Aktenzeichen M 22 E 17.4341
GG GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 21
StGB StGB § 130, § 185
Leitsatz
1. Die Eingriffsbefugnis des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 LStVG stellt nicht lediglich auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ab, sondern kann nur zur Verhütung bzw. Unterbindung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie von verfassungsfeindlichen Handlungen herangezogen werden. (Rn. 17 und 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die auf einem NPD-Wahlplakat dargestellte Parole “Geld für die Oma statt für Sinti und Roma” ist (noch) vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, dem vor allem in Verbindung mit dem Parteienprivileg in Wahlkampfzeiten besondere Bedeutung zukommt, und erfüllt den danach restriktiv auszulegenden Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB und auch den der Beleidigung nach § 185 StGB nicht. (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verstoß gegen ein auch im innerstaatlichen Recht anwendbares völkerrechtliches Übereinkommen, der keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit darstellt, ermöglicht kein sicherheitsbehördliches Einschreiten nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine verfassungsfeindliche Handlung setzt nach der Legaldefinition des Art. 7 Abs. 5 LStVG voraus, dass die angestrebte Störung oder Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Methode verfassungswidrig ist, so dass eine Handlung nicht darunter fällt, die sich an die Vorschriften der Verfassung und des sonstigen geltenden Rechts hält. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Im Stadtgebiet der Antragsgegnerin wurde zum Zwecke des Wahlkampfes für die bevorstehende Bundestagswahl ein Wahlplakat der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) am A./Ecke R. W. Straße an einer Straßenlaterne angebracht, auf dem der Spruch „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ zu lesen ist.
Mit am 12. September 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz – ergänzt durch Schreiben vom 18. September 2017 – beantragt der Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abhängung des am A./Ecke R. W. Straße direkt vor einer Asylunterkunft hängenden NPD-Wahlplakats mit der Aufschrift „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ anzuordnen.
Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, der Inhalt des Wahlplakats sei nicht mehr vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Eine Meinungskundgabe, die darauf abziele, eine Person oder Personengruppe wegen ihrer ethnischen Abstammung oder anderer unveränderbarer Merkmale herabzusetzen und ihr das elementare Recht auf Menschenrechte abzusprechen, sei nicht hinnehmbar. Ungeachtet einer etwaigen Verwirklichung des Straftatbestandes der Volksverhetzung liege jedenfalls ein Verstoß gegen das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) vor, der einem Rechtsgutachten einer Professorin der Universität Würzburg zufolge auch bei der Anwendung der polizeirechtlichen Generalklausel berücksichtigt werden müsse. Durch das Plakat würden Angehörige einer Minderheit verächtlich gemacht, was ein den sozialen Zusammenhalt zerstörendes Meinungsklima schaffe. Dies sei mit den herrschenden ethischen und sozialen Anschauungen nicht vereinbar.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 15. September 2017, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, sie könne die vom Antragsteller begehrte Anordnung nur im Rahmen der ihr als Sicherheitsbehörde zugewiesenen Befugnisse und der im Gesetz enthaltenen Einschränkungen erlassen. Eine sicherheitsrechtliche Generalklausel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei im LStVG jedoch nicht enthalten, wovon das von der Antragstellerin zur Begründung des Antrags zitierte Rechtsgutachten jedoch ausgehe. Vielmehr bedürfe es für eine Anordnung zur Entfernung des Plakats des Vorliegens der spezifischen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 LStVG. Jedoch seien verwirklichte Straftatbestände bzw. Ordnungswidrigkeiten nicht gegeben, insbesondere erfülle der Inhalt des Plakats nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 StGB. Der Wortlaut sei nicht geeignet, die Bevölkerung dazu „anzustacheln“ die ethnische Gruppe aktiv zu diskriminieren oder ihr Gewalt anzutun.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragt mit Schriftsatz vom 18. September 2017, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Inhalt des Plakats sei vom Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt und verwirkliche den Tatbestand der Volkverhetzung nicht. Ein Verstoß gegen völkerrechtliche Verträge sei unerheblich, da durch diese lediglich die unterzeichnenden Staaten gebunden und keinerlei Rechte für einzelne Bürger begründet würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag erweist sich als zulässig, bleibt aber ohne Erfolg.
1. Der gemäß § 61 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beteiligungsfähige Antragsteller ist in analoger Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, da die Verletzung eigener subjektiver Rechte durch den Inhalt des in Rede stehenden Plakats zumindest möglich erscheint und nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Das Gericht kann im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Dieses sog. Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO aber ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn diese zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9/12 – NVwZ 2013, 1344, Rn. 22).
Da eine stattgebende Entscheidung hier im Ergebnis auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinauslaufen würde, beurteilt sich die Begründetheit des Antrags nach den vorgenannten strengen Voraussetzungen.
2.1 Ein Anordnungsgrund ergibt sich aufgrund der Eilbedürftigkeit, da das Wahlplakat anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Bundestagswahl angebracht wurde.
2.2 Der Antragsteller hat vorliegend jedoch einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf sicherheitsrechtliches Einschreiten nicht glaubhaft gemacht. Ein derartiger Anspruch setzt das Vorliegen einer Befugnisnorm voraus, auf die die Sicherheitsbehörde ihr Tätigwerden stützen kann und die zumindest auch dem Schutz der Interessen des Antragstellers dient.
Die einzig in Betracht kommenden Befugnisnormen stellen vorliegend Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG dar. Demnach können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen nur treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden (Nr. 1), und durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen (Nr. 2).
Eine Eingriffsbefugnis ist danach aber nicht gegeben. Der Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB wird durch die auf dem Plakat dargestellte Parole „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ nicht erfüllt. Daher kann eine Befugnis der Antragsgegnerin zum sicherheitsrechtlichen Einschreiten diesbezüglich nicht auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. § 130 StGB gründen. Die Kammer schließt sich insofern der Rechtsprechungspraxis verschiedener Verwaltungsgerichte sowie mehrerer (General-)Staatsanwaltschaften an (vgl. hierzu ausführlich VG Kassel, B.v. 9.9.2013 – 4 L 1117/13.KS; VG Frankfurt, B.v. 10.9.2013 – 5 L 3380/13.F – juris Rn. 9; VG Gießen, B.v. 12.9.2013 – 4 L 1892/13.Gl, mit Verweis auf die telefonisch übermittelte Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main; Staatsanwaltschaft Magdeburg, 2.10.2013 – 230 Js 35941/13; im Ergebnis ebenso BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 757). Die inmitten stehende Äußerung ist (noch) vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) gedeckt, dem vor allem in Verbindung mit dem Parteienprivileg des Art. 21 GG in Zeiten des Wahlkampfes besondere Bedeutung zukommt. Insgesamt ist daher eine restriktive Auslegung des Straftatbestandes nach § 130 StGB geboten, bei der auch plakative und heftige Herabwürdigungen von Teilen der Bevölkerung nicht ohne weiteres als die Menschenwürde verletzender Angriff auf die Persönlichkeit zu qualifizieren sind (vgl. hierzu etwa OLG München, B.v. 9.2.2010 – 5 St RR (II) 9/10, 5 St RR (II) 009/10 – juris Rn. 12; VG Berlin, B.v. 7.9.2011 – 1 L 293/11).
Auch die Verwirklichung weiterer Straftatbestände, insbesondere der Beleidigung nach § 185 StGB, ist im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung nicht hinreichend glaubhaft gemacht, da auch in dessen Anwendungsbereich das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung mit oben genanntem Ergebnis einfließt.
Des Weiteren gibt auch ein möglicher Verstoß gegen völkerrechtliche Übereinkommen, vorliegend insbesondere des Art. 4 lit. a und b ICERD, der Antragsgegnerin im Rahmen des Art. 7 Abs. 2 LStVG keine Befugnis, das Abnehmen des Wahlplakats nach sicherheitsrechtlichen Grundsätzen zu verlangen. Zwar trifft es zu, dass das internationale Übereinkommen durch das Zustimmungsgesetz des Bundestages gemäß Art. 59 Abs. 2 GG auch im innerstaatlichen Recht Anwendung findet und Bestandteil der Rechtsordnung ist (vgl. Schmahl, Rechtsgutachten über den Umgang mit rassistischen Wahlplakaten der NPD, S. 74). Dieser Umstand ist nach der bayerischen Rechtslage aber nicht ausreichend, um ein sicherheitsbehördliches Einschreiten zu ermöglichen, da die Bestimmung in Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG wie ausgeführt auf Tatbestandsseite nicht lediglich auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abstellt, sondern das Vorliegen weiterer spezifischer Voraussetzungen fordert, die hier aber nicht gegeben sind.
Schließlich folgt eine Befugnis zum sicherheitsrechtlichen Einschreiten der Antragsgegnerin auch nicht aus ihrer Verpflichtung zur Verhütung bzw. Unterbindung verfassungsfeindlicher Handlungen nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 LStVG. Nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 5 LStVG ist eine Handlung verfassungsfeindlich, die darauf gerichtet ist, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder auf verfassungswidrige Weise zu stören oder zu ändern, ohne den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit zu verwirklichen. Dabei muss jedoch die angestrebte Störung oder Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung in der Methode verfassungswidrig sein. Eine verfassungsmäßige Störung der verfassungsmäßigen Ordnung ist im Grunde nicht denkbar. Hält sich eine Handlung an die Vorschriften der Verfassung und des sonstigen geltenden Rechts, so ist sie keine Störung dieser Ordnung (vgl. Koehl in: Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, 36. Ergänzungslieferung 2015, Art. 7 Rn. 159).
Gemessen an diesen Vorgaben stellt das Aufhängen eines Wahlplakats diesen Inhalts durch die Beigeladene keine verfassungsfeindliche Handlung dar.
2.3 Da es schon am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Befugnisnorm des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 LStVG fehlt, bedarf es hier auch keines Eingehens auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen, wenn ein behördliches Tätigwerden in Betracht käme, ein Dritter ein solches Vorgehen beanspruchen kann. Bemerkt sei hierzu lediglich, dass nach Auffassung der Kammer aber für den Fall, dass mit einer Plakatierung tatsächlich der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt würde, dem von den aufhetzenden Äußerungen Betroffenen zumindest ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten zustehen dürfte.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 sowie Ziffer 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.