IT- und Medienrecht

Richterablehnung im einstweiligen Verfügungsverfahren

Aktenzeichen  3 HK O 2070/17

Datum:
19.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 120406
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 33 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 35 Abs. 1, § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 41 Abs. 1 S. 1
ZPO § 47 Abs. 1, § 138 Abs. 3, § 139 Abs. 2, § 567 Abs. 1 Nr. 2
AktG § 84, § 119 Abs. 1 Nr. 4
HGB § 277 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Wurde der Richter vor Beginn oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung abgelehnt, ist er gem. § 47 Abs. 1 ZPO nur zur Erledigung unaufschiebbarer Amtshandlungen befugt. Der abgelehnte Richter darf nur Handlungen vornehmen, die wegen ihrer Dringlichkeit keinen Aufschub dulden. Unaufschiebbar sind dabei nur solche Handlungen, die einer Partei wesentliche Nachteile ersparen oder bei deren Unterlassung Gefahr im Verzug ist.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Der während der mündlichen Verhandlung abgelehnte Richter kann bis zum Verhandlungsschluss alle Handlungen im Rahmen der formellen und materiellen Prozessleitung vornehmen und insoweit auch (prozessleitende) Entscheidungen treffen.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch bei der einstweiligen Verfügung findet eine volle, nicht nur eingeschränkte Schlüssigkeitsprüfung statt. Die den Verfügungsanspruch ergebenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen. Der Umfang der Glaubhaftmachung hängt dabei von der Intensität des Eingriffs in der Sphäre des Schuldners ab. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.03.2017 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag abgelehnt.
2.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 100.000 € festgesetzt.  

Gründe

I.
Vor dem Hintergrund der tatbestandlichen Feststellungen war die zunächst erlassene einstweilige Verfügung vom 31.03.2017 aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag abzulehnen; denn die Antragstellerin hat nicht das Vorliegen aller insoweit erforderlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch dargelegt. Dies gilt insbesondere für das Erreichen der Umsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Dabei war das erkennende Gericht befugt, die Angelegenheit durch Endurteil zu entscheiden, obwohl die Antragstellerin den Vorsitzenden vor und im Termin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat.
1. Das Gericht war und ist in seiner Besetzung befugt und berufen, über den Rechtsstreit instanzabschließend zu entscheiden.
a) Das Befangenheitsgesuch vom 15.05.2017 richtet sich gegen die Richter, die die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung vom 31.03.2017 einstweilen eingestellt und das Befangenheitsgesuch gegen den inzwischen verstorbenen Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Dannreuther als unbegründet zurückgewiesen haben, namentlich auch die Handelsrichter Schmitt und Dr. Niedermeier. Diese sind an der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2017 und der hier zu treffenden Entscheidung nicht beteiligt. Das Gesuch hat damit insoweit hier keine Bedeutung und ist gegenstandslos.
b) Anders verhält es sich bei der Person des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts. Dieser war und ist indes im Hinblick auf die Regelung des § 47 ZPO trotz beider Ablehnungsgesuche befugt, die mündliche Verhandlung zu leiten und an dem hiesigen Urteil mitzuwirken.
aa) Der abgelehnten Richter ist grundsätzlich verpflichtet, sich jeder Amtshandlung zu enthalten (Handlungsverbot, Wartepflicht). Diese Pflicht besteht grundsätzlich bei Vorliegen eines nicht erledigten Ablehnungsgesuchs. Das Handlungsverbot beginnt mit der Stellung (Anbringung) des Ablehnungsantrags und endet mit seiner rechtskräftigen Erledigung. Der abgelehnte Richter hat namentlich jede Handlung zu unterlassen, durch die die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch beeinflusst werden könnte. Die Wartepflicht bewirkt im Ergebnis einen Verfahrensstillstand. Ausnahmen vom Handlungsverbot gelten bei unaufschiebbaren Amtshandlungen und unter Umständen bei Fortsetzung einer begonnenen mündlichen Verhandlung; eine „ungeschriebene“ Ausnahme von der Wartepflicht greift bei offensichtlich missbräuchlichen Ablehnungsgesuchen ein (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 47 Rn. 2 m. zahlreichen w. N.).
bb) Wurde der Richter – wie hier mit dem ersten Gesuch vom 15.05.2017 – vor Beginn oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung abgelehnt, ist er gem. § 47 Abs. 1 ZPO nur zur Erledigung unaufschiebbarer Amtshandlungen befugt. Der abgelehnte Richter darf nur Handlungen vornehmen, die wegen ihrer Dringlichkeit keinen Aufschub dulden. Unaufschiebbar sind dabei nur solche Handlungen, die einer Partei wesentliche Nachteile ersparen oder bei deren Unterlassung Gefahr im Verzug ist. Dazu gehören insbesondere: Maßnahmen der Sitzungspolizei, Eilentscheidungen, zum Beispiel die Einstellung der Zwangsvollstreckung, Arrest und einstweilige Verfügung (ggf. auch durch Urteil), in Ausnahmefällen auch sonst Endurteile. Die zulässig gem. § 47 Abs. 1 ZPO vorgenommenen Amtshandlungen verstoßen nicht gegen das Verbot der Wartepflicht und sind wirksam (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O. Rn. 3 m. w. N., strittig bzgl. Endurteilen außerhalb von Eilverfahren; Beck‘scher Online-Kommentar ZPO, Stand 01.03.2017 § 47 Rn. 4.1.). Bei der Bewertung, welche Eilmaßnahme dem abgelehnten Richter noch gestattet ist, kommt es im Übrigen auf die Umstände des einzelnen Falles an. Nicht maßgeblich sind die Erfolgsaussichten des Ablehnungsgesuchs, so dass die Eilkompetenz selbst dann besteht, wenn das Gesuch voraussichtlich begründet wäre (vgl. Müko/Stackmann, 5. Aufl., 2016, § 47 Rn. 4, 5).
cc) Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 ZPO vor. Zunächst ist der Anwendungsbereich der genannten Regelung eröffnet; denn das erste Befangenheitsgesuch datiert vom 15.05.2017, dem Tag vor der mündlichen Verhandlung. Zudem waren sowohl die Durchführung des Termins zur mündlichen Verhandlung als auch die hiesige Entscheidung unaufschiebbare Handlungen im Sinne des § 47 Abs. 1 ZPO. Zwar trägt die Antragstellerin im Termin am 16.07.2017 vor, dass aus ihrer Sicht keine Eilbedürftigkeit ersichtlich ist, da die Aktien inzwischen begeben seien, „sodass eine heutige einstweilige Verfügung, gleich ob eine Aufrechterhaltung oder Aufhebung keinen Einfluss mehr hat, zumal die vom Vorsitzenden in den Raum gestellte Ausschließung von Stimmrechten weder beantragt noch im Interesse der Verfügungsklägerin ist“. Diese wende sich nicht gegen das Stimmrecht der Verfügungsbeklagten, sondern gegen eine Beteiligung eines Konkurrenten an einem anderen Konkurrenten. Diesen Vortrag als richtig unterstellt, dürfte die Antragstellerin kein Interesse mehr am – von ihr gleichwohl beantragten – Fortbestand der einstweiligen Verfügung vom 31.03.2017 haben, wenn diese keinen Einfluss mehr haben soll. Zudem ist es selbstverständlich für jedes Konkurrenzunternehmen von Interesse, von welchen Mehrheitsverhältnissen Entscheidungen des Mitbewerbers abhängen. Darüber hinaus dokumentiert die Antragstellerin selbst ihr Interesse an der Verhinderung der Umwandlung der Anleihe in Aktien der Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme zum Widerspruch vom 15.05.2017: In der Vorbemerkung zieht sie aus dem Verstoß gegen die quasi außer Vollzug gesetzte einstweilige Verfügung den Schluss der Nichtigkeit des Umwandlungsaktes der Anleihe in Aktien. Sie rügt ferner, dass es sich bei der Begebung der Wandelschuldanleihe um ein Vorhaben gehandelt habe, das von der zuvor eingeholten Ermächtigung der Hauptversammlung nicht gedeckt gewesen sei. Zum eigentlichen Zweck der Pflichtwandelanleihe konstatiert die Antragstellerin, dass diese in Wirklichkeit der „Schaffung eines weißen Ritters, also eines Aktionärs diene, mit dessen Stimmen sich Vorstand und Aufsichtsrat ihre Position gegenüber den Interessen der Minderheitsaktionärin C. International Investment GmbH bewahren wollen“. Ob und inwieweit der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch hier Nachteile für sie abwenden kann, beschreibt die Antragstellerin an keiner Stelle. Vielmehr stellt sie allein auf interne Vorgänge und Auswirkungen etwa gegenüber einer Aktionärin (!) der Antragsgegnerin ab. Dies legt zumindest nahe, dass es der Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedenfalls auch darum geht, interne Vorgänge vor der Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu beeinflussen. Dies gilt umso mehr, als sie im Rahmen ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ausdrücklich die Befürchtung hegt, dass die Antragsgegnerin Aktien ausgeben wird, damit das Stimmrecht aus diesen Aktien ausgeübt werden kann (Bl. 4 d. A.). Die gegen die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.05.2017 vorgebrachten Gesichtspunkte sind jedenfalls im Hinblick auf den eigenen schriftlichen Sachvortrag der Antragstellerin vor diesem Hintergrund nicht stichhaltig. Demgegenüber steht die auf den 24.05.2017 terminierte Hauptversammlung unmittelbar bevor. Ein Zuwarten bis zu einer formellen Rechtskraft der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch hätte eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit des Umwandlungsaktes der Anleihe in Aktien zur Folge. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Erlass des hiesigen Endurteils sind die einzigen Maßnahmen, einen solchen Zustand zu verhindern. Dies gilt umso mehr, als eine derartige Unsicherheit etwa dazu führen könnte, dass unklar ist, ob und mit welcher Mehrheit Beschlüsse der Hauptversammlung gefasst wurden. Angesichts deren Entscheidungskompetenz insbesondere über die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrates (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG), der wiederum die Vorstandsmitglieder bestellt (§ 84 AktG), über Satzungsänderungen (§ 119 Abs. 1 Nr. 5) oder über Maßnahmen der Kapitalbeschaffung oder –herabsetzung liegt es auf der Hand, dass sich solche Unsicherheit fortsetzt bis zur Besetzung der Organe der Antragsgegnerin und zu dem Umfang deren Kapitals. Dass gerade für ein börsennotiertes Unternehmen wie die Antragsgegnerin eine derartige Unsicherheit gravierende negative Folgen nach sich zieht, liegt auf der Hand.
dd) Auf die Frage, ob vorliegend die Besorgnis der Befangenheit begründet ist oder sein dürfte, kommt es damit angesichts der Unaufschiebbarkeit der zu treffenden Entscheidung und der durchgeführten mündlichen Verhandlung nicht an (s. o.).
ee) Dass die Antragstellerin durch ihren Vertreter im Termin ihren Ablehnungsgesuch erweiterte bzw. ergänzte, ist für die hiesige Entscheidung ohne Bedeutung und rechtfertigt keine andere Beurteilung.
(1) Die Handlungsbefugnis bei Ablehnung während der mündlichen Verhandlung richtet sich nach § 47 Abs. 2 ZPO. Die mit Wirkung vom 1.9.2004 durch das 1. JuMoG nach dem Vorbild von § 29 Abs. 2 StPO eingefügte Vorschrift soll missbräuchlichen, nur der Verzögerung dienenden Ablehnungsgesuchen vorbeugen und Vertagungen bei letztlich unbegründeten Ablehnungen vermeiden. Voraussetzungen der erweiterten Handlungsbefugnis sind die Ablehnung während der mündlichen Verhandlung, die bereits begonnen haben muss, und die Vermeidung einer Vertagung der mündlichen Verhandlung als Folge der Ablehnung: Diese Voraussetzung dürfte stets erfüllt sein; selbst wenn eine Entscheidung über den Ablehnungsantrag während einer Unterbrechung der Verhandlung „sofort“ herbeigeführt werden könnte, könnte doch vor „rechtskräftiger“ Erledigung des Beschwerdeverfahrens nicht weiter verhandelt werden (s Rn 1), so dass eine Vertagung auch dann unumgänglich ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 47 Rn. 3a). Zu Umfang und Grenzen der Handlungsbefugnis gilt Folgendes: Der abgelehnte Richter kann bis zum Verhandlungsschluss alle Handlungen im Rahmen der formellen und materiellen Prozessleitung vornehmen und insoweit auch (prozessleitende) Entscheidungen treffen. Hauptanwendungsfall ist die Durchführung einer beschlossenen Zeugen- oder Sachverständigen-Beweisaufnahme. Nur „der“ begonnene Termin darf zu Ende geführt werden; § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO gestattet kein Tätigwerden in einem neu anzuberaumenden Fortsetzungstermin und grundsätzlich keine außerhalb der mündlichen Verhandlungen vorzunehmenden Amtshandlungen und keine endgültigen, einer Wiederholung unzugänglichen Sachentscheidungen, auch bei Entscheidungsreife insbesondere nicht den Erlass eines Endurteils (Zöller/Vollkommer, a. a. O.).
(2) Indes stellt dies nur den Grundsatz dar. Dies folgt aus der Rechtsprechung des BGH: Danach kann zwar ein Termin bei drohender Vertagung unter Mitwirkung des abgelehnten Rechtspflegers/Richters fortgesetzt werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls eine Endentscheidung erst nach Bescheidung des Ablehnungsgesuchs ergehen darf. Der BGH schränkt dies jedoch dahingehend ein, dass dies nur grundsätzlich so ist, also ausnahmsweise anders zu beurteilen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2007, Az. V ZB 3/07, Rn. 6, zitiert nach juris).
(3) Eine derartige Ausnahmesituation liegt hier vor. Letztlich und im Ergebnis ist das 2. Ablehnungsgesuch bzw. die Ergänzung des ersten im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf gestützt, dass der Vorsitzende ungeachtet seiner (ersten) Ablehnung das Eilverfahren fortsetzt, ohne die Eilbedürftigkeit zu erläutern, und dies auf die Regelung des § 47 ZPO gestützt hat. Damit besteht folgende Konstellation: Aufgrund des ersten Ablehnungsgesuchs war der Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 ZPO eröffnet, der nach weit überwiegender Kommentierung jedenfalls in Eilverfahren die Durchführung einer – unaufschiebbaren – mündlichen Verhandlung und eine Endentscheidung ermöglicht. In dieser Situation ein zweites Gesuch bzw. einer Ergänzung des ersten (aufgrund neuer Umstände wie hier die Fortsetzung des Verfahrens in Anwendung des § 47 Abs. 1 ZPO) dem vom BGH formulierten Grundsatz zu unterwerfen, konterkarierte den Zweck der Regelungen des § 47 ZPO, die es dem Richter in Abs. 1 ermöglichen, alle keinen Aufschub duldenden Maßnahmen zu ergreifen, und in Abs. 2 bei einer Ablehnung eines Richters in der mündlichen Verhandlung die Handlungsbefugnisse des abgelehnten Richters erweitern wollten (vgl. Beck‘scher Online-Kommentar, Stand 01.03.2017, § 47 Rn. 1). Würde man in dieser besonderen Situation der Anwendung des § 47 Abs. 1 ZPO im Eilverfahren den Grundsatz zu den Handlungsgrenzen des abgelehnten Richters anwenden müssen, bedeutete dies die einfache Möglichkeit, durch bloße Stellung eines weiteren Befangenheitsgesuchs im Termin eine unaufschiebbare Entscheidung zu verhindern. Dies wiederum liefe dem Normzweck des § 47 ZPO zuwider, das Gericht trotz Ablehnung hinsichtlich unaufschiebbarer Maßnahmen handlungsfähig zu halten und selbst in einer derartigen Prozesssituation noch effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dass in besonderen Fällen, etwa bei einem Gesuch mit dem Ziel der Prozessverschleppung, das Gericht auch unter Beteiligung des abgelehnten Richters entscheiden kann, ändert an dieser Bewertung nichts. Denn auch in diesem Fall würde die ablehnende Entscheidung nicht sofort formell rechtskräftig, sondern unterläge grundsätzlich der zweiwöchigen Beschwerdefrist des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Anders verhielte es sich, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Anwendung des § 47 Abs. 1 ZPO, auf den der Vorsitzende zu Beginn der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, unsachliche bzw. sachfremde Erwägungen zugrunde lägen. Hierzu hat die Antragstellerin aber nichts vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich.
2. Vor dem Hintergrund der tatbestandlichen Feststellungen und des wechselseitigen Parteivortrages war die einstweilige Verfügung vom 31.03.2017 aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag abzuweisen. Denn die Antragstellerin hat das Bestehen eines Verfügungsanspruchs nach wie vor nicht vollständig dargelegt, von einer Glaubhaftmachung ganz zu schweigen.
a) Die im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und im weiteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgetragenen Tatsachen müssen den Verfügungsanspruch ergeben und die für den Verfügungsgrund erforderliche Gefahr begründen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 922 Rn. 5). Dabei findet auch bei der einstweiligen Verfügung eine volle, nicht nur eingeschränkte Schlüssigkeitsprüfung statt. Die den Verfügungsanspruch ergebenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen. Der Umfang der Glaubhaftmachung hängt dabei von der Intensität des Eingriffs in der Sphäre des Schuldners ab (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 935 Rn. 7 u. 8 m. w. N.). Dementsprechend obliegt es der Antragstellerin im hiesigen Verfahren, die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch gem. § 33 Abs. 1 GWB darzulegen und glaubhaft zu machen. Konkret bedeutet dies, dass die Antragstellerin gehalten ist, darzulegen, dass die Antragsgegnerin insbesondere gegen eine Vorschrift des GWB verstößt bzw. zu verstoßen droht und die Antragstellerin durch den Verstoß beeinträchtigt ist bzw. wird (vgl. § 33 Abs. 1 S. 1 u. 2 GWB). Die danach erforderliche Darlegung des Gesetzesverstoßes, wie ihn die Antragsschrift annimmt, muss dementsprechend Sachvortrag dazu beinhalten, dass die Ausgabe von Aktien an die J2. Capital Holding GmbH durch die Antragsgegnerin einen nach § 41 Abs. 1 S. 1 GWB verbotenen Vollzug eines gem. § 39 Abs. 1 S. 1 GWB anzeigepflichtigen, aber nicht angezeigten und vom Bundeskartellamt nicht freigegebenen bzw. nicht als freigegeben geltenden Zusammenschlussvorhabens „G./Ningbo“ ist. Dies wiederum bedingt, dass die Antragstellerin darlegt und glaubhaft macht, dass vorliegend die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle überhaupt zur Anwendung kommen, also die Voraussetzungen des § 35 GWB erfüllt sind.
b) Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Die Antragstellerin hätte nämlich insbesondere vortragen und glaubhaft machen müssen, dass im Jahre 2016 als dem letzten Geschäftsjahr vor dem beanstandeten „Zusammenschluss“ im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro und ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Insoweit behauptet die Antragstellerin indes lediglich, dass N. J. Auto Parts Co. Ltd. in Deutschland im Jahr 2016 einen Umsatz in Höhe von über EUR 5 Mio. gehabt haben dürfte. Der Sachvortrag ist insoweit im Konjunktiv gehalten. Dass der Umsatz(erlös) tatsächlich diesen Wert erreicht oder überschritten hat, trägt die Antragstellerin aber nicht vor, von einer Glaubhaftmachung ganz zu schweigen. Im Rahmen ihrer rechtlichen Bewertung schildert sie stattdessen, dass die Schwellenwerte nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB überschritten sind, soweit dies in Erfahrung zu bringen war. Was sie in Erfahrung gebracht hat, legt die Antragstellerin aber nicht offen. Vielmehr stellt sie darauf ab, dass die Zahlen der N. J. Auto Parts Co. Ltd. für das Jahr 2016 zwar noch nicht bekannt sind bzw. von der Antragsgegnerin nicht bekannt gegeben werden. Wieso die Antragsgegnerin hier etwas bekannt geben sollte, bleibt jedoch offen. Die N. J. Auto Parts Co. Ltd. soll ferner im Jahr 2015 weltweit Umsätze in Höhe von ca. EUR 140 Mio. und davon 87% in China und 13%, d. h. ca. 18,2 Mio., in den USA, Europa und Japan erzielt haben. Wie unter Berücksichtigung der Bedeutung der deutschen Autohersteller im Vergleich zu den sonstigen Autoherstellern in den USA, Europa und Japan der Schluss zulässig sein soll, dass der Inlandsumsatz der N. J. Auto Parts Co. Ltd. in 2016 die Grenze von 5 Mio. EUR überschritten hat, erschließt sich nicht. Diese Annahme ist im Übrigen bereits deshalb kritisch zu hinterfragen, weil in mehreren europäischen Ländern (neben Deutschland etwa Frankreich, Spanien, Italien, Tschechien, Schweden) für unterschiedliche Marken und Autohersteller Fahrzeuge oder deren Komponenten zum Teil grenzüberschreitend hergestellt bzw. zusammengebaut werden. Eine Tatsachengrundlage für die Schlussfolgerung der Antragstellerin, dass in Deutschland etwas mehr als ein Drittel der Umsätze für Europa, die USA und Japan insgesamt erlöst werden, ist nicht ersichtlich. Damit fehlt es an einem schlüssigen Sachvortrag zum Erreichen der Umsatzschwelle und damit zur Eröffnung der Zusammenschlusskontrolle, die das Bundeskartellamt „auf den Plan rufen“ könnte. Dies gilt umso mehr, als sich der Schwellenwert des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB nach § 38 GWB richtet: Danach gilt für die Ermittlung der Umsatzerlöse die Regelung des § 277 Abs. 1 HGB. Als Umsatzerlöse sind danach Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen nach Abzug von Erlösschmälerungen und der Umsatzsteuer sowie sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern auszuweisen. Für den Handel mit Waren sind nur ¾ der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen (§ 38 Abs. 2 GWB). Vorliegend ist anhand des aktuellen Sachvortrages der Antragstellerin, der auf ein Zahlenwerk vollständig verzichtet, nicht nachzuvollziehen, wie sich der Schwellenwert errechnen könnte.
c) Auch der weitere Sachvortrag der Antragstellerin in ihrer Stellungnahme zum Widerspruch der Antragsgegnerin und im Termin zur mündlichen Verhandlung gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
aa) Die Antragstellerin moniert, dass die Antragsgegnerin nach deren Vorbringen die Wandelschuldanleihe begeben habe, ohne eine fundierte Kenntnis zur Frage des Erreichens der Umsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB gehabt zu haben. Kritisiert wird auch, dass der Inhalt der von der Antragsgegnerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen des J. W. unpräzise sei und der Umsatz „künstlich“ nach China verlegt werde, obwohl er tatsächlich im Inland erzielt worden sei. Dabei sieht die Antragstellerin die Darlegungslast bei der Antragsgegnerin. Zutreffend ist, dass im Rahmen der sekundären Darlegungslast sich der Gegner der primär darlegungspflichtigen Partei nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken darf, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGHZ 163, 209ff. Rn. 18, zitiert nach juris). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden. Genügt er dem (ggf. nach richterlichem Hinweis gem. § 139 Abs. 2 ZPO) nicht, ist der gegnerische Vortrag gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 138 Rn. 8b m. w. N.). Vorliegend erschließt sich aus dem wechselseitigem Vorbringen nicht, dass, weshalb und in welchem Umfang die Antragsgegnerin belastbare Kenntnis vom Umsatz der N. J. Auto Parts Co. Ltd. in 2016 in Deutschland haben soll. Es liegt in der Natur der Sache, dass der in Vollnarkose operierte Patient keine Angaben zum fehlerhaften Operationsverlauf machen kann, sondern in erster Linie der Operateur. Die Situation ist vorliegend anders. Die N. J. Auto Parts Co. Ltd. ist Geschäftspartner der Antragsgegnerin und – nach Wandelung der Anleihe in Aktien – deren „strategischer Aktionär“. Woher eine Aktiengesellschaft die Inlandsumsätze ihrer Aktionäre kennen und wissen soll, ob die Zahlen richtig sind, bleibt nach dem Sachvortrag der Antragstellerin offen. Damit liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer sekundären Darlegungslast nicht vor. Es bleibt damit dabei, dass es die Antragstellern ist, die die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Unterlassungsanspruchs darzulegen und glaubhaft zu machen hat. Dies hat sie bis jetzt nicht getan. Daran ändert es auch nichts, dass die Antragsgegnerin gegenüber dem Bundeskartellamt zum Inlandsumsatz von N. J. Auto Parts Co. Ltd. Angaben gemacht und von der Antragstellerin angezweifelte Zahlen genannt hat (vgl. Anlage AG 12). Zum einen ergibt sich aus ihnen, dass die Umsatzschwelle nicht erreicht ist. Zum anderen lässt sich die Richtigkeit der Zahlen mangels näherer Angaben dazu nicht nachvollziehen. Es ist auch unklar, ob der Antragsgegnerin insoweit nähere Angaben möglich wären. Die Auskunft gegenüber dem Bundeskartellamt lässt die Verteilung von Darlegungs- und Beweislast somit unberührt.
bb) Die Ausführungen zur fehlenden Darlegung und Glaubhaftmachung gelten auch im Hinblick auf das Vorbringen der Antragstellerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.05.2017. Dort trug die Antragstellerin vor, dass der unstreitige Auftrag der BMW AG für die Lieferung von Kopfstützen für die 3er Reihe des BMW nach ihren internen Berechnungen einen Umsatz von mindestens sieben Millionen € je Geschäftsjahr zur Folge habe. Die Entscheidungen über den Einkauf würden im Inland getroffen. Daher handele es sich schon nach dem eigenen Vorbringen der Antragsgegnerin um Inlandsumsätze. Mit diesem Vortrag gibt die Antragstellerin zum einen zu erkennen, dass sie über eine Berechnungsgrundlage verfügt, mit dem sie ein Überschreiten Umsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB von N. J. Auto Parts Co. Ltd. in den letzten Jahren ermitteln konnte, ohne dass sie diese dem Gericht offenlegt, was im Übrigen auch gegen das Bestehen einer sekundären Darlegungslast der Antragsgegnerin insoweit spricht. Zum anderen bleibt die Behauptung mangels der offensichtlich möglichen Offenlegung ihrer Grundlage unsubstantiiert und ist damit nicht hinreichend dargelegt.
cc) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin quasi gegenbeweislich mit dem Schreiben des Bundeskartellamts vom 25.04.2017 (Anlage AG 11) glaubhaft gemacht, das N. J. Auto Parts Co. Ltd. im Jahr 2016 die Umsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht erreicht hat. Grundsätzlich müssen tatsächliche Behauptungen, auf die eine gerichtliche Entscheidung gestützt werden soll, in einem gesetzlich geregelten Verfahren (§§ 284, 355-494a ZPO) bewiesen werden, d. h. es muss die richterliche Überzeugung von der Wahrheit der streitigen Behauptung begründet werden. An zahlreichen Stellen verlangt das Gesetz jedoch nur Glaubhaftmachung (wie z. B. bei § 920 Abs. 2 ZPO). In diesen Fällen tritt an die Stelle des Vollbeweises eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 294 Rn. 1). Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin ist überwiegend unwahrscheinlich, dass N. J. Auto Parts Co. Ltd. die Umsatzschwelle erreicht hat. So führt das Bundeskartellamt aus, dass das von der Antragsgegnerin angemeldete streitgegenständliche Zusammenschlussvorhaben nicht anmeldepflichtig ist, da die Zusammenschlussbeteiligten die relevanten Umsatzschwellen des § 35 Abs. 1 GWB nicht erreichen.
dd) Folglich stellt sich auf Basis des derzeitigen Sachvortrages der Antragstellerin und des nach der Beschlussverfügung eingegangenen Widerspruchs der Antragsgegnerin die erlassene einstweilige Verfügung als rechtswidrig dar, weil es an der Darlegung einer Anspruchsvoraussetzung fehlt. Die Verfügung war deshalb aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag abzuweisen.
II.
Die Entscheidung über die Kosten richtet sich nach § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 6 ZPO.

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