht wird. Zum einen hat die Zeugin angegeben, vorab zwar allgemein auf das Gelände und den Weg geachtet zu haben, nicht aber auf den am meisten gefährdeten Bereich unter der Luke. Auch lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen, dass einerseits der Zeitraum, welcher von Beobachtung des Außenraums bis zu dem geschilderten Warnruf so lang war, dass sich eine Person in den ungesicherten Abwurfbereich begibt und andererseits der Zeitraum zwischen Warnruf und Herabfallen des Heuballens zu kurz war, als dass sich eine mit den Örtlichkeiten nicht vertraute Person hinsichtlich der Gefahrenmöglichkeit orientieren und aus dem Gefahrenbereich begeben könnte. Ein nachweisbares Verschulden der Klägerin als Voraussetzung einer Sorgfaltspflichtverletzung lässt sich unter diesen Voraussetzungen nicht begründen.
Der weitere Vorwurf des Beklagten, die Klägerin habe gegen die Stallordnung bzw. das Betretungsverbot der Stallgasse für Unberechtigte verstoßen, begründet zwar den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung. Inwieweit ein Verschulden der Klägerin hierzu, welches in der Nichtbeachtung der – behauptet – ausgehängten Stallordnung oder eines ausgesprochenen Verbotes liegen könnte, festgestellt werden kann, kann letztlich dahingestellt bleiben, da die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen eines Mitverschuldens gemäß § 254 BGB nicht vorliegen. Die Mitursächlichkeit in dem Sinne, dass der Aufenthalt der Klägerin unter der Abwurfluke nicht nur unter besonderen, eigenartigen oder unwahrscheinlichen Umständen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge geeignet ist, den eingetretenen Schaden herbeizuführen, ist zweifellos gegeben, jedoch fehlt es jedenfalls an einem Schaden im Schutzbereich der Norm „Betretungsverbot für das Stallgebäude“. Die Beklagte trägt hierzu selbst vor, dass dieses Betretungsverbot innerhalb der Stallgasse, der dort befindlichen Sattelkammer und sonstigen Nebenräumen einmal dem Schutz der sehr teuren, von den privaten Einstellern eingelagerten Gegenstände/Reitausrüstung dient, so dass nur die Einsteller Zutritt erhalten; des Weiteren dient dieser Bereich als Waschbox zum Pflegen der Pferde. Vor diesem Hintergrund kann sich als Schutzzweck des Betretungsverbots allein die Sicherung des Eigentums der Einsteller und deren ungestörter Umgang mit den eingestellten Pferden entnehmen. Für einen Schutzzweck der Norm in dem vom Beklagten angedachten Sinn, einen Durchgang zum Vorplatz unter der Abwurfluke zu verhindern, besteht keine ausreichende Grundlage, wenn auf der anderen Seite der Vorplatz ohne Weiteres auch von außen, ohne Benutzung der „verbotenen“ Stallgasse erreicht werden kann. Das Betretungsverbot ist damit nicht geeignet, den Zugang zum streitgegenständlichen Vorplatz abschließend zu verhindern, eine Grundlage für die Ausdehnung des Schutzbereichs ist damit nicht ersichtlich. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch nicht von Bedeutung, ob Personen, die sich von rechts oder links der Abwurfluke nähern, früher sichtbar sein könnten. Ausweislich der vorgelegten Lichtbilder besteht auch hier nur eine eingeschränkte Einsichtmöglichkeit, und auch der Blick direkt nach unten in den Abwurfbereich wird nicht obsolet, solange das Betretungsverbot nicht auch für den Vorplatz ausgesprochen ist.
II.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bleiben dem Schlussurteil vorbehalten.