IT- und Medienrecht

Schadensersatzanspruch für ein Dieselfahrzeug mit einer Abschalteinrichtung – Haftung für Anlageprospekte

Aktenzeichen  6 O 1194/18

Datum:
23.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 43570
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 2 S. 1, § 251 Abs. 1, § 280 Abs. 1 S. 1, § 311 Abs. 2, Abs. 3, § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1 Für die zu einer Haftung führenden Inanspruchnahme eines besonderen Vertrauens, das die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat, ist erforderlich, dass der sonstige am Vertrag nicht selbst beteiligte Dritte dem anderen Teil eine zusätzliche, gerade von ihm persönlich ausgehende Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäfts oder für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärungen, die für den Willensentschluss des anderen Teils bedeutsam gewesen sind, geboten oder in zurechenbarer Weise den Eindruck vermittelt hat, er werde persönlich mit seiner Sachkunde die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäfts selbst dann gewährleisten, wenn der andere Teil dem Geschäftsherrn nicht oder nur wenig vertraut oder sein Verhandlungsvertrauen sich als nicht gerechtfertigt erweist. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die EU-Übereinstimmungsbescheinigung stellt aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 385/2009 eine dem Käufer des Fahrzeugs ausgehändigte Versicherung dar, dass das von ihm gebaute Fahrzeug mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt. Im Falle der Unkorrektheit kann es daher zu einer Haftung des KfZ-Herstellers kommen. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 8400,- nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit 28.05.2018 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des PKW Skoda Oktavia, 2,0 TDI, mit der FIN.: … nebst Fahrzeugpapieren und 2 Fahrzeugschlüsseln.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug mit der Rücknahme des Fahrzeugs Skoda Oktavia, 2,0 TDI, mit der FIN. … befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die außergerichtlich entstandenen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 808,13 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.05.2018 zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 80 %, die Klägerin 20 %.
6. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist es vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 11.533,92 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich in tenoriertem Umfang als begründet.
I.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gem. den §§ 280 Abs. 1 S. 1, 311 Abs. 3, 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB zu.
1. Zwischen den Parteien besteht ein Schuldverhältnis i.S.d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Beklagte selbst ist nicht Vertragspartnerin der Klagepartei in Bezug auf den Kaufvertrag geworden. Unabhängig davon, ob vorliegend die vom BGH entwickelten Grundsätze der Haftung für Anlageprospekte im engeren Sinne anwendbar sind (so LG Traunstein, Urteil vom 27.06.2018 – 5 O 2425/17), liegen die Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 S. 1-2 BGB – wobei § 311 Abs. 3 S. 2 BGB nicht abschließend formuliert ist („insbesondere“) – durch Inanspruchnahme eines besonderen Vertrauens, das die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat, und des nicht unerheblichen eigenen Interesses der Beklagtenseite vor.
Hierfür ist erforderlich, dass der sonstige am Vertrag nicht selbst beteiligte Dritte dem anderen Teil eine zusätzliche, gerade von ihm persönlich ausgehende Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäfts oder für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärungen, die für den Willensentschluss des anderen Teils bedeutsam gewesen sind, geboten oder in zurechenbarer Weise den Eindruck vermittelt hat, er werde persönlich mit seiner Sachkunde die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäfts selbst dann gewährleisten, wenn der andere Teil dem Geschäftsherrn nicht oder nur wenig vertraut oder sein Verhandlungsvertrauen sich als nicht gerechtfertigt erweist (BGH, Urteil vom 29.01.1997 – VIII ZR 356/95: Eigenhaftung eines Kraftfahrzeughändlers, der nach dem Verkauf eines Fahrzeuges durch einen Angestellten unter Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens maßgeblichen Einfluss auf den Weiterverkauf des betreffenden Fahrzeuges nimmt; BGH, Urteil vom 17.06.1991 – II ZR 171/90; MüKoBGB/Emmerich BGB § 311 Rn. 173). Keine notwendige Voraussetzung der Eigenhaftung ist dabei das Vorliegen einer Vertretungsmacht des Dritten (MüKoBGB/Emmerich BGB § 311 Rn. 174).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin im konkreten Einzelfall in die Beklagte als einen der größten deutschen Automobilhersteller besonderes Vertrauen setzte, dass sämtliche Gesetze und Vorschriften durch diese eingehalten werden. So gab die Klägerin in ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.10.2018 lebensnah und nachvollziehbar folgendes an:
Ich habe mir damals den Skoda gekauft, weil der Passat für mich zu teuer war. Beim Skoda ist eigentlich alles VW. Ich habe VW als Hersteller betrachtet. Mit dem VW-Konzern habe ich mich im Einzelnen nicht befasst.
Wenn man unter die Kühlerhaube schaut, ist überall VW drauf. Zwar ist es so, dass auf der Kühlerhaube das Skodazeichen ist und auch am Lenkrad. Wenn man sich die einzelnen Teile anschaut, dann merkt man, dass das alles von VW kommt. Auf der Motorabdeckung ist vielleicht noch das Skodazeichen. Wenn man die abnimmt, dann sieht man, dass das alles VW-Teile sind.
Ich habe mir den Skoda damals gekauft, weil er mir gut gefallen hat. Ich wollte auch ein umweltfreundliches Auto haben. Ich wollte ein Auto zu einem guten Preis, sodass ich mich für den Skoda entschieden habe. Wie gesagt, der Passat war mir zu teuer. Ich bin davon ausgegangen, dass der Diesel auch umweltbewusst ¡st. Das ergab sich aus den angegebenen Werten. Ich fahre verhältnismäßig viel, sodass das Auto für mich auch wirtschaftlich ist.
Wie gesagt, gehe ich davon aus, dass der Passat nahezu das gleiche Auto ist, allerdings viel teurer. Hier zahlt man halt die Marke VW mit.
Mein Vater ist auch immer schon VW gefahren. Er hat selbst einen Diesel und war immer damit zufrieden. Auf seinen aktuellen Diesel hat er über 500.000 KM drauf gefahren.
Ich habe immer darauf vertraut, dass VW auch gute Autos baut. Das macht BMW zwar auch, aber die sind noch teurer. Ich habe auf die Marke VW schon vertraut.
Ich selbst habe mit dem Auto noch keine Probleme, weil ich das Softwareupdate nicht drauf gespielt habe. Allerdings hat eine Freundin von mir einen VW Golf mit demselben Motor und die klagt jetzt über Leistungsverlust und Probleme mit dem Fahrzeug. Ich fand es allgemein unfair, dass man hier mit Werten geworben hat, die man nicht eingehalten hat. Auch der Umgang mit der Affäre regt mich auf. Man hätte sich hier nicht so verhalten dürfen. Ich bin von der Marke VW durchaus enttäuscht.
Mit dem Auto selbst bin ich, wie gesagt, nach wie vor eigentlich zufrieden. Ich habe mich allerdings bisher geweigert das Software-Update drauf spielen zu lassen. Ich komme allerdings auf Dauer nicht daran vorbei. Ich habe schon wieder ein Schreiben bekommen, dass ich das Update machen muss.
Ich fürchte, dass das Auto dann nicht mehr so gut läuft wie jetzt und auch mehr verbraucht. Ich glaube auch, dass ich dann viel mehr Probleme mit Werkstattbesuchen habe, weil irgendwelche Ventile verstopfen und so. Wie gesagt, ich habe Sorge, dass das Fahrzeug nicht mehr so rund läuft wie jetzt.
Hätte ich das Ganze damals beim Kauf gewusst, hätte ich mir sicher kein Auto mit dem betroffenen Dieselmotor gekauft. Ich denke, dass ich mir dasselbe Auto als Benzin-Fahrzeug gekauft hätte.
Auf Frage des Gerichts:
Derzeit habe ich auf dem Fahrzeug 163.950 KM drauf.
Die Klägerin zeigt ihr Mobiltelefon mit einem Foto auf dem sich der Kilometerstand von 163.954 KM ergibt. Darunter eine Ausgabe des Neuöttinger Anzeigers vom 25.10.2018. Dies wird in Augenschein genommen.
Auf Frage der Beklagtenvertreterin:
Wenn ich umweltfreundlich sage, meine ich, dass durch das Fahrzeug weniger Schadstoffe in die Umwelt gelangen als durch einen vergleichbaren Benziner. Das meinte ich mit umweltfreundlich.
Auf nochmalige Frage der Beklagtenvertreterin:
Ich habe mich hier an den Energieklassen, die jeweils ausgewiesen werden, orientiert. Ich weiß im Einzelnen nicht welche Schadstoffarten die jeweiligen Fahrzeugtypen und Motorarten ausstoßen. Damit habe ich mich nicht so beschäftigt.
Auf nochmalige Nachfrage des Gerichts:
Ich bin auch davon ausgegangen, dass Dieselfahrzeuge einfach länger halten. Man kann sie länger fahren, sodass weniger Neufahrzeuge herzustellen sind. Die gesamte Energiebilanz ist hier positiv.
Auf Vorhalt der Beklagtenvertreterin es habe keine Prospekte von der Beklagten gegeben, die das hier gegenständliche Fahrzeug bewerben:
Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen hier Skoda zu verklagen. Ich gehe davon aus, dass das alles unter dem VW-Dach stattfindet und deshalb VW auch für mich der Ansprechpartner ist. Es heißt ja auch immer, es sei dasselbe Band nur in Tschechien.
Fakt ist, dass bei dem Fahrzeug, wenn man es hoch hebt, überall unten VW-Zeichen drauf sind. Ich bastle selber ein wenig am Auto herum und kann das so auch bestätigen.
Die Beklagtenvertreterin will nochmal klargestellt wissen, dass die Übereinstimmungsbescheinigung nicht von VW ausgestellt wurde, sondern von der Firma Skoda.
Diesen nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben der Klägerin folgt das Gericht. Hieraus ergibt sich ein besonderes Vertrauen der Klägerin das von der Beklagten enttäuscht wurde. Hierbei ist es unbeachtlich, dass die Klägerin ein PKW der Marke Skoda erworben hat. Der gegenständliche Motor E 189 wurde von der Beklagten entwickelt, und wird in den Fahrzeugen der Konzernmarken der Beklagten verbaut. Wie die Klägerin überzeugend angab, war ihr dies bekannt. Ihr Vertrauen in die den geltenden Normen entsprechende Entwicklung des Motors richtete sich auf die Beklagte. Dieses Vertrauen wurde enttäuscht. Insoweit besteht nach Ansicht des Gerichts kein Unterschied zwischen Fahrzeugen der Marke VW und Fahrzeugen von Konzernmarken, in denen Motoren des Typs E 189 verbaut sind.
Vor allem im hier streitgegenständlichen hochtechnisierten und verrechtlichten Bereich der Abgasreinigung ist der Endkunde aufgrund des zweifellos überlegenen Wissens des Herstellers darauf angewiesen, sich auf dessen Leistungen verlassen zu können. Der Händler, schon gar der Gebrauchtwagenhändler, ist für gewöhnlich an diesen internen Vorgängen gerade nicht beteiligt. Dementsprechend wurde für das Fahrzeug der Klageseite durch einen Mitarbeiter der Konzernmarke Skoda eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Hierdurch übernimmt sie eine persönlich ausgehende Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärungen. Dies ergibt sich aus den Zielen in Anhang IX zur Richtlinie 2007/46/EG in der Fassung durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009. Die Übereinstimmungsbescheinigung stellt aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 385/2009 eine dem Käufer des Fahrzeugs ausgehändigte Versicherung dar, dass das von ihm gebaute Fahrzeug mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt. Daher kommt es nicht lediglich auf die formale Gültigkeit der Typengenehmigung an. Ebenso wenig greift nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift die Ansicht, dass eine Übereinstimmung mit sämtlichen Rechtsakten nicht erforderlich wäre. Dass die Firma Skoda zur Ausstellung der Bescheinigung verpflichtet ist, ändert nichts an den vertrauensbegründenden Umständen. Es handelt sich ausweislich der Formulierung um eine persönliche – wie inzwischen allgemein bekannt sogar mit persönlicher Namenszeichnung eines Mitarbeiters des Herstellers ausgestellte – Zusicherung des Herstellers an den Autokäufer. Der französische Wortlaut in den Zielen in Anhang IX der Verordnung (EG) Nr. 385/2009 „Le certificat de conformité une déclaration délivrée par le constructeur du véhicule à l’acheteur en vue de garantir à […]“ bringt dies noch deutlicher zum Ausdruck. Die Übereinstimmungsbescheinigung dient daher gerade nicht nur dazu, die problemlose Zulassung des jeweiligen Fahrzeugs zu gewährleisten.
Darüber hinaus kommt der Beklagten aufgrund ihrer Stellung als einen der größten deutschen Automobilhersteller am Vertragsschluss aufgrund des umworbenen Automobilmassenmarkts ein erhebliches Eigeninteresse am Verkauf zu. Auch wenn dies möglicherweise nicht derart unmittelbar und wirtschaftlich ist, um eine Sachwalterhaftung zu begründen – dazu müsste die Beklagte wirtschaftlich gesehen die eigentliche Partei des Vertrages bilden (MüKoBGB/Emmerich BGB § 311 Rn. 175) – ist zumindest in Rahmen einer Zusammenschau mit den oben genannten Aspekten ein unbenannter Fall von § 311 Abs. 3 S. 1 BGB anzunehmen.
2. Es ist auch eine Pflichtverletzung der Beklagten zu bejahen.
Ein Teil der Rechtsprechung nimmt bereits aufgrund des Inhalts des Rückrufbescheids des KBA vom 15.10.2015 an, dass es sich bei der verbauten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt und damit eine Übereinstimmung mit den europäischen Rechtsakten nicht gegeben ist. Das LG Braunschweig führt in seinem Urteil vom 17.01.2018 – 3 O 3447/16 hierzu beispielsweise Folgendes aus:
„[…] Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer folgt, sind Verwaltungsakte in den Grenzen ihrer Bestandskraft für andere Gerichte und Behörden bindend (vgl. hierzu und zum Folgenden: BGH NJW-RR 2007, 398, 399 m.w.N.). Gerichte haben Verwaltungsakte deshalb, auch wenn sie fehlerhaft sein sollten, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, d.h. ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zu Grunde zu legen. Durch den bestandskräftigen Rückrufbescheid des KBA vom 15.10.2015 und dessen Freigabebestätigung vom 01.06.2016 ist in diesem Sinne bindend festgestellt bzw. geregelt, – dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt. […]“
Unabhängig von der tatsächlichen und rechtlichen Vereinbarkeit der bei Auslieferung vorhandenen Software mit den Vorgaben von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB im Verstoß gegen eine entsprechende Hinweis- und Aufklärungspflicht der Beklagten als Hersteller gegenüber der Klageseite als Endkunden zu sehen. So mag in einiger Zeit eine umfassende rechtliche und technische Prüfung möglicherweise zu einer mit den europäischen Rechtsgrundlagen vereinbaren „innermotorische Maßnahme“ führen, jedoch bestand aufgrund der Arbeitsweise der Software und dem Sinn und Zweck der Regelungen zum Abgasausstoß die nicht fernliegende Gefahr behördlichen Einschreitens. So wurden geltende Vorschriften offensichtlich ohne vorherige Offenlegung bei den zuständigen Behörden durch entsprechende Schritte in gewisser Weise interpretiert. Dass die Beklagtenseite nach Bekanntwerden dieser Thematik behördliche Maßnahmen mit empfindlichen Folgen akzeptiert hat, zeigt nach Auffassung des Gerichts gerade auf, dass auch andere Interpretationsmöglichkeiten als vertretbar anzusehen sind. Auf die damit verbundenen Gefahren, die bis hin zu einem Entzug der Betriebserlaubnis führen können, musste die Beklagtenseite aufgrund der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden Rücksichtnahme- und Schutzpflichten (vgl. hierzu allgemein MüKoBGB/Bachmann, BGB, § 241 Rn. 46 ff. und BeckOGK/Herresthal BGB § 311 Rn. 391-398 m.w.N.) rechtzeitig hinweisen, was unstreitig nicht geschehen ist. Dies gilt umso mehr, als der Kauf eines Fahrzeuges für eine Vielzahl von Personen eine nicht unerhebliche Investition darstellt. Aufgrund des unzweifelhaft vorhandenen Wissensvorsprungs des Herstellers in Bezug auf Fragen der Zulassung und der Abgasvorschriften gegenüber einem Endkunden, erscheint es im konkreten Vertragsgefüge nicht gangbar, das Risiko einer solchen Einschätzung der Klageseite aufzubürden. Eine Übernahme wäre nur dann möglich, wenn der Endkunde entsprechend umfassend aufgeklärt worden wäre und er das Risiko bewusst übernommen hätte, was hier gerade nicht der Fall war. Die Erholung des insoweit von den Parteien angebotenen Sachverständigengutachtens bedurfte es damit nicht.
3. Das nach den §§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB, 292 S. 1 ZPO vermutete Vertretenmüssen wurde seitens der Beklagten nicht hinreichend widerlegt. Dabei hat sie sich das Verhalten ihrer Mitarbeiter über § 278 S. 1 BGB zurechnen zu lassen, wobei nach § 276 Abs. 2 BGB eine einfache Fahrlässigkeit ausreichend ist. Auf die Kenntnis von Organen i.S.d. § 31 BGB kommt es gerade nicht an (vgl. Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 311 Rn. 28; LG Traunstein, Urteil vom 27.06.2018 – 5 O 2425/17).
4. Die Klagepartei hat durch den Abschluss des Kaufvertrags einen Schaden i.S.d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB erlitten.
Das Gericht schließt sich zum Schadensbegriff den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 26.09.1997 – V ZR 29/96 an:
„Ist – was zwischen den Parteien streitig ist – der Kaufgegenstand den Kaufpreis wert, so kann ein Vermögensschaden schon darin liegen, daß der von dem schuldhaften Pflichtverstoß Betroffene in seinen konkreten Vermögensdispositionen beeinträchtigt ist. Der Schadensersatzanspruch dient dazu, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen; der Schadensbegriff ist mithin im Ansatz subjektbezogen (vgl. Lange, a.a.O., § 1 III 2; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl. vor § 249 Rdn. 20 ff.). Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluß eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, daß die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, S. 165; Lange, a.a.O., § 1 III 2; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdn. 9; in dieser Richtung z.B. BGH, Urt. v. 12.10.1993 – X ZR 65/92, NJW 1994, 663/664).
Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zur strafrechtlichen Bewertung solcher Konstellationen im Rahmen des Betrugstatbestandes (vgl. nur BGHSt 16, 321/325 ff.). Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, daß die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern daß auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluß als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.“
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klagepartei gab für das Gericht überzeugend an, dass sie bei Kenntnis, dass das Fahrzeug möglicherweise von einer abgasrechtlichen Problematik betroffen sein wird, den streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Für die Argumentation der Beklagten – es sei für den Autokäufer nicht entscheidend, ob ein Fahrzeug speziell für den NEFZ mit einer Software ausgerüstet ist, um die nur in diesem Rahmen vorgegeben Bedingungen zu erfüllen – spricht kein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz. Darüber hinaus ist nicht lediglich dieser eine Umstand, sondern es sind sämtliche Umstände, die daraus folgen, zu berücksichtigen. Damit ist auch miteinzubeziehen, dass das KBA eine Nachbesserung verlangt, um die Zulassung nicht zu entziehen und der Umstand, dass die erforderliche Nachbesserung in der breiten Öffentlichkeit sehr umstritten ist. In einer solchen Konstellation ist es gerade nicht lediglich subjektiv willkürlich i.S.d. zitierten Rechtsprechung, den geschlossenen Vertrag als Schaden und hinsichtlich der konkreten Vermögensinteressen als nachteilig anzusehen.
5. Im Hinblick auf den sich aus den §§ 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB ergebenden haftungsausfüllenden Tatbestand ist unter Berücksichtigung der Schätzungsbefugnis nach § 287 Abs. 1 ZPO folgendes auszuführen:
Die Klagepartei hat im Rahmen des negativen Interesses den Anspruch, so gestellt zu werden, als wäre nach einer entsprechenden Aufklärung durch die Beklagte der Kaufvertrag nicht geschlossen worden (Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 311 Rn. 55). Dies führt zur Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug (§§ 320 Abs. 1, 273 Abs. 1 BGB) gegen Übertragung des Eigentums am streitgegenständlichen Pkw (§ 255 BGB analog).
Im Rahmen des Vorteilsausgleichs muss sich die Klageseite allerdings die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, da es sich nicht um eine Rückabwicklung des Kaufvertrags handelt (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 27.06.2018 – 5 O 2425/17). Das Fahrzeug hatte beim Kauf eine Gesamtlaufleistung von 19.000 km und kostete 20.000 €. Im Zeitpunkt der hierfür maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung hatte es einen Kilometerstand von ca. 164.000 km. Insoweit hat das Gericht keine Anhaltspunkte, an den Angaben der Klageseite zu zweifeln.
Unter Berücksichtigung des Kaufpreises, den gefahrenen Kilometern und einer bei Dieselfahrzeugen zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km ergibt sich unter Verwendung der Formel „Bruttokaufpreis × gefahrene km, geteilt durch Restlaufleistung bei Übernahme“ eine Nutzungsentschädigung von 11.600 €. Vom Kaufpreis von 20.000,- € abgezogen ergibt sich eine Forderung des Klägers i.H.v. 8.400,- €.
Der hieraus folgende Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291 S. 1 und 2, 288 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit. Weitergehende Zinsen aus §§ 849, 261 BGB waren nicht zuzusprechen. Der Anspruch besteht nicht wegen Entziehung oder wegen Beschädigung einer Sache.
Über den gestellten Hilfsantrag war nicht zu entscheiden, da die Klägerin im Hauptantrag überwiegend obsiegt.
II.
Der Feststellungsantrag ist zulässig; das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich aus dem schutzwürdigen Interesse in Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO (Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 256 Rn. 8). Die Beklagte befindet sich in Annahmeverzug gem. § 293 BGB. Das Schreiben vom 24.01.2018 (Anlage K 27) enthält ein wörtliches Angebot. Ein tatsächliches war gem. § 295 BGB nicht erforderlich.
III.
Die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten wurden als adäquat verursachte Rechtsverfolgungskosten gem. den §§ 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB zugesprochen. Dabei ist die angesetzte Geschäftsgebühr gem. VV-RVG Nr. 2300 von 1,3, die Pauschale gem. VV-RVG Nr. 7002 sowie Umsatzsteuer gem. VV-RVG Nr. 7008 als angemessen anzusehen. Bei den Klägerischen Ausführungen werden überwiegend in vielen Verfahren verwandte Bausteine benutzt. Eine besondere Schwierigkeit, die die Ansetzung einer höheren Gebühr rechtfertigen könnte, sieht das Gericht nicht. Insoweit waren, wie beantragt, Prozesszinsen nach den §§ 291 S. 1 und 2, 288 Abs. 1 BGB begründet.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Alt. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1; 708 Nr. 11; 711 ZPO.

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