Aktenzeichen VI ZR 73/20
§ 823 Abs 1 BGB
§ 1004 Abs 1 S 2 BGB
Leitsatz
1. Zur Bestimmtheit eines Klageantrags bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch.
2. Zur Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und der Meinungs- und Medienfreiheit andererseits bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten Anspruch auf Unterlassung einer angekündigten, aber nicht näher konkretisierten Berichterstattung (hier: Berichterstattung über wissenschaftliches Plagiat).
Verfahrensgang
vorgehend OLG Frankfurt, 19. Dezember 2019, Az: 16 U 210/18, Urteilvorgehend LG Frankfurt, 5. November 2018, Az: 2-03 O 90/18, Urteil
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 19. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten vorbeugend auf Unterlassung einer namentlichen Berichterstattung über gegen sie erhobene Plagiatsvorwürfe in Anspruch.
2
Die Klägerin ist Juristin und war seit 2009 als außerplanmäßige Professorin Leiterin eines Studienganges an der Universität X. Seit dem Jahr 2013 übte sie das Amt einer Vizepräsidentin aus, auf das sie im Jahr 2015 verzichtete. Nach zunächst nur interner Dokumentation ohne Namensnennung im Jahr 2015 wurden in den Jahren 2016 und 2017 auf der Internetseite “VroniPlag Wiki” unter Nennung des vollen Namens der Klägerin Plagiatsvorwürfe in Bezug auf deren Habilitations- und Promotionsschrift erhoben. Im Januar 2017 verzichtete die Klägerin gegenüber der Universität Y auf die ihr von dieser verliehene akademische Bezeichnung “Privatdozentin” und wurde auf ihr Verlangen mit Ablauf des 31. August 2017 aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen. Die Universität Y leitete hinsichtlich der Plagiatsvorwürfe hochschulrechtliche Verfahren gegen die Klägerin ein, die u.a. mit der Aberkennung der Habilitation endeten, da die Habilitationsschrift großflächige Plagiate enthalte. In einem sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterlag die Klägerin erstinstanzlich; das Berufungsverfahren ist anhängig.
3
Der Beklagte ist ebenfalls Jurist und u.a. als freier Journalist tätig. Am 10. Mai 2017 veröffentlichte die “F.A.Z.” einen von ihm verfassten Artikel, der unter Nennung des vollen Namens der Klägerin sowie der beteiligten Universitäten und des betroffenen Verlagshauses den gegen die Klägerin erhobenen Vorwurf eines Doppelplagiats zum Gegenstand hatte. Darin heißt es:
“Trauriges Novum
Erstmals zwei Doppelplagiate gefunden
Die Soziologin […] und die Juristin [Klägerin] sollen sowohl in ihren Doktorarbeiten als auch in den Habilitationsschriften massiv plagiiert haben. Dieses jeweilige Doppelplagiat wäre ein Novum in Deutschland. Beide Fälle wurden von der Plattform VroniPlag Wiki öffentlich gemacht, einer kollaborativen Gruppe von Wissenschaftlern, die Plagiate in Hochschulschriften dokumentieren. Dass die betroffenen Hochschullehrerinnen ihre Positionen verlieren können, hält der Münchner Arbeitsrechtsexperte […] für möglich: “Betrüger genießen keinen Vertrauensschutz.”
[…]
Der zweite Plagiatsfall betrifft die Juristin [Klägerin] von der Universität X […]. In ihrer Dissertation fand VroniPlag Wiki auf 41 Prozent der Haupttextseiten Plagiate. Manche Kapitel seien vollständig von Dritten übernommen worden. Die Übernahmen beginnen schon auf der ersten Seite, “einem Patchwork aus drei nicht genannten Quellen, die leicht umformuliert wurden”, heißt es bei VroniPlag Wiki. In der Habilitationsschrift sollen sich auf 38 Prozent aller Seiten Übernahmen finden. Beide Arbeiten wurden an der Universität Y […] bewertet. Dort wird nun geprüft, ob ein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. [Klägerin] selbst schweigt sich aus. Der Erstgutachter der Habilitationsschrift ist verstorben. Zweitgutachter […] hat in einer Stellungnahme die Recherchen von VroniPlag Wiki bestätigt: “Hätte ich gewusst, dass und in welchem Umfang in der Habilitationsschrift Texte aus fremden Arbeiten wörtlich oder annähernd wörtlich übernommen worden waren, hätte ich das beanstandet und dem Fachbereich die Ablehnung der Arbeit als Habilitationsschrift in der vorgelegten Form empfohlen.” Das Verlagshaus […] hat den Vertrieb der Schrift eingestellt. […]”
4
In einem weiteren, ebenfalls den vollständigen Namen der Klägerin nennenden Bericht des Beklagten vom 9. November 2017 im Magazin “Cicero” heißt es:
“Einspruch gegen Schavan
[…] Annette Schavan soll Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung werden, obwohl der früheren Bildungsministerin nach einem nachgewiesenen Plagiat der Doktortitel aberkannt wurde. Der Altstipendiat [Beklagter] erhebt Einspruch gegen die Berufung
[…]
Plagiate sind keine Kavaliersdelikte
[…]
Als Journalist habe ich in den vergangenen Jahren oft über Plagiatsfälle und Plagiatsverdachte berichtet, zuletzt über […] und [Klägerin]. Ich habe mich in die Thematik eingearbeitet und verfolge die Tätigkeiten von “VroniPlag Wiki” – einer zivilgesellschaftlichen Gruppe, die sich für die Wissenschaft einsetzt. “Wissenschaftliches Fehlverhalten verjährt nicht. Wissenschaft baut auf Vertrauen. Wer dieses missbraucht, muss mit Sanktionen rechnen, auch nach zwanzig oder dreißig Jahren”, sagt VroniPlag Wiki-Mitarbeiterin […] von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sie hat recht. Plagiate sind keine Kavaliersdelikte. Sie sind extrem schädlich für die Wissenschaft und ein Schlag ins Gesicht jedes ehrlich arbeitenden Wissenschaftlers. Seit ich die elend langen Aberkennungsverfahren von akademischen Titeln an deutschen Hochschulen verfolge, weiß ich: Der Titel geht nur bei wirklich schweren Verfehlungen verlustig. Viele Fälle werden mit einer “Rüge” beendet, die Titelträger dürfen den Titel behalten. […]”
5
Durch anwaltliches Schreiben vom 14. Dezember 2017 ließ der Beklagte die Klägerin darüber unterrichten, dass er eine weitere Berichterstattung vorbereite. Darin hieß es:
“Unser Mandant ist Freier Journalist und arbeitet für deutsche und luxemburgische Printmedien und Radiosender. Seit vielen Jahren betreut er aus journalistischer Sicht das Thema “Plagiate in der Wissenschaft” und hat in diesem Zusammenhang, wie Sie wissen, am 10. Mai 2017 in der F.A.Z. unter dem Titel “Trauriges Novum” und am 9.11.2017 bei Cicero.de unter dem Titel “Einspruch gegen Schavan” auch über Ihre Mandantin [Klägerin] berichtet.
Sie haben in verschiedenen Schreiben darum gebeten, die Berichterstattung nicht ins Internet zu stellen bzw. den Namen ihrer Mandantin aus der Internet-Berichterstattung streichen zu lassen. […]
Um eine spätere gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, zeigen wir an, dass unser Mandant eine Berichterstattung über den Plagiatsfall Ihrer Mandantin und deren Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden, vorbereitet. Dabei wird im Rahmen der Berichterstattung der Name Ihrer Mandantin genannt werden, auch im Internet.
Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, einen Beleg für die Krankheit Ihrer Mandantin beizubringen (der nicht Gegenstand einer Berichterstattung sein wird) […]”
6
Die Klägerin stellt sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der bisherigen Berichterstattung des Beklagten, verfolgt jedoch einen in die Zukunft gerichteten vorbeugenden Unterlassungsanspruch gegen eine weitere Berichterstattung unter voller Nennung ihres Namens. Sie habe sich vollständig aus der Öffentlichkeit und ihrem früheren beruflichen Wirken zurückgezogen. Die namentliche Berichterstattung in Zusammenhang mit den Plagiatsvorwürfen habe bei ihr eine schwere psychische Belastung in Form einer Depression ausgelöst.
7
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, über die Klägerin namentlich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über gegen sie gerichtete Plagiatsvorwürfe zu berichten und/oder berichten zu lassen, wenn dies geschieht wie angekündigt in dem Schreiben des Bevollmächtigten des Beklagten vom 14.12.2017. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren weiter.
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