IT- und Medienrecht

Verbot von Werbebehauptungen beim Vertrieb von Telekommunikationsdienstleitungen

Aktenzeichen  29 U 208/17

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MD – 2018, 340
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 286 Abs. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Maßgeblich für die Prüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Erstgerichts begründen, sind nicht vom Erstgericht im Anschluss an die Beweisaufnahme geäußerte vorläufige Einschätzungen, sondern allein die Ausführungen zur Beweiswürdigung im Ersturteil gemäß § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO. (Rn. 16)

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte zu 1. hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, soweit es angegriffen wurde, sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 1. kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. a) des Urteils des Landgerichts durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7.500,- € und die aus Ziffer 1. c) des Urteils des Landgerichts durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte zu 1. die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.
Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zu 1., deren Muttergesellschaft die Beklagte zu 2. ist, bieten Telekommunikationsdienstleistungen an.
Die Klägerin trägt vor, die Beklagte zu 1. habe im Rahmen von Anrufen, mit denen sie für einen Anbieterwechsel geworben habe, unrichtige Angaben gemacht.
Nach erfolglosen Abmahnungen hat die Klägerin zunächst gegen beide Beklagte Ansprüche auf Unterlassung sowie Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten geltend gemacht und später die Klage gegen die Beklagte zu 2. insgesamt sowie wegen eines Teils der Abmahnkosten auch gegen die Beklagte zu 1. zurückgenommen.
Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landgericht mit Urteil vom 16. Dezember 2016, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, die Beklagte zu 1. unter Abweisung der weiterverfolgten Klage im Übrigen verurteilt,
1. es bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Rahmen der Akquise von Telekommunikationsdienstleistungen, insbesondere X-Produkten, gegenüber potentiellen Kunden wahrheitswidrig zu behaupten und/oder behaupten zu lassen,
a) dass sie in Zukunft nicht mehr von der Telekom bedient würden; und/oder
b) dass ihre Verträge bei der Telekom ausliefen; und/oder
c) dass sie demnächst gesetzlich verpflichtet seien, ihre Telekommunikationsdienstleistungen nur noch von einem Anbieter, insbesondere X., zu beziehen.
2. an die Klägerin 405,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. August 2015 zu zahlen, ferner weitere 765,95 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18. September 2015 zu zahlen.
Die Beklagte zu 1. wendet sich teilweise gegen ihre Verurteilung. Sie vertritt die Auffassung, das Landgericht habe die entsprechenden Zeugenaussagen falsch gewertet, und beantragt,
1. das landgerichtliche Urteil aufzuheben, soweit sie verurteilt worden ist, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Rahmen der Akquise von Telekommunikationsdienstleistungen, insbesondere X.-Produkten, gegenüber potentiellen Kunden wahrheitswidrig zu behaupten und/oder behaupten zu lassen,
a) dass sie in Zukunft nicht mehr von der Telekom bedient würden;
und/oder
c) dass sie demnächst gesetzlich verpflichtet seien, ihre Telekommunikationsdienstleistungen nur noch von einem Anbieter, insbesondere X. zu beziehen.
und soweit sie verurteilt worden ist, an die Klägerin 203,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. August 2015 zu zahlen, ferner weitere 765,95 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18. September 2015 zu zahlen;
2. die Klage im Umfang der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung der Beklagten zu 1. zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2017 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1. (im Folgenden: Beklagte) ist unbegründet.
1. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, es zu unterlassen, potentiellen Kunden gegenüber die Behauptung aufzustellen, diese würden in Zukunft nicht mehr von der Klägerin bedient (Ziffer 1. a] der landgerichtlichen Urteilsformel).
Das Landgericht hat festgestellt, dass die beanstandete Werbebehauptung tatsächlich in dem Telefonat mit dem Zeugen R. gefallen war. Diese Feststellung hat der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen, weil die Beklagte keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen hat, die Zweifel an deren Richtigkeit begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten könnten.
Insbesondere werden derartige Zweifel nicht durch die Behauptung der Beklagten begründet, der Zeuge habe die Worte „bedient“ und „versorgt“ nicht synonym verwendet. Damit setzt sich die Beklagte ohne nachvollziehbare Begründung über die entgegenstehende Feststellung des Landgerichts hinweg, die nicht nur vom allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch von den konkreten, im landgerichtlichen Urteil auf Seite 8 f. wiedergegebenen Äußerungen des Zeugen getragen wird.
Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung dazu, dass „betreuen“ und „bedienen“ unterschiedliche Vorgänge beträfen, liegen schon deshalb neben der Sache, weil die Klägerin bereits auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 21. Januar 2016 (= Bl. 61 d. A.) ihre Darstellung in der Klageschrift, dem Kunden sei mitgeteilt worden, er werde in Zukunft von der Klägerin nicht mehr betreut werden können, dahin berichtigt hat, dem Kunden sei mitgeteilt worden, er werde in Zukunft von der Klägerin nicht mehr bedient werden können.
2. Das Landgericht hat die Beklagte auch zu Recht verurteilt, es zu unterlassen, potentiellen Kunden gegenüber die Behauptung aufzustellen, dass sie demnächst gesetzlich verpflichtet seien, ihre Telekommunikationsdienstleistungen nur noch von einem Anbieter, insbesondere O2, zu beziehen (Ziffer 1. c] der landgerichtlichen Urteilsformel).
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte diese Aussage gegenüber der Zeugin V. gemacht hatte. Diese Feststellung hat der Senat ebenfalls gemäß § 529 Abs. 1
Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen, weil die Beklagte auch insoweit keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen hat, die Zweifel an deren Richtigkeit begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten könnten.
Selbst wenn die Vorsitzende der erkennenden Kammer des Landgerichts im Anschluss an die Vernehmung dieser Zeugin sich wie von der Beklagten behauptet geäußert haben sollte, wären diese Äußerungen nicht geeignet, derartige Zweifel zu begründen. Maßgeblich sind nicht vorläufige Einschätzungen im Anschluss an die Beweisaufnahme, sondern vielmehr allein die Ausführungen zur Beweiswürdigung im Urteil gemäß § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Diese bieten keinen Anlass für die Annahme, die Feststellung des Landgerichts sei fehlerhaft.
Es kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht die Rede davon sein, es widerspreche der Lebenserfahrung, dass die Zeugin zwar eine falsche Erinnerung dazu habe, ob sie einer Kündigung zugestimmt habe, sich aber exakt an das Beweisthema habe erinnern können. Vielmehr begegnet die Würdigung des Landgerichts keinen Bedenken, das Argument einer gesetzlichen Verpflichtung sei so ungewöhnlich, dass die Erinnerungsfähigkeit daran eher gegeben sei als an die Reaktion der Zeugin darauf (Zustimmung oder Nichtzustimmung zur Kündigung).
Entgegen der von der Beklagten schriftsätzlich und nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung gibt es keine an den volkstümlichen Spruch Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht angelehnte Beweisregel, die es dem Landgericht verwehrt hätte, die Glaubwürdigkeit der Zeugin hinsichtlich deren Aussage zu der streitgegenständlichen Äußerung anzunehmen, obwohl deren Aussage zur Kündigungszustimmung im Widerspruch zu der entsprechenden Angabe in deren eidesstattlicher Versicherung stand. Beweisregeln binden die Gerichte nur, wenn sie (bundes-)gesetzlich vorgegeben sind (vgl. § 286 Abs. 2 ZPO); eine darüber hinausgehende Anwendung stünde im Widerspruch zu dem Gebot des § 286 Abs. 1 ZPO, die gerichtliche Entscheidung auf eine individuelle Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu gründen (vgl. BGH NJW 1995, 955 [956] m. w. N.).
b) Die Beklagte beruft sich auch ohne Erfolg darauf, dass die von der Zeugin bekundete Aussage, der Anrufer habe gesagt, dass es gesetzlich vorgeschrieben sei, dass man nicht mehr zwei Anbieter haben dürfe, den Urteilsausspruch (Verbot der Werbung mit einer gesetzlichen Verpflichtung, Telekommunikationsdienstleistungen nur noch von einem Anbieter zu beziehen) nicht trage, weil die bekundete Aussage denklogisch umfasse, dass man beispielsweise drei oder vier Anbieter haben dürfe. Diese Deutung ist abwegig; im Kontext des Werbeanrufs, der eine Kundin der Klägerin dazu bewegen sollte, zur Beklagten zu wechseln, war die Aussage ersichtlich so gemeint – und auch sowohl von der Zeugin als auch dem Landgericht so verstanden -, dass nicht einmal mehr zwei Anbieter gesetzlich zulässig seien.
3. Da die beiden im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche bestehen, ist auch die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz der entsprechenden – der Höhe nach nicht in Frage gestellten – Abmahnkosten (Ziffer 2. der landgerichtlichen Urteilsformel) gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu Recht erfolgt.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter II. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.

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