IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Annahmeverzug, Zulassung, Rechtsanwaltskosten, Schadensersatzanspruch, Pkw, Software, Kaufpreis, Fahrzeug, Mangel, Schadenersatz, Betrug, Verkauf, Beweislast

Aktenzeichen  21 O 622/19

Datum:
23.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53606
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823
StGB § 263
StGB § 25

 

Leitsatz

Schadenersatz für den Verkauf eines PKW AUDI SQ5 3.0 TDI mit Prüfstanderkennung und Abschaldung einer stickoxidreduzierenden Aufwärmstrategien außerhalb des NEFZ.

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46.609,86 € nebst Zinsen hieraus in Höhe fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.09.2019 und in Höhe von vier Prozent jährlich aus 55.042,02 € vom 16.01.2017 bis zum 09.09.2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw A. mit der Fahrgestellnummer ….
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.531,90 € nebst Zinsen in Höhe fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2019 zu zahlen.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 3/10 und die Beklagte zu 7/10 zu tragen.
VI. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
VII. Der Streitwert wird auf 65.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, § 263 Abs. 1, § 25 Abs. 1 zweite Alternative StGB dahingehend zu, dass die Klagepartei so zu stellen ist als hätte sie den Pkw nicht gekauft.
Da der Kläger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, ist vom Nettokaufpreis in Höhe von 55.042,02 € auszugehen. Unter Anrechnung eines Nutzungsvorteils in Höhe von 8.432,16 € verbleibt bei Herausgabe des Pkw ein Zahlungsanspruch in Höhe von 46.609,86 € nebst Zinsen (1.). Daneben hat die Beklagte die für die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.531,90 € nebst Zinsen zu zahlen (2.). Soweit höhere Beträge und Zinsen begehrt worden sind, war die Klage im Übrigen abzuweisen. Der Annahmeverzug folgt spätestens aus dem Angebot mit dem Klageantrag.
Aus der im Parallelverfahren 21 O 626/19 vorgelegten Anlage K2 (Bescheid über die Anordnung einer nachträglichen Nebenbestimmung zur EG-Typgenehmigung der Gesamtfahrzeuge A. Diesel Euro 6, Typ – und … Diesel Euro 6, Typ -) ist gerichtsbekannt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt im Jahr 2017 bei diesen Fahrzeugen aufgrund der von A. in mehreren Besprechungen vorgelegten Dokumente eine unzulässige Abschalteinrichtung im Emissionskontrollsystem festgestellt hat, die die Bedingungen der Prüfung im NEFZ erkennt und so eng bedatet ist, dass eine Aufheizstrategie zur Reduzierung von NOx und zuverlässigen Einhaltung des diesbezüglichen Grenzwerts von 80 mg/km nahezu ausschließlich unter den im NEFZ definierten Prüfstandbedingungen funktioniert. Schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie (Bescheid Seite 2 letzter Absatz). Wird die Aufheizstrategie abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten (Bescheid Seite 3 Mitte).
Damit weist der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor EA8* …bit eine Software auf, die auf dem Prüfstand unter den zur Erlangung der EG-Typgenehmigung maßgeblichen Bedingungen NOx zusätzlich reduziert. Im Rahmen der vom NEFZ umschriebenen Prüfbedingungen ist jedoch eine Abweichung der Funktion der Abgasreinigung zwischen Prüfstand und tatsächlichem Verhalten beim Gebrauch des Fahrzeugs nicht zulässig.
Die bei Herstellung des Fahrzeugs verbaute Software verstößt gegen die Vorschriften zur EG-Typgenehmigung, die auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung abstellen (EG VO 715/2007 Erwägungsgrund 12).
Auch wenn die Technik zur Optimierung des Stickoxidemissionsverhaltens auf dem Prüfstand damit beim Motor EA8* …bit (Aufheizstrategie) eine andere ist als beim EA189 (höhere Abgasrückführungsrate), dient sie mangels anderer plausibler Erklärung ebenso der bewussten Täuschung zur rechtswidrigen Erlangung der EG-Typgenehmigung, so dass der Einzelrichter die Klagepartei wie einen Fahrzeugkäufer eines Fahrzeugs mit einem Motor EA189 behandelt.
1. Der Verkauf des Fahrzeugs durch den hinsichtlich der vorbezeichneten Abgasproblematik unwissenden Verkäufer stellt einen von der Beklagten als mittelbare Täterin gegenüber der Klagepartei begangenen Betrug dar.
Die Handlungen der Beklagten bei der Entwicklung und Herstellung des Motors EA8* …bit dienten zum Absatz möglichst vieler Fahrzeuge der Beklagten. Dabei ist vom Vorsatz des Herstellers nach Auffassung des Einzelrichters auch der (mitunter mehrfache) Weiterverkauf der Fahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt erfasst, weil dem Verkauf von als Neufahrzeugen erworbenen Fahrzeugen meist eine Nachbestellung eines Neufahrzeugs folgt und der Gebrauchtwagenmarkt insoweit mittelbar der Förderung des Absatzes von Fahrzeugen im Konzern dient. Wäre ein Fahrzeug wegen negativer Fahrzeugeigenschaften nicht oder nur eingeschränkt auf dem Gebrauchtmarkt handelbar, so fehlten potentiellen Neuwagenkäufern regelmäßig erhebliche finanzielle Mittel um sich wieder einen Neuwagen anzuschaffen. Entsprechendes gilt für Gebrauchtwagenkäufer. Das Funktionieren des Gebrauchtwagenhandels dient auch dem Hersteller. Das Argument des Wiederverkaufswerts wird bei Fahrzeugtests regelmäßig mitbewertet (vgl. nur Vergleichstests in „A., M. und S.“ und „A. B.“), was gerichtsbekannt ist.
Der streitgegenständliche Pkw wies bereits bei Abschluss des Kaufvertrags und Übergabe an die Klagepartei einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Eine Sache ist danach frei von Mängeln, wenn eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, sie sich aber für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Das ist vorliegend nicht der Fall. Ein durchschnittlicher Käufer kann davon ausgehen, dass ein Pkw zumindest den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test unter den gesetzlich festgelegten Laborbedingungen ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert (vgl. Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, Az.: 2 O 72/16, Rn. 21 bis 25 nach juris m.w.N.). Insoweit ist auch ein schwerwiegender Mangel gegeben, da der Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerten bei Fahrzeugemissionen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Beklagte war nach § 13 StGB als Herstellerin verpflichtet, über dessen Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben potenzielle Käufer des Fahrzeugs zu unterrichten. Das ist nicht geschehen. Hierdurch wurde bei der Klagepartei ein Irrtum (über die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der hieraus resultierenden Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs) erregt. Sie hat durch den Erwerb des Fahrzeugs über ihr Vermögen verfügt und aufgrund des dem Fahrzeug anhaftenden Mangels einen Schaden erlitten. Die auf dem Verhalten der Beklagten beruhende Täuschung der Klagepartei und der hierauf beruhende Irrtum war für die Vermögensverfügung der Klagepartei und den ihr hierdurch entstandenen Schaden auch ursächlich. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein redlicher Käufer eines Fahrzeugs, das die gesetzlichen Normen und Vorgaben nicht einhält und dadurch mangelbehaftet ist, nicht erwerben bzw. lediglich zu einem am bloßen Materialwert orientierten Kaufpreis. Im Umfang des bei der Klagepartei eingetretenen Schadens sind unmittelbar und stoffgleich die Beklagte bereichert worden. Sie hat für das an die Klagepartei veräußerte Fahrzeug mehr als den bloßen Materialwert erhalten (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, Az.: 9 O 6119/16). Die Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, um ihre eigenen Einnahmen zu steigern. Die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte unter serienmäßiger Verwendung einer dafür konzipierten Software für den vorgesehenen Rollenprüfstand zur Herbeiführung unterschiedlicher Einstellungen für Prüfstand und normalen Straßenverkehr stellt eine systematisch für eine Vielzahl von Fällen angelegte verdeckte Vorgehensweise dar, die von vornherein auf eine Täuschung der Kunden bzw. Käufer der betroffenen Fahrzeuge gerichtet ist (im Ergebnis ebenso LG München I, Urteil vom 14.04.2016, 23 O 23033/15, Ziffer I. 1. sowie Urteil des LG Krefeld vom 14.09.2016, 2 O 72/16, Rn. 37 und 38). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte als juristische Person nach § 31 BGB für Vorstand, Mitglieder des Vorstands und verfassungsmäßig berufene Vertreter einzustehen. Bei Gesamtvertretung genügt insoweit das Verschulden eines Vertreters. Zudem ist § 31 BGB auf andere Organe, wie die Mitgliederversammlung oder den Aufsichtsrat, entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt, BGB, 79. Aufl., § 31 Rn. 5 f.). Bereits nach den vorliegend unstreitigen Begleitumständen ist davon auszugehen, dass eine Einstandspflicht der Beklagten nach diesen Grundsätzen gegeben ist. Die Beeinflussung einer Motorsoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den Prüfstand stellt eine wesentliche unternehmerische Weichenstellung mit erheblicher Reichweite für den Produktionsablauf dar, deren Umsetzung einen erheblichen Eingriff in den Produktionsablauf darstellt und die Implementierung entsprechender interner Strukturen, insbesondere für die Entwicklung und Eingliederung der Software in den Produktionsablauf, erfordert. Diese Umsetzung erscheint ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Kenntnis und Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Beklagten aus der oberen Betriebshierarchie, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, ausgeschlossen. Daher ist es insoweit auch nicht ausreichend, wenn beklagtenseits lediglich die von der Klagepartei vorgetragene Kenntnis und Mitwirkung einzelner Personen aus dem Vorstandsbereich der Beklagten bestritten wird. Der Beklagten müssen aufgrund des Zeitablaufs von über zwei Jahren seit Bekanntwerden des Abgasskandals einerseits und der intern nachvollziehbaren grundlegenden organisatorischen Eingriffe in den Produktionsablauf in diesem Zusammenhang andererseits detaillierte Kenntnisse zum konkreten Geschehensablauf vorliegen, so dass es ihr möglich und zumutbar ist, diesen vollumfänglich darzulegen. Das hat sie aber nicht getan. Damit liegt insoweit kein ausreichendes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO vor, so dass im Ergebnis vom Vorliegen der subjektiven Betrugsmerkmale bei zur Vertretung der Beklagten berufenen Organen nach § 31 BGB auszugehen ist (vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2017, 9 O 6119/16, Ziffer I. 7.).
Damit ist die Beklagte der Klagepartei gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (durch den Betrug bedingter Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde. Wegen des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots ist der Wert des Vorteils, den die Klagepartei durch die Nutzung des Pkw erlangt hat, vom Kaufpreis abzuziehen.
Die Höhe der anzurechnenden Nutzungen errechnet sich in richterlicher Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) aus der Formel Kaufpreis x gefahrene km / (Gesamtlaufleistung – Laufleistung bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger). Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km erscheint für gewöhnlich genutzte Diesel-Pkw angemessen, da sie bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 km einer Nutzung von zwölfeinhalb Jahren entspricht. Eine längere Nutzungsdauer setzt erfahrungsgemäß über den eingesetzten Kaufpreis hinaus erhebliche Aufwendungen für Verschleißteile und Reparaturen hinaus, so dass bei erhöhter Laufleistung auch mit höheren Aufwendungen als nur dem Kaufpreis gerechnet werden müsste.
Vorliegend beträgt die jährliche Fahrleistung weniger als 7.000 km (Gesamtfahrleistung 30.874 km geteilt durch rund 38 Monate seit Übergabe am 11.01.2017 mal zwölf Monate für ein Jahr Nutzung), so dass von der allgemein üblichen Gesamtlaufleistung von 150.000 km auszugehen ist.
Damit errechnet sich ein Betrag von 8.432,16 € für die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen (= 55.042,02 € x [30.874 km bei mündlicher Verhandlung – 9.323 km bei Erwerb] / [150.000 km – 9.323 km]). Von dem Kaufpreis in Höhe von 55.042,02 € bleiben nach Abzug von 8.432,16 € noch 46.609,86 €. Diese Forderung ist mit dem gesetzlichen Zinssatz Ablauf der gesetzten Frist zu verzinsen (§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB). Ferner können für die Zeit davor ab Zahlung des Kaufpreises gemäß § 849 BGB gesetzliche Zinsen gemäß § 246 BGB in Höhe von vier Prozent jährlich verlangt werden.
2. Der deliktische Schadensersatzanspruch umfasst auch die zur Schadensabwendung erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt, a.a.O., § 249 Rn. 56 und 57). Auf Grundlage der zuzusprechenden Forderung bemisst sich der Gegenstandswert aus der Stufe bis 50.000,00 €, was eine 1,0 Gebühr in Höhe von 1.163,00 € zur Folge hat. In Anbetracht dessen, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, erscheint der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr ausreichend und angemessen. Dies sind 1.511,90 €. Zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale sind es netto insgesamt 1.531,90 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.
Der Streitwert folgt der Angabe in der Klageschrift und entspricht dem gezahlten Kaufpreis (brutto).

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