IT- und Medienrecht

Vertrags(zahn)arztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 38 KA 551/15

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 140461
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 14, § 83 Abs. 2, § 106a, § 106d
VwGO § 154
SGG § 197a
EKV-Ä § 34 Abs. 5
BMV-Ä § 45 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Für die in § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag vorgesehenen Antragsfristen fehlt nach Wegfall von § 83 Abs. 2 SGB V (Generalermächtigung) die Rechtsgrundlage. Eine Verweisung in der Prüfvereinbarung auf den Gesamtvertrag geht somit ins Leere und stellt keine Transformation dar. (Rn. 19 – 20)
2. Antragsfristen im Zusammenhang mit § 106a SGB V (a.F.) bzw. § 106d SGB V (n.F.) sind keine Ausschlussfristen, sondern bloße Ordnungsfristen und stellen kein Verfahrenshindernis dar. (Rn. 30)
3. Bei der Prüfung nach § 106a SGB V (a.F.) bzw. § 106d SGB V (n.F.) besitzen die kassenärztlichen Vereinigungen kein materielles Prüfungsrecht. (Rn. 27 – 28)

Tenor

I. Der Bescheid vom 03.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, über das Korrekturbegehren der Klägerin auf sachlich-rechnerische Richtigstellung wegen fehlender Leistungspflicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die in der Anlage K1 genannten Abrechnungsfälle gezielt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auf die Erfüllung der Voraussetzungen für die Abrechnung der in Ansatz gebrachten GOP´s 31821 – 31828 zu prüfen.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
(Urteil mit Beschluss vom 20.11.2018 durch Punkt IV ergänzt)

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 03.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Vorab ist anzumerken, dass bis zum 01.01.2014 ausschließlich den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit oblag (§ 45 Abs. 3 BMV-Ä, § 34 Abs. 4 EKV-Ä). Zum 01.01.2014 wurden mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen vom 14.11.2003 (GMG, BGBl I 2190, 2217) die Krankenkassen in die Prüfung mit einbezogen. Mit der Einführung des § 106a SGB V a.F. (inhaltsgleich mit § 106d SGB V n.F.) wurden die Zuständigkeiten zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen neu festgelegt. In § 106a Abs. 2 SGB V (§ 106d Abs. 2 SGB V n.F.) i.V.m. RL §§ 6,7,8 … zu § 106a SGB V hat der Gesetzgeber der Kassenärztlichen Vereinigung insbesondere die Prüfung nicht ordnungsgemäßer Abrechnungen bzw. der Abrechnung nicht oder nicht vollständig erbrachter Leistungen zugewiesen. Für die Kassenärztliche Vereinigung besteht die Pflicht, die Verbände der Krankenkassen, sowie die Ersatzkassen unverzüglich über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse zu unterrichten. Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand ist, dass in § 106a Abs. 3 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 3 SGB V n.F.) i.V.m. RL §§ 14 ff. zu § 106a SGB V den Krankenkassen eine eigene Prüfungszuständigkeit zugewiesen wurde. So besitzen die Krankenkassen beispielsweise eine Prüfungszuständigkeit hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht. Neben dieser Prüfungszuständigkeit hat die Krankenkasse nach § 106a Abs. 3 S. 2 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 3 S. 2 SGB V n.F.) eine Unterrichtungspflicht gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Die KVB ist an das Ergebnis der Prüfung gebunden. Sie besitzt kein eigenes materielles Prüfungsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R), sondern ist – wie das Bundessozialgericht ausführt – auf die Prüfung beschränkt, ob der Umsetzung der Prüfergebnisse Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis (z.B. Ausschlussfristen, Vertrauensschutzgesichtspunkte) entgegenstehen. Liegen solche Begrenzungen der Abrechnungsprüfung nicht vor, obliegt ihr die verwaltungsmäßige Umsetzung im Wege eines Bescheides gegenüber dem geprüften Vertragsarzt. Im Verhältnis zur Krankenkasse besitzt der Bescheid lediglich deklaratorische Bedeutung.
Eine weitere „Neu“-Regelung, nämlich § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V a.F. (§ 106 d Abs. 4 S. 1 SGB V n.F.) sieht vor, dass die Krankenkasse oder ihre Verbände bei entsprechender Veranlassung gezielte Prüfungen durch die Kassenärztliche Vereinigung nach § 106a Abs. 2 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 2 SGB V n.F.) beantragen können. Auch für die Kassenärztliche Vereinigung hat der Gesetzgeber das Antragsrecht für gezielte Prüfungen nach Abs. 3 S. 1 Nr. 2 oder 3 vorgesehen, sofern dazu Veranlassung besteht. Den Inhalt und die Durchführung der Prüfungen nach Absätzen 2 bis 4 vereinbaren die kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich (§ 106a Abs. 5 SGB V a.F. bzw. § 106d Abs. 5 SGB V n.F.). Für den Inhalt und die Durchführung der Prüfungen nach den Abs. 2 und 3 hat der Gesetzgeber in § 106a Abs. 6 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 6 SGB V n.F.) vorgesehen, dass dies zwischen den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen erstmalig bis zum 30. Juni 2004 in Richtlinien vereinbart wird.
Die Feststellung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit verbleibt trotzdem insgesamt und nach wie vor nach § 106a Abs. 2 S. 1 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 2 S. 1 SGB V n.F.) bei der Kassenärztlichen Vereinigung und zwar unabhängig von der Prüfungszuständigkeit.
Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 7.1.2015 unter dem Betreff „Prüfung Ihrer vertragsärztlichen Abrechnung nach § 106a Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V)“, der beigefügten Anlage und beigefügten Datenträgern Abrechnungsauffälligkeiten mit und bat „um Bestätigung der Korrektur der genannten Auffälligkeiten“. Die Beklagte hat zwar das Schreiben der Klägerin als Antrag auf gezielte Prüfung nach § 106a Abs. 4 SGB V verstanden, wie sich aus dem Betreff ihres Schreibens vom 03.02.2015 ergibt. Den Einlassungen der Beteiligten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ist zu entnehmen, dass diese insofern übereinstimmen, als sich ein Teil der Antragstellung auf die Prüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V, ein anderer Teil auf die Prüfung nach § 106a Abs. 4 SGB V beziehen soll.
Was die Anästhesieleistungen (GOP´s 31821-31828) betrifft, ist – soweit die Klägerin ausgeführt hat – die Leistungserbringung fraglich, da nach dem Vortrag und der Prüfung durch die Klägerin keine ambulanten Operationen abgerechnet wurden. Es liegt somit eine Prüfungszuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 106a Abs. 2 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 2 SGB V n.F.) vor; d.h., die Abrechnungsprüfung erfolgt von Amts wegen (§ 106a Abs. 2 SGB V bzw. § 106d Abs. 2 SGB V n.F. i.V.m. RL § 6 Abs. 2 2. Spiegelstrich zu § 106a Abs. 2 SGB V). Ebenfalls ist die klagende Krankenkasse berechtigt, eine gezielte Prüfung nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 4 S. 1 SGB V n.F.) i.V.m. § 106a Abs. 2 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 2 SGB V n.F.) zu beantragen. Der Antrag nach § 106a Abs. 4 SGB V a.F. setzt voraus, dass für eine solche Prüfung Veranlassung besteht. Dies ist der Fall, zumal sich aus dem Schreiben der Klägerin vom 07.01.2015, der beigefügten Anlage und dem beigefügten Datenträger ausreichende und konkrete Hinweise auf Abrechnungsauffälligkeiten ergeben.
Dem gezielten Prüfungsauftrag steht auch ein Überschreiten einer Antragsfrist nicht entgegen. Eine solche Antragsfrist ist nicht in den RL zu § 106a SGB V geregelt. Ebenfalls findet sich auch keine ausdrückliche Regelung der Antragsfristen in der Abrechnungsprüfvereinbarung. Allerdings ist in § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung eine Verweisung auf die in den Gesamtverträgen genannten Fristen (Antragsfristen für sachlichrechnerische Richtigstellungen) enthalten. Nach § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag kann die Ersatzkasse nach § 34 Abs. 5 EKV-Ä Anträge auf sachliche und rechnerische Berichtigungen innerhalb von zwölf Monaten nach Zugang der Abrechnungsunterlagen stellen.
Fraglich ist bereits, ob dies auch für Prüfungen nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V gilt. Denn die Abrechnungsprüfvereinbarung bezieht sich nach der Überschrift auf den Inhalt und die Durchführung der Abrechnungsprüfungen nach § 106a Abs. 2 und Abs. 3 SGB V. Außerdem steht § 5 der Abrechnungsprüfvereinbarung im Abschnitt B mit der Zwischenüberschrift „Abrechnungsprüfung durch die Krankenkassen (§ 106a Abs. 3 SGB V)“. Andererseits spricht der Wortlaut von § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung, der sich mit dem Wortlaut des § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V weitgehend deckt, dafür, dass sich die Verweisung auf die Antragsfristen des Gesamtvertrages auf die gezielte Abrechnungsprüfung durch die Krankenkassen beziehen soll. Hinzu kommt, dass, wenn schon die Antragsfristen für eine Prüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V gelten sollen, dies dann erst recht für eine gezielte Prüfung nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V zu gelten hat. Insofern ist, was die Überschrift bzw. die Zwischenüberschrift von einem sog. redaktionellen Versehen auszugehen. Nach Auffassung des Gerichts ist daher davon auszugehen, dass § 5 der Abrechnungsprüfvereinbarung auch für die gezielte Abrechnungsprüfung im Sinne von § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V gelten soll.
Für die Regelung in § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag gibt es jedoch keine Rechtsgrundlage. Die Vorschrift beruhte vor dem 01.01.2004 auf der Generalermächtigung von § 83 Abs. 2 SGB V. Danach waren in den Gesamtverträgen auch Verfahren zu vereinbaren, die die Prüfung der Abrechnungen auf Rechtmäßigkeit durch Plausibilitätskontrollen der kassenärztlichen Vereinigungen, insbesondere auf der Grundlage von Stichproben ermöglichten. Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen (GMG; BGBl I S. 2190) vom 14.11.2003 wurde der zweite Absatz von § 83 SGB V gestrichen. Damit ist die Generalermächtigung des § 83 Abs. 2 SGB V entfallen. Dies hat zur Folge, dass die Fristen in § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag nicht mehr Regelungsgegenstand sein konnten. Die Verweisung in § 5 der Abrechnungsprüfvereinbarung geht damit ins Leere.
Wie das Bundessozialgericht und auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.09.2015, Az. L 5 KA 36/14) ausgeführt haben, hat der Gesetzgeber mit der Normierung des § 106a SGB V und dessen Ergänzung durch untergesetzliche Normen auf der Grundlage von § 106a Abs. 5 und 6 SGB V ein Regelungsgefüge statuiert, das im Rahmen seines Anwendungsbereichs Ausschließlichkeit beansprucht und für konkurrierende bundesmantelvertragliche Vorschriften grundsätzlich keinen Raum lässt. Deshalb sind etwaige auf der bisherigen Generalermächtigung des § 83 Abs. 2 SGB V beruhende Regelungen zu transformieren. Dabei bedeutet Transformation im konkreten Fall, dass bereits in anderen untergesetzlichen Regelungen enthaltene Vorschriften, für die die Rechtsgrundlage entfallen ist, in neue Regelwerke, basierend auf der neuen Ermächtigungsgrundlage des § 106a Abs. 5, Abs. 6 SGB V, überführt werden. Nach Auffassung des Gerichts stellt eine bloße Verweisung in § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung auf die Regelung über die Abrechnungsfristen im Gesamtvertrag nach § 13 Abs. 1 S. 2, für die die Rechtsgrundlage fehlt, keine Transformation im oben beschriebenen Sinne dar.
Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass für eine Verweisung in § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung auf § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag die Rechtsgrundlage fehlt und eine Transformation in ein Spezialgesetz (Abrechnungsprüfvereinbarung) nicht stattgefunden hat. Somit gelten bei der Prüfung nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V keinerlei Abrechnungsfristen, die von den Krankenkassen zu beachten wären.
Selbst wenn die Anwendbarkeit von Antragsfristen zu bejahen wäre, kommt es schließlich darauf an, ob es sich bei den Fristen um bloße Ordnungsfristen, oder um Ausschlussfristen handelt. Nur Ausschlussfristen können dazu führen, dass eine Abrechnungsprüfung unzulässig wäre. Im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt Antragsfristen als bloße Ordnungsfristen angesehen (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 14/16 R; BSG, Urteil vom 29.06.2011, Az. B 6 KA 16/10). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Fristen dienten dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung und der effektiven Verfahrensdurchführung und stellten deshalb kein Hindernis für die Verfahrensdurchführung bzw. für eine Sachentscheidung dar. Die gegenteilige Auffassung würde dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots zuwiderlaufen.
Für die sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfung kann nichts anderes gelten als für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Antragsfristen im Zusammenhang mit der sachlich-rechnerischen Abrechnungsprüfung stellen ebenfalls bloße Ordnungsfristen dar. Zwar unterscheiden sich die Prüfungsgegenstände und die Art der Prüfung bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung. In beiden geht es aber um die Prüfung der Abrechnung ärztlicher Leistungen auf ihre Rechtmäßigkeit. Ausgehend von den Überlegungen des Bundessozialgerichts ist auch nicht erkennbar, dass der sachlich-rechnerischen Prüfung der Abrechnung ein geringerer Stellenwert zukommen soll als der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Im Gegenteil! Die Normierung von § 106a SGB V zeigt, dass der Gesetzgeber der sachlich-rechnerischen Richtigstellung große Bedeutung beimisst. Deshalb kann auch bei der sachlich-rechnerischen Richtigstellung die Versäumung einer Antragsfrist kein Verfahrenshindernis darstellen und keine Sachentscheidung ausschließen.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die Ansicht, es handle sich um bloße Ordnungsfristen sei in Verfahren vertreten worden, in denen sich der Vertragsarzt gegenüber dem Beschwerdeausschuss darauf berufen habe. Dies trifft bereits insofern nicht zu, als zumindest in einem Verfahren zwischen einer Krankenkasse und der kassenärztlichen Vereinigung (vgl. SG Marburg, Urteil vom 03.09.2014, Az. S 11 KA 177/14) ebenfalls die Antragsfristen als Ordnungsfristen verstanden wurden. Des Weiteren gibt es keine sachlichen Gesichtspunkte, die Einordnung von Antragsfristen einmal als Ordnungsfristen, das andere Mal als Ausschlussfristen zu verstehen, je nachdem wer sich darauf beruft.
Es mag zwar sein, dass ohne Geltung von Antragsfristen die Krankenkassen noch bis kurze Zeit vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist Richtigstellungsanträge stellen könnten und die Beklagte dann keine Möglichkeit hätte, Anträge sachgerecht zu überprüfen, bzw. die Nichteinhaltung von Antragsfristen einen zusätzlichen Aufwand bei dem bedingt, der die Feststellungen umsetzt und vollzieht, hier also bei der KVB. In diesem Fall bestünden keine rechtlichen Bedenken, in der Abrechnungsprüfvereinbarung Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung der Antragsfristen aufzunehmen, die aber nur das Rechtsverhältnis zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkasse betreffen können.
Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf gezielte Prüfung nach § 106a Abs. 4 S. 2 SGB V (§ 106d Abs. 4 S. 2 SGB V n.F.), ob die Voraussetzungen für die in Ansatz gebrachten GOP´s 31821-31828 vorliegen.
Die Klage ist auch insofern begründet, als die Klägerin von der Beklagten eine Korrektur im Wege sachlich-rechnerischer Richtigstellung wegen fehlender Leistungspflicht begehrt. Es handelt sich um Leistungen im Zusammenhang mit der Früherkennung von Krankheiten bei Erwachsenen nach den Krebsfrüherkennungs-Richtlinien (GOP´s 01730, 01732, 01740, 01741 und 01745). Diese Leistungen werden außerhalb der Gesamtvergütung mit festen Pauschalen vergütet (§ 82 Abs. 2 SGB V i.V.m. der Vereinbarung zwischen der AOK, TKK u.a. und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns über die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen im Jahr 2013). Ist der Leistungsinhalt nicht erfüllt, weil z.B. Leistungen nur alle zwei Jahre abrechenbar sind (GOP 01745), besteht keine Leistungspflicht der Krankenkasse. Sie prüft die Abrechnungen der Vertragsärzte von Amts wegen. Es handelt sich um die den Krankenkassen nach § 106a Abs. 3, 5, 6 SGB V i.V.m. RL § 16 Abs. 1 Ziff. 1 zu § 106a SGB V zugewiesene originäre Prüfungszuständigkeit. Damit kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Krankenkassen eine größere Verantwortung hinsichtlich der Prüfung der ärztlichen Leistungserbringung zu übertragen, als dies bisher der Fall war, und diese nicht nur auf eine Antragstellung bei der Kassenärztlichen Vereinigung auf Abrechnungsprüfung zu beschränken. Die „gleichberechtigte Mitwirkung der Krankenkassen an der Kontrolle des Abrechnungsverhaltens des Vertragsarztes“ führt dazu, dass – soweit es sich um eine Zuständigkeit der Krankenkassen nach § 106a Abs. 3 SGB V handelt – ein materielles Prüfungsrecht der Kassenärztlichen Vereinigung entfällt und Letztere an das Ergebnis der Krankenkasse gebunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R). Der kassenärztlichen Vereinigung obliegt nach unverzüglicher Unterrichtung durch die Krankenkasse die verwaltungsmäßige Umsetzung des von der Krankenkasse gefundenen Ergebnisses (§ 106a Abs. 2 S. 1 SGB V), was bedeutet, dass sie sowohl gegenüber der Krankenkasse, als auch gegenüber dem Vertragsarzt einen entsprechen Bescheid erlassen muss.
Der verwaltungsmäßigen Vollziehung des von der Klägerin gefundenen Ergebnisses stehen auch keine Antragsfristen entgegen. Es ist bereits fraglich, ob die entsprechende Regelung in § 5 der Abrechnungsprüfvereinbarung mit der Verweisung auf § 13 Abs. 1 S. 1 Gesamtvertrag für die Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V gilt. Denn, wie bereits im Zusammenhang mit der Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 4, 2 SGB V ausgeführt, steht zwar § 5 in Abschnitt B Abrechnungsprüfung durch die Krankenkassen (§ 106a Abs. 3 SGB V), was für die Geltung von § 5 auch für die Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V sprechen würde, andererseits der Wortlaut von § 5 auf gezielte Prüfungen nach § 106a Abs. 4 SGB V abstellt. Ebenfalls kann bei der originären Prüfungszuständigkeit der Kassen nach § 106a Abs. 3 SGB V die Argumentation der Klägerin nicht durchgreifen, ohne Geltung von Antragsfristen könnten die Krankenkassen noch bis kurze Zeit vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist Richtigstellungsanträge stellen und die Beklagte habe dann keine Möglichkeit, Anträge sachgerecht zu überprüfen. Denn, wie bereits ausgeführt, besitzt in diesem Fall die Kassenärztliche Vereinigung kein materielles Prüfungsrecht. Sie ist vielmehr an das Ergebnis der Krankenkasse gebunden ist. Ein eigener Prüfaufwand ist bis auf die Prüfung, ob Beschränkungen der Richtigstellungsbefugnis vorliegen, nicht erkennbar. Bereits aus diesen Gründen kann eine Prüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V (a.F.) bzw. § 106d Abs. 3 SGB V (n.F.) nicht von im Gesamtvertrag vorgesehenen Antragsfristen abhängig sein.
Außerdem fehlt für eine Verweisung von § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung auf § 13 Abs. 1 S. 1 Gesamtvertrag die Rechtsgrundlage, wie im Zusammenhang mit der gezielten Prüfung nach § 106a Abs. 4 SGB V (a.F.) bzw. § 106d Abs. 4 SGB V (n.F.) ausgeführt. Eine Transformation der Antragsfristen im Sinne einer Übertragung in die spezialgesetzliche Regelung hat nicht stattgefunden.
Schließlich handelt es sich bei den in § 13 Abs. 1 S. 1 Gesamtvertrag genannten Fristen um sog. Ordnungsfristen, nicht jedoch um Ausschlussfristen, die kein Verfahrenshindernis darstellen.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, es sei jahrzehntelange Praxis, dass Verstöße des Vertragsarztes durch die Krankenkassen nur innerhalb der vereinbarten Antragsfrist geltend gemacht werden können, kann auch diese Begründung nicht überzeugen. Denn die Beklagte übersieht dabei, dass mit dem Gesetz zur Modernisierung im Gesundheitswesen (GMG), der Neuordnung der Prüfungszuständigkeiten bei der Abrechnungsprüfung zum 01.01.2004 eine grundlegende Änderung eingetreten ist. Aus einer vorher bestehenden jahrzehntelangen Verwaltungsübung kann die Beklagte keine Rechte herleiten, da die Verwaltungsübung dem geltenden Recht nicht entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.2001, Az. B 11 AL 17/01 R).
Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, die Abrechnungen der GOP´s 01730, 01732, 01740, 01741 und 01745 sachlich-rechnerisch richtig zu stellen und dem Korrekturbegehren der Klägerin zu entsprechen.
Aus den genannten Gründen war die Klage insgesamt als begründet anzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.

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