IT- und Medienrecht

Schadensersatz wegen Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses

Aktenzeichen  L 4 KR 569/15

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 123877
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 241 Abs. 2, § 242, § 276, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1
SGB V § 12, § 69, § 126, § 127 Abs. 2 S. 2, § 139

 

Leitsatz

1. Zur ergänzenden Anwendbarkeit von Regelungen des BGB im Rahmen des Rechtsverhältnisses zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer. (Rn. 61 – 64)
2. Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Pflichtverletzung im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses (culpa in contrahendo). (Rn. 65 – 75)
3. Die Klärung der Frage, ob der Beitritt zu einem Vertrag auch ohne Erfüllung der im Rahmenvertrag genannten Auflagen möglich ist, stellt eine wesentliche Vorfrage dar und dient der Anbahnung eines Schuldverhältnisses. Dies gilt erst recht bei entsprechender Einleitung eines Klageverfahrens bzw. einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. (Rn. 65 – 72)
4. Dabei ist grundsätzlich nicht auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Fachverband und den Krankenkassen abzustellen. (Rn. 69)
5. Zur Frage des Vertretenmüssens der Krankenkasse, wenn eine Klage eines Leistungserbringers gegen die Krankenkassen erst im Revisionsverfahren (teilweise) erfolgreich war. (Rn. 79 – 89)

Verfahrensgang

S 3 KR 769/13 2015-11-18 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. November 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 31.932,82 Euro festgesetzt.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.
Grundsätzlich ergibt sich die Eröffnung des Sozialrechtsweges nach § 51 SGG auch bei Ansprüchen auf Schadensersatz aus öffentlich-rechtlichen Verträgen, z.B. bei Nicht- oder Schlechterfüllung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 51 Rn. 9 und 39 mit Verweis auf BGHZ 87, 9, 17; BGH, NJW 1986, 1109).
Ein Anspruch auf den für die Zeit vom 01.01. bis 30.08.2011 geltend gemachten Betrag in Höhe von 31.932,82 EUR ergibt sich nicht aus einem bestehenden Vertragsverhältnis, da der Rahmenvertrag gegenüber der Landesinnung und auch gegenüber der Klägerin fristgerecht zum 31.12.2008 gekündigt wurde.
Die Anordnungen in den beiden im Senat anhängigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom 28.12.2009 und 21.06.2010 waren auf eine vorläufige Regelung bis 31.12.2010 gerichtet. Eine Verlängerung über den 31.12.2010 hatte der 5. Senat des LSG mit Beschluss vom 30.12.2010 abgelehnt. Da die Beklagte über den 31.12.2010 hinaus eine Versorgung durch die Klägerin nicht fortführte, ist der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf die Zeit ab 01.01.2011 gerichtet.
Der Schadensersatzanspruch wird auf § 69 SGB V i.V.m. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB – sog. Anspruch nach culpa in contrahendo (c.i.c.) – bzw. auf § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines Dauerschuldverhältnisses gestützt.
1) Die o.g. Regelungen des BGB sind entsprechend anwendbar.
Das Rechtsverhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer richtet sich nach §§ 126 ff SGB V und somit nach öffentlichem Recht. Auf Regelungen des Privatrechts – hier nach § 241 ff BGB – kann nur zurückgegriffen, wenn eine Regelungslücke besteht, wobei allerdings auch hier Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses zu berücksichtigen sind.
Zur Einleitung des Kapitels „Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern“ regelt § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V, dass für die Rechtsbeziehungen im Übrigen die Vorschriften des BGB entsprechend gelten, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Hieraus folgt, dass hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs insbesondere § 280 Abs. 1 BGB und § 241 Abs. 2 BGB entsprechend anwendbar sind (so z.B. zuletzt auch: Bayer. LSG, Urt. v. 21.07.2015, Az.: L 5 KR 414/13).
Die Klägerin macht hier eine Verletzung vorvertraglicher Rücksichts- und Sorgfaltspflichten durch die Beklagte geltend. Das BSG hat mit Urteil vom 24.01.2008 (B 3 KR 2/07 R) ausgeführt, dass eine Zahlungsklage unter dem Aspekt eines Schadensersatzanspruchs wegen fahrlässiger Verletzung vorvertraglicher Rücksichts- und Sorgfaltspflichten nach dem Rechtsinstitut der c.i.c. begründet sein könne. Ein vorvertragliches Verschulden der Beklagten ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht auszuschließen. Als Anspruchsgrundlage hat das BSG insoweit auf § 69 SGB V i.V.m. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 und 241 Abs. 2 BGB in der Fassung des zum 01.01.2002 in Kraft getretenen Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes vom 26.11.2001 (BGBl I 3138) abgestellt. Auch § 61 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) verweise für öffentlich-rechtliche Verträge ergänzend auf die Vorschriften des BGB (BSG, Urt. v. 24.01.2008, SozR 4-2500 § 132 a Nr. 4, juris – insb. Rn. 20). Allerdings ist die Entscheidung ergangen zu §§ 132, 132 a SGB V, also zur Versorgung mit Haushaltshilfe. Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, dass hier ein Differenzierungsgrund bzgl. der Beziehungen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln (§§ 126 ff SGB V) und bzgl. der Beziehungen zu sonstigen Leistungserbringern (§§ 132 ff SGB V) bestehen sollte. Insbesondere ergibt sich keine spezielle Regelungen für Schadensersatzansprüche aus §§ 126, 127 SGB V.
2) Es liegt auch ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Sinne eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten vor.
Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt (§ 311 Abs. 1 BGB). Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entsteht aber u.a. auch durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Gemeint sind dabei Vorbereitungshandlungen zum späteren Abschluss eines Vertrages, also vor allem Tätigkeiten, die zur Anbahnung eines Vertragsverhältnisses dienen wie z.B. Vorgespräche.
Am 09.02.2009 schlossen die ehemals beklagten Krankenkassen mit der E. GmbH einen Vertrag nach § 127 Abs. 2 SGB V – Stoma-Vertrag -, entsprechend dem bekannt gemachten Vertragsentwurf zwischen dem Fachverband für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. und den beklagten Krankenkassen, ab. Bis zum März 2009 wurden zahlreiche weitere Verträge mit einzelnen Leistungserbringern abgeschlossen. Gegenstand des Vertragsentwurfs ist die Versorgung der Versicherten der Beklagten mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen, die für die Stoma-Versorgung im Rahmen der Produktgruppe 29 und bei der Urostomie im Rahmen der Produktgruppen 15.25.05. bis 15.25.07 (= Stomaartikel) des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V unter Berücksichtigung des Medizinproduktegesetzes (MPG), der Medizinproduktebetreiber-Verordnung (MPBetreibVO) und des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V) benötigt werden (§ 1 des Vertrages). Der Geltungsbereich erstreckt sich auf alle Leistungsträger – sowohl Mitglieder des Fachverbandes als auch Nichtmitglieder -, die ihren Beitritt zum Vertrag erklären (§ 2). Des Weiteren sieht der Entwurf u.a. in § 4 vor, dass der Leistungserbringer eine qualitätsgesicherte Stoma-Versorgung für die Versicherten der Krankenkassen gemäß Anlage 1 leistet. Die Anlage 2 des Vertragsentwurfes regelt, dass die nach diesem Vertrag erbrachte Leistung durch eine Monatspauschale vergütet wird, die nicht nur den Monatsbedarf an Hilfsmitteln abdecken soll, sondern auch die Beratungsleistungen mitvergütet (§ 2 des Vertrages).
Die Klägerin hat keinen entsprechenden Vertrag mit der Beklagten abgeschlossen bzw. ist dem Vertrag nicht beigetreten (§ 127 Abs. 2 a SGB V). Dennoch ist von einem vorvertraglichen Schuldverhältnis auszugehen.
Dabei ist allerdings grds. nicht auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Fachverband und den Krankenkassen abzustellen. Dass die Klägerin über den Ehemann der Inhaberin der klägerischen GmbH, Herrn G. G., für den Fachverband personell bei diesen Vertragsverhandlungen mit eingebunden war, ist für ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht ausreichend. Auch soweit die Klägerin Mitglied des Fachverbandes ist, führt dies nicht zur Berechtigung, einen eigenen Schaden aus einem Vertragsverhältnis unmittelbar gegenüber der Beklagten geltend zu machen.
Ein unmittelbares Vertragsverhältnis ist erst nach der Entscheidung des BSG vom 21.07.2011 (Az.: B 3 KR 14/10 R) zustande gekommen, nachdem das BSG festgestellt hatte, dass die Beschäftigung von Stoma-Therapeuten keine Voraussetzung für den Vertragsabschluss über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie ist.
Der Antrag der Klägerin bezog sich vor dem BSG darauf, die Urteile des Bayerischen LSG vom 30.11.2010 und des SG B-Stadt vom 01.04.2009 zu ändern und festzustellen, dass die Beschäftigung von Stomatherapeuten keine Voraussetzung für den Abschluss eines Vertrages über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandstoffen zur Stomatherapie ist, während in den Vorinstanzen noch beantragt war festzustellen, dass die Beklagten zum Abschluss eines Vertrages über die Abgabe von Hilfsmitteln zur Stomatherapie auch ohne Beschäftigung eines nach den Richtlinien des DVET-Fachverbandes weitergebildeten Stomatherapeuten verpflichtet sind. Allerdings hat das BSG in seiner Entscheidung klar zum Ausdruck gemacht, dass es – in berechtigter Weise – nicht um den unmittelbaren Vertragsabschluss gehen konnte, sondern nur um die Vorfrage, ob die Klägerin auch ohne eine solche Auflage „die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel“ im Sinne von § 126 Abs. 1 S. 2 SGB V erfüllt und deshalb jedenfalls dem Grunde nach Vertragspartner für den Abschluss eines Versorgungsvertrages nach § 127 SGB V sein kann (BSG, a.a.O. – juris Rn. 8).
Zusammenfassend waren die Beziehungen der Beteiligten untereinander bis nach Abschluss des BSG-Verfahrens zwar nicht darauf gerichtet, unmittelbar zu einem Beitritt bzw. Vertrag zu gelangen, betrafen jedoch die wesentliche Vorfrage, ob der Beitritt und somit das Schuldverhältnis auch ohne Erfüllung der im Rahmenvertrag genannten Auflagen möglich ist. Insgesamt diente die Klärung dieser Vorfrage der Anbahnung des Schuldverhältnisses und unterliegt damit grundsätzlich den Regeln des § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Im Übrigen sprechen für das Bestehen eines (vorvertraglichen) Schuldverhältnisses auch die beiden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz mit den Beschlüssen des Senats, vorläufig der Antragstellerin und Klägerin bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens bis 30.06.2010 bzw. bis 31.12.2010, zu gestatten, die Versicherten der Antragsgegner mit Hilfsmitteln und Verbandsmitteln zur Stoma-Versorgung nach Maßgabe des Vertrages der Beklagten „über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie“ zu versorgen, ohne dafür Stoma-Therapeuten abzustellen oder einen Mitarbeiter zur Weiterbildung zum Stomatherapeuten anzumelden.
Ein vorvertragliches Schuldverhältnis endet grundsätzlich mit dem Abbruch der Verhandlungen (Pal.-Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Aufl. 2017, § 311 Rn. 25). Dies ist aber nicht vergleichbar mit der Situation, dass die Beklagte jegliche Gesprächsbereitschaft verweigert haben sollte bzw. sich Verhandlungen verschloss bzw. die Klägerin zeitnah den Antrags- und Klageweg beschritt. Die Klägerin zeigte nämlich ihr Verlangen, zu einem vertraglichen Verhältnis mit der Beklagten zu gelangen, spätestens mit Erhebung der Klage am 22.03.2009. Zumindest in dem Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.08.2011, für den hier Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, bestand aufgrund des vorangegangen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und des noch anhängigen Revisionsverfahrens eine vorvertragliche Beziehung zwischen den Beteiligten, die auf den Beitritt zu den Verträgen gerichtet war. Soweit sich die Beklagte dennoch auf ein fehlendes Vorgespräch beruft, verstößt sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (entsprechend § 242 BGB), da sich die Verweigerungshaltung vor dem BSG als rechtswidrig erwiesen hat. Es muss der Beklagten auch stets bewusst gewesen sein, dass die Klägerin weiterhin an der Hilfsmittelversorgung teilhaben will – nur eben ohne Erfüllung der von den Krankenkassen geforderten Bedingung. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Krankenkassen aufgrund der §§ 126, 127 SGB V eine sehr starke Marktposition haben.
3) Weitgehend unproblematisch ist das Vorliegen einer Pflichtverletzung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.
Aus § 280 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass auch im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB eine Pflichtverletzung vorliegen muss, um hieraus Ansprüche abzuleiten.
Wie sich aus dem Urteil des BSG ergibt, war die Beklagte nicht berechtigt, auf der Auflage zu beharren. Sie hat damit ihre Pflicht, der Klägerin den Zugang zu einem Versorgungsvertrag zu ermöglichen, unmittelbar verletzt.
Eine Zeugeneinvernahme, wie von der Klägerin zunächst schriftsätzlich beantragt, ist hier also nicht erforderlich, da der Sachvortrag als wahr bzw. als zutreffend unterstellt wird.
4) Ein Schadensersatzanspruch scheitert jedoch an einem Vertretenmüssen der Beklagten.
Bereits das SG hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin abgelehnt, da ein Verschulden der Beklagten nicht gegeben sei. Der Senat bestätigt die Ansicht, dass die Beklagte diese Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, § 276 BGB – hier in Form der Fahrlässigkeit. Dabei trägt die Beklagte die Beweislast für ein Nichtvertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Hierzu verweist die Klägerin zwar zu Recht auf den Grundsatz, dass der Schuldner auch für einen Rechtsirrtum einstehen muss – allerdings nur, wenn er fahrlässig gehandelt hat. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen (Pal.-Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn. 22). Dies gilt erst recht, wenn es sich bei dem Schuldner um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt. Er handelt schuldhaft, wenn er seine eigene Rechtsansicht zwar sorgfältig gebildet hat, mit einer abweichenden Beurteilung durch das zuständige Gericht aber ernsthaft rechnen musste (Pal.-Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn. 22 m.w.N.; MüKo-Grundmann, a.a.O., § 276 Rn. 73; Ermann/H.P. Westermann, a.a.O., § 276 Rn. 14).
Vorliegend haben sowohl das SG als auch das LSG die Klage abgewiesen und damit der Ansicht der Beklagten Recht gegeben. Allerdings ist nach der Rechtsprechung auch dann, wenn ein Kollegialgericht die Rechtsansicht des Schuldners gebilligt hat, dieser nicht in jedem Fall entlastet (Pal.-Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn. 22 mit Verweis z.B. auf BGH NJW 1974, 1903). Dies nämlich dann nicht, wenn er bewusst das Risiko eines Verbotsirrtums eingegangen ist oder wenn es sich um eine vorläufige Entscheidung des Gerichts handelte, wenn das Gericht das Verhalten des Schuldners aus Gründen gebilligt hat, die er selbst nicht erwogen hat oder wenn dem Schuldner ein weitgehender Beurteilungsspielraum zusteht (Pal.-Grüneberg, a.a.O., jeweils m.w.N.).
Eine derartige Ausnahmesituation bezüglich der gerichtlichen Urteilsentscheidungen liegt aber nicht vor. Vielmehr haben SG und LSG – im Ergebnis auch nach dem Urteil des BSG zutreffend bzgl. des Antrags auf Vertragsabschluss – die Klage abgewiesen. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung auch die Revision zugelassen. Das BSG entschied hierbei eine Rechtsfrage, die höchstrichterlich noch nicht geklärt war und die die Vorinstanzen abweichend beurteilt haben.
Dabei stand weder beim LSG noch beim BSG das von der Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung nochmals als wesentlich vorgebrachte Argument im Vordergrund, dass die damaligen Beklagten nicht von einer `Fortbildung´, sondern von einer `Weiterbildung´ ausgegangen und Regelungen zur Weiterbildung nicht von einer Rechtsgrundlage (§ 127 Abs. 2 SGB V) gedeckt gewesen seien. Das BSG hat nämlich die Annahme der Rechtswidrigkeit sowohl hinsichtlich der Ausbildung als auch der Weiterbildung auf die gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen für die Hilfsmittelabgabe gestützt und ausgeführt, dass der Zugang zur Hilfsmittelversorgung nicht von fachlichen Anforderungen abhängig gemacht werden kann, die über diese gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen hinausreichen. Das BSG sieht hinsichtlich der Weiterbildung eine Unzulässigkeit des Verlangens eines Nachweises für einen Stomatherapeuten formal darin, dass die Krankenkassen den Leistungserbringern nicht die Möglichkeit einräumen, ihre Befähigung zu einer den Anforderungen des § 126 Abs. 1 S. 2 SGB V genügenden Versorgung mit Stomahilfsmitteln anders als durch Teilnahme an einem Kurs nach der Weiterbildungsordnung des DVET-Fachverbandes nachzuweisen (BSG, a.a.O., juris – Rn.28). Auf eine Kompetenzabgrenzung im Rahmen des § 127 Abs. 2 SGB V zwischen Fort- und Weiterbildung ist das BSG in diesem Zusammenhang nicht eingegangen.
Wesentlich für die Annahme einer Unzulässigkeit des Verlangens der Krankenkassen war vielmehr, dass „in der Sache“ (BSG, a.a.O., juris – Rn. 29) die Krankenkasse durch diese Vorgabe ihre gesetzlich eingeräumte Kompetenz überschritten haben und die Befugnis zur Hilfsmittelabgabe an überhöhte Anforderungen geknüpft haben (BSG, a.a.O., juris – Rn. 29 und 30). Dabei handelten die damaligen Beklagten aber nicht willkürlich, sondern waren sachlich geleitet durch die Schaffung von Qualitätsanforderungen für die Hilfsmittelversorgung.
Gerade dies war jedoch auch die Argumentation, mit der sich das LSG in seiner Entscheidung maßgeblich befasst hatte – wenn es auch zu einem anderen Ergebnis gelangt ist. Das LSG hatte unter Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut des § 127 Abs. 2 SGB V die Ansicht vertreten, dass die Vertragsparteien berechtigt seien, Qualitätsanforderungen zu stellen. Bezüglich der Regelung über das Erfordernis und die Anstellung eines Stoma-Therapeuten hatte das Gericht keine Rechtswidrigkeit gesehen, insbesondere keinen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – dies gerade vor dem Hintergrund, dass die Forderung der Beklagten nach der Anstellung eines Stoma-Therapeuten eine sachlich gerechtfertigte Qualitätsanforderung darstelle.
Da gerade dies der maßgebliche Gesichtspunkt für die Entscheidungen sowohl des LSG als auch des BSG war, ist eine schuldhafte Verletzung einer Sorgfaltspflicht durch die Beklagte ausgeschlossen. Das LSG hat gerade deswegen die Revision zugelassen, da der „Rechtsfrage, ob gesetzliche Krankenkassen bei den Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V Qualitätsanforderungen an besondere Versorgungen mit Hilfsmitteln stellen dürfen, die nicht durch das Hilfsmittelverzeichnis als Qualitätskriterien festgelegt sind oder durch das Präqualifizierungsverfahren und die Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund nach § 126 Abs. 1 a SGB V nicht gegeben sind“ (Bayer. LSG, a.a.O.), grundsätzliche Bedeutung zugemessen wurde. Vor diesem Hintergrund kann ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten, vor allem ihrer Rechtsabteilung, bei der sorgfältigen Prüfung der Rechtslage nicht angenommen werden.
Sie war nach dieser Entscheidung des LSG sowie der Entscheidung des Gerichts vom 30.12.2010 im einstweiligen Rechtsschutz nicht gehalten, an der bisherigen vorläufigen Versorgung über den 31.12.2010 hinaus festzuhalten.
Ein Schadensersatzanspruch nach § 69 SGB V i.V.m. §§ 311 II Nr. 1, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses scheidet somit mangels Vertretenmüssens der Beklagten im Sinne des § 276 BGB aus. Entsprechendes gilt bei Annahme einer Verletzung des bis dahin bestehenden Dauerschuldverhältnisses gemäß § 280 Abs. 1 BGB.
Der Senat kann deshalb die weitere strittige Frage hinsichtlich der Höhe des eingeklagten Schadens in Form eines positiven (Gewinn-)Interesses (31.932,82 EUR) offen lassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere liegt die Feststellung der Voraussetzungen des Verschuldens im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet (Pal.- Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn. 47 mit Verweis auf BGH NJW 2009, 1147).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 52 Abs. 3 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und richtet sich nach der konkreten Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs.

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