IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Leistungen, Rechtsanwaltskosten, Berufung, Meinungsfreiheit, Deckungszusage, Sperrung, Ordnungshaft, Inhaltskontrolle, Feststellung, Unterlassung, Auslegung, Leistungsbeschreibung, AGB, Treu und Glauben, einstweilige Anordnung, berechtigtes Interesse

Aktenzeichen  3 U 2008/20

Datum:
29.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 55123
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

11 O 5877/18 2020-05-20 Urt LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20.05.2020, Az. 11 O 5877/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 455,41 € durch Zahlung an die Kanzlei R… freizustellen.
1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nach Maßgabe der Ausführungen in den Gründen zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 61.000,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
I.
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte eine Äußerung des Klägers auf ihrer Social-Media-Plattform löschen und ihn deswegen mit einer Sperre belegen durfte.
1. Die Muttergesellschaft der Beklagten betreibt das soziale Netzwerk www…com. Anbieter und Vertragspartner der Nutzer mit Sitz in Deutschland ist die Beklagte. In Deutschland nutzen derzeit etwa 31 Mio. Menschen das Netzwerk.
Der Kläger unterhält unter dem Namen S…W…7… auf dieser Plattform ein privates Nutzerkonto und nimmt von der Beklagten angebotene Dienste in Anspruch.
Die Nutzung des Netzwerkes erfolgt auf der Grundlage einer einmaligen Anmeldung, bei der der Nutzer die Geschäftsbedingungen der Beklagten akzeptieren muss.
2. Bis zum 19.04.2018 waren die grundlegenden Regelungen für die Nutzung des Netzwerks der Beklagten in der Erklärung über die Rechte und Pflichten (Anlage B 4) geregelt:
5. Schutz der Rechte anderer Personen
Wir respektieren die Rechte anderer und erwarten von dir, dass du dies ebenfalls tust.
1. Du postest keine Inhalte auf … und führst keine Handlungen auf … durch, welche die Rechte anderer Personen verletzen oder auf sonstige Art rechtswidrig sind.
2. Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf … postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass sie gegen diese Erklärung bzw. unserer Richtlinien verstoßen.
14. Beendigung
Wenn du gegen den Inhalt oder den Geist dieser Erklärung verstößt oder auf andere Weise ein Risiko für uns darstellst bzw. uns, einem möglichen rechtlichen Risiko aussetzt, können wir die Bereitstellung von ….für Dich ganz oder teilweise einstellen. […]
Die Gemeinschaftsstandards der Beklagten in der bis zum 19.04.2018 geltenden Fassung (Anlage B 6) lauteten auszugsweise wie folgt:
„Hassbotschaften
… entfernt sämtliche Hassbotschaften, d.h. Inhalte, die Personen aufgrund der folgenden Eigenschaften direkt angreifen:
– Rasse,
– Ethnizität,
– Nationale Herkunft,
– Religiöse Zugehörigkeit,
– Sexuelle Orientierung,
– Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität oder
– Schwere Behinderungen oder Krankheiten.“
Die Präsenz von Organisationen und Personen, die Hass gegen diese geschützten Gruppen schüren, ist auf … nicht zulässig.
3. Am 19.04.2018 oder der nächsten Nutzung ihres Dienstes blendete die Beklagte bei allen Nutzern ein Popup-Fenster mit der Mitteilung über die beabsichtigte Änderung der Nutzungsbedingungen in Verbindung mit der Aufforderung, die „ich stimme zu“-Schaltfläche anzuklicken, ein. Durch eine entsprechende Verlinkung bestand die Möglichkeit, die neuen Bedingungen zuvor zur Kenntnis zu nehmen. Die Nutzer konnten im Anschluss hieran den …-Dienst nur dann weiternutzen, wenn sie ihre Zustimmung zu den geänderten Nutzungsbedingungen und anderen geänderten Bedingungen erteilten. Der Kläger betätigte am 26.04.2018 die Schaltfläche „ich stimme zu“.
Die Nutzungsbedingungen in der seit 19.04.2018 geltenden Fassung (Anlage B 7) lauten auszugsweise wie folgt:
„3. Deine Verpflichtungen gegenüber … und unserer Gemeinschaft

Du darfst unsere Produkte nicht nutzen, um etwas zu tun oder zu teilen, auf das Folgendes zutrifft: – Es verstößt gegen diese Nutzungsbedingungen, unsere Gemeinschaftsstandards und sonstige Bedingungen und Richtlinien, die für deine Nutzung von … gelten.“
Die „Gemeinschaftsstandards“ in der seit 19.04.2018 geltenden Fassung (Anlage B 9) lauten auszugsweise wie folgt:
“2. Gefährliche Personen und Organisationen
Wir möchten Schaden in der realen Welt verhindern und erlauben daher Organisationen oder Personen, die an Folgendem beteiligt sind, keine Präsenz auf …:
– Terroristische Handlungen
– Organisierter Hass
– Massen – oder Serienmord
– Menschenhandel
– Organisierte Gewalt oder kriminelle Handlungen
Wir entfernen auch Inhalte die Gruppen, Anführer oder Personen unterstützen oder verherrlichen, die an derartigen Handlungen beteiligt sind.

Eine Hassorganisation wird wie folgt definiert:
Jedweder aus drei oder mehr Personen bestehender Zusammenschluss, der unter einem Namen, Zeichen oder Symbol organisiert ist und dessen Ideologie, Aussagen oder physische Handlungen Personen aufgrund bestimmter Eigenschaften, wie u.a. ethnische Zugehörigkeit, religiöse Zugehörigkeit, Nationalität, ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, schwere Erkrankung oder Behinderung angreifen.

Inhalte, die irgendeine der oben genannten Organisationen oder Personen repräsentieren bzw. jedwede von ihnen begangenen Taten anpreisen, sind verboten.
12. Hassrede
Grundgedanke dieser Richtlinie
Wir lassen Hassrede auf F. grundsätzlich nicht zu. Hassrede schafft ein Umfeld der Einschüchterung, schließt Menschen aus und kann in gewissen Fällen Gewalt in der realen Welt fördern.
Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, […] sexuelle Orientierung […]. Auch Einwanderungsstatus ist in gewissen Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder entmenschlichen Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. Wir teilen Angriffe wie unten beschrieben in drei Schweregrade ein.
Manchmal teilen Menschen Inhalte, die Hassrede einer anderen Person enthalten, um für ein bestimmtes Thema zu sensibilisieren oder Aufklärung zu leisten. […] Dann lassen wir die Inhalte zu, erwarten jedoch, dass die Person, die solche Inhalte teilt, ihre Absicht deutlich macht, sodass wieder Hintergrund besser verstehen können. Ist diese Absicht unklar, wird der Inhalt unter Umständen entfernt.
Wir lassen Humor und Gesellschaftskritik in Verbindung mit diesen Themen zu […].
Angriffe mit Schweregrad 1 sind Angriffe, die auf eine Person oder Personengruppe abziehen, auf die eine der oben aufgeführten Eigenschaften oder der Einwanderungsstatus zutrifft. […] Ein Angriff wird hier wie folgt definiert: […] Bezugnahme auf oder Vergleich mitunter Menschlichkeit.
Angriffe mit Schweregrad 2 sind Angriffe, die auf eine Person oder Personengruppe abzielen, auf die eine der oben genannten Eigenschaften zutrifft. Ein Angriff wird hier wie folgt definiert:
Aussagen oder Begriffe der Minderwertigkeit, die implizieren, dass eine Person oder eine Gruppe körperliche, geistige oder moralische Defizite aufweist […].
Angriffe mit Schweregrad 3 sind Angriffe, die zum Ausschluss oder der Isolation einer Person oder Personengruppe aufgrund der oben aufgeführten Eigenschaften aufrufen. Wir lassen Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussion über die Einschränkung dieser Gesetze zu.
Inhalte, die Personen verunglimpfend beschreiben oder mit Verunglimpfungen angreifen. Verunglimpfungen werden als Ausdrücke bzw. Wörter definiert, die üblicherweise als beleidigende Bezeichnungen für die oben genannten Eigenschaften verwendet werden.”
II.
Der Kläger postete im Netzwerk der Beklagten folgende Beiträge:
1. Am 16.01.2018 postete der Kläger den nachfolgenden Beitrag (“Post 1“):
Der Beitrag wurde am 16.01.2018 entfernt und das klägerische Nutzerkonto für gewisse Funktionen gesperrt. Am 16.02.2018 wurde das Konto wieder freigeschaltet.
Mit E-Mail vom 08.06.2018 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und begehrte Aufhebung der Nutzungssperre, Freischaltung des Beitrags, Unterlassung des erneuten Sperrens, Auskunft und Schadensersatz.
2. Am 22.02.2018 veröffentlichte der Kläger nachfolgenden Beitrag (“Post 2“):
Dieser Beitrag wurde von der Beklagten am 22.02.2018 entfernt und das klägerische Nutzerkonto für gewisse Funktionen gesperrt. Am 22.03.2018 wurde das Konto des Klägers wieder freigeschaltet und die vorübergehende Sperre aufgehoben.
Mit E-Mail vom 15.05.2018 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und begehrte Freischaltung des Beitrags, Unterlassung des erneuten Sperrens, Auskunft und Schadensersatz.
3. Am 20.05.2018 erhielt der Kläger von der Beklagten folgende Meldung:
Du bist vorübergehend für das Posten gesperrt. Diese vorübergehende Sperrung dauert 30 Tage. So lange kannst du nichts auf … posten. Wenn du wieder etwas postest, was gegen unsere Standards verstößt, wird dein Konto für weitere 30 Tage gesperrt. Bitte beachte, dass das wiederholte Posten von Inhalten, die auf … nicht erlaubt sind, dazu führen kann, dass das entsprechende Konto dauerhaft gesperrt wird.
Die Beklagte trägt vor, dass Grundlage dieser Sperre ein Post des Klägers gewesen sei, welches ein Bild eines gebratenen Schweins mit folgendem Text zeigt (Anlage B 2; „Post 3“):
„Lieber Allah, sei unser Gast und segne das Schweinchen, das Du uns bescheret hast. Genieße es mit Knödeln und Kraut und vergiss nicht die krosse Haut. Und dazu noch ein Weizenbier, dann regt sich auf Musel-Tier!!!“
Mit E-Mail vom 08.06.2018 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und begehrte Aufhebung der Nutzungssperre, Freischaltung des Beitrags, Unterlassung des erneuten Sperrens, Auskunft und Schadensersatz.
4. Am 08.06.2018 reagierte der Kläger mit folgendem Beitrag auf den Post eines anderen Nutzers. Der andere Nutzer äußerte, dass er hoffe, nicht von den friedlichen Muslimen angegriffen zu werden, nur weil er mit seinem T-Shirt vor der Moschee spazieren würde und das nur, weil leicht bekleidete Frauen darauf abgebildet seien. Der von dem Kläger darauffolgend verfasste Kommentar hat folgenden Wortlaut (“Post 4“):
„Betreibe einfach kommando krav maga (stufe 2!) dann können musels ruhig antraben“
Hinter den Text wurde vom Kläger ein Lach-Smiley, ein lilafarbener „TeufelsSmiley“ und ein 3 U 2008/20 – Seite 7 – Smiley mit Sonnenbrille gesetzt.
Dieser Post wurde von der Beklagten am 08.06.2018 entfernt. Eine Sperrung des Kontos erfolgte wegen einer bereits laufenden Sperre nicht.
Mit E-Mail vom 20.06.2018 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und begehrte Aufhebung der Sperre, Freischaltung des Beitrags, Unterlassung des erneuten Sperrens, Auskunft und Schadensersatz.
5. Am 26.06.2018 veröffentlichte der Kläger ein Bild mit folgender Aufschrift (“Post 5“):
Die Beklagte entfernte am 26.06.2018 den streitgegenständlichen Post und sperrte vorübergehend das klägerische Konto für gewisse Funktionen.
Mit E-Mail vom 09.08.2018 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und begehrte Freischaltung des Beitrags, Unterlassung des erneuten Sperrens, Auskunft und Schadensersatz.
6. Am 13.09.2018 erhielt der Kläger von der Beklagten identische Meldung wie bei „Post 3“ über eine vorübergehende Sperrung von 30 Tagen.
Die Beklagte trägt vor, dass Grundlage dieser Sperre ein geteilter Post des Klägers gewesen sei, welches das Bild einer Nonne mit einer Pistole, die sie auf den Betrachter des Bildes richtet, und folgender Aufschrift zeigt (Anlage B 43; „Post 6“):
Blackys Racheengel – viel Spaß in der Hölle, Arschloch
III.
Das Landgericht wies die Klage, mit welcher der Kläger sich insbesondere gegen die Löschung der Beiträge und Verhängung vorläufiger Sperren wendete, mit Urteil vom 20.05.2020 ab.
Soweit der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung begehre, sei der Antrag bereits unzulässig. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Auf die Entfernung von „Post 1“ und „Post 2“ seien die am 19.04.2018 geänderten Nutzungsbedingungen nicht anwendbar. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG Nürnberg vom 05.11.2018 (Az. 3 W 2005/18) hätte die Beklagte die Beiträge von ihrer Plattform entfernen und Maßnahmen hinsichtlich des Kontos des Klägers (Verhängung der Sperre) treffen dürfen.
In „Post 1“ erläutere der Kläger seine Einschätzung zu Nazis. Im Vordergrund stehe seine glorifizierende Haltung gegenüber Nazis und somit der NSDAP. So vergleiche der Kläger Nazis mit gottgleichen, heiligen Personen. Der Post überschreite die Grenzen der zulässigen Meinungsäußerung und sei als Schmähkritik zu beurteilen. Der Inhalt stelle Nazis insoweit als Heilige dar und trivialisiere somit die Gräueltaten der NSDAP und verherrliche ihr Regime. Die Äußerung sei auch nicht sachbezogen. Der Kläger teile keinen konkreten Bezug mit, aus welchem Grund er zu dieser Einschätzung komme, dass es sich bei Nazis um von Gott ausgewählte Personen handelt. Durch das Emblem mit der Aufschrift „Heimatpartei Deutsches Reich“ werde auch offensichtlich, dass der Kläger mit seinem Beitrag nicht auf Nasiräer oder Personen aus Nazareth abstelle. Dies spiegele sich auch in der Überschrift „Liebe Nazischreier!“ wider.
In „Post 2“ verdeutliche der Kläger seine Haltung gegenüber Flüchtlingen. Im Vordergrund stehe die ablehnende Haltung des Klägers gegenüber Flüchtlingen. Der Kläger vergleiche Flüchtlinge mit Heuschrecken, die über das Meer kommen. Mit der Verweisung auf Nostradamus verbinde der Kläger dies zur biblischen Heuschreckenplage. Der Post überschreite die Grenzen der zulässigen Meinungsäußerung und sei als Schmähkritik zu beurteilen. Der Vergleich des Klägers zwischen Flüchtlingen und Heuschrecken stelle Flüchtlinge als herabwürdigend und entmenschlichend dar. Der Kläger entwerte und erniedrige Menschen auf Grundlage ihres Status als Einwanderer, indem er sie mit schädlichen, zerstörerischen Insekten gleichsetze. Die Äußerung sei auch nicht sachbezogen und weise keinen argumentativen Gehalt auf. Der Kläger stelle auch keinen konkreten Bezug zu einem konkreten Anlass, etwa schlechtem Verhalten durch Migranten, auf.
Im Hinblick auf „Post 4“ und „Post 5“ seien der Entscheidung die Gemeinschaftsstandards der Beklagten, die am 19.04.2018 geändert wurden, zugrunde zu legen.
Der Beitrag des Klägers vom 08.06.2018 („Post 4“) stelle eine Hassrede im Sinne von Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards der Beklagten dar. Das Wort „musels“ verstehe der Durchschnittsleser als diffamierende und abwertende Bezeichnung für Muslime, die im aktuellen Sprachgebrauch als Schimpfwort gegenüber Muslimen verwendet wird. Aus dem Post ergebe sich auch nicht, dass dieser offensichtlich ironisch gemeint sei. Zwar sei hinter dem Satz ein Lach-Smiley gesetzt, direkt dahinter sei jedoch ein lilafarbener „TeufelsSmiley“ und ein Smiley mit Sonnenbrille gesetzt worden. Der Durchschnittsleser interpretiere diese „Smileys“ so, dass der Verfasser des Kommentars seine bösen Absichten durch den lilafarbenen Smiley noch einmal bekräftigen wolle. Durch den Aufruf zum Betreiben von „Kommando krav maga“, eines in Israel begründeten Kampfsports, unterstreiche der Kläger seine abwertende Haltung gegenüber Muslimen. Er suggeriere dadurch, dass die Ausübung eines Kampfsports gegenüber Muslimen der adäquate Weg sei, sich mit Menschen muslimischen Glaubens auseinanderzusetzen. Eine Sperre des Klägers aufgrund dieses Beitrags sei nicht erfolgt. Vielmehr sei der Kläger zu diesem Zeitpunkt nach wie vor wegen des Beitrags vom 20.05.2018 („Fall 3“) gesperrt gewesen.
„Post 5“ zähle positiv formulierte Eigenschaften auf. Diese positiven Eigenschaften schreibe der Kläger durch die gewählte Formulierung seines Beitrags allesamt der Gruppierung der „Nazis“ – einer Hassorganisation im Sinne der Gemeinschaftsstandards – zu. Der Kläger stelle durch die mehrfache Verwendung des Wortes „Nazi“ einen Bezug zur NSDAP her. Durch diese Bezugnahme auf die NSDAP nehme der Kläger eine Verherrlichung im Sinne der Gemeinschaftsstandards der Beklagten vor. Die Einstellung des Posts durch den Kläger sei als Unterstützung dieser Organisation zu werten. Die Taten der Nationalsozialisten würden durch den Post des Klägers verharmlost. Durch die Aufzählung vordringlich positiver Eigenschaften werde der Eindruck erweckt, die Anhänger des Nationalsozialismus seien bewundernswerte Personen, die sich selbstlos für die Rechte anderer einsetzen. Insoweit entstehe der Eindruck der Verherrlichung der Anhänger des Nationalsozialismus.
IV.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger in seiner Berufung. Er beantragt,
1.Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20.05.2020 wird abgeändert.
2.Es wird festgestellt, dass die am 16.01.2018 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers (https://www…..com/s w 7…) auf www…..com rechtswidrig war.
3.Der Beklagten wird aufgegeben, den nachfolgend wiedergegebenen, am 16.01.2018 gelöschten Beitrag in Form des Bildes oder Textes des Klägers wieder freizuschalten („Post 1“).
4.Es wird festgestellt, dass die am 22.02.2018 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers (https://www…..com/s w 7…) auf www…..com rechtswidrig war.
5.Der Beklagten wird aufgegeben, den nachfolgend wiedergegebenen, am 22.02.2018 gelöschten Beitrag des Klägers in Form des Bildes oder Textes wieder freizuschalten („Post 2“).
6.Es wird festgestellt, dass die am 20.05.2018 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers (https://www…..com/s w 7…) auf www…..com rechtswidrig war.
7.Es wird festgestellt, dass die am 08.06.2018 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers (https://www…..com/s w 7…) auf www…..com rechtswidrig war.
8.Der Beklagten wird aufgegeben, den nachfolgend wiedergegebenen, am 08.06.2018 gelöschten Beitrag des Klägers wieder freizuschalten („Post 4“).
9.Es wird festgestellt, dass die am 26.06.2018 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers (https://www…..com/s w 7…) auf www…..com rechtswidrig war.
10.Der Beklagten wird aufgegeben, den nachfolgend wiedergegebenen, am 26.06.2018 gelöschten Beitrag in Form des Bildes oder Textes des Klägers wieder freizuschalten („Post 5“).
11.Es wird festgestellt, dass die am 13.09.2018 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers (https://www…..com/s w 7…) auf www…..com rechtswidrig war.
12.Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 3 genannten Bildes oder Textes auf www…..com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
13.Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 5 genannten Bildes oder Textes auf www…..com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
14.Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 8 genannten Textes auf www…..com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
15.Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 10 genannten Bildes oder Textes auf www…..com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
16.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob die Sperre gem. Ziff. 2, 4, 6, 7, 9 und 11 durch ein beauftragtes Unternehmen erfolgt, und in letzterem Fall, durch welches.
17.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob sie konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder nachgeordneten Dienststellen hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und/oder der Sperrung von Nutzern erhalten hat, und ggf. welche.
18.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 9.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.500,- € seit dem 16.01.2018, aus 1.500,- € seit dem 22.02.2018, aus 1.500,- € seit dem 20.05.2018, aus 1.500,- € seit dem 08.06.2018, aus 1.500,- €, seit dem 26.06.2018, und aus 1.500,- € seit dem 13.09.2018 zu zahlen.
19.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten
a. für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 1 in Höhe von 597,74 €
b. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 1 in Höhe von 201,71 €
c. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 1 in Höhe von 729,23 €
d. für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 2 in Höhe von 562,13 €
e. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 2 in Höhe von 201,71 € und f. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 2 in Höhe von 729,23 €
g. für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 3 in Höhe von 526,57 € und h. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 3 in Höhe von 729,23 €
i. für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 4 in Höhe von 562,16 €
j. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 4 in Höhe von 201,71 € und k. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 4 in Höhe von 729,23 €
l. für die für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 5 in Höhe von 562,16 €
m. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 5 in Höhe von 201,71 € und n. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 5 in Höhe von 729,23 €
o. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 6 in Höhe von 201,71 € und p. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 6 in Höhe von 729,23 € durch Zahlung an die Kanzlei REPGOW freizustellen.
Zur Begründung führt der Kläger u.a. aus, dass die ursprünglichen Nutzungsbedingungen unwirksam seien, weil sie die Nutzer als Vertragspartner der Verwenderin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würden (OLG München, Beschluss vom 17.07.2018, 18 W 858/18; OLG München, Endurteil vom 07.01.2020, Az. 18 U 1491/19).
Die erzwungene Änderung der Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen im Frühjahr 2018 sei unwirksam gewesen.
Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht angenommen, dass die streitgegenständlichen Beiträge gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen würden oder nicht mehr von der Meinungsfreiheit des Klägers gem. Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt seien.
„Post 1“ richte sich an die Personen, die den Begriff „Nazi“ inflationär verwenden und jede Person als „Nazi“ abstempeln, die sich im Rahmen eines Meinungskampfes gegebenenfalls nur rechts von der politischen Mitte positionieren („Liebe Nazischreier“). Der Kläger kritisiere diese „Nazischreier“ lediglich dadurch, dass er erkennbar eine übertriebene, definitionsartige und im Übrigen falsche Aufklärung über den Begriff „Nazi“ betreibe. Der zynische und provokante Beitrag des Klägers übe nur Kritik über die inflationäre Verwendung des Begriffes „Nazi“. Aufgrund dessen könne dem Kläger auch nicht unterstellt werden, dass er mit seinem Beitrag die NSDAP unterstütze bzw. die Handlungen des damaligen NS-Regimes befürworte. Daran ändere auch das abgebildete Wappen „Heimatpartei Deutsches Reich“ nichts.
In „Post 2“ nehme der Kläger Bezug auf die vollkommen unkontrolliert erfolgte Masseneinwanderung ab dem Jahre 2015, die zu großen Teilen eben auch über das Mittelmeer stattfand/stattfindet. Der Masseneinwanderung (nicht den einzelnen Einwanderern selbst) unterstelle der Kläger ähnlich einer Plage äußerst nachteilige Auswirkungen für Europa und Deutschland. Der Kläger greife keine Personen direkt an, sondern wende sich allenfalls allgemein gegen Masseneinwanderung selbst (nicht Einwanderung im Allgemeinen) und die diesbezüglich gehandhabte Flüchtlingspolitik, mithin gegen einen geschichtlichen Vorgang. Der Kläger stelle ausdrücklich klar, dass er die Personen gerade nicht als Tiere (Heuschrecken) bezeichnet.
Der Kläger habe in „Post 3“ gerade nicht empfohlen, Moslems anzugreifen bzw. sich auf eigene Initiative hin mit Moslems körperlich auseinanderzusetzen. Die Aussage des Klägers beziehe sich ausschließlich auf solche muslimisch geprägten Personen, die sich aus Glaubensgründen an dem T-Shirt des Drittnutzers so sehr stören könnten, dass diese ihn körperlich angreifen. Auch nur auf solche Personen könne sich demnach die Verwendung des Begriffes „Musel“ beziehen. Insbesondere empfehle der Kläger dem Drittnutzer K… M… lediglich als Verteidigungsmittel gegen einen von diesem befürchteten Angriff durch aus seiner Sicht intolerante Muslime mit extremer Glaubenseinstellung. Auch die Verwendung des Wortes „Musel“ führe nicht ohne Weiteres dazu, dass ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Beklagten zu „Hassrede“ i.S.d. Gemeinschaftsstandards vorliegt. Der Begriff „Muselmann“ sei bis in das späte 19. Jahrhundert die übliche deutschsprachige Bezeichnung für Muslime und existiere auch noch als Nachname im deutschsprachigen Raum.
In „Post 5“ mache der Kläger lediglich seine subjektive Einschätzung dahingehend deutlich, dass man in politischen Diskussionen vorschnell als „Nazi“ usw. beschimpft werde, sobald man eine bestimmte Position, insbesondere die von dem Kläger angeführten Positionen, beispielsweise in Bezug auf Themen wie Masseneinwanderung, Flüchtlingspolitik etc. vertrete. Durch die Verwendung der Worte „Wenn Nazisein heute heißt […]“ komme die Kritik des Klägers, dass man heutzutage aufgrund der nachfolgend aufgezählten Werte und Positionen schnell als „Nazi“ beschimpft wird, mehr als deutlich zum Ausdruck. Der Kläger bringe durch den Satz „dann bin ich gerne Nazi“ zum Ausdruck, dass er auch trotz Beschimpfung als „Nazi“ hinter den von ihm vertretenen Positionen stehe. Es gehe nicht ansatzweise darum, mit nationalsozialistischer Ideologie oder der NSDAP zu sympathisieren geschweige denn diese zu verherrlichen.
V.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Der Kläger habe ausdrücklich seine Zustimmung zu den zum 19.04.2018 aktualisierten Nutzungsbedingungen und sonstigen Bestimmungen, einschließlich der von den Nutzungsbedingungen in Bezug genommenen Gemeinschaftsstandards am 26.04.2018 erteilt.
Auch in Bezug auf „Post 1“ und „Post 2“ würden die aktualisierten Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards insoweit gelten, soweit der Kläger die Wiederherstellung der Posts und Unterlassungsansprüche geltend mache. Im Falle eines auf die Zukunft gerichteten Antrags sei der maßgebliche Zeitpunkt für die Entscheidung, für die alle Voraussetzungen erfüllt sein müssen, der Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung. Dies folge aus dem allgemeinen Grundsatz nach § 242 BGB, wonach ein Kläger nicht das notwendige rechtliche Interesse hat, etwas zu verlangen, was der Kläger sofort wieder zurückgeben müsste, dolo agit-Einrede.
Darüber hinaus mache der Kläger zu Unrecht geltend, dass die früheren Gemeinschaftsstandards ungültig seien. Die Gemeinschaftsstandards seien vielmehr nach § 307 BGB transparent und daher durchsetzbar. Die Entscheidung des OLG München sei unzutreffend.
„Post 1“ beziehe sich auf eine Hassorganisation im Sinne der Gemeinschaftsstandards, nämlich die NSDAP. Der Kläger habe eindeutig Nazis und damit auch die NSDAP unterstützt und Nazis mit Heiligen verglichen. Damit habe er nicht nur die Gräueltaten der NSDAP verharmlost, sondern darüber hinaus das damalige Regime verherrlicht.
Mit „Post 2“ habe der Kläger Migranten allein aufgrund ihrer nationalen Herkunft und ihres Einwanderungsstatus angegriffen. Aus der Perspektive eines flüchtigen Lesers habe der Kläger auf dem Seeweg ankommende Flüchtlinge mit Heuschrecken verglichen und somit Migranten mit Heuschrecken – Insekten, die bekanntermaßen Ernten vernichten und große landwirtschaftliche Schäden und Hungersnöte verursachen – gleichgesetzt.
„Post 3“ sei rechtmäßig entfernt worden, weil er den abwertenden Begriff „Musel“ enthielte. Der Begriff „Musel” sei eine veraltete Bezeichnung für Muslime, die im heutigen Sprachgebrauch ausschließlich herabsetzend verwendet werde.
Mit „Post 5“ habe der Kläger den Begriff „Nazi“ mit idealisierten Werten in Verbindung gebracht, die im Widerspruch zu den tatsächlichen Handlungen und der Geschichte der NSDAP stehen, indem er die von der NSDAP begangenen verwerflichen Gräueltaten verharmlost habe. Er schreibe den Nazis positive Eigenschaften zu, ohne sich von ihnen zu distanzieren. Insbesondere der im Hintergrund des eingestellten Bildes abgebildete Totenkopf unterstütze seine behauptete Absicht nicht.
Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz der Beklagten vom 17.12.2020 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.
B.
Die zulässige Berufung hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
I.
Die Klage ist mit Ausnahme der Feststellungsanträge (Ziffern 2., 4., 6., 7., 9. und 11.) zulässig.
1. Die deutschen Gerichte sind (was von Amts wegen zu prüfen war, da § 513 Abs. 2 ZPO insoweit nicht anwendbar ist) international zuständig. Dies folgt aus Art. 7 Nr. 1 lit. b) und Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 lit. c), Art. 18 EuGVVO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen). Nach Art. 18 EuGVVO kann ein Verbraucher gegen eine Vertragspartei, die ihre Tätigkeit auf den Mitgliedsstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, ausrichtet, vor dem Gericht seines Wohnsitzes Klage erheben. Nach dem Sachverhalt nutzt die Klagepartei als Privatperson die Plattform der Beklagten, die dabei gewerblich handelt und ihre Tätigkeit z.B. durch entsprechende Sprachoptionen auch speziell auf das Gebiet der Bundesrepublik und hier ansässige Nutzer ausgerichtet hat. Im Übrigen wäre aufgrund der Natur der Sache die Leistung der Beklagten, nämlich das Zurverfügungstellen der Kommunikationsmöglichkeiten, am Wohnsitz des Schuldners zu erbringen, so dass sich bereits aus Art. 7 Nr. 1 lit. b) 2. Spiegelstrich EuGVVO die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt.
2. Die Anträge auf Feststellung, dass die vorgenommenen Sperrungen auf www…..com rechtswidrig waren, sind bereits als unzulässig anzusehen, da damit entgegen § 256 Abs. 1 ZPO nicht die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses begehrt wird und es an einem Feststellungsinteresse der Klagepartei fehlt.
a) Gegenstand einer Feststellungsklage kann grundsätzlich nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses sein. Ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich aus der Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart und die Zukunft ergeben können (BGH, Urteil vom 17.06.2016 – V ZR 272/15, NJW-RR 2016, 1404, juris-Rn. 13; Greger, in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 256 Rn. 3 a). Da sich der vorliegende Feststellungsantrag auf Maßnahmen der Beklagten bezieht, die unstreitig im Jahr 2018 ausliefen, hängt die Zulässigkeit des Antrags davon ab, ob die Klagepartei noch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass die Beklagte eine „Sperrung“ nicht vornehmen durfte. Davon kann auf der Grundlage des Vorbringens der Klagepartei nicht ausgegangen werden.
b) Das Feststellungsinteresse ist vorliegend auch nicht deshalb entbehrlich, weil ein Fall des § 256 Abs. 2 ZPO vorläge (so aber SchlHOLG Schleswig, Urteil vom 26.02.2020 – 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 18). Zwar mag der Aspekt, ob die Kontensperrung rechtswidrig war, Vorfrage zu den Anträgen auf Freischaltung und Unterlassung sein. Hierin liegt aber kein Rechtsverhältnis, da die Qualifizierung eines Verhaltens als rechtmäßig oder rechtswidrig nicht unmittelbar Rechte und Pflichten begründet und daher kein Rechtsverhältnis zwischen Personen begründet (BGH, Urteil vom 07.06.2001 – I ZR 21/99, NJW 2001, 3789 (3789); BGH, Urteil vom 19.04.2000 – XII ZR 332/97, NJW 2000, 2280 (2281)).
c) Der Senat ist auch nicht gehalten, den Antrag aufgrund der Intention der Klagepartei unter Berücksichtigung dessen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht, in einen zulässigen Antrag umzudeuten (vgl. grundsätzlich BGH, Urteil vom 07.06.2001 – I ZR 21/99, NJW 2001, 3789 (3790)). Da die Klagepartei, wie die Ausführungen in der Berufungsbegründung zeigen, die Problematik erkannt hat und einen anderen hilfsweisen Antrag auf Leistung gestellt hat, ist für ein Eingreifen des Gerichts, um dem Primärantrag zu einem Erfolg zu verhelfen, kein Raum.
d) Eine allgemeine Fortsetzungsfeststellungsklage ist im Zivilrecht nicht vorgesehen oder anerkannt (OLG Bamberg, Beschluss vom 06.02.2020 – 8 U 246/19, S. 14 f.). Die Klagepartei leitet ihr Feststellungsinteresse daraus her, dass die Beklagte (von ihr so empfundene) Verstöße ihrer Nutzer aufzeichnet und zählt und die Anzahl vorheriger (angeblicher) Verstöße bei der Entscheidung, wie sie weitere Vorfälle sanktioniert, berücksichtigt.
Der Senat gibt der Klagepartei zu, dass ihr eine Möglichkeit offenstehen muss, präventiv zu klären, dass eine von der Beklagten als Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards gerügte Äußerung kein solcher war und daher auch künftig nicht berücksichtigt werden darf. Dies gilt vor allem deshalb, weil im Fall einer erneuten Auseinandersetzung wegen einer (angeblich oder tatsächlich) unzulässigen Äußerung aufgrund der Kürze der Zeit keine realistische Chance bestehen wird, diese Frage bei einer daraufhin verhängten Sanktion inzident zu prüfen (was wiederum maßgeblich darauf beruht, dass die Beklagte trotz ihres ganz erheblichen Engagements auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland weder eine Geschäftsadresse im Bundesgebiet unterhält noch einen allgemeinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, weshalb in jedem Verfahren Auslandszustellungen erforderlich werden, die innerhalb weniger Tage oder Wochen nicht möglich sind). Ein Zuwarten ist daher nicht zumutbar. Ebenso bedarf es keiner Darlegungen dazu, ob es in Zukunft zu erneuten Streitigkeiten dieser Art kommen wird.
Der vorzugswürdige Weg, dieses Ziel zu erreichen, scheint jedoch eine Leistungsklage zu sein, den für die Sanktionen-Eskalation maßgeblichen Eintrag im Datensatz der Beklagten entsprechend zu korrigieren (ebenso im Ergebnis OLG München, Beschluss vom 22.01.2020 – 18 U 5597/19 Pr, S. 3: Klage auf Entfernung aus Datensatz).
e) Die Klagepartei kann ihr Feststellungsinteresse schließlich nicht mit ihrem Rehabilitierungsbedürfnis begründen, denn die Rechtswidrigkeit der Sperrung ist Voraussetzung der mit der Klage ebenfalls geltend gemachten Wiederherstellungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche und in diesem Zusammenhang ohnehin inzident zu prüfen. Durch eine Bekanntgabe einer diese Ansprüche zusprechenden Entscheidung könnten mögliche Beeinträchtigungen des Ansehens des Klägers ebenso leicht behoben werden wie durch die Bekanntgabe eines Feststellungsurteils (OLG München, Urteil vom 18.02.2020 – 18 U 3465/1945, GRUR-RS 2020, 9355 Rn. 45).
II.
Die Klage ist auch teilweise begründet.
1. Auf den zwischen den Parteien bestehenden Vertrag über die Nutzung des sozialen Netzwerks der Beklagten findet gemäß Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) aufgrund der in Nr. 4.4 Abs. 2 Satz 1 der Nutzungsbedingungen getroffenen Rechtswahl deutsches Recht Anwendung.
2. Maßgeblich für die im vorliegenden Rechtsstreit zentrale Frage, ob der von der Klagepartei über das Netzwerk der Beklagten verbreitete Kommentar gelöscht werden durfte, sind die vertraglichen Abreden der Parteien, die allerdings teilweise durch die verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen Bestimmungen überlagert werden.
a) Zwischen den Parteien besteht ein vertragliches Schuldverhältnis, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei eine Kommunikation mit anderen Nutzern des Netzwerks zu ermöglichen. Angesichts des umfassenden Regelwerks, welches die Beklagte aufgestellt hat und das die wechselseitigen Rechte und Pflichten beschreibt, kann ein Rechtsbindungswille nicht abgesprochen werden. Dieses Schuldverhältnis lässt sich als Dienstvertrag sui generis mit miet-, werk- und dienstvertraglichen Elementen charakterisieren (vgl. OLG München, NJW 2018, 3119 (3120), Rn. 18: ähnlich OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, MMR 2019, 110, Rn. 20; Spindler, CR 2018, 238 (239)). Die von der Klagepartei zu erbringende Gegenleistung besteht atypisch nicht in einer Geldzahlungspflicht, sondern in der Zurverfügungstellung der eigenen Daten und der Nutzung des Netzwerks als solcher, welche die Beklagte insbesondere durch Werbemaßnahmen für sich nutzbar macht (vgl. Mafi-Gudarzi, MMR 2018, 679 (679); Spindler, CR 2018, 238 (239)).
b) Die von der Beklagten versprochenen Leistungen und die Pflichten der Nutzer werden in den Nutzungsbedingungen umschrieben und u.a. in den sog. Gemeinschaftsstandards, auf die dort Bezug genommen wird, näher definiert (ebenso der Ansatz von OLG Dresden, MMR 2019, 756 (757), Rn. 10 ff.); OLG Karlsruhe, NJW 2018, 3110 (3110)). All diese Regelungen unterliegen, da sie von der Beklagten einseitig vorgegeben sind, den gesetzlichen Vorgaben des AGB-Rechts, halten diesen aber stand.
c) Grundlage der aktuellen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien sind die Bedingungen in der seit 19.04.2018 geltenden Fassung und insbesondere auch die darin enthaltenen Ziffern 2. und 12. Denn die aktuellen Nutzungsbedingungen der Beklagten sind aufgrund der Zustimmung der Klagepartei durch Anklicken der entsprechenden Schaltfläche wirksam geworden. Es kann daher offenbleiben, ob der Beklagten ein wirksames Einbeziehen dieser Bedingungen auf der Grundlage der Änderungsklausel in Nr. 13 der Nutzungsbedingungen in ihrer vorherigen Fassung in Verbindung mit Nr. 3 der Sonderbedingungen für Deutschland wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 308 Nr. 4 BGB verwehrt gewesen ist.
aa) Am 19.04.2019 oder der nächsten Nutzung ihres Dienstes blendete die Beklagte bei allen Nutzern ein Popup-Fenster mit der Mitteilung über die beabsichtigte Änderung der Nutzungsbedingungen in Verbindung mit der Aufforderung, die „ich stimme zu“-Schaltfläche anzuklicken, ein. Die Nutzer konnten im Anschluss hieran den …-Dienst nur dann weiternutzen, wenn sie ihre Zustimmung zu den geänderten Nutzungsbedingungen und anderen geänderten Bedingungen erteilten.
Diese Mitteilung über die beabsichtigte Änderung der Nutzungsbedingungen in Verbindung mit der Aufforderung, die mit „Ich stimme zu“ bezeichnete Schaltfläche anzuklicken, ist als an den einzelnen Nutzer gerichtetes Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages im Sinne von § 145 BGB zu sehen. Ein durch Anklicken erfolgter Vertragsabschluss hat grundsätzlich individuellen Charakter, auch wenn die Willenserklärungen, aus denen er sich zusammensetzt, vorformulierte Bestandteile besitzen. Die Neufassung der Bedingungen wird in einen solchen Fall nicht aufgrund einer vorformulierten Änderungsklausel, sondern aufgrund eines nach allgemeinen Regeln über Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte zwischen den Parteien geschlossenen Änderungsvertrages einbezogen (OLG Dresden, Beschluss vom 19.11.2019 – 4 U 1471/19, juris-Rn. 3). Daher unterliegen solche Erklärungen auch dann keiner Kontrolle anhand der Vorschriften des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wenn sie ihrerseits teilweise vorformuliert gewesen sind (BGH, Urteil vom 07.11.2001 – VIII ZR 13/01, juris-Rn. 42 f.; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.02.2020 – 9 U 125/19, juris-Rn. 48; OLG Dresden, Beschluss vom 11.12.2019 – 4 U 1680/19, juris-Rn. 6; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.02.2020 – 8 U 246/19, S. 16; Basedow, in MüKoBGB, 8. Aufl. 2019, § 305 Rn. 86).
Dieses individuelle Angebot im Sinne des § 145 BGB hat die Klagepartei durch Anklicken der Schaltfläche unstreitig ausdrücklich angenommen.
bb) Das Einbeziehen der Nutzungsbedingungen in der neuen Fassung ist auch nicht deswegen unter dem Gesichtspunkt des § 138 Abs. 1 BGB unwirksam, weil die Beklagte die Klagepartei vor die Wahl gestellt hat, die neuen Bedingungen anzunehmen oder das Vertragsverhältnis mit der Beklagten faktisch zu beenden.
Auch wenn die Plattform der Beklagten im Bereich der sozialen Netzwerke in Deutschland eine überragend wichtige Stellung einnimmt, unterliegt die Beklagte im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote keinem Kontrahierungszwang, sondern ist bei der Auswahl ihrer Vertragspartner im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote frei (OLG Dresden, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – 4 U 1680/19, juris-Rn. 7).
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, weshalb die Annahme der geänderten Bedingungen für die Klagepartei so unzumutbar sein sollte, dass eine defacto erzwungene Zustimmung insgesamt als sittenwidrig anzusehen sein sollte. Die mit der Änderung erfolgte Präzisierung u.a. des Begriffes der Hassrede und des bei Verstößen geltenden Sanktionsregimes begünstigt im Gegenteil die Nutzer, weil sie ein zuvor bestehendes sehr weites Sanktionsermessen konkretisiert (OLG Dresden, Beschluss vom 19. November 2019 – 4 U 1471/19, juris-Rn. 4).
Einer Kontrolle anhand der Vorschriften des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegt die Vorgehensweise der Beklagten bereits deswegen nicht, weil das Einbeziehen der neuen Nutzungsbedingungen auf einer Willenserklärung der Klagepartei und nicht auf einer Regelung in den Nutzungsbedingungen alter Fassung beruht (OLG Schleswig-Holsteinisch, Urteil vom 26.02.2020 – 9 U 125/19, juris-Rn. 49).
Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Beklagten ein ordentliches Kündigungsrecht zusteht, auch wenn ein solches nicht vertraglich eingeräumt ist. Dies folgt daraus, dass bei Dauerschuldverhältnissen, die keine feste Laufzeit aufweisen, die Kündigungsmöglichkeit die Funktion hat, die Privatautonomie wiederherzustellen, indem die bestehenden Bindungen aufgehoben werden. Ohne jegliches Kündigungsrecht würde das Dauerschuldverhältnis die Parteien endlos aneinanderbinden und wechselseitig verpflichten, womit die vom Privatrecht als unerschöpflich vorausgesetzte Freiheitsbetätigung durch individuelle Selbstbestimmung ausgehöhlt würde. Bei Verträgen mit unbestimmter Vertragslaufzeit folgt das ordentliche Kündigungsrecht somit aus dem Bedürfnis zur Wiederherstellung umfänglicher Freiheitsentfaltungsmöglichkeit. Das Lösungsinteresse erlangt hier den Stellenwert eines rechtsethischen „Entpflichtungsinteresses“ (vgl. jeweils Sorge, JA 2017, 887 (889 f.); Esser/Schmidt Schuldrecht Allgemeiner Teil I/1, 8. Aufl. 1995, § 20 I pr (S. 320)). Die Frage kann daher lediglich lauten, mit welcher Frist die Beklagte ordentlich kündigen kann, und ob sie hierzu zwar nicht eines wichtigen Grundes wie in § 314 BGB, aber jedenfalls eines sachlich berechtigten Interesses bedarf. Ein sachlicher Grund könnte aber, auch in kartellrechtlicher Hinsicht, gerade daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte sich und ihren Nutzern neue Regeln gibt und sie nicht parallel zwei oder mehr Regelwerke benutzen möchte.
Bei Berücksichtigung des Umstands, dass die der Klagepartei angetragene Änderung keine wesentlichen Veränderungen des Pflichtengefüges bewirkte, und der Beklagten die Möglichkeit offen gestanden hätte, jedenfalls mittelfristig die Vertragsbeziehung zu beenden, liegt kein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden vor, welcher die Änderungsabrede nichtig machen würde.
d) Die aktuellen Gemeinschaftsstandards, insbesondere die Regelungen zum Verbot von Hassorganisationen und der Hassrede, halten auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben einer Inhaltskontrolle (§ 307 Abs. 1 BGB) stand.
aa) Die Gemeinschaftsstandards sind nicht nach § 307 Abs. 3 BGB der Inhaltskontrolle entzogen, da sie nicht einen Teil der Leistungsbeschreibung bilden (OLG Dresden, MMR 2019, 756 (757), Rn. 12).
Die von der Beklagten versprochene Leistung besteht darin, umfassende Kommunikationsmöglichkeiten im Internet zur Verfügung zu stellen, um die Bildung von Gemeinschaften zu fördern (vgl. „1. Unsere Dienste“ der Nutzungsbedingungen), so dass zur Leistungsbeschreibung alles gehört, was die Art und Weise der Kommunikationsformen betrifft, also z.B., ob Bilder übertragen werden können, mit welchen Personen eine Interaktion möglich ist und welche Differenzierungen hinsichtlich der Einsehbarkeit in das eigene Profil möglich sind. Ebenso gehört hierzu, ob die Dienste nur Privatpersonen oder auch Vereinigungen offenstehen sollen und weiter, ob auch eine gewerbliche Betätigung möglich sein soll. Einschränkungen des Angebots im Hinblick darauf, wie sich Nutzer, denen grundsätzlich Zugang gewährt wird, innerhalb dieses Rahmens zu verhalten haben, gehören dagegen nicht mehr zur Leistungsbeschreibung, sondern stellen Einschränkungen des grundsätzlich eröffneten Leistungsangebots dar (ebenso OLG München, Urteil vom 07.01.2020, 18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174, Rn. 66 f.). Insoweit ist die Differenzierung z.B. zwischen rein privater und kommerzieller Nutzung eine qualitativ andere als die zwischen der Nutzung zu sachlichen Meinungsäußerungen und solchen, die Dritte verletzen.
bb) Da der Providervertrag keinem gesetzlich kodifizierten Vertragstypus zuzuordnen ist, scheidet zur Konkretisierung des in § 307 Abs. 1 S. 1 BGB aufgestellten Maßstabs der unangemessenen, wider Treu und Glauben erfolgenden Benachteiligung eine Heranziehung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB aus. Relevant werden könnte demgegenüber das Verbot der Vertragszweckgefährdung (Aushöhlungsverbot) des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (vgl. Spindler, CR 2018, 238 (241); OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, MMR 2019, 110, Rn. 27), welches ebenfalls eine Indizwirkung entfaltet. Die Frage kann aber offen bleiben, da die einzig relevanten verfassungsrechtlichen Aspekte in gleicher Weise auch bei § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu berücksichtigen wären.
cc) Bei der Bestimmung dessen, was die Beklagte als Kommunikationsinhalte untersagen darf, ohne die Nutzer entgegen Treu und Glauben unangemessen zu benachteiligen, sind die Wertungen des Grundgesetzes bzw. der EuGrCh relevant.
(1) Die Klagepartei kann sich allerdings gegenüber der Beklagten nicht unmittelbar auf die Grundrechte berufen. Grundrechte verpflichten unmittelbar grundsätzlich nur Personen und Stellen, die staatliche Gewalt ausüben (OLG Karlsruhe, NJW 2018, 3110 (3110); in der Sache ebenso OLG München, NJW 2018, 3115 (3116), Rn. 25; Beurskens, NJW 2018, 3418 (3419 f.); Holznagel, CR 2019, 739), nicht aber andere Private, da sie selbst Grundrechtsberechtigte sind.
Anderes lässt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.05.2019 (1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935) ableiten. Dort ging es nicht nur um die Löschung eines einzelnen Beitrags, sondern um die vollständige Sperrung des Accounts für die Partei „der III. Weg“ im Vorfeld der Europawahl 2019. Aufgrund der Entscheidungssituation (einstweilige Anordnung gemäß § 32 BVerfGG, bei der lediglich eine offene Folgenabwägung stattfindet) ging das Gericht nicht auf dogmatische Details ein. Das Bundesverfassungsgericht führte aber aus (Rn. 15), dass die Grundrechte in solchen Streitigkeiten [lediglich] im Wege der mittelbaren Drittwirkung Wirksamkeit entfalten, allerdings an dieser Stelle auch die erhebliche Marktmacht zu berücksichtigen ist. Deshalb und wegen der Situation im Vorfeld der Europawahl wurde eine Entsperrung des Accounts bis zur Feststellung des amtlichen Endergebnisses ausgesprochen. Dagegen führt das BVerfG im Hinblick auf die Sperrung eines konkreten Beitrags aus, dass es dem Nutzer freisteht, erneut Beiträge „- unter Beachtung der Strafgesetze, der Nutzungsbedingungen … und entgegenstehende Rechte Dritter – … einzustellen“, was erkennen lässt, dass die Nutzungsbedingungen Relevanz besitzen. Auch wenn die Entscheidung in einer Linie mit dem sog. Stadionverbots-Beschluss gesehen und daher interpretiert wird, dass für Anbieter wie die Beklagte eine hohe Intensität der Grundrechtsbindung bestehe (Seyderhelm, NVwZ 2019, 962 (963); dazu noch unten), lässt sich daraus nichts für eine unmittelbare Grundrechtsdrittwirkung ableiten.
(2) Nach der Theorie der mittelbaren Grundrechtswirkung erlangen die Grundrechte im Bereich des Privatrechts vielmehr dadurch Verbindlichkeit, dass dessen Regelungen unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen, die sie verkörpern, auszulegen und anzuwenden sind.
Das Grundgesetz stellt mit den Grundrechten zugleich Elemente objektiver Ordnung auf, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen (BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015, 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 19.07.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 = NJW 2011, 3428, Rn. 86; BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36 (38) – „Nur für die Akten“; BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 = GRUR 1958, 254 (255) – „Lüth“). Da sich – anders als im vertikalen Verhältnis Bürger-Staat – im „horizontalen“ Verhältnis unter Privaten beide involvierten Personen auf grundrechtliche Abwehrrechte oder Schutzpflichten berufen können, sind die Grundrechte hier wechselseitig in Einklang zu bringen. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind hierzu in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015, 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 19.07.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 = NJW 2011, 3428, Rn. 86).
Wirkung entfalten die Grundrechte als objektive Normen im Privatrecht über die Normen dieses Rechtsgebiets, insbesondere die Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und -bedürftigen Begriffe (BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 = GRUR 1958, 254 (255) „Lüth“; BVerfG, Beschluss vom 27 01.1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169 = NJW 1998, 1475 (1476) „Kleinbetriebsklausel“; BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 19.01.1993 – 1 BvR 567/89, BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36 (38) – „Nur für die Akten“; Maunz/Dürig/Herdegen, 90. EL Februar 2020, GG Art. 1 Abs. 3 Rn. 71).
(3) Die Intensität der so vermittelten Grundrechtsdrittwirkung ist nicht in allen Bereichen gleich stark, sondern korreliert insbesondere mit dem Umstand, inwieweit der Grundrechtsträger auf die von der Gegenseite angebotene Leistung angewiesen ist und der andere aufgrund der Marktsituation in der Lage ist, Bedingungen vorzugeben. Eine staatlichen Hoheitsträgern nahekommende strenge Bindung besteht z.B. dann, wenn Private in eine Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen, wie sie typischerweise der Staat innehat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 Rn. 6; Maunz/Dürig/Herdegen, 90. EL Februar 2020, GG Art. 1 Abs. 3 Rn. 65).
(4) Vorliegend können als „Einfallstor“ die Begriffe „wider Treu und Glauben unangemessen“ oder das in § 241 Abs. 2 BGB statuierte Rücksichtnahmegebot i.V.m. § 242 BGB dienen (vgl. OLG München, NJW 2018, 3115 (3116), Rn. 25 ff.; OLG München, NJW 2018, 3119 (3120), Rn. 21; OLG München, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174, Rn. 74; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.02.2020, 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 24, 27; LG Frankfurt/M., MMR 2018, 545; krit. Beurskens, NJW 2018, 3418 (3419)).
(5) Auf Seiten der Klagepartei ist in Fällen der vorliegenden Art bei der Abwägung die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen, während der Beklagten die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zugutekommt.
(6) Die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verbürgte Freiheit der Meinungsäußerung beinhaltet nicht nur das Recht, seine Meinung überhaupt kundzutun. Sie schützt auch, dies in pointierter, polemischer oder überspitzter Weise zu tun (BVerfG, Beschluss vom 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14, NJW 2017, 1460, Rn. 14), und findet ihre Grenze nicht schon darin, dass die Äußerung auf andere verletzend wirken kann. Zuspitzung, Verallgemeinerung sowie das Aufzeigen möglicher Folgen und Konsequenzen sind Mittel zur Verteidigung des eigenen Standpunkts und zur Überzeugung anderer. Dass gegenteilige Meinungen oder Verhaltensweisen anderer, die mit ihr nicht übereinstimmen, als falsch qualifiziert werden, ist notwendige Nebenfolge des Rechts, eine eigene Meinung zu haben und zu vertreten. Es kann auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob polemische Zuspitzungen im einzelnen Fall als erforderliche anzusehen sind, um eine bestimmte Meinung zu äußern (BVerfG, Beschluss vom 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14, NJW 2017, 1460, Rn. 14).
Der Senat erkennt auch, dass es nicht jedem Nutzer möglich ist, sich auf höchstem argumentativen Niveau auszudrücken, ein Nutzer sich vielfach aufgrund der regelmäßig gegebenen Emotionalität des Themas und der Diktion vorangegangener Beiträge zu scharfen Formulierungen hinreißen lässt und ein Nutzer nicht in der Lage ist, sämtliche denkbaren Deutungsweisen und Wirkungen zu überblicken. Auch für den gewöhnlichen, nicht übermäßig eloquenten und präzisen Nutzer muss – gerade weil Plattformen wie die der Beklagten auf eine breite Nutzung angelegt sind und sich dies zum Programm machen – ausreichend Raum und Gelegenheit bestehen, sich zu äußern.
Eine äußerste Grenze ist dort erreicht, wo es nicht mehr um eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabwürdigung einer Person oder Personengruppe geht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2017, 1 BvR 2973/14, NJW 2017, 1460, Rn. 14; OLG München, Urteil vom 7. Januar 2020, 18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174, Rn. 123).
(7) Dagegen ist der Beklagten – die sich ungeachtet ihrer Eigenschaft als ausländische juristische Person auf den Schutz der Grundrechte berufen kann – wegen Art. 12 Abs. 1 GG, jedenfalls wegen Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2015 – 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12, NJW 2016, 1426, Rn. 10 ff.), die Freiheit eröffnet, die Rechte ihrer Nutzer durch AGB auszugestalten, auch, soweit dadurch deren Freiheiten betroffen werden.
Der Beklagten muss dabei insbesondere möglich sein, sich in Wettbewerb zu anderen (aktuell vorhandenen oder potentiellen) Plattformbetreibern zu setzen, indem sie bestimmte Qualitätsund Umgangsstandards für ihre Nutzer statuiert (Spindler, CR 2018, 238 (244, 245)). Sie darf dabei insbesondere berücksichtigen, wie andere Nutzer reagieren könnten, wenn sie bestimmte Äußerungen anderer Nutzer sehen oder auch nur erfahren, wie sich solche sanktionslos verhalten können. Ebenso darf sie darauf Rücksicht nehmen, dass sich Nutzer von Äußerungen abgeschreckt fühlen, wenn sie befürchten müssen, dass sie oder die Personengruppe, der sie zuzurechnen sind, mit niveaulosen Äußerungen anderer Nutzer („shitstorm“) überzogen werden und die Beklagte hier keine Möglichkeiten hat, moderierend einzugreifen (vgl. Friehe, NJW 2020, 1697 (1698) dazu, dass sich bereits Personen, denen an einer Sachauseinandersetzung gelegen ist, von sozialen Netzwerken abgewandt hätten). Die Beklagte ist – wie grundsätzlich alle Netzwerke dieser Art – zur Verwirklichung ihres kommerziellen Geschäftsmodells darauf angewiesen, dass eine möglichst große Zahl an Personen sich als Nutzer registriert und auch regelmäßig aktiv ist, weil dies ihren Wert als Werbeplattform ausmacht. Die Beklagte muss daher entscheiden können, ob sie jegliche Äußerungen tolerieren und damit riskieren will, dass sich andere angewidert und abgestoßen fühlen, oder Restriktionen vorsehen will, welche solche Wirkungen verhindern sollen, umgekehrt aber naturgemäß auch bewirken können, dass sich diejenigen, denen eine ungehinderte Äußerungsmöglichkeit wichtig ist, von der Beklagten abwenden. Auch wenn die Beklagte derzeit den Markt dominiert, zeigt die Vergangenheit, dass die Nutzer eine hohe Neigung aufweisen, aktuellen Trends zu folgen und sich ggf. anderen Plattformen zuzuwenden; die Beklagte ist daher permanent veranlasst, um Nutzer zu kämpfen, weshalb sie für diese attraktiv und akzeptabel erscheinen muss (vgl. Friehe, NJW 2020, 1697 (1699)). Dasselbe gilt im Hinblick auf die Werbepartner unmittelbar; diese können sich namentlich aufgrund ihrer eigenen ethischen Standards veranlasst, sehen, die Geschäfte mit der Beklagten einzustellen, weil ein verrohter Umgangston dort auch auf sie „abfärbt“ und jedenfalls keine positiven Werbe- oder PR-Effekte mehr erwartet werden.
Die Grundentscheidung, Maßnahmen zu ergreifen, damit sich andere Nutzer nicht wegen einer Verrohung von der Plattform der Beklagten abwenden, fällt daher als unternehmerische Entscheidung in den Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Ebenso darf die Beklagte in gewissem Umfang Rücksicht auf die Grundrechte und schützenswerten Positionen Dritter nehmen, deren Persönlichkeitsrechte durch allzu rüde Kommunikationsmethoden gefährdet werden könnten, und sich insoweit in deren Interesse eine Eingriffsbefugnis offenhalten (zum Ganzen Spindler, CR 2018, 238 (244); Friehe, NJW 2020, 1697 (1699 ff.); OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, MMR 2019, 110, Rn. 29; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.02.2020 – 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 60; dahin neigend auch LG Frankfurt/M., MMR 2018, 545, Rn. 35).
Ob man der Beklagten daneben den Schutz der Medienfreiheiten (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) zugestehen muss (dafür Friehe, NJW 2020, 1697 (1700)) – was dem Senat eher zweifelhaft erscheint, da sie nicht in Anspruch nimmt, eigene Inhalte zu verbreiten -, kann offenbleiben.
Diese Überlegungen werden nicht dadurch relativiert, dass dem Nutzer unschwer möglich ist, bestimmte Profile oder Themen zu sperren. Auf diese Weise kann zwar der einzelne Nutzer verhindern, dass er auf Äußerungen eines anderen Nutzers oder zu Themen stößt, die ihm anstößig erscheinen. Am entscheidenden Umstand, dass in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass auf der Plattform der Beklagten rüde Umgangsformen herrschten und die Beklagte auch verletzende Äußerungen erlaube, ändert dies jedoch nichts, sodass sich damit nicht die Gefahr verringern lässt, dass sich Nutzer oder Werbekunden abwenden.
Unerheblich ist im vorliegenden Kontext ferner, dass – was der Klägervertreter ebenfalls vorgebracht hat – jede Meinungsäußerung nahezu zwangsläufig mit sich bringt, dass andere diese Auffassung nicht teilen und deswegen ihr negativ gegenüberstehen. Es geht nicht darum, Nutzer davor zu schützen, mit abweichenden Auffassungen konfrontiert zu werden. Vielmehr gesteht der Senat der Beklagten zu, die Art und Weise zu regeln, wie die jeweiligen Meinungen ausgedrückt und verbreitet werden dürfen. Verhindert werden sollen somit Auswirkungen, die weit über den Reflexionsprozess hinausgehen, der mit der Kenntnisnahme und Bewertung einer fremden Meinung stets verbunden (und sogar erwünscht) ist.
Dafür, dass der Beklagten die Festschreibung eines Diskussionsniveaus gestattet sein muss, das strenger ist als das nach den strafrechtlichen Regelungen der § 130 oder §§ 185 ff. StGB vorgegebene Niveau, spricht zudem das legitime Anliegen, bereits in Zweifelsfällen Nutzerbeiträge eliminieren zu können, um sich nicht der Gefahr einer eigenen zivil- oder strafrechtlichen Haftung auszusetzen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 06.02.2020 – 8 U 246/19, S. 19). Die Beklagte befände sich – bildlich gesprochen – in einer Zwickmühle, wenn sie nur entweder (den betroffenen Dritten oder staatlichen Stellen gegenüber) verpflichtet wäre, Beiträge zu entfernen, um nicht als Intermediärin zu haften, oder (den Nutzern gegenüber) verpflichtet wäre, dies zu unterlassen. Sie darf daher Regelungen treffen, um eine solche Situation zu vermeiden, zumal aufgrund der häufig komplexen Lage bei der Bewertung von Äußerungen eine erhebliche Gefahr von Fehlbeurteilungen besteht (vgl. Ring, MDR 2019, 1469 (1474); OLG Dresden, MMR 2019, 756 (758), Rn. 19; Friehe, NJW 2020, 1697 (1699)). Indem die Beklagte sich das Recht einräumen lässt, bereits weniger gravierende Entgleisungen zu entfernen, kann sie sich einen Bereich offenhalten, in dem sie sowohl eine eigene Verantwortlichkeit ausschließt als auch noch keine Pflichtverletzung gegenüber dem Nutzer begeht.
Die Beklagte kann die beschriebene Situation auch nicht dadurch auf einfache Weise entschärfen, indem sie sich mit juristischen Mitteln gegen das NetzDG wendet. Ungeachtet der auch in der Literatur geäußerten vielfältigen Bedenken gegen die Verfassungskonformität des NetzDG (vgl. den Überblick bei Liesching, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, 1. Online-Auflage 2018, Einl. Rn. 5 f.) kommt eine Haftung des Intermediärs, deren Vermeidung die Beklagte anstreben darf, bereits nach allgemeinen Grundsätzen zur Störverantwortlichkeit in Betracht (vgl. ausführlich Wagner, GRUR 2020, 329 ff.; Friehe, NJW 2020, 1697 (1697 f.)). Diese würde auch im Fall einer Nichtigkeit des NetzDG bestehen und drohen.
(8) Bei der Gewichtung der Meinungsfreiheit der Nutzer wie der Klagepartei ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 1 GG (selbst in seiner unmittelbaren Wirkungsdimension gegen den Staat) keinen Anspruch auf Öffentlichkeit vermittelt, also kein Leistungsrecht gegenüber einem anderen beinhaltet, dass dieser seine Äußerungen zu verbreiten habe (Beurskens, NJW 2018, 3418 (3419); Spindler, CR 2018, 238 (244, 245)). Insoweit unterscheidet sich die Situation der Beklagten nicht von der eines Presse-/Rundfunkunternehmens.
Hieran ändert auch nichts, dass der Nutzer durch die Begründung des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten gegen diese einen Anspruch erworben hat, Kommunikation grundsätzlich zu eröffnen. Denn im vorliegenden Kontext geht es gerade um die Prüfung, ob dieser Anspruch aufgrund höherrangiger Vorgaben eingeschränkt werden kann, so dass sich aus diesem Umstand nichts herleiten lässt, wenn Zirkularität vermieden werden soll.
(9) In die Abwägung ist ferner die Bedeutung des von der Beklagten betriebenen Netzwerks einzustellen, die ihm aufgrund seiner erheblichen Reichweite zukommt, da eine „Unausweichlichkeit“ anerkanntermaßen zur Verschärfung der Maßstäbe führt (vgl. Spindler, CR 2018, 238 (243)).
(10) Wegen der kollidierenden Interessen kann in Konstellationen wie der vorliegenden dem Äußernden wegen Art. 5 Abs. 2 GG ein „Mäßigungs- oder Sachlichkeitsgebot“ auferlegt werden, wie es die Beklagte mit dem Verbot der Hassrede unternommen hat. Auf diese Art und Weise können die Freiheitsrechte beider Personen in ein Verhältnis praktischer Konkordanz gebracht und miteinander vereinbart werden. Insbesondere bleibt dem Äußernden die Möglichkeit eröffnet, seine Auffassung effektiv kundzutun; er muss lediglich ggf. darauf verzichten, in denkbar voller Schärfe und ohne Rücksicht auf die Ehre Dritte zu propagieren. Er hat es auch in der Hand, Zusammenhänge aufzuzeigen und in den Vordergrund zu stellen, dass er sachliche Gesichtspunkte anführen will, und es ihm nicht darum geht, andere zu diffamieren. Umgekehrt lässt sich so erreichen, dass der Beklagten nicht zugemutet wird, jegliche Äußerung ihrer Nutzer hinzunehmen, um so ihren ökonomischen Interessen nicht schaden zu müssen. Das Recht des einzelnen, sich auch in deutlicher und überspitzter Form zu äußern, findet danach eine Grenze dort, wo andere in übermäßiger, auch nicht von Kundgabe- und Überzeugungszweck gedeckter Weise beleidigt werden.
(11) Ob man der Beklagten daneben ein „virtuelles Hausrecht“ zugesteht (vgl. bei Spindler, CR 2018, 238 (244) oder man ihr Netzwerk als „virtuellen Marktplatz“ bezeichnet (OLG München, NJW 2018, 3115 (3116), Rn. 25), ist unerheblich. Aus solchen Charakterisierungen, die metaphorisch Zusammenhänge und Parallelen beschreiben, können jedenfalls keine näheren oder greifbareren juristischen Vorgaben abgeleitet werden.
(12) Der Senat kann auch nicht davon ausgehen, dass die gesetzlichen Bestimmungen im NetzDG eine abschließende Regelung darstellen, die es Netzwerkbetreiben wie der Beklagten verbieten würden, ihren Nutzern strengere Maßstäbe vorzugeben (OLG Dresden, MMR 2018, 756 (757), Rn. 16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, MMR 2020, 52, Rn. 29). Der Regelungsgehalt des NetzDG liegt vielmehr in erster Linie darin, den Intermediär für Handlungen der Nutzer in Verantwortung zu nehmen und die Handlungspflichten des Plattformbetreibers konkret zu beschreiben. Der Gesetzgeber wollte erkennbar lediglich Mindeststandards aufstellen, jedoch nicht die Befugnisse zur privatautonomen Gestaltung einengen.
dd) Ziffer 2 der aktuellen Gemeinschaftsstandards zur sogenannten Hassorganisation und Ziffer 12 der aktuellen Gemeinschaftsstandards zur sogenannten Hassrede halten einer Prüfung an diesen Vorgaben stand.
(1) Die Regelungen verfolgen das legitime Ziel, eine fried- und respektvolle Diskussions- und Äußerungskultur zu gewährleisten. Die zur Rechtfertigung angeführte Grundaussage, dass „Hassrede ein Umfeld der Einschüchterung [schafft], Menschen aus[schließt] und […] in gewissen Fällen Gewalt in der realen Welt fördern“ kann, trifft uneingeschränkt zu. Wie dargestellt, ist es als unternehmerische Grundentscheidung, die den Schutz der Berufsfreiheit genießt, zu bewerten, dass die Beklagte mit Rücksicht auf andere Nutzer, ihr Ansehen bei diesen und ihre Reputation in der Allgemeinheit ein Diskussionsniveau vorgibt, das sicherstellt, dass sich andere nicht beleidigt, übermäßig angegriffen oder sonst wie abgestoßen fühlen. Ein grundrechtlicher Schutz, andere zu diffamieren, besteht demgegenüber nicht.
Gleiches gilt für das in Ziffer 2. der Gemeinschaftsstandards enthaltene Verbot von gefährlichen Personen und Organisationen. Zur Rechtfertigung ist dabei ausgeführt, dass die Beklagte Schaden in der realen Welt verhindern und daher Organisationen oder Personen, die an terroristischen Handlungen, organisiertem Hass, Massen – oder Serienmord, Menschenhandel bzw. organisierter Gewalt oder kriminellen Handlungen beteiligt sind, keine Präsenz auf … erlaubt. Auch die Unterstützung oder Verherrlichung derartiger Organisationen oder Personen ist nicht erlaubt. Dies begegnet unter Berücksichtigung des dargestellten rechtlichen Maßstabs keinen Bedenken. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beklagte ohne derartige Verbote der Gefahr ausgesetzt wäre, als Intermediär für Äußerungen von gefährlichen Personen und Organisationen auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Die Gefahr, dass „Hassorganisationen“ auch durch ihre Aktivitäten in sozialen Netzwerken die Rechte Dritter verletzen, ist auf der Hand liegend höher als dies bei einem Durchschnittsnutzer der Fall wäre. Die Beklagte sähe sich in diesem Fall nicht nur einem erheblichen Imageschaden ausgesetzt, der nicht an nationalen Grenzen Halt macht, sondern verstieße hierdurch auch gegen ihre auf europäischer Ebene eingegangenen Verpflichtungen, gegen „Hate-Crime“ auf ihren Seiten aktiv vorzugehen. Es erscheint zudem ohne weiteres plausibel, dass sich zahlreiche Nutzer von der Teilnahme an einem Netzwerk abschrecken ließen, das „Hassorganisationen“ grundsätzlich tolerieren müsste und nur im Einzelfall oder bei konkreten Vertragsverletzungen deren Äußerungen löschen dürfte. Dies kann langfristig auch das auf hohe Nutzerzahlen ausgerichtete Geschäftsmodell der Beklagten bedrohen (vgl. auch OLG Dresden, Urteil vom 16.06.2020 – 4 U 2890/19, GRUR-RS 2020, 12291 Rn. 19).
(2) Die Verweigerung der Veröffentlichung eines Beitrags verwehrt dem Einzelnen weder, eine bestimmte Meinung zu haben, noch, sie – überhaupt, d.h. über ein anderweitiges Medium – zu äußern (Beurskens, NJW 2018, 3418 (3419)). Auch wenn der Senat nicht verkennt, dass ein anderes Medium, über das Äußerungen in vergleichbarer Art auf einfache Weise und mit derartiger Reichweite verbreitet werden können, gegenwärtig nicht vorhanden ist, stehen immer noch zahlreiche alternative Kanäle zur Verfügung.
(3) Die Beklagte berücksichtigt im Rahmen von Ziffer 12. auch, dass in der öffentlichen Auseinandersetzung um politische oder gesellschaftliche Themen auch pointierte und drastische Äußerungen möglich sein müssen, und solche auch immer Verletzungen Dritter mit sich bringen können. So stellt die Beklagte die Voraussetzungen auf, dass ein „Angriff“ vorliegen und dieser „direkt“ sein muss. Ferner schränkt sie die Vorgaben dadurch ein, dass Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussion über die Einschränkung dieser Gesetze im Zweifel zulässig sind; gleiches gilt für „Gesellschaftskritik“. Auf diese Weise nimmt die Beklagte Meinungskundgaben, welche zwar auch als Ausgrenzung und Herabwürdigung von Personen oder Personengruppen verstanden werden können, von dem Verbot aus, wenn nicht die Ausgrenzung und Herabwürdigung im Vordergrund stehen, sondern die Äußerung zu den politischen etc. Fragen.
(4) Der Umstand, dass das Netzwerk der Beklagten eine einzigartige Reichweite besitzt und ihr derzeit eine Quasi-Monopolstellung zukommt, gebietet lediglich, dass sie Nutzer nicht wegen ihrer Meinung unterschiedlich behandeln und daher bestimmte Gruppen ausschließen oder sanktionieren darf.
Die Beklagte muss daher lediglich gleichheitsrechtliche Vorgaben einhalten, was voraussetzt, dass sie sich bei einer Löschung auf sachliche, objektive und im Vorhinein nachvollziehbare Gründe stützt (Holznagel CR 2019, 518 (521); Spindler, CR 2018, 238 (245); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, MMR 2020, 52, Rn. 28; grundsätzlich auch BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 45). Die Beklagte darf daher nicht politische Äußerungen generell untersagen, bestimmten Meinungen wegen ihres Inhalts entgegentreten oder sonst willkürlich handeln (OLG Dresden, MMR 2019, 756 (758), Rn. 20; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Februar 2020 – 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 62; LG Frankfurt/M., MMR 2018, 545, Rn. 12). Eine unabhängig vom Inhalt der Meinung bestehende Etikette, die das Argumentationsniveau regelt, ist demgegenüber auch einem Monopolisten zu gestatten, weil er insoweit alle potentiellen Personen auf der Gegenseite gleichbehandelt.
(5) Bei Beachtung dieser Eckpunkte liegt auch unter kartellrechtlichen Aspekten kein relevanter Missbrauch der Marktmacht vor (Beurskens, NJW 2018, 3418 (3419); wohl strenger Specht-Riemenschneider, in: BeckOGK, § 823 BGB Rn. 1454). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt (vgl. Mafi-Gudarzi, MMR 2018, 679 (680)).
(6) Die Gemeinschaftsstandards sind daher weder wegen verfassungsrechtlicher noch wegen kartell- oder AGBrechtlicher Vorgaben so auszulegen, dass ausschließlich oder im Wesentlichen nur Äußerungen verboten sind, die auch als rechtswidrig i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG einzustufen sind. Sie dürfen vielmehr zulässigerweise auch Äußerungen verbieten, die von der Meinungsfreiheit noch umfasst wären (OLG Dresden, MMR 2019, 756 (757), Rn. 14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, MMR 2020, 52, Rn. 28 f.; Spindler, CR 2018, 238 (244)). Die Gemeinschaftsstandards sind bei dieser Auslegung auch nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Auch im Übrigen stellen sich die Nutzungsbedingungen der Beklagten nicht als unverhältnismäßig oder willkürlich dar (OLG Karlsruhe, NJW 2018, 3110 (3111)).
ff) Die Regelungen sind auch transparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
(1) Der Begriff „Hassrede“ und das Tatbestandsmerkmal „Angriffs“ werden in Ziffer 12. in verständlicher, mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in Einklang stehender Weise definiert, ohne dass der Beklagten als Verwenderin Auslegungsspielräume verbleiben. Insbesondere werden die Begriffe allgemein umschrieben und in drei verschiedenen Schweregraden unter Zuhilfenahme von Beispielen kategorisiert.
Eine weitergehende, konkretere Definition ist nicht geschuldet, zumal diese angesichts der denkbar mannigfaltigen Fallgestaltungen praktisch unmöglich wäre.
Das Gebot materieller Transparenz (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) gibt vor, den Inhalt einer Klausel möglichst weitgehend zu konkretisieren, so dass der Vertragspartner Inhalt und Umfang seiner Rechte und Pflichten dem Vertragstext mit größtmöglicher Bestimmtheit entnehmen kann (Bestimmtheitsgebot). Der Verwender muss daher Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Klausel möglichst eindeutig und nachvollziehbar darstellen, damit nicht zu seinen Gunsten ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume entstehen. Intransparenz liegt insbesondere vor, wenn die Klausel dem Verwender ein mehr oder weniger schrankenloses Ermessen ausbedingt und den Kunden dadurch in einen Zustand der Unsicherheit versetzt, den dieser nicht – auch nicht durch Einholung fachmännischen Rates – beheben kann. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn sich der Verwender Rechte vorbehält, aber nicht mit hinreichender Bestimmtheit die Voraussetzungen benennt, von denen die Ausübung dieser Rechte abhängig sein soll. (MüKoBGB/Wurmnest, 8. Aufl. 2019, BGB § 307 Rn. 61; BeckOGK/Eckelt, 1.11.2018, BGB § 307 Rn. 133). Umgekehrt bedarf es aber nicht eines Konkretisierungsgrades, der garantiert, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keine Zweifelsfragen mehr auftreten können (BeckOGK/Eckelt, 1.11.2018, BGB § 307 Rn. 133). Die Auslegungsbedürftigkeit einer Klausel allein bewirkt nicht deren Unangemessenheit (BGH, Urteil vom 17.12.1998 – VII ZR 243/97, NJW 1999, 942 (944); BGH, Beschluss vom 30.10.1984 – VIII ARZ 1/84, BGHZ 92, 363, NJW 1985, 480 (481)).
Es ist nicht erkennbar, wie die Beklagte im vorliegenden Kontext eine weitergehende Konkretisierung vornehmen können sollte. Gerade, weil sie sich nicht gegen bestimmte Meinungsinhalte wenden darf, muss sie die Formulierungen grundsätzlich abstrakt halten. Die angeführten Regelbeispiele zeigen auch dem juristisch nicht kundigen Nutzer, welche Fälle die Beklagte vor Augen hat. Ihm ist somit mit ausreichender Schärfe erkennbar, welches Verhalten die Beklagte billigt und welches sie missbilligt.
(2) Auch das in Ziffer 2. der Gemeinschaftsstandards enthaltene Verbot von „Hassorganisationen“ ist hinreichend bestimmt definiert. Für den Durchschnittsnutzer sind die Anforderungen an Größe, Inhalt und Organisationsgrad einer „Hassorganisation“ leicht erkennbar. Zugleich wird ihm durch diese Definition deutlich vor Augen geführt, dass es für die Einstufung als „Hassorganisation“ nicht auf die Bereitschaft zur oder die Ausübung physischer Gewalt ankommt. Dass die Beklagte derartige Vereinigungen nicht in ihrem Netzwerk duldet, kann den verständigen Durchschnittsnutzer schon angesichts der eingangs der Nutzungsbedingungen deutlich hervorgehobenen Bestrebung „schädliches Verhalten“, durch das sich andere Nutzer unsicher fühlen, u. a. durch die Deaktivierung des Kontos zu unterbinden, nicht überraschen. Auch die in Nr. 2 der Gemeinschaftsstandards sanktionierte Unterstützung oder Verherrlichung für derartige Organisationen ist hinreichend bestimmt und wird nicht abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch und der Verwendung in zahlreichen Normen des Strafgesetzbuchs (vgl. § 84 Abs. 2, § 85 Abs. 2 StGB bzw. § 130 Abs. 4, § 131 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB) geregelt (vgl. auch OLG Dresden, Urteil vom 16.06.2020 – 4 U 2890/19, GRUR-RS 2020, 12291 Rn. 19).
(3) Unzulässig (unter dem Aspekt der Transparenz oder der Unangemessenheit) wäre lediglich, wenn die Beklagte sich eine einseitige oder nur begrenzt nachprüfbare Befugnis einräumen lassen würde, insbesondere ein Recht, endgültig darüber befinden zu dürfen, ob Äußerungen den Tatbestand der Hassrede erfüllen oder nicht (OLG München, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174, Rn. 71). Dies ist jedoch im gegenwärtig geltenden Regelwerk nicht der Fall. Vielmehr definiert die Beklagte, was zulässig sein soll und was nicht; ob eine Äußerung hierunter fällt, unterliegt uneingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle. Dies wird auch durch Formulierungen wie „Wir lassen nicht zu…“ nicht infrage gestellt.
e) Die aktuellen Regelungen stellen auch eine taugliche Grundlage für Sanktionen der Art dar, wie sie die Beklagte zu verhängen pflegt und gegenüber der Klagepartei ergriffen hat.
aa) Die Beklagte hat mit Nr. 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen das Recht begründet, bei Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards den entsprechenden Beitrag zu löschen. In dem mit „Wir können Inhalte entfernen…“ eingeleiteten Absatz wird diese Sanktion klar benannt und mit „diese Bestimmungen“ u.a. auf die zuvor unter Ziffer 1., 1. Aufzählungszeichen, genannten Gemeinschaftsstandards Bezug genommen. Dem durchschnittlich verständigen Nutzer wird so deutlich, dass die Beklagte sich das Recht vorbehält, entsprechende Beiträge zu löschen, wenn sie mit den Gemeinschaftsstandards in Widerspruch stehen (vgl. zum Ganzen OLG Schleswig-Hostein, Urteil vom 26.02.2020 – 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 33 ff.).
Auch die temporäre Einschränkung der Nutzung, wie sie die Beklagte vorliegend unternommen hat, besitzt eine ausreichende Grundlage in dem von der Beklagten aufgestellten Regelwerk.
Die Beklagte spricht unter Nr. 1. ihrer Nutzungsbedingungen davon, dass sie auf schädliches Verhalten mit einer Deaktivierung eines Kontos reagiert, und behält sich ferner vor, den Zugriff auf bestimmte Features zu sperren. Zudem kündigt sie in Absatz 3 der Einleitung der Gemeinschaftsstandards an, bei einer Verletzung derselben Rechtsfolgen nur in Abhängigkeit von der Schwere des Verstoßes und vom bisherigen Verhalten zu treffen; sie benennt dabei für den Fall eines Folgeverstoßes, die Posting-Rechte einzuschränken.
Die von der Beklagten verhängte Maßnahme stellt eine Sperre bestimmter Features dar. Bei systematischer Auslegung ergibt sich, dass die Deaktivierung des Kontos die vollständige und endgültige Beendigung der Nutzungsmöglichkeit bezeichnen soll, während die Sperre bestimmter Features sich auf einzelne Funktionen beschränkt (ohne dass dabei etwas über die Dauer ausgesagt wird). Ein Ausschluss vom aktiven Zugriff auf Funktionen ist daher ohne Weiteres unter diesen Begriff zu subsumieren (wie hier OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Februar 2019 – 6 W 81/18, MMR 2020, 52, Rn. 40 f.).
Hinzu kommt, dass die Sperre bestimmter Features als Minus zur Deaktivierung des Kontos verstanden werden kann. Da sich die Beklagte ausdrücklich am (insoweit ohnehin geltenden) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz festhalten lässt, wird deutlich, dass sie ggf. Maßnahmen ergreift, die hinter den beschriebenen zurückbleiben (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.02.2020 – 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 34). Die zeitlich und sachlich (d.h. im Hinblick auf Funktionen) begrenzte Sperrung eines Nutzerkontos ist daher zulässig, weil sie eine weniger stark einschneidende Maßnahme gegenüber der kompletten Deaktivierung darstellt.
In den Gemeinschaftsstandards führt die Beklagte in der Einleitung unter dem Absatz „Gleichheit“ u.a. Folgendes aus:
Verstöße gegen unsere Gemeinschaftsstandards haben Folgen. Wie diese Folgen konkret aussehen, hängt von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der jeweiligen Person auf … ab. So können wir bei einem ersten Verstoß eine Verwarnung aussprechen. Bei einem Folgeverstoß können wir die Posting-Rechte des Nutzers/Nutzerin einschränken oder das entsprechende Profil deaktivieren.
Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die Beklagte in jedem Fall verpflichtet wäre, bei einem ersten Verstoß lediglich eine Verwarnung aussprechen, und erst bei einem Folgeverstoß das Recht bestehen würde, die Posting-Rechte des Nutzers/der Nutzerin einzuschränken. Denn es ist in jedem Einzelfall auf den Schweregrad des Verstoßes unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens der Person und die Verhältnismäßigkeit der jeweils verhängten Sanktion abzustellen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, juris-Rn. 67; OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, juris-Rn. 25).
bb) Der Senat verkennt ferner nicht, dass das Bundesverfassungsgericht für die vergleichbare Situation des Stadionverbots erwogen hat, dass derjenige, der andere wegen des Vorwurfs eines pflichtwidrigen Verhaltens mit Sanktionen belegt, ein Anhörungsverfahren etablieren muss, um ihm Gelegenheit zur Äußerung und Stellungnahme zu geben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 58). Die Beklagte verweist allerdings unter 4.2 ihrer Nutzungsbedingungen darauf, dass der Nutzer im Fall der Deaktivierung des Kontos etwas unternehmen kann, wenn er meint, dass dies irrtümlich geschehen sei. Insoweit gewährt die Beklagte die Möglichkeit, dass der Nutzer geltend macht, die Deaktivierung sei zu Unrecht erfolgt. Dafür, dass die Beklagte dies im Falle einer zeitweisen Sperrung einzelner Funktionen und der Löschung eines Beitrags nicht unternehmen würde, ist nichts ersichtlich. Dagegen ist nicht geboten, zwingend ein vorheriges Anhörungsverfahren durchzuführen. Insbesondere kann es das Ziel, Beiträge nicht weiter auf Dritte wirken zu lassen, gebieten, diese sofort zu entfernen und den Nutzer darauf zu verweisen, Einwendungen geltend zu machen. Insoweit gilt nichts anderes als der auch im staatlichen Recht anerkannte Grundsatz, dass bei Eilbedürftigkeit die Einräumung nachträglichen rechtlichen Gehörs ausreicht.
f) Eine differenzierte Beurteilung ist bei „Post 1“ und „Post 2“, die am 16.01.2018 bzw. 22.02.2018 – also vor Wirksamwerden der am 19.04.2018 geänderten Nutzungsbedingungen – veröffentlicht und von der Beklagten entfernt wurden, veranlasst.
aa) Hinsichtlich der zukunftsgerichteten Ansprüche auf Freischaltung (Ziffern 3. und 5.) und Unterlassung (Ziffern 12. und 13.) kommt es auf die bis zum 19.04.2018 geltenden Gemeinschaftsstandards sowie die Erklärung über die Rechte und Pflichten nicht (ausschließlich) an. Denn die in die Zukunft gerichteten Ansprüche setzen voraus, dass das dem Anspruch zugrundeliegende Verhalten auch am Tag des Urteils noch eine Vertragsverletzung darstellt. Anderenfalls würde die Beklagte zu etwas verurteilt werden, wozu sie aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage nicht verpflichtet wäre.
bb) In Bezug auf die übrigen Ansprüche (insbesondere die Freistellungsansprüche in Ziffer 19.) ist festzustellen, dass die Beklagte die Löschung der Beiträge und Verhängung der Sperre nicht auf Ziffer 5.2 der „Erklärung der Rechte und Pflichten“ stützen kann. Denn diese Klausel ist gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, weil sie den Nutzer als Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (so auch OLG München, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, juris-Rn. 93 ff.). Dies ergibt sich daraus, dass es nach dem Wortlaut der Klausel – dem die bei der gebotenen Auslegung zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB) zugrunde zu legende kundenunfreundlichste Auslegung entspricht – für die Beurteilung der Frage, ob ein geposteter Beitrag gegen die Richtlinien der Beklagten verstößt und deshalb gelöscht werden darf, ausschließlich auf die Ansicht, also die subjektiven Vorstellungen, der Beklagten ankommt. Eine einseitige oder zumindest nur eingeschränkt überprüfbare Befugnis der Beklagten, die Zulässigkeit der von ihren Nutzern geposteten Inhalte zu beurteilen, widerspricht jedoch der Zweckbestimmung der von der Beklagten mit „…“ bereit gestellten Social-Media-Plattform, die den Nutzern einen „öffentlichen Marktplatz“ für Informationen und Meinungsaustausch verschaffen soll.
Allerdings kann eine Löschung aufgrund der den Gemeinschaftsstandards der Beklagten zu entnehmenden Befugnis zur Entfernung von „Hassbotschaften“ erfolgen. Diese Klausel, die als Ermächtigung der Beklagten zur Entfernung von „Hassbotschaften“ auszulegen ist, wird von der Nichtigkeit der Klausel Nr. 5.2 der „Erklärung der Rechte und Pflichten“ nicht unmittelbar berührt (so auch OLG München, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, juris-Rn. 122). Das Verbot von „Hassbotschaften“ hält vor dem Hintergrund des oben dargestellten rechtlichen Rahmens als solches der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB stand, soweit die Beklagte damit lediglich die Schranken nachzieht und verdeutlicht, denen die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ohnehin unterworfen ist. Die Definition von „Hassbotschaften“ in den damals geltenden Gemeinschaftsstandards ist auch hinreichend bestimmt, klar und verständlich.
3. Vor diesem Hintergrund verstoßen die streitgegenständlichen „Post 1“, „Post 2“, „Post 4“ und „Post 5“ gegen die (aktuellen) Gemeinschaftsstandards der Beklagten.
a) Die Beklagte muss sich an die von ihr aufgestellten und formulierten Regeln halten (Holznagel CR 2019, 518 (521)). Da die Gemeinschaftsstandards AGB-Charakter besitzen, kommen Unklarheiten insoweit grundsätzlich dem Nutzer zugute. Ebenso ist wegen der mittelbaren Drittwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG im Zweifel dem Äußerungsrecht des Nutzers der Vorrang zu geben.
b) Die Bewertung der Zulässigkeit der Löschung des Beitrags und vorübergehende Sperrung des Accounts hängt von der zutreffenden Sinndeutung der streitgegenständlichen Äußerung ab, da sie Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung von deren ureigenem Aussagegehalt ist. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, zu berücksichtigen (Gesamtzusammenhang). Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029, Rn. 30; BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 -1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339, NJW 2006, 207, Rn. 31 – „IM Sekretär“/Stolpe“ m.w.N.).
Dies mag zwar dazu führen, dass die einzelnen Komponenten und Sichtweisen eines möglicherweise schnell geposteten Beitrags „auseinanderfiletiert“ werden. Da eine Analyse des Gehalts der Äußerung, die notwendige Voraussetzung für deren Bewertung ist, nicht anders möglich ist, ist dies jedoch nicht zu vermeiden.
Im hier fraglichen Bereich von Kurzbeiträgen im Internet ist dabei auf den eher flüchtigen Durchschnittsleser abzustellen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, MMR 2019, 110, Rn. 26). Gewicht können zudem der konkrete Seitenaufbau und die Anordnung und das Verhältnis der einzelnen Äußerungen im Zusammenspiel zueinander haben.
c) Der Senat geht davon aus, dass eine Löschung eines Beitrags und eine Sanktionierung bereits dann erfolgen darf, wenn eine von mehreren naheliegenden Deutungen die Merkmale der „Hassrede“ bzw. der Verherrlichung einer „Hassorganisation“ erfüllt.
Dies ist Konsequenz daraus, dass – wie ausgeführt – die Beklagte dafür Sorge tragen darf, dass sich Nutzer nicht von ihrer Plattform abwenden. Dieses berechtigte und grundrechtlich geschützte Interesse legitimiert nicht nur, überhaupt, gewisse Regeln aufzustellen, sondern auch, diese so zu handhaben, dass bereits in den – häufig gegebenen -Zweifelsfällen eine Löschung erfolgen darf. Zu der negativen Wirkung auf andere Nutzer oder Werbekunden kommt es nämlich bereits dann, wenn ein signifikanter Teil der Nutzer, die einen fremden Beitrag sehen, diesen als abstoßende Ausdrucksweise qualifizieren. Dabei kann es nicht auf die tatsächlichen subjektiven Empfindlichkeiten der individuellen Nutzer ankommen, weil sonst bereits die ethischen Wert- und Qualitätsmaßstäbe einzelner relevant würden; angesichts der Vielzahl potentieller Adressaten wäre dann eine Meinungsäußerung zu brisanten Themen weitgehend ausgeschlossen. Entscheidend muss vielmehr sein, ob verständige Betrachter, die auch die Meinungsäußerungsfreiheit anderer im Blick haben, sich nicht vorschnell auf eine Deutung festlegen und grundsätzlich für verschiedene Deutungsvarianten offen sind, einen Post als Hassrede oder Unterstützung einer Hassorganisation nach Maßgabe der Gemeinschaftsstandards verstehen. Somit muss jedenfalls für einen nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Nutzerschaft („Durchschnittspublikum“, vgl. BVerfG, Beschluss vom NJW 2006, 207, Rn. 31 – „IM 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339 Sekretär“/Stolpe“) nach zumindest einer der ernsthaft in Betracht kommenden Deutungsvarianten dieser Tatbestand erkennbar gegeben sein.
Bei diesem Verständnis wird der Beklagten nicht in unzulässiger Weise ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; vielmehr wird – wenn auch nicht empirisch, sondern normativ – darauf abgestellt, ob bei mehrdeutigen Äußerungen auch ein Nutzer, der die Meinungsfreiheit anderer respektieren und grundsätzlich auch andere Deutungen in Erwägung zieht, einen Beitrag als Hassrede oder Verherrlichung einer Hassorganisation versteht. Maßstab muss dabei ein verständiger Nutzer sein, der diese Beurteilung unabhängig davon vornimmt, ob er die zum Ausdruck gebrachte Position teilt oder ablehnt.
Diese Sichtweise ist mit der Meinungsäußerungsfreiheit der Nutzer vereinbar. Insoweit lässt sich auch im vorliegenden Kontext der Gedanke fruchtbar machen, dass demjenigen, der einen Beitrag zu einer Diskussion leisten will, abverlangt und zugemutet werden kann, sich hinreichend klar und deutlich zu äußern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339 = NJW 2006, 207, Rn. 34 f. – „IM Sekretär“/Stolpe“). Wer die Kommunikationsdienste Dritter in Anspruch nehmen will, kann von diesen darauf verwiesen werden, die Äußerungsfreiheit nicht uneingeschränkt, d.h. in der vollen, von Art. 5 Abs. 1 GG an sich im Verhältnis Bürger-Staat gewährleisteten Weise, in Anspruch zu nehmen, sondern auch auf deren Belange Rücksicht zu nehmen. Wählt der Äußernde bewusst oder unbewusst eine Formulierung, die für andere auch bei Einbeziehung von Alternativen in signifikantem Umfang als Beschimpfung wirkt, verletzt er seine Obliegenheit, sich so auszudrücken, dass sein Verhalten auch mit den Regeln der Beklagten und den dahinter stehen Empfindungen Dritter als noch vereinbar angesehen werden können.
Die Zumutbarkeit ist auch deshalb gegeben, weil bei Äußerungen im Internet zwangsläufig eine gewisse Zeit und Gelegenheit besteht, die eigene Formulierung zu überdenken. Zwar werden auch hier vielfach Beiträge anderer oder Meldungen „spontan“ kommentiert. Der Prozess des Schreibens und Freigebens nimmt aber dennoch mehr Zeit in Anspruch als eine verbale Äußerung während einer lebhaften Diskussion, bei der sich der Teilnehmer zu Äußerungen hinreißen lassen mag. Auch ist allgemein ein Bewusstsein vorhanden, dass Geschriebenes beständiger ist als Gesprochenes und daher grundsätzlich höhere Sorgfaltsanforderungen bestehen, weil sich der Äußernde eher „daran festhalten lassen“ muss.
Dieses Verständnis kommt auch in den Gemeinschaftsrichtlinien in (noch) ausreichender Weise zum Ausdruck. Ein entsprechendes Deutlichkeits- und Klarheitsgebot kommt z.B. in dem mit „Manchmal teilen Menschen Inhalte […]“ eingeleiteten Absatz zu Beginn der Ziffer 12 zum Ausdruck. Bereits in der Einleitung der Gemeinschaftsstandards verweist die Beklagte im Abschnitt „Sicherheit“ darauf, dass sich die Menschen sicher fühlen können müssen und die Beklagte daher Inhalte entfernt, die geeignet (sic!) sind, seelische Verletzungen zu verursachen. Hieraus wird erkennbar, dass es alleine auf die Eignung einer Äußerung ankommt, in signifikanter Weise auf Nutzer verletzend zu wirken, was bereits dann der Fall ist, wenn ein Verstoß z.B. gegen das Verbot der Hassrede oder der Verherrlichung einer Hassorganisation ernsthaft zur Diskussion steht.
d) Soweit für die rechtliche Bewertung der konkreten Äußerung – und damit hier eben auch der Zulässigkeit der Sperrung/Löschung – Aspekte des Gesamtkontextes relevant sind, z.B. die Frage, ob eine Bezugnahme auf andere Äußerungen oder Kommentare erkennbar ist, muss nach den allgemein geltenden Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast der Anspruchsteller die relevanten Umstände darlegen und beweisen (OLG Köln, Beschluss vom 18.10.2018 – 15 W 57/18, Rn. 6).
e) Bei Anlegen dieser Maßstäbe ist „Post 1“ in einem Sinn zu verstehen, dass eine „Hassorganisation“ bzw. der von ihr begangenen Taten im Sinne von Ziffer 2. der – für die zukunftsgerichteten Ansprüche maßgeblichen – aktuellen Gemeinschaftsstandards verherrlicht wird.
aa) Der Beitrag bezieht sich aus der Sicht des flüchtigen Durchschnittslesers auf eine Hassorganisation gemäß Ziffer 2. der Gemeinschaftsstandards. Diese wird als Zusammenschluss definiert, der unter einem Namen, Zeichen oder Symbol organisiert ist und dessen Ideologie, Aussagen oder physische Handlungen Personen aufgrund bestimmter Eigenschaften, wie u.a. ethnische Zugehörigkeit, religiöse Zugehörigkeit, Nationalität, ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, schwere Erkrankung oder Behinderung angreifen. Darunter fallen auch ehemalige Hassorganisationen wie die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) als Partei mit nationalsozialistischer Ideologie.
Durch die mehrfache Verwendung des Begriffs „Nazi“ wird für den Leser ein direkter Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus und die damaligen Organisationen – wie beispielsweise die NSDAP als die von 1933 bis 1945 einzige zugelassene Partei – hergestellt. Denn die Bezeichnung „Nazi“ ist gerichtsbekannt ein Kurzwort für einen Anhänger des Nationalsozialismus. In diesem Zusammenhang sind auch die Verwendung der altdeutschen Schrift sowie der Aufdruck eines Siegels mit der Aufschrift „Heimatpartei Deutsches Reich“, der Farben „Schwarz-Weiß-Rot“ sowie eines stilisierten Adlers zu berücksichtigen, wodurch ein geschichtlicher Bezug bzw. historischer Anklang hergestellt wird. Unerheblich ist insoweit, dass bei genauem Studium des Siegels festgestellt werden könnte, dass ein Bezug zum Deutschen Kaiserreich näher liegt als zur Zeit des Nationalsozialismus.
bb) Der Begriff des Verherrlichens im Sinne von § 130 Abs. 4 StGB erfasst das Berühmen der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft als etwas Großartiges, Imponierendes oder Heldenhaftes. Dabei reicht es aus, wenn das Dargestellte in einen positiven Bewertungszusammenhang gestellt wird oder in der Schilderung der Unrechtshandlungen und ihrer Verantwortungsträger entsprechende positive Wertakzente gesetzt werden (VG Bayreuth, MMR 2005, 791 (792); Rackow, in BeckOK StGB, 48. Ed. 01.11.2020, § 130 StGB Rn. 39).
Der Kläger porträtiert – wie das Erstgericht zutreffend darstellt – durch „Post 1“ Nazis und somit die NSDAP und deren Anhänger in einem positiven Licht. Er vergleicht sie mit Heiligen und von Gott auserwählten Personen. Der Inhalt stellt Nazis insoweit als Heilige dar und trivialisiert somit die Gräueltaten der NSDAP und verherrlicht nach dem Verständnis eines signifikant großen Teils der Leserschaft ihr Regime.
cc) Der Kläger macht geltend, dass seine Absicht darin bestanden habe, die angebliche Tendenz zu kritisieren, Menschen zu stigmatisieren und mit Nazis in Verbindung zu bringen, wenn sie rechtsgerichtete politische Ansichten äußern. Diese vorgebliche Absicht kann jedoch dem Beitrag nicht hinreichend entnommen werden. Vielmehr schreibt der Kläger darin den Nazis positive Eigenschaften zu, ohne sich von ihnen zu distanzieren bzw. Hinweise auf eine Distanzierungsabsicht aufzunehmen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser These ist an keiner Stelle erkennbar (vgl. auch OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 11.12.2019 – 4 U 1680/19, NJW-RR 2020, 426 Rn. 12).
f) Bei „Post 2“ handelt es sich um Hassrede im Sinne von Nr. 12 der – für die zukunftsgerichteten Ansprüche maßgeblichen – aktuellen Gemeinschaftsstandards. Er stellt einen direkten Angriff gegen eine ganze Personengruppe aufgrund geschützter Eigenschaften im Sinne der Gemeinschaftsstandards bezüglich Hassrede dar – nämlich der nationalen Herkunft und des Einwanderungsstatus. Außerdem erfüllt die Äußerung die Definition des Angriffs, weil sie Aussagen über die Minderwertigkeit von Flüchtlingen enthält.
aa) In Ziffer 12. der Gemeinschaftsstandards sind insbesondere Inhalte untersagt, die Personen verunglimpfend beschreiben oder sie mit Verunglimpfungen angreifen. Verunglimpfungen werden als Ausdrücke bzw. Wörter definiert, die üblicherweise als beleidigende Bezeichnung für die oben aufgeführten Eigenschaften verwendet werden.
bb) Die Äußerung ist als Meinungskundgabe und nicht als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren. Ein subjektivwertendes Moment kommt zwar nicht unmittelbar zum Ausdruck. Dennoch werden aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums nicht objektivüberprüfbare Tatsachen behauptet, sondern zugespitzte Äußerungen. Denn im Vordergrund steht erkennbar die ablehnende Haltung des Klägers gegenüber (illegal eingereisten) Flüchtlingen.
cc) Aus der Perspektive eines flüchtigen Lesers vergleicht der Kläger in diesem Post auf dem Seeweg ankommende Flüchtlinge mit „Heuschrecken“. Der Begriff „Heuschrecke“ wird im deutschsprachigen Kulturkreis als eine der zehn biblischen Plagen (vgl. 2. Buch Mose, Kapitel 10 Vers 12) abwertend im Sinne massenhaft auftretender, gefräßiger Ungeziefer verwendet. Der Kläger setzt somit Migranten mit Insekten gleich, die Ernten vernichten und große landwirtschaftliche Schäden und Hungersnöte verursachen. Die Aussage des Klägers stellte daher eine grundlose Verallgemeinerung und einen beleidigenden Angriff auf eine Gruppe von Menschen dar. Der Kläger unterstellt, Migranten seien genauso gefährlich wie Heuschrecken.
Daran ändert auch der Satz am Ende „aber es werden keine Tiere sein“ nichts. Der Senat folgt nicht der Argumentation des Klägers, dass damit ein Vergleich von Menschen mit Tieren gerade nicht gewollt gewesen sei. Unbeschadet dessen, dass dann nicht verständlich wäre, was der Kläger überhaupt zum Ausdruck bringen wollte, wird im Gegenteil sogar klargestellt, dass keine Tiere bzw. Insekten, sondern Menschen kommen, aber eben „wie Heuschrecken“. Ebenso wenig bezieht sich der Satz nur auf das Wort „kommen“ als Beschreibung einer massenhaften Migrationsbewegung. Ob es sich dabei um ein echtes oder unechtes und um ein aus ähnlichem oder einem anderen Zusammenhang stammendes Zitat der historischen Person Nostradamus handelte, spielt keine wesentliche Rolle. Auch eine Bezugnahme auf echte Zitate historischer Personen in einem bestimmten inhaltlichen Zusammenhang kann nach heutiger Wertung eine unzulässige Meinungsäußerung darstellen (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, juris-Rn. 70).
dd) Zwar erlauben die Gemeinschaftsstandards „Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussion über die Einschränkung dieser Gesetze“. Der streitgegenständliche Post ist jedoch aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittslesers nicht als sachliche Kritik oder Diskussionsbeitrag in diesem Sinne zu verstehen, jedenfalls tritt sie vollkommen in den Hintergrund. Ein Aufklärungs- oder Sensibilisierungsbestreben, das ein Mindestmaß an argumentativer Auseinandersetzung mit einem Thema erfordert, wird aus dem Gesamtzusammenhang nicht ersichtlich, da der Kläger sich nicht mit angeblich „negativen Folgen“ der Migrationspolitik auseinandersetzt, sondern die Gruppe zumindest der künftig einreisenden Flüchtlinge unter Verwendung beleidigender Begriffe pauschal moralisch abwertet. Jemanden als „Heuschrecke“ zu bezeichnen, kann vernünftigerweise keine positive oder nützliche Äußerung sein, geschweige denn einen konstruktiven Beitrag zu einem legitimen Thema von öffentlichem Interesse leisten.
g) Auch bei „Post 4“ handelt es sich um Hassrede im Sinne von Nr. 12 der (aktuellen) Gemeinschaftsstandards. Er ist zwar Meinungskundgabe und nicht als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren, stellt aber einen direkten Angriff gegen eine ganze Personengruppe aufgrund geschützter Eigenschaften im Sinne der Gemeinschaftsstandards bezüglich Hassrede dar, weil sie Aussagen über die Minderwertigkeit von Flüchtlingen enthält.
aa) Der Begriff „Musel“ ist gerichtsbekannt eine Verkürzung von „Muselmann“ und abwertend für einen Muslim (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Musel). Er ist heute ein Schimpfwort, welches für Muslime abwertend verwendet wird. Diese Beschimpfung ist im Genre islamfeindlicher Gruppierungen ein fester Bestandteil ihres Sprachgebrauchs (vgl. https://at.wikimannia.org/Musel).
Der Begriff „Musel” ist somit eine (veraltete) Bezeichnung für Muslime, die im heutigen Sprachgebrauch ausschließlich herabsetzend verwendet wird. Diese abfällige Bezeichnung stellt – weil er von einem gewichtigen Teil der Leserschaft dahingehend gedeutet wird, dass die Anhänger des Islams moralisch minderwertig sind – eine Form der beleidigenden Ansprache von Muslimen dar (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2020 – 5 U 745/20, Anlage B 75; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 5 – 2 StE 21/16). Auch das Verwaltungsgericht Magdeburg hat entschieden, dass „Muselmanenglaube“ eine abwertende und verächtliche Bezeichnung für den Islam ist (VG Magdeburg, Urteil vom 28.01.2020 – 15 A 4/19).
Darauf, ob der Begriff „Musel“ in der Vergangenheit einmal wertneutral verwendet wurde, kommt es nicht an, da das heutige Verständnis des Begriffs entscheidend ist (OLG Hamm, Urteil vom 24.09.2020 – I-4 U 51/20). Denn gelten kann nur, was heute in der Gesellschaft anerkannt ist. Nach dem gegenwärtigen Sprachgebrauch ist der Begriff aber als eine Beleidigung von Muslimen zu bewerten.
bb) Verstärkt wird der abwertende Charakter des Posts dadurch, dass der Kläger ausführt, die „Musels [könnten] ruhig antraben“. Denn der Ausdruck „traben“ ist vorrangig für Vierfüßler reserviert und kann – abhängig vom jeweiligen Gesamtzusammenhang – herabwürdigende Anklänge beinhalten.
In diesem Zusammenhang ist auch der Aufruf zum Betreiben von „Kommando krav maga“ – einer in Israel begründeten Kampfsportart – zu berücksichtigen. Denn dadurch suggeriert der Kläger, dass die Ausübung eines Kampfsports ein adäquater Weg sei, sich mit Menschen muslimischen Glaubens auseinanderzusetzen, wenn diese „antraben“.
cc) Aus dem Post ergibt sich nicht, dass dieser offensichtlich ironisch gemeint ist. Aufgrund des vielschichtigen Bedeutungsgehalts vom Smileys entnimmt der flüchtige Durchschnittsleser diese Sinndeutung insbesondere nicht den hinter dem Satz gesetzten Lach-Smiley, lilafarbenen „TeufelsSmiley“ und Smiley mit Sonnenbrille.
Auch eine sachbezogene Kritik an Einwanderungsgesetzen ist unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen (unter Ziffer f) dd)) mit diesem Post nicht verbunden.
h) Schließlich kommt auch in „Post 5“ – zumindest nach einer von mehreren naheliegenden Deutungen – eine Verherrlichung einer „Hassorganisation“ im Sinne von Ziffer 2. der Gemeinschaftsstandards hinreichend deutlich zum Ausdruck. Dabei ist zunächst zu unterscheiden, ob nach dem Verständnis des Empfängers zwischen dem „Nazisein“ und den beschriebenen Verhaltensweisen eine Verbindung hergestellt wird oder sich lediglich mit der inflationären Verwendung der Bezeichnung „Nazi“ auseinandergesetzt wird (nachfolgend unter aa)). In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob für den flüchtigen Leser auf eine Hassorganisation im Sinne der Gemeinschaftsstandards Bezug genommen wird (nachfolgend unter bb))
aa) Nach einer ersthaft in Betracht kommenden Deutungsvariante stellt der Kläger in „Post 5“ eine direkte Verknüpfung zwischen dem „Nazi-Sein“ und den positiv besetzten Werten her.
Der Kläger macht nach einer Deutungsmöglichkeit in dem Beitrag seine subjektive Einschätzung dahingehend deutlich, dass man in politischen Diskussionen gern als „Nazi“ beschimpft wird, sobald man eine bestimmte Position – insbesondere die von dem Kläger angeführten Positionen, beispielsweise in Bezug auf Themen wie Masseneinwanderung, Flüchtlingspolitik etc. – vertritt.
Gemäß einer weiteren Deutungsvariante wird aus der maßgeblichen Sicht eines flüchtigen Durchschnittslesers eine direkte Verknüpfung zwischen dem „Nazi-Sein“ und den im Post aufgeführten, durchweg positiv besetzten Werten wie beispielsweise „Schutz der Familie“, „Schaffen einer Ordnung“, „Bekämpfung von Ungerechtigkeit bzw. Willkür“ oder „Kriegsgegnerschaft“ hergestellt. Durch die Verknüpfung dieser Werte und Handlungsweisen mit dem Begriff des „Nazi-Seins“ wird zunächst das generelle Verständnis des Nationalsozialismus auf den Kopf gestellt und positiv aufgeladen, um anschließend eine Identifizierung hiermit zu ermöglichen. Indem abschließend festgestellt wird, „dann sei man gerne ein Nazi“, trägt die damit zum Ausdruck kommende Bekräftigung zu einer Verherrlichung bei (vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 11.12.2019 – 4 U 1680/19, NJW-RR 2020, 426 Rn. 12).
Ein signifikanter Teil der Nutzer wird „Post 5“ im Sinne der zweiten Deutungsmöglichkeit verstehen. Denn die behauptete Intention des Klägers, er habe mit diesem Beitrag lediglich auf die politische Unsitte reagieren wollen, dass Vertreter bestimmter Positionen in der öffentlichen Diskussion schnell undifferenziert als Nazi bezeichnet würden, lässt sich dem weder weiter erläuterten noch kommentierten Beitrag so nicht entnehmen, weshalb zur Ermittlung des Beitragsinhalts allein auf die gepostete Grafik bzw. deren wörtlichen Inhalt abzustellen ist (vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.07.2020 – 13 U 61/20, Anlage B 113). Auch eine Distanzierung oder kritische Auseinandersetzung des Klägers in Bezug auf die nach dem Wortsinn aufgestellte direkte Verknüpfung zwischen dem „Nazisein“ und den aufgeführten, durchweg positiv besetzten Werten oder dem Inhalt des Posts ist nicht erkennbar. Der eigentliche Bedeutungsgehalt des Beitrags liegt damit darin, dass die als „Nazi“ betitelten Meinungsträger bzw. Personen mit ihren politischen Positionen und Meinungen angeblich insbesondere die aufgeführten positiven Werte vertreten würden (vgl. auch OLG Dresden, a.a.O. Rn. 12).
bb) Darüber hinaus wird in diesem Post nach einer ernsthaft in Betracht kommenden Deutungsvariante auf eine Hassorganisation im Sinne der Gemeinschaftsstandards Bezug genommen.
Allerdings fehlt es bei einer Deutungsmöglichkeit an einer derartigen – dem Durchschnittsleser erkennbaren – Bezugnahme auf eine Hassorganisation im Sinne von Ziffer 2. der Gemeinschaftsstandards, also einem aus drei oder mehr Personen bestehenden Zusammenschluss, der unter einem Namen, Zeichen oder Symbol organisiert ist […]. Denn die „heutigen“ Nazis sind unter den Bezeichnungen „Nazi“ oder „Nationalsozialist“ nicht organisiert. Es handelt sich dabei vielmehr um – häufig als Neonazis bezeichnete – Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts, die in unterschiedlichste Gruppierungen ohne zentralisierte Ausrichtung zersplittert sind. Strukturierte Nazi-Organisationen sind nach geltendem Recht gesetzlich verboten. Zwar unterfallen Ziffer 2. der Gemeinschaftsstandards auch ehemalige Hassorganisationen wie die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) als Partei mit nationalsozialistischer Ideologie. Eine entsprechende historische Assoziation kann jedoch die angesprochene Leserschaft dem Beitrag nicht entnehmen. Im Gegenteil bezieht sich der Beitrag ausdrücklich darauf, was „Nazi-Sein“ heute heißt. Auch ist offensichtlich, dass die aufgezählten Werte und Handlungsweisen – wie Schutz der Familie, Ordnung schaffen, Verteidigung des Erreichten, eine Meinung zu vertreten, Ungerechtigkeit und Willkür zu bekämpfen oder Kriegsgegner zu sein – mit der nationalsozialistischen Ideologie nichts gemein hat. Der Begriff des Nazis ist auch kein feststehender Begriff für Anhänger des NSDAP.
Nach einer anderen Deutungsvariante wird das Wort „heute“ in dem Beitrag nicht gebraucht, um sich auf „heutige Nazis“ zu beziehen, sondern um ein angebliches neues, „heutiges“ Verständnis der Nationalsozialisten der NSDAP zu schaffen. Diese Bezeichnung soll den „historischen“ Nazis Werte zuschreiben, die offensichtlich im Gegensatz zu all dem stehen, was Nazis geschichtlich repräsentieren. Damit bezieht sich die Äußerung des Klägers nicht nur auf den durchaus vielseitig benutzten Begriff „Nazi“. Vielmehr setzt er dieses Wort in eine Beziehung, wenn er beschreibt, was Nazisein heute heißt. Er deutet damit auf einen Wandel des Begriffs „Nazi“ hin, der die Anknüpfung an ein älteres Begriffsverständnis von „Nazi“ voraussetzt. Als Anknüpfungspunkt kommt sinnvollerweise nur der „Nazi“ als Mitglied der NSDAP in Betracht (vgl. LG Leipzig, Endurteil vom 12.07.2019 – 08 O 2491/18, GRUR-RS 2019, 38785, Rn. 55).
Die zweite Deutungsvariante ist nicht fernliegend und ist daher bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Maßnahmen der Beklagten zu Grunde zu legen.
In diesem Zusammenhang ist zum einen zu berücksichtigen, dass bereits mehrere Gerichte (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 11.12.2019 – 4 U 1680/19, NJW-RR 2020, 426; OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.07.2020 – 13 U 61/20; LG Leipzig, Endurteil vom 12.07.2019 – 08 O 2491/18, GRUR-RS 2019, 38785) den identischen Beitrag als Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards angesehen haben. Zwar ist nicht empirisch, sondern normativ darauf abzustellen, ob bei mehrdeutigen Äußerungen auch ein Nutzer, der die Meinungsfreiheit anderer respektieren und grundsätzlich auch andere Deutungen in Erwägung zieht, einen Beitrag als Hassrede oder Verherrlichung einer Hassorganisation versteht. Derartige Nutzer können jedoch auch Richter sein, die einen Post im Rahmen eines Urteils einer rechtlichen Beurteilung unterziehen.
Zum anderen kann die grafische Gestaltung des Beitrags mit den deutlich hervorgehobenen Wörtern „Nazisein“ und dem schwarzen Hintergrund mit Totenkopfzeichnung in der linken oberen Ecke nicht außer Acht gelassen werden.
Der insgesamt unklare Beitrag endet mit der abschließenden Feststellung, „dann sei man gerne ein Nazi“. Die damit zum Ausdruck kommende Bekräftigung kann dazu beitragen, auch rückblickend das für den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg verantwortliche Nationalsozialistische Regime mit positiven Werten und Handlungsweisen zu verknüpfen und dadurch verharmlosend darzustellen (OLG Dresden, a.a.O. Rn. 15; OLG Oldenburg a.a.O.). Die Äußerung ist damit geeignet, in signifikanter Weise auf Nutzer verletzend zu wirken, was – wie oben dargestellt – bereits dann der Fall ist, wenn ein Verstoß gegen die Verherrlichung einer Hassorganisation ernsthaft zur Diskussion steht.
4. Für die klägerischen Anträge bedeutet dies:
a) Die Feststellungsanträge sind – wie bereits unter Ziffer B.I.2. ausgeführt – unzulässig.
b) Die Klagepartei kann nicht verlangen, dass die streitgegenständlichen Äußerungen in „Post 1“, „Post 2, Post 4“ und „Post 5“ wieder freigeschaltet werden (Anträge Ziffern 3., 5., 8. und 10.), und dass bei der Veröffentlichung einer gleichlautenden Äußerung eine Sanktionierung unterbleibt (Anträge Ziffern 12., bis 15.). Ein Anspruch aus dem Nutzungsvertrag besteht nicht, weil die Äußerungen eine danach unzulässige Äußerung darstellen, die die Beklagte nicht verbreiten muss, sondern entfernen darf. Dies ergibt sich aus Nr. 3.2 Abs. 2 Satz 1 der Nutzungsbedingungen, wonach die Beklagte Inhalte entfernen darf, die ein Nutzer unter Verstoß gegen ihre Gemeinschaftsstandards eingestellt hat. Entsprechende Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung und Unterlassung (§ 1004 Abs. 1 S. 1 bzw. S. 2 BGB) oder der Naturalrestitution (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 oder § 823 Abs. 1 i.V.m. § 249 BGB) sind mangels Rechts- und Vertragswidrigkeit des Handelns der Beklagten nicht gegeben.
c) Dem Kläger steht der in Ziffer 16. geltend gemachte Anspruch auf Auskunft darüber, ob und ggf. welche Person die Beklagte mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Sperre betraut hat, nicht zu (ebenso OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.02.2020, 9 U 125/19, GRUR-RS 2020, 8539, Rn. 69).
Einer entsprechenden Verpflichtung aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht bereits der Umstand entgegen, dass Ansprüche des Klägers gegen Dritte, deren beabsichtigte Geltendmachung die Klagepartei zur Begründung des Informationsbedürfnisses anführt, aus Rechtsgründen von vornherein ausgeschlossen scheinen. Wie dargelegt, finden sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit der Löschung eines von ihm eingestellten Beitrags oder einer von der Beklagten gegen ihn verhängten Sperrung ihre Rechtsgrundlage ausschließlich in dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis. Sie können sich deshalb nur gegen die Beklagte als seine Vertragspartnerin richten, nicht aber gegen andere, die die Beklagte als Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB eingeschaltet hat.
Dafür, dass die dritten Personen in vorsätzlich sittenwidriger Weise gehandelt hätten und daher Ansprüche aus § 826 BGB bestünden, ist nichts erkennbar. Ebenso kann der Senat ausschließen, dass deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB gegen solche Personen bestehen. Soweit das Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen wäre, läge zumindest keine schwerwiegende Verletzung vor. Auf die nachfolgenden Ausführungen unter g) bb) wird Bezug genommen.
Ein Anspruch kann auch nicht über eine Analogie zu § 14 Abs. 3 TMG hergeleitet werden. Der Gesetzgeber hat dort zwar eine Auskunftspflicht auch zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche vorgesehen. Die Situationen unterscheiden sich aber zum einen darin, dass Gegenstand der von § 14 TMG eröffneten Auskünfte nur Bestandsdaten sind, während es vorliegend um andere Umstände, betreffend die innere Organisation des Anbieters, geht. Zum anderen ist die Offenbarung von Bestandsdaten nur vorgesehen, wenn damit der Schutz bestimmter absolute Rechte verfolgt werden soll, während vorliegend die Durchsetzung vertraglicher Leistungspflichten und die Sicherung von Äußerungsrechten im Zentrum steht. Der Gesetzgeber hat insgesamt in § 14 TMG mit Rücksicht auf die Sensibilität der Daten eine abschließende und wohl abgewogene Entscheidung getroffen, die es verbietet, die Bestimmung für Situationen, die sich in vielfacher Weise von der dort geregelten unterscheiden, anzuwenden. Weder ähneln sich die inversen Situationen noch kann eine unbewusste Lücke attestiert werden.
d) Zu Recht hat das Landgericht der Klagepartei auch keinen Anspruch auf Auskunft darüber zugesprochen, ob sie Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonstige Vorschläge der Bundesregierung oder nachgeordneter Dienststellen in Bezug auf die Löschung von Beiträgen oder die Sperrung von Nutzern erhalten hat (Antrag Ziffer 17.). Eine Anspruchsgrundlage für dieses Begehren ist nicht ersichtlich.
Selbst wenn die Beklagte mit den streitgegenständlichen Löschungen und Sperrungen rechtswidrigen Weisungen der Bundesregierung nachgekommen wäre – wofür die Klagepartei keinerlei belastbare Tatsachen oder Anhaltspunkte vorträgt – würde entsprechend den vorherigen Ausführungen gelten, dass für diese Maßnahmen und deren Folgen der Klagepartei gegenüber allein die Beklagte verantwortlich wäre.
Die Auskünfte wären auch nicht geeignet, etwaige rechtliche Schritte der Klagepartei gegen den Bund wegen des NetzDG zu unterstützen. Wie ausgeführt, ergibt sich der Prüfungsmaßstab im vorliegenden Fall aus den vertraglichen Regelungen und den bürgerlichrechtlichen Bestimmungen.
e) Der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz oder Zahlung eines „Schmerzensgeldes“ in Höhe von 9.000,00 € (Antrag Ziffer 18.) steht der Klagepartei – unabhängig davon, ob die Entfernung der Beiträge und die Verhängung einer Sperre rechtmäßig war – unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu.
aa) Ein Schadensersatzanspruch auf vertraglicher (§ 280 Abs. 1 BGB) oder deliktischer (§§ 823 ff. BGB) Grundlage besteht bereits deshalb nicht, weil die Klagepartei nicht nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihr ein materieller Schaden in Höhe des geltend gemachten Betrags entstanden ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehung des Schadens und dessen Höhe trifft jeweils den Geschädigten.
Der zeitweiligen Einschränkung der privaten Kommunikationsmöglichkeiten der Klagepartei auf dem sozialen Netzwerk der Beklagten kommt für sich genommen kein Vermögenswert zu. Die Einschränkung des „Kontakts nach außen“ kann allenfalls im Rahmen des von § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einen Vermögensschaden begründen. Wegen eines immateriellen Schadens kann gemäß § 253 Abs. 1 BGB Entschädigung in Geld jedoch nur in den gesetzlich bestimmten Fällen gefordert werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruchs aus § 253 Abs. 2 BGB liegen offensichtlich nicht vor, weil die Klagepartei nicht in einem der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter verletzt worden ist. Vielmehr steht in allererster Linie die Verletzung vertraglicher Pflichten im Raum (ebenso OLG München, Urteil vom 07.01.2020 -18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174, Rn. 165 ff.).
bb) Der Klagepartei steht auch kein gesetzlicher Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu.
(1) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den engeren persönlichen Lebensbereich und die Entfaltung seiner Grundbedingungen. Es bietet Schutz gegen eine umfassende Einschränkung der personalen Entfaltung bzw. der Privatautonomie. Die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Anspruch auf Geldentschädigung begründen, wenn ein schwerwiegender Eingriff vorliegt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob die Verletzung des Persönlichkeitsrechts so schwerwiegend ist, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung und Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessenschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12, GRUR 2014, 693 Rn. 38 – Sächsische Korruptionsaffäre; BGH, Urteil vom 18.12.2018 – VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881 Rn. 16; zusammenfassend Brost/Hassel, NJW 2020, 2214 (2215), Rn. 11).
(2) Die zeitweiligen Sperrungen des Profils der Klagepartei waren nicht mit einer umfassenden Einschränkung ihrer personalen Entfaltung im vorgenannten Sinne verbunden (ebenso OLG München, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174 Rn. 167). Die Funktionseinschränkungen waren zeitlich befristet; auch während der Sperrfristen konnte die Klagepartei uneingeschränkt fremde Inhalte zur Kenntnis nehmen. Sie war während dieser Zeiträume auch nicht daran gehindert, ihre Meinungen auf andere Weise kundzutun. Dafür, dass anderen Nutzern überhaupt bekannt oder erkennbar wurde, dass die partielle Sperre auf dem Vorwurf, gegen Gemeinschaftsrichtlinien verstoßen zu haben, beruhte, was Voraussetzung eines denkbaren Reputationsverlustes wäre, ist nichts vorgetragen.
(3) Aus dem Umstand, dass der Bundesgerichtshof in seiner Leitentscheidung zum „digitalen Nachlass“ Inhalte, die von den Nutzern geschaffen und kommuniziert werden, als persönlichkeitsrelevant bezeichnet hat (Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 2019, 243, NJW 2017, 3178, Rn. 35), ist für den vorliegenden Zusammenhang nichts abzuleiten. Es wurden nicht Daten missbraucht oder entgegen dem Willen der Klagepartei publiziert, sondern ihr wurde lediglich die aktive Teilnahme an Kommunikationsprozessen (die u.U. erst neue Daten dieser Art produziert hätten) verwehrt.
(4) Selbst wenn man die Einschränkung, während der befristeten Sperren Beiträge einzustellen, als Beeinträchtigung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts werten wollte, und hinzunimmt, dass dies Art. 5 Abs. 1 GG berührte, läge – ihre Rechtswidrigkeit unterstellt – jedenfalls keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung vor. Die von der Beklagten unternommene Sanktionierung stand zwar im Zusammenhang mit der Ausübung eines Grundrechts durch die Klagepartei. Da eine Sperre – wäre sie entgegen den obigen Ausführungen ungerechtfertigt erfolgt – allein auf einer Fehlbewertung der Beklagten dazu beruht hätte, wie die Grenzen im Einzelnen zu ziehen sind, käme ihr kein gesteigertes Gewicht zu. Da sich die Klagepartei jedenfalls im Grenzbereich des Zulässigen bewegt hätte und die Rechtslage alles andere als klar war, würde die Pflichtverletzung der Beklagten kein gesteigertes Ausmaß besitzen. Ein bloßer einmaliger Subsumtionsfehler der Beklagten begründet keine Beeinträchtigung, die nach einer Geldentschädigung verlangt.
(5) Ferner würde es an der Voraussetzung für die Zubilligung einer Geldentschädigung fehlen, dass ein unabwendbares Bedürfnis nach einer solchen besteht, weil die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann (vgl. Brost/Hassel, NJW 2020, 2214 (2216), Rn. 16). Wenn die Beklagte mit der Sperrung eines Nutzers oder der Löschung eines von diesem auf der Plattform eingestellten Beitrags schuldhaft ihre Vertragspflichten gegenüber dem Nutzer verletzt, stehen diesem Ansprüche auf Unterlassung, Folgenbeseitigung und Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution zu, die gerichtlich – bei Vorliegen der prozessualen Voraussetzungen auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes – durchgesetzt werden können. Der dabei zutreffende Ausspruch, dass ein Verhalten rechtswidrig war, genügt, um die erlittene Beeinträchtigung zu kompensieren (BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196, GRUR 2019, 1084, Rn. 60 – Staatsanwalt ermittelt gegen Star-Anwalt).
(6) Auch unter dem Gesichtspunkt der Lizenzanalogie ergibt sich kein Zahlungsanspruch der Klagepartei.
Ein allgemeiner Kommerzialisierungsgedanke ist der Zivilrechtsordnung fremd. Auch wenn zwischenzeitlich grundsätzlich anerkannt ist, dass bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts z.B. durch Presseveröffentlichungen eine Berechnung des Schadens nach den Grundsätzen zur Lizenzanalogie möglich ist, gilt dies nicht in Konstellationen der vorliegenden Art. Die Klagepartei verlangt eine Entschädigung für die Zurverfügungstellung ihrer Daten, für die sie (zeitweise) keine Gegenleistung in Form der Möglichkeit, das Netzwerk der Beklagten zu nutzen, erhalten hat. Insoweit ist schon keine rechtswidrige, d.h. mit der Verletzung von Schutzrechten einhergehende, Handlung erfolgt, sondern u.U. lediglich ein vertragswidriges Handeln. Der Wert der Daten der Klagepartei ist auch für die Zeit, für die sie sich weitgehend passiv verhalten musste, relativiert, weil sie z.B. keine Werbung sieht und auch nicht durch eigenes Verhalten Aufschluss über ihr Kommunikations- und Konsumverhalten liefert.
Hinzu kommt, dass die Klagepartei weder zu einer eigenen Lizenzierungspraxis vorgetragen noch sich eine solche etabliert hat, weshalb auch nicht möglich wäre, greifbare Maßstäbe zur Schadensersatzberechnung heranzuziehen.
(7) Auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 82 Abs. 2 S. 1 DS-GVO ergibt sich kein Anspruch dieses Inhalts. Die Klagepartei hat nach eigener Behauptung keinen Schaden durch unerlaubten Umgang mit sie betreffenden Daten erlitten. Insbesondere lag keine „Einschränkung der Verarbeitung“ i.S.v. Art. 4 Nr. 3 DS-GVO vor, weil nicht Daten der Klagepartei gekennzeichnet wurden, um später eine Verarbeitung durch die Beklagte oder Dritte einzuschränken. Wiederum gilt, dass sich das Verhalten der Beklagten darin erschöpft hat, die Klagepartei von einem von ihr beherrschten Umgang mit ihren Daten auszuschließen. Zudem wird nicht erkennbar, wie der Verlust, ihre Daten während des Zeitraums der Sperre zu kontrollieren, einen materiellen oder immateriellen Schaden bewirkt habe.
f) Die Klagepartei kann schließlich die Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 455,41 € verlangen.
aa) Einen Anspruch der Klagepartei auf Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht in Bezug auf „Post 2“, „Post 4“ und „Post 5“ nicht. Mangels Verletzung einer Pflicht durch die Beklagte kann sich ein solcher insbesondere nicht aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB ergeben. Die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist insoweit auch hinsichtlich „Post 2“ zu verneinen, auch wenn Ziffer 5.2 der (ursprünglichen) „Erklärung der Rechte und Pflichten“ gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist (vgl. die obigen Ausführungen unter Ziffer B.II.2.f) bb)). Denn eine Löschung kann aufgrund der den (ursprünglichen) Gemeinschaftsstandards der Beklagten zu entnehmenden Befugnis zur Entfernung von „Hassbotschaften“ erfolgen, unter welche der Post subsumiert werden kann.
Auch darüber hinaus wäre eine Anspruchsgrundlage nicht zu erkennen. Ein allgemeiner Anspruch, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu tragen, besteht nicht. Eine Pflicht zur Erstattung oder Freistellung kann sich lediglich unter schadenersatzrechtlichen Gesichtspunkten ergeben; Voraussetzung ist daher regelmäßig, dass entweder ein absolutes Recht verletzt wurde oder Schuldnerverzug eingetreten ist (in diesem Sinn auch OLG München, Urteil vom 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre, GRUR-RR 2020, 174, Rn. 171). Dafür, dass die Klagepartei die Beklagte bereits in einer Weise aufgefordert hätte, die die Voraussetzungen des § 286 BGB begründet oder eine Mahnung entbehrlich war, ist nichts ersichtlich.
bb) Dagegen hat der Kläger Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die – „Post 1“ betreffende – E-Mail des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 08.06.2018 (Anlage K 21). Denn für diesen Anspruch kann nicht auf die aktuellen Gemeinschaftsstandards abgestellt werden. Denn Ziffer 5.2 der (ursprünglichen) „Erklärung der Rechte und Pflichten“ ist gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Und eine sonstige Vertragsklausel, auf welche die Löschung des Beitrags und die vorübergehende Sperre gestützt werden könnten, in den ursprünglichen Vertragsbestimmungen ist nicht ersichtlich.
Der Anspruch auf Ersatz der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten ergibt sich aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verletzung vertraglicher Pflichten (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 133/08, NJW 2009, 1262 Rn. 8). Denn eine Person darf sich regelmäßig anwaltlicher Hilfe bedienen, wenn eine andere ihr gegenüber bestehende rechtliche Pflichten verletzt. Vorliegend hat die Beklagte gegen ihre rechtsgeschäftlich eingegangene Verpflichtung, dem Kläger die Benutzung ihres Kommunikationsdienstes zu ermöglichen, soweit nicht ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen vorliegt, verletzt (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB). Der Kläger durfte auch davon ausgehen, ohne anwaltliche Hilfe seine Rechtsposition nicht durchsetzen zu können.
Zu berücksichtigen hat der Senat allerdings, dass die Ansprüche, die in der E-Mail des Prozessbevollmächtigten vom 08.06.2018 gegenüber der Beklagten geltend gemacht wurden und damit Gegenstand des Anwaltsauftrags waren, nur teilweise als begründet angesehen werden können. Das Begehren nach Aufhebung der Sperre mit einem Gegenstandswert von 5.000,00 € war sachlich begründet. Gleiches gilt für die mit einem Gegenstandswert von insgesamt 5.000,00 € zu bewertenden Begehren nach Freischaltung des Beitrags und Unterlassen des erneuten Sperrens. Im übrigen waren die geltend gemachten Forderungen jedoch unbegründet. Damit errechnet sich ein Gegenstandswert der begründeten Ansprüche von 10.000,00 €. Aus diesem kann der Kläger für die vorgerichtliche Tätigkeit seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten eine 1,3-fache Geschäftsgebühr, somit 725,40 €, verlangen. Unter Berücksichtigung der hälftigen Anrechnung errechnen sich 362,70 €. Dies ergibt zuzüglich Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 € und Umsatzsteuer in Höhe von 72,71 € einen Freistellungsbetrag in Höhe von insgesamt 455,41 €.
cc) Der Kläger hat in keinen Fall Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die Einholung von Deckungszusagen für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit. Dies gilt vor dem Hintergrund der nachfolgenden Ausführungen auch für „Post 1“.
Der Bundesgerichtshof hat bislang dahinstehen lassen, ob es sich bei der Einholung der Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung um eine besondere Angelegenheit im Sinne des § 18 RVG handelt (BGH, Urteil vom 09.03.2011 – VIII ZR 132/10, NJW 2011, 1222, Rn. 21). Der Anspruch besteht aber nur dann, wenn die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Wahrung und Durchsetzung der Rechte unter den Umständen des Falls erforderlich und zweckmäßig war (BGH, a.a.O. Rn. 21). Dafür muss dargetan werden, dass die Klagepartei selbst die Deckungszusage nicht hätte einholen können und insoweit die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe erforderlich gewesen war (BGH, a.a.O. Rn. 24; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.10.2011 – 1 U 105/11, juris-Rn. 17).
Im vorliegenden Fall fehlt es am Vortrag über die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe für die Einholung der Deckungszusagen. Zwar hat der Kläger allgemein ausgeführt, dass eine Deckungsanfrage in Fällen wie dem hier vorliegenden ohne Einschaltung eines Anwalts „typischerweise“ abschlägig beschieden werde. Dass die Rechtsschutzversicherung des Klägers im konkreten Fall eine Deckungszusage zunächst verweigert hätte und in Schreiben des Prozessbevollmächtigten an die Versicherung – wenn es solche gegeben haben sollte – entscheidende Argumente enthalten gewesen wären, die der Kläger nicht auch selbst hätte vorbringen können, hat er aber weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt (so auch OLG München, Urteil vom 18.02.2020 – 18 U 3465/19 Pre, NJW-RR 2020, 1171 Rn. 97).
dd) Der Kläger hat hinsichtlich der – in der Hauptsache mit Ausnahme des Feststellungsbegehrens nicht rechtshängigen – „Post 3“ und „Post 6“ einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht hinreichend dargetan.
(1) In tatsächlicher Hinsicht legte das Landgericht bezüglich „Post 3“ und „Post 6“ in zutreffender Weise seiner Entscheidung Folgendes zu Grunde:
(a) Das Landgericht führte insoweit aus, dass es davon ausgehe, dass der Kläger am 20.05.2018 den Beitrag „Post 3“ gepostet habe, der Anlage B 2 zu entnehmen ist, und der Kläger von der Beklagten über die Sperre informiert worden sei. Dies begründet das Landgericht damit, dass die Beklagte als Anlage B 2 den Screenshot des Beitrags vorgelegt habe. Der Kläger habe daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2019 erklärt, dass es möglich sei, dass er den „Post“ in Anlage B 2 am 20.05.2018 gefertigt habe. Ferner habe er erklärt, dass er eine Mitteilung über die Sperre erhalten habe.
Vor diesem Hintergrund ist das pauschale Bestreiten des – für die Voraussetzungen des Freistellungsanspruchs darlegungs- und beweisbelasteten – Klägers in der Berufungsbegründung, dass „Post 3“ der Grund für die Sperre vom 20.05.2018 sei, unbeachtlich.
(b) Gleiches gelte nach den Ausführungen des Landgerichts für „Post 6“. Dies begründet das Landgericht damit, dass die Beklagte als Anlage B 43 den Screenshot des Beitrags vorgelegt habe. Auch diesbezüglich habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2019 erklärt, dass es sein könne, dass er den Post, wie ihn Anlage B 43 abbildet, am 13.09.2018 gepostet habe. Er habe bei allen Posts überprüfen können, welcher Post gesperrt wurde, weil er das in seinem Aktivitätsprotokoll habe sehen können. Es könne auch sein, dass er eine Mitteilung der Beklagten über die Sperre (Anlage B 43) erhalten habe.
Gegen diese zutreffenden Feststellungen des Landgerichts wendet sich der Kläger in der Berufungsbegründung nicht.
(2) „Post 3“ hatte folgenden Inhalt:
„Lieber Allah, sei unser Gast und segne das Schweinchen, das Du uns bescheret hast. Genieße es mit Knödeln und Kraut und vergiss nicht die krosse Haut. Und dazu noch ein Weizenbier, dann regt sich auf Musel-Tier!!!“
Dabei handelt es sich – wie bei „Post 4“ – um Hassrede im Sinne von Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards. Dies ergibt sich bereits aus der Verwendung des Begriffs „Musel”, der im heutigen Sprachgebrauch ausschließlich herabsetzend verwendet wird. Auf die obigen Ausführungen unter Ziffer B.II.3.g) wird Bezug genommen.
Darüber hinaus stellt dieser Post ein Beschimpfen des Inhalts eines religiösen Bekenntnisses im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB dar (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.06.1998 – Ws 1603/97, NStZ-RR 1999, 238). Denn er ist eine durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung von Missachtung (vgl. Hörnle, in MüKoStGB, 3. Aufl. 2017, § 166 StGB Rn. 15).
(3) Hinsichtlich „Post 6“ begehrt der Kläger lediglich die Freiststellung von Rechtsanwaltskosten für die Einholung von Deckungszusagen für die außergerichtliche Tätigkeit und die Klage. Ein derartiger Anspruch besteht bereits aufgrund der unter Ziffer B.II.4.g) cc) gemachten Ausführungen nicht.
C.
Als Nebenentscheidungen waren zu treffen:
Der Streitwert beläuft sich in Anwendung von §§ 48 GKG, 3 ZPO auf 61.000,00 €. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss des Senats vom 04.08.2020 (Az. 3 W 1828/20) Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil war beschränkt hinsichtlich der in den Anträgen Ziffern 3., 5., 8. und 10. (Freischaltung) sowie 12. bis 15. (Unterlassung) entscheidungsrelevanten Rechtsfragen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Die Revision ist beschränkt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15.05.2018 – VIII ZR 150/17, juris-Rn. 9) auf die im Zentrum des vorliegenden Rechtsstreits stehenden Frage, unter welchen Voraussetzungen der Nutzer einer Social-Media-Plattform gegen den ihm vertraglich verbundenen Betreiber einen Anspruch darauf hat, dass von ihm eingestellte Beiträge nicht von der Plattform entfernt werden und das Einstellen von Beiträgen nicht mit einer zeitweiligen Funktionseinschränkung des Profils (“Sperren“) sanktioniert wird, zuzulassen. Diese Frage berührt die Entscheidungen zu den Anträgen (und selbstständigen Streitgegenständen) Ziffern 3., 5., 8., 12., 13. und 14. in tragender Weise. Denn soweit der Senat diesen Anträgen des Klägers nicht stattgegeben hat, basiert dies in entscheidungserheblicher Weise auf der höchstrichterlich nicht geklärten und in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilten Rechtsfrage, ob und inwieweit auf der Grundlage der vertraglichen Abreden der Parteien, die teilweise durch die verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen Bestimmungen überlagert werden, der Freischaltungs- und Unterlassungsanspruch besteht. Insbesondere ist umstritten, wie groß der Regelungsspielraum eines Portalbetreibers angesichts verfassungsrechtlicher Vorgaben ist und ob die AGB-Regelungen so verstanden werden dürfen, wie der Senat es vornimmt. Dagegen beruht die Abweisung der übrigen Anträge, die hiervon unterschiedliche Streitgegenstände darstellen, nicht auf diesen Erwägungen, sondern würde auch aus anderen, hiervon unabhängigen Gründen erfolgen.
Da diese Rechtsfragen ausschließlich Normen des Bundesrechts betreffen und damit nicht die Bedeutung des Landesrechts überwiegt (vgl. § 8 EGGVG, Art. 11 BayAGGVG), ist die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht eröffnet; dies war gem. § 7 Abs. 1 EGZPO auszusprechen.

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