Aktenzeichen S 28 KA 469/14
ZPO ZPO § 727,§ 795 S. 1
BMV-Ä BMV-Ä § 52 Abs. 2 S. 1
BGB BGB § 197 Abs. 1 Nr. 4, § 398
SGB V SGB V § 69 Abs. 1 S. 3
Leitsatz
1. Zur Frage der Verjährung und des Vorliegens eines vollstreckbaren gerichtlichen Vergleichs i. S. d. § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB i. V. m. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG, wenn die Kassenärztliche Vereinigung an dem Abschluss des Vergleichs, der sie zur Einziehung der Schadensersatzforderungen der Krankenkassen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise des Vertragsarztes berechtigt, nicht beteiligt war. (amtlicher Leitsatz)
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.193,00 € sowie Prozesszinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin besitzt gegen den Beklagten einen Zahlungsanspruch i. H. v. 26.193,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten ab 19.03.2014.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage liegen allesamt vor; insbesondere ist ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin gegeben. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Klägerin nicht gem. § 198 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 727,795 Satz 1 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung des gerichtlichen Vergleichs vom 03.02.2009 wegen Rechtsnachfolge erteilt werden.
Gem. § 198 Abs. 1 SGG gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung entsprechend, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus § 200 Abs. 2 Satz 1 SGG jedoch, dass die Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes entsprechend gelten. Damit ist die Anwendbarkeit der §§ 727,795 Satz 1 ZPO ausgeschlossen.
Hintergrund ist der gerichtliche Vergleich vom 03.02.2009. Soweit dieser einen Vollstreckungstitel zugunsten der KVB darstellt, geht es um die Vollstreckung aus einem Titel gem. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG zugunsten der öffentlichen Hand i. S. d. § 200 SGG. Anwendbar sind danach die Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes entsprechend; § 5 VwVG verweist für das Verwaltungszwangsverfahren und den Vollstreckungsschutz im Falle des § 4 auf die Vorschriften der Abgabenordnung (§§ 77, 249 bis 258, 260, 262 bis 267, 281 bis 317, 318 Abs. 1 bis 4, §§ 319 bis 327).
Zweifel am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin bestehen nach alledem nicht.
Die Klage ist auch begründet. Die KVB hat die noch bestehende Regressforderung gegen den Beklagten wirksam an die Klägerin zurück übertragen. Eine Verjährung ist nicht eingetreten.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Rechtsgrundlage ist der vor dem SG München am 03.02.2009 geschlossene Vergleich (vgl. auch SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 19.10.2016, Az. S 12 KA 232/16, Rn. 14). Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei dem Verordnungsregress um einen besonderen Typus des Schadensersatzanspruchs, den die Krankenkasse unmittelbar gegenüber dem einzelnen Vertragsarzt hat (BSG, Urteil vom 28.10.2015, Az. B 6 KA 15/15 R, Rn. 13 ff.). Gem. § 52 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä erfüllt die Kassenärztliche Vereinigung Schadenersatzanforderungen der Krankenkassen durch Aufrechnung gegen Honorarforderungen des Vertragsarztes, wenn in einem erstinstanzlichen Urteil eines Sozialgerichts die Forderung bestätigt wird. Soweit eine Aufrechnung nicht möglich ist, weil Honorarforderungen des Vertragsarztes gegen die Kassenärztliche Vereinigung nicht mehr bestehen, tritt die Kassenärztliche Vereinigung den Anspruch auf Regress- und Schadenersatzbeträge an die Krankenkasse zur unmittelbaren Einziehung ab (§ 52 Abs. 2 Satz 2 BMV-Ä). In dieser Rückübertragung der Zuständigkeit für die Geltendmachung von Ansprüchen ist keine Abtretung im Sinne des § 398 BGB zu sehen, weil nicht die Kassenärztliche Vereinigung, sondern die Krankenkasse Inhaber der Forderung ist und weil die Übertragung nach dem Inhalt der Regelung einseitig durch die Kassenärztliche Vereinigung ohne eine Vereinbarung mit der Krankenkasse erfolgt (vgl. BSG, ebenda, m. w. N.). Die KVB hat mit Abtretungsanzeige vom 20.02.2012 die noch bestehende Regressforderung gegen den Beklagten wirksam an die Klägerin zurück übertragen.
Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des Vergleichs sind nicht erkennbar und von der Beklagtenseite auch nicht vorgetragen worden.
Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt.
Grundsätzlich gilt die sozialrechtliche Verjährungsfrist von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Ansprüche entstanden sind (vgl. § 45 Abs. 1 SGB I). Der gerichtliche Vergleich vom 03.02.2009 führte zu einem Neubeginn der Verjährung, so dass vorliegend grundsätzlich nach Ablauf des Jahres 2013 Verjährung eingetreten wäre.
Hingegen regelt § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB, das Ansprüche aus vollstreckbaren Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden in 30 Jahren verjähren, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Nach der Rechtsprechung des BSG sind die Verjährungsvorschriften des BGB grundsätzlich nicht gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprechend anwendbar, weil die Verjährungsfragen schon aus dem 4. Kapitel des SGB V und den hierfür geltenden allgemeinen Rechtsprinzipien zu beantworten sind (Engelmann in: jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 69 Rn. 45 m. w. N.). Etwas anderes gilt nach Auffassung der Kammer jedoch für die in § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB geregelten Fallgestaltungen, für die das Sozialrecht keine Sonderregelungen enthält. Der Gesetzgeber stuft den Gläubigerschutz, wie der Vorschrift des § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB und der Vorgängervorschrift § 218 BGB a. F. zu entnehmen ist, in Fällen titulierter Ansprüche allgemein höher ein als den Schuldnerschutz. Da das SGB V bzw. das SGB überhaupt keine entsprechende Regelung zur Frage der Verjährung titulierter Ansprüche trifft, ist § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB über § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V anwendbar (so auch SG Marburg, Urteil vom 01.06.2016, Az. S 12 KA 190/15, Rn. 25 und Gerichtsbescheid vom 19.10.2016, Az. S 12 KA 232/16, Rn. 23).
Nach Überzeugung der Kammer sind auch die Voraussetzungen des § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB vorliegend gegeben. Bei dem in der mündlichen Verhandlung am 03.02.2009 vor dem SG München geschlossenen Vergleich handelt es sich um einen gerichtlichen Vergleich i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Der Vergleich hat einen vollstreckungsfähigen Inhalt und ist hinreichend bestimmt. Insbesondere regelt der Vergleich die vom Beklagten ursprünglich zu zahlende Gesamtsumme in Höhe von 110.000,00 Euro; daneben ist Nr. VII des Vergleichs zu entnehmen, dass die KVB Gläubigerin des zu vollstreckenden Anspruchs ist.
Allerdings war in der mündlichen Verhandlung am 03.02.2009 ausweislich des Sitzungsprotokolls kein Vertreter der KVB anwesend. Der Vergleich wurde lediglich von den anwesenden Beteiligten (u. a. zwei Vertretern der Klägerin) geschlossen. Grundsätzlich gilt, dass ein Vergleich nur für und gegen die am Vergleichsabschluss beteiligten Parteien des Rechtsstreits Vollstreckungstitel ist (Stöber in: Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 794 Rn. 6). Dies gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren hinsichtlich der Beteiligung von Beigeladenen oder sonstiger Dritter und der Vollstreckbarkeit des Vergleichs zugunsten bzw. zulasten dieser (vgl. Hauck in: Hennig, SGG, Stand September 2016, § 101 Rn. 14).
Nach Überzeugung der Kammer kann es jedoch vorliegend bezüglich der Frage, ob ein vollstreckbarer gerichtlicher Vergleich gem. § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB i. V. m. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG zugunsten der KVB besteht, nicht darauf ankommen, ob die KVB am Vergleichsabschluss beteiligt war. Es steht außer Frage, dass die KVB, die im Anschluss an den Vergleich die Honorarforderungen des Klägers mit den Ansprüchen der Krankenkassen bis einschließlich Quartal 4/2010 verrechnet hat, dem Vergleich inzident zugestimmt hat. Vor allem aber entspricht es der – auch in § 52 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä geregelten – Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung, Schadenersatzanforderungen der Krankenkassen durch Aufrechnung gegen Honorarforderungen des Vertragsarztes zu erfüllen. Hierbei handelt es sich um „Einziehungsregelungen, die der Krankenkasse die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtern, aber eine Verpflichtung der K(Z)ÄV nur bezogen auf die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens und die anschließende Abführung des Erlöses an die Krankenkasse begründen“ (BSG, Urteil vom 28.10.2015, Az. B 6 KA 15/15 R, Rn. 16). Sie sind Ausdruck des „Systems des vertragsarztrechtlichen Viereck-Verhältnisses“. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass Rechtsbeziehungen grundsätzlich nur in dem Viereck-Verhältnis Versicherter-Krankenkasse-Kassenärztliche Vereinigung-Arzt bestehen, eine Rechtsbeziehung unmittelbar zwischen Krankenkasse und Arzt hingegen nicht. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung auf der einen Seite und zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Vertragsarzt auf der anderen Seite sind zu trennen. Das vertragsarztrechtliche Beziehungsgeflecht vermeidet grundsätzlich unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen als Leistungsträgern und den (Vertrags-)Ärzten als Leistungserbringern. Nur in Ausnahmekonstellationen ist ein Rechtsstreit direkt zwischen Krankenkasse und Arzt zulässig (BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az. B 6 KA 17/12 R, Rn. 24 m. w. N.). Da das Inkassoverfahren durch die Kassenärztliche Vereinigung typisches Wesensmerkmal des vertragsarztrechtlichen Systems ist, wäre es reine Förmelei, zu verlangen, dass die Kassenärztliche Vereinigung zur Vereinbarung dieser Selbstverständlichkeit am Vergleichsabschluss beteiligt werden muss. Folglich stellt der am 03.02.2009 geschlossene Vergleich einen vollstreckbaren gerichtlichen Vergleich gem. § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB i. V. m. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG zugunsten der KVB dar, auch wenn kein Vertreter der KVB dem Vergleichsabschluss zugestimmt hat.
Da die Verjährungsfrist vorliegend gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB 30 Jahre beträgt, ist der Zahlungsanspruch der Klägerin nicht verjährt.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Satz 3 SGB V i. V. m. §§ 286, 288, 291 BGB und wurde antragsgemäß festgesetzt.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.