Aktenzeichen XIII ZR 17/19
§ 8 Abs 1 EEG 2009
§ 11 Abs 1 S 1 Nr 1 EEG 2012
§ 12 Abs 1 EEG 2012
§ 15 Abs 1 EEG 2014
§ 15 Abs 1 EEG 2017
§ 241 Abs 2 BGB
§ 242 BGB
§ 280 Abs 1 S 1 BGB
§ 280 Abs 1 S 2 BGB
§ 280 Abs 3 BGB
Leitsatz
Solarpark Tutow
1. Wird die Einspeisung aus einer Anlage zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien unterbrochen, weil der betreffende Netzabschnitt zur Durchführung von Netzausbaumaßnahmen spannungsfrei geschaltet werden muss, liegt keine Maßnahme des Einspeisemanagements vor. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 EEG 2014 und EEG 2017 steht dem Anlagenbetreiber in diesem Fall nicht zu; auch eine analoge Anwendung der Härtefallregelung scheidet aus (Fortführung von BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – XIII ZR 27/19, ZNER 2020, 242 ff.).
2. Die Pflicht des Netzbetreibers zur Abnahme von Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen ist tatbestandlich ausgeschlossen, wenn und soweit das Stromnetz oder der Netzbereich, mit dem die Anlage verbunden ist, aufgrund von Arbeiten zum Zwecke seiner Optimierung, seiner Verstärkung oder seines Ausbaus spannungsfrei geschaltet ist und daher technisch keinen Strom aufnehmen, transportieren und verteilen kann. Dem Anlagenbetreiber steht in einem solchen Fall bei einer Einspeiseunterbrechung kein Schadensersatzanspruch statt der Leistung aus § 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB zu.
3. Bei der Durchführung von Netzausbaumaßnahmen ist der Netzbetreiber aufgrund der ihn aus § 241 Abs. 2, § 242 BGB treffenden Rücksichtnahmepflichten gegenüber den Betreibern der an sein Netz angeschlossenen Erneuerbare-Energien-Anlagen im Rahmen des ihm nach einer Interessenabwägung Zumutbaren gehalten, deren Belange bei der Organisation der Baumaßnahmen zu berücksichtigen. Er ist jedoch grundsätzlich nicht zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet, die für ihn zu einem zusätzlichen wirtschaftlichen Aufwand führen würden. Daher schuldet er keine Organisation der Netzausbauarbeiten, die eine Kostenerhöhung zur Folge hätte, und ist nicht verpflichtet, Überbrückungsmaßnahmen oder einen provisorischen Netzzugang auf eigene Kosten herzustellen (Fortführung von BGH, Urteil vom 11. Mai 2016 – VIII ZR 123/15, ZNER 2016, 232 ff.).
4. Im Rahmen der bei der Frage der Zumutbarkeit vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu beachten, dass dem Netzbetreiber bei der Organisation und Durchführung von Netzausbaumaßnahmen ein großer unternehmerischer Spielraum zusteht, dessen Ausfüllung in erster Linie an dem öffentlichen Interesse an einem zügigen und effizienten Netzausbau zu orientieren ist, und dass der Netzbetreiber nicht nur die Interessen des einzelnen Anlagenbetreibers, sondern auch die von Dritten, insbesondere die anderer Einspeisewilliger sowie die der Stromabnehmer, zu berücksichtigen hat.
Verfahrensgang
vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 30. Juli 2019, Az: 6 U 27/18, Urteilvorgehend LG Frankfurt (Oder), 12. Januar 2018, Az: 11 O 148/17
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 30. Juli 2019 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin, die in Brandenburg einen Solarpark betreibt, verlangt von den beklagten Netzbetreibern Ersatz für entgangene Einnahmen wegen mehrerer durch Netzausbaumaßnahmen veranlasster Unterbrechungen der Stromeinspeisung in den Jahren 2016 und 2017.
2
Die im Jahr 2010 in Betrieb genommene Freiflächenphotovoltaikanlage der Klägerin (fortan: Solarpark Tutow II) mit einer installierten Leistung von gut 25.000 kWp speist den von ihr erzeugten Strom über eine 20-kV-Leitung und das angeschlossene Umspannwerk Kruckow in das ursprünglich im Eigentum der Beklagten zu 1, infolge einer Ausgliederung seit dem 3. Juli 2017 im Eigentum der Beklagten zu 2 stehende Netz der allgemeinen Versorgung ein. Die Vergütung erfolgt nach den Vorgaben des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2009. Das Umspannwerk Kruckow ist an die von den Beklagten betriebene 110-kV-Freileitungstrasse zwischen den Umspannwerken Siedenbrünzow und Anklam angeschlossen. Diese Trasse besteht aus zwei technisch getrennten Systemen (Leitungssystem 1 und Leitungssystem 2), wobei in das Leitungssystem 2 ein weiteres Umspannwerk eingebunden ist. Bis zum 11. Mai 2017 speiste das Umspannwerk Kruckow ausschließlich in das Leitungssystem 1 der Beklagten ein, danach wurde es auch an das Leitungssystem 2 angeschlossen.
3
Da die Übertragungsfähigkeit der Freileitungstrasse in dem Abschnitt zwischen den Umspannwerken Siedenbrünzow und Anklam aufgrund des Zubaus von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien nicht mehr ausreichte, führte die Beklagte zu 1 dort seit Beginn des Jahres 2016 Baumaßnahmen zur Erweiterung der Netzkapazität durch, die auf drei Jahre projektiert waren. Im Zuge der Bauarbeiten wurden in beiden Leitungssystemen abschnittsweise nacheinander die einfachen Leiterseile durch Hochstromfreileitungen mit zwei Bündelleitern ersetzt sowie die Leitermasten entlang der gesamten Trasse ausgetauscht. Die Arbeiten, die einen spannungslosen Netzzustand voraussetzten, wurden an einzelnen Tagen zwischen 6.30 Uhr und 17.00 Uhr jeweils an einem der Systeme durchgeführt, das zu diesem Zweck vollständig bis zu den nächsten Umspannwerken abgeschaltet wurde. Ein- und Ausspeisungen von Strom konnten in diesen Zeitabschnitten nur über das jeweils andere, aktuell nicht von den Bauarbeiten betroffene Leitungssystem erfolgen. Im übrigen Zeitraum standen beide Leitungssysteme zur Verfügung.
4
Im Zusammenhang mit den Bauarbeiten forderte die Beklagte zu 1 die Klägerin im Zeitraum vom 9. März 2016 bis zum 11. Mai 2017 in 116 Fällen auf, den Solarpark am jeweiligen Tag abzuschalten, um den 110 kV-Transformator im Umspannwerk Kruckow während der Ausbauarbeiten außer Betrieb nehmen zu können. Die Klägerin kam diesen Aufforderungen nach. Infolge der Abschaltungen des Solarparks Tutow II konnte dieser während einer Gesamtdauer von etwa 1000 Stunden keinen Strom in das Netz der Beklagten einspeisen. Nach dem 11. Mai 2017 wurde das Umspannwerk Kruckow an das Leitungssystem 2 der Beklagten angeschlossen.
5
Das Landgericht hat die – alternativ auf die Härtefallregelung bei Maßnahmen des Einspeisemanagements nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und auf einen Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung gestützte – auf Zahlung von 1.942.946 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die geltend gemachten Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche wegen der Einspeiseunterbrechungen weiter.
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