Aktenzeichen 13b D 20.00908
Leitsatz
1. Es ist schon zweifelhaft, ob der Umstand, dass die Aussage eines Zeugen erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeholt werden sollte, nur damit dieser, da gegen ihn in selber Sache ermittelt wurde, sich nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen könne, überhaupt als tauglicher Grund für ein Aufschieben der Befragung qualifizieren kann. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass sich die Originalverwaltungsakte aufgrund der Vorlagepflicht des Art. 3 BayDG i.V.m. § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht befindet und deshalb die Ermittlungen nicht weitergeführt werden hätten können, vermag die zwischenzeitliche Dauer des Disziplinarverfahrens nicht zu rechtfertigen (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine qualitativ und quantitativ unzureichende personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörde, eine nicht genügende Entlastung des Ermittlungsführers von anderen Aufgaben oder eine nicht sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe können angesichts des in Art. 4 BayDG festgelegten Beschleunigungsgebotes regelmäßig keine Verzögerung rechtfertigen (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Dem Antragsgegner wird zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens eine Frist von zwei Monaten ab Zustellung dieses Beschlusses gesetzt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der am 8. Mai 2020 bei Gericht eingegangene zulässige Antrag auf Fristsetzung für den Abschluss des mit Einleitungsverfügung vom 30. Oktober 2019 gegen den Antragsteller eingeleiteten Disziplinarverfahrens hat Erfolg.
Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayDG kann der Beamte bei dem Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss eines behördlichen Disziplinarverfahrens beantragen, wenn dieses nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen ist. Liegt ein zureichender Grund für ein länger als sechs Monate dauerndes Disziplinarverfahren nicht vor, bestimmt das Gericht nach Art. 60 Abs. 2 Satz 1 BayDG eine Frist, in der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist.
An einem zureichenden Grund fehlt es, wenn eine unangemessene Verzögerung vorliegt, also wenn die Sachaufklärung bzw. Verfahrenshandlungen nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung (vgl. Art. 4 BayDG) durchgeführt worden sind. Dabei ist es nicht die Aufgabe des Gerichts, die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einzelner Ermittlungsmaßnahmen des Dienstvorgesetzten, der Disziplinarbehörde oder des beauftragten Ermittlungsführers zu kontrollieren. Entscheidend ist vielmehr, ob die vom jeweiligen Ermittlungsführer für erforderlich gehaltenen Ermittlungsmaßnahmen sachgerecht und zügig durchgeführt wurden bzw., sofern dies nicht der Fall sein sollte, ob dem zumindest objektive Hinderungsgründe zugrundlagen. Ein eventuelles säumiges Verhalten der für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständigen Behörde muss zudem schuldhaft sein (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.2009 – 2 AV 3.98 – juris Rn. 2). Kriterien für die diesbezügliche Beurteilung sind im Wesentlichen Umfang und Schwierigkeitsgrad des Verfahrensstoffes, die Anzahl und Art der zu erhebenden Beweise, das den Verfahrensbeteiligten zuzurechnende Verhalten (etwa Beweisanträge oder fehlende Kooperationsbereitschaft des Beamten) sowie die von der Behörde nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbaren Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen (Findeisen, in: PdK Bayern C-13, Art. 60 BayDG Anm. 2.2.2).
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben ist ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 5.12.1996 – 1 DB 22/96 – juris Rn. 11) nicht (mehr) ersichtlich und auch nicht vom Antragsgegner substantiiert vorgetragen.
Wie sich aus der vorgelegten Behördenakte ergibt, handelt es sich vorliegend nicht um ein sehr komplexes Verfahren. Es ist zwar zutreffend, dass quantitativ vier Pflichtverletzungen (Vorwurf der Versagung der Abendkost, Weitergabe von Daten über einen Gefangenen ohne Zustimmung, Beleidigungen in zwei Fällen) im Raum stehen. Nach Auffassung des Disziplinargerichts handelt es sich dabei aber nicht nur um jeweils sehr überschaubare Sachverhalte, sondern inhaltlich jeweils um Vorwürfe, die auch qualitativ keine besondere Schwierigkeit in ihrer Beurteilung aufweisen. Aus der Behördenakte geht auch hervor, dass sich der Antragsteller jeweils umgehend zu den ihm vorgeworfenen Sachverhalten erklärt hat. Damit sind in seiner Sphäre liegende Verzögerungen für das Gericht nicht ersichtlich.
Es kann letztlich dahinstehen, ob das Ermittlungsverfahren zunächst mit der gebotenen Schnelligkeit durchgeführt worden ist, jedenfalls kann jetzt nicht mehr von einer angemessenen Zeitdauer ausgegangen werden. So dürften bereits Ende Mai 2020 die überwiegenden Ermittlungsschritte abgeschlossen bzw. zumindest final angestoßen worden sein, ohne dass bis zum heutigen Tage die Notwendigkeit weiterer Ermittlungsmaßnahmen dargelegt oder eine abschließende Entscheidung getroffen wurde.
Soweit es darum ging, dass die Aussage eines Zeugen (Herr …*) erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeholt werden sollte, nur damit dieser, da gegen ihn in selber Sache ermittelt wurde, sich nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen könne, ist schon zweifelhaft, ob dies überhaupt als tauglicher Grund für ein Aufschieben der Befragung qualifizieren kann. Jedenfalls aber ist dieser Zeuge zwischenzeitlich Ende Mai 2020 unter Setzung einer Fünf-Tages-Frist zur Stellungnahme aufgefordert worden. Das sich die Abgabe dieser Stellungnahme verzögert hätte und dadurch weitere Verfahrensverzögerungen eingetreten wären, ist nicht vorgetragen worden und für das Gericht auch nicht erkennbar. Gleichwohl haben sich seither keine weiteren Fortschritte im Rahmen der Ermittlungen ergeben.
Gleiches gilt für die Vorlage der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … im Verfahren … wegen des Vorwurfs der Beleidigung eines Strafgegangenen. Nach telefonischer Auskunft der Staatsanwaltschaft vom 28. September 2020 wurde die Ermittlungsakte nach Einstellung des dortigen Verfahrens bereits Ende Mai 2020 zur Akteneinsicht an den Antragsgegner herausgegeben.
Der Umstand, dass sich die Originalverwaltungsakte derzeit aufgrund der Vorlagepflicht des Art. 3 BayDG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO beim Verwaltungsgericht befindet und deshalb die Ermittlungen nicht weitergeführt werden hätten können, vermag entgegen der Ansicht des Antragsgegners die zwischenzeitliche Dauer des Disziplinarverfahrens nicht zu rechtfertigen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Antragsgegner dieser Vorlagepflicht nicht auch unter gleichzeitiger Beachtung des Gebotes einer beschleunigten Durchführung des Disziplinarverfahrens nach Art. 4 BayDG hätte nachkommen können, zumal die Ermittlungen auch ohne die an das Gericht übermittelte Originalakte durch vorher gefertigte Kopien weitergeführt hätte werden können. Dass die Fertigung solcher Kopien hier im Einzelfall aufgrund Art und Umfang der dem Gericht vorgelegten Originalakte – diese weist lediglich 71 Seiten auf – nicht möglich gewesen sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Soweit der Antragsgegner schließlich darauf verweist, eine eventuelle Verzögerung des Verfahrens sei Gründen mangelnder personeller Kapazitäten geschuldet, stellt dies ebenfalls keinen zureichenden Grund i.S.v. § 60 Abs. 2 Satz 1 BayDG dar. Eine qualitativ und quantitativ unzureichende personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörde, eine nicht genügende Entlastung des Ermittlungsführers von anderen Aufgaben oder eine nicht sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe können angesichts des in Art. 4 BayDG festgelegten Beschleunigungsgebotes regelmäßig keine Verzögerung rechtfertigen. Dieses Risiko fällt gerade nicht in die Sphäre des betroffenen Beamten, sondern in die des Dienstherrn. Die Disziplinarbehörde hat im Rahmen der Personalorganisation grundsätzlich dafür zu sorgen, dass der Ermittlungsführer durch Freistellung von den Aufgaben seines Hauptamtes dieser vorrangigen Diensttätigkeit verzögerungsfrei nachgehen kann. Anders kann es liegen, wenn die Verzögerung auf unvorhersehbaren Umständen beruht wie z.B. einer längeren Erkrankung des beauftragten Ermittlungsführers. Dass letzteres der Fall wäre, ist jedoch ebenfalls nicht erkennbar.
Da der Ermittlungsführer bereits in seiner Stellungnahme vom 19. August 2020 mitgeteilt hat, dass die Beweisaufnahme weitestgehend abgeschlossen sein dürfte, erscheint dem Disziplinargericht die im Tenor bezeichnete Zeitspanne als ausreichend, aber auch als angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayGB i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Art. 51 Abs. 2 Satz 4 BayDG).