Aktenzeichen RO 5 K 16.1483
Leitsatz
Der Begriff der Volksbelustigung in § 20 Abs. 1 S. 1 LadSchlG ist aufgrund der Gesetzeshistorie weit zu verstehen. (Rn. 21)
Gründe
Die zulässigen Klageanträge sind begründet, weil die Erlaubniserteilung rechtswidrig war und die Klägerin in ihren Rechten verletzt hat.
1. Der Klageantrag zu 2) – Fortsetzungsfeststellungsantrag – ist insbesondere auch deshalb zulässig, da ein besonderes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit besteht. Seit mehr als 7 Jahren nimmt die Klägerin an etwa 6 Veranstaltungen jährlich im Stadtgebiet der Beklagten teil. Jedenfalls das …fest, das …fest und das …fest werden von der Beklagten dabei mittels gaststättenrechtlicher Gestattung an den Veranstalter und Verkaufserlaubnissen an die Standinhaber gehandhabt. Jedenfalls bzgl. …fest und …fest ist auch eine künftige Teilnahme gewünscht. Da über eine lange Zeit durch die Klägerin bzw. ihren Lebensgefährten erfolglos versucht wurde, auf die bisherige Verwaltungspraxis einzuwirken und diese für gleichförmige Veranstaltungen auch weiterhin zu erwarten wäre, besteht hier Wiederholungsgefahr, dass auch künftig Verkaufserlaubnisse erlassen werden und damit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne vom § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO.
2. Die Erteilung einer Verkaufserlaubnis war rechtswidrig. Dies ist in beiden Klageanträgen zu prüfen (a) und ergibt sich daraus, dass das mit dem Bescheid erlaubte Verhalten ohnehin erlaubnisfrei ist, da keine Rechtsgrundlage für diese Erlaubnis einschlägig ist (b).
a) Die Rechtmäßigkeit der Erteilung der Verkaufserlaubnis war in beiden Anträgen zu prüfen. Bei der Klage gegen die Kostenentscheidung eines Bescheids besteht Konnexität zwischen deren Rechtmäßigkeit und der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts für den Kosten erhoben werden, wie man dem Rechtsgedanken des Art. 16 Abs. 5 KG entnehmen kann. Der Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung entspricht dabei jedoch demjenigen des § 161 Abs. 2 S. 2 VwGO, um effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, ohne jedoch erledigte kostenpflichtige Verwaltungsakte trotz der Erledigung immer einer vollen Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterwerfen (BayVGH, Beschluss vom 18. Oktober 1993 – 24 B 93.22 –, NVwZ-RR 1994, 548; Dr. Attila Széchényi, Das Verhältnis zwischen Grundverwaltungsakt, Zwangsmittelandrohung und Kostenentscheidung am Beispiel der Erledigung und des vorläufigen Rechtsschutzes, BayVBl 2013, S. 9-12 (S.11) m.w.N.).
Da im Rahmen der Begründetheit des gleichzeitig erhobenen und zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrags aber ohnehin vollumfänglich zu prüfen war, ob die Erlaubniserteilung ursprünglich rechtswidrig war, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 S. 2 VwGO, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts insgesamt vollumfänglich zu prüfen.
b) Weder § 55a Abs. 1 Nr. 1 GewO (aa) noch § 20 Abs. 2a LadSchlG stellen eine im vorliegenden Fall einschlägige Rechtsgrundlage für die Erlaubniserteilung dar. Vielmehr ist der Betrieb des Verkaufsstandes auf dem 2* …fest nach § 20 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 LadSchlG bereits zulässig gewesen (bb).
aa) Zwar regelt § 55a Abs. 1 Nr. 1 GewO tatsächlich eine Erlaubniserteilung für das Feilbieten von Waren, die sich auf alle in der Norm genannten Varianten von Veranstaltungen bezieht (Landmann/Rohmer GewO/Schönleiter GewO § 55a Rn. 13) und damit auch bei öffentlichen Festen. Ausweislich des Einleitungssatzes („Der Reisegewerbekarte bedarf nicht, wer …“) regelt § 55a Abs. 1 GewO Ausnahmen, wie reisegewerbliche Tätigkeiten auch ohne Reisegewerbekarte zulässig sein können. Wer aber bereits Inhaber einer Reisegewerbekarte ist (oder eine nach den anderen Nummern per se zulässige (Nr. 2 bis 4, 9 und 10) oder aufgrund Spezialgesetz zugelassene (Nr. 5 bis 8a) Tätigkeit ausübt oder gar z.B. mangels Gewinnerzielungsabsicht kein Gewerbe betreibt), muss von dieser Erleichterung daher keinen Gebrauch machen. Er oder sie braucht eine solche Erlaubnis nicht (ebenso Landmann/Rohmer GewO/Schönleiter GewO § 55a Rn. 13). Die Klägerin war aber gerade Inhaberin einer Reisegewerbekarte.
bb) § 20 Abs. 2a LadSchlG ermöglicht der Behörde zwar tatsächlich, Ausnahmen zugunsten des Feilhaltens von Waren zum sofortigen Verzehr (wie vorliegend) unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen, da dieses in § 20 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 LadSchlG auch dem Verbot während der allgemeinen Ladenschlusszeiten unterworfen wird. Eine solche behördliche Zulassung kann jedoch wiederum nur dann nötig sein, wenn das Feilhalten von solchen Waren nicht schon ohnehin aufgrund eines anderen Ausnahmetatbestandes kraft Gesetzes erlaubt ist. Nach Auffassung der erkennenden Kammer ist dies vorliegend nach § 20 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 LadSchlG der Fall, da das …fest eine Volksbelustigung darstellt, die den Vorschriften des Titels III der Gewerbeordnung unterliegt und von der nach Landesrecht zuständigen Behörde genehmigt worden ist.
(1) Den Begriff der Volksbelustigung, die den Vorschriften des Titels III der Gewerbeordnung unterliegt, näher zu fassen, fällt aufgrund der gesetzgeberischen Entwicklung nicht ganz leicht. Die Ausnahmevorschrift des § 20 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 LadSchlG stammt aus der Zeit, als im damaligen § 55 Abs. 1 Nr. 3 GewO noch für „Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei erkennbar ist“ eine Reisegewerbekarte und nach § 60 a Abs. 1 GewO für diese gewerblichen Tätigkeiten jeweils eine Erlaubnis der für den jeweiligen Ort der Gewerbeausübung zuständigen Behörde erforderlich waren. (Förg/Walter, PdK BRD, LadSchlG § 20, Sonstiges gewerbliches Feilhalten, 4. Volksbelustigungen) Beide Normen wurden mittlerweile aufgehoben. Dabei war, wie oft bei Reformen im Gewerberecht, eine Vereinfachung im Interesse der betroffenen Wirtschaftszweige und der Verwaltung und eine Beschränkung auf das für den Verbraucherschutz absolut Notwendige angestrebt (Landmann/Rohmer GewO/Schönleiter GewO § 55 Rn. 6). Hätte man durch diese Löschung nun den Begriff der Volksbelustigungen, die den Vorschriften des Titels III der Gewerbeordnung unterliegen, enger gefasst, wären diese unterhaltenden Vorstellungen und sonstigen Lustbarkeiten etc. wieder dem allgemeinen Verbot in § 20 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 LadSchlG unterfallen und hätten unter den Voraussetzungen des Abs. 2a einzeln zugelassen werden müssen. Nach diesem Verständnis wäre aber kaum die angestrebte Vereinfachung erreicht, da nunmehr nur statt des einen ein anderer Verwaltungsakt erlangt werden müsste. Man muss also auch weiterhin die in § 55 Abs. 1 Nr. 3 GewO früher aufgezählten Tätigkeiten als vom Begriff der Volksbelustigung umfasst ansehen.
Diesem angestrebten Gesetzeszweck kann auch im Rahmen des bestehenden Wortlautes Rechnung getragen werden, da ebenfalls in Titel III der Gewerbeordnung in § 55a Abs. 1 Nr. 1 GewO weiterhin Messen, Ausstellungen, öffentliche Feste und besondere Anlässe erwähnt werden und in bestimmten Fällen eine nur dort geregelte Erlaubnis erteilt werden kann. Die jeweils mit den Auffangkriterien „sonstige Lustbarkeit“ bzw. „besondere Anlässe“ gestalteten Regelungen lassen dabei erkennen, dass man hiermit möglichst viele Erscheinungsformen von Festen/Anlässen/Lustbarkeiten umfassen wollte, die dann zusammen mit den schaustellerisch geprägten Volksfesten des § 60b GewO unter den Oberbegriff der Volksbelustigung fallen.
Gerade aus dieser Entstehungsgeschichte und dem (vielleicht nicht bis zuletzt durchdacht umgesetzten) Vereinfachungsbestreben heraus, sollte die Erlaubnisfreistellung für Volksbelustigungen daher weit verstanden werden und hierunter auch öffentliche Feste im Sinne von § 55a GewO fallen, die sich von anderen Erscheinungsformen, namentlich dem Volksfest, dadurch unterscheiden, dass Waren aller Art angeboten werden dürfen und es sich auch um einmalige Ereignisse handeln kann, auch unterhaltender, nicht nur schaustellerischer Natur, z.B. also Schützenfeste, Kirchweihen und Karnevals-/Faschingsumzüge (Landmann/Rohmer GewO/Schönleiter GewO § 55a Rn. 9).
Der Definitionsversuch in Erbs/Kohlhaas/Ambs LadSchlG § 20 Rn. 11 als „gewerblich betriebene unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 GewO)“ greift aufgrund der dargestellten Entstehungsgeschichte zu kurz und kann sich auch nicht wie dort vorgebracht auf die Unterscheidung in § 33a Abs. 1 S. 1 und 2 GewO zwischen Schaustellung und Unterhaltung stützen. Schließlich ist die dortige Schaustellung von Personen wohl nur noch als „geschlechtsbezogene“ vom Anwendungsbereich der Norm umfasst, nachdem diese Vorschrift seit 1883 aufgrund von gewandelten Moralvorstellungen in ihrem Anwendungsbereich sehr stark begrenzt wurde (Landmann/Rohmer GewO/Marcks GewO § 33a Rn. 1-3).
Es kann jedoch auch nicht mit Förg/Walter, PdK BRD, LadSchlG § 20, Sonstiges gewerbliches Feilhalten, 4. Volksbelustigungen davon ausgegangen werden, dass die Ausnahme für Volksbelustigungen „dazu dienen sollten, ein gewisses Kaufbedürfnis der Bevölkerung dort zu befriedigen und die Versorgung mit Waren zum sofortigen Verbrauch oder Verzehr da sicherzustellen, wo größere Menschenmengen zu ihrem Vergnügen zu einem Gemeindefest, Schützenfest oder einem sonstigen Volksfest zusammenkommen, bei denen in der Regel auch das Schaustellergewerbe vertreten ist, eine Versorgung durch den stehenden Handel oder durch das Gaststättengewerbe aber nach Lage des Ortes u. dgl. nicht möglich ist“. Nicht nur bleibt auch nach dieser Ansicht unklar, was mit Festen ist, bei den das Schaustellergewerbe nicht vertreten ist. Die Befriedigung örtlich auftretender Bedürfnisse ist nämlich gerade in Abs. 2a geregelt und von einer behördlichen Zulassung abhängig.
Eine abschließende Definition ist damit freilich nach wie vor nicht erbracht. Jedenfalls als öffentliches Fest lässt sich das …fest einordnen mit seiner Vielzahl von Essensständen, verschiedenen Musikdarbietungen und den Tatsachen, dass von der Organisation in einem übergreifenden Rahmen durch Veranstalter eine Anziehungswirkung auf Menschenmengen ausgeht und sich die Veranstaltung auf einen klar umgrenzten Zeitraum beschränkt.
(2) Nachdem aber keine Genehmigungsverfahren für Volksbelustigungen im beschriebenen Sinne bestehen, kann die weitere Voraussetzung „und von der (…) zuständigen Behörde genehmigt worden sind“ nur so verstanden werden, dass in einem anderen Verwaltungsverfahren eine zuständige Behörde die Veranstaltung in ihrem zeitlichen und örtlichen Ausmaß gebilligt hat. Vorliegend erfolgte gegenüber dem Veranstalter eine Gestattung nach § 12 GastG, welche auch den Bereich der Essensstände auf der anderen Seite der … umfasste und die Veranstaltung der äußeren Wahrnehmung nach (Mitnahme von gekauften Speisen über die …) auch eine einheitliche Veranstaltung darstellt. Da so schon eine förmliche Billigung des …fests hinsichtlich Zeit und Ort der zuständigen Behörde vorliegt, liegt auch die Genehmigung im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 LadSchlG vor. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des GastG könnte z.B. von straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnissen eine solche Billigungswirkung ausgehen, falls diese erforderlich sind und erteilt werden, da auch darin eine Festlegung auf Zeit und Ort einer Volksbelustigung stattfinden würde.
cc) Darin, dass nicht für alle Veranstaltungen, auf denen die Klägerin einen Stand betrieben hatte, von der Beklagten Verkaufserlaubnisse erteilt wurden, ist jedoch entgegen dem klägerischen Vortrag kein durchschlagender Widerspruch zu sehen. Teils handelte es sich zutreffenderweise um festgesetzte Märkte, für die die Regeln zu Reisegewerben grundsätzlich nicht gelten und § 19 statt § 20 des LadSchlG Anwendung findet, teils wurden die Ladenschlusszeiten schon über § 23 LadSchlG allgemein abweichend geregelt.
Dass sich durch die oben dargestellte weite Auslegung der Volksbelustigung sowohl für Spezial- und Jahrmärkte aus Titel IV der Gewerbeordnung nach § 19 Abs. 3 GewO als auch für Volksbelustigungen nach Titel III der Gewerbeordnung die Genehmigungen so gestalten, dass keine nach dem LadSchlG nötig ist, wenn eine Festsetzung einerseits oder eine Billigung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht andererseits vorliegt, trägt zudem der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte Rechnung. Die Unterscheidung zwischen Märkten einerseits und Volksbelustigungen, die dem Titel III der Gewerbeordnung unterliegen andererseits fällt zunehmend schwieriger. Kühlmöglichkeiten ermöglichten das Angebot von Waren im stehenden Gewerbe, für deren Versorgung früher ein Wochenmarkt praktisch zwingend war. Versandhäuser und online-Einkauf ermöglichen eine Versorgung mit außergewöhnlicheren Waren auch außerhalb von Ballungszentren und ganzjährig, für die früher Spezial- oder Jahrmärkte zwingend waren. Damit rückt auch bei diesen Marktgewerben der Versorgungscharakter weiter in den Hintergrund, der Vergnügungscharakter je nach konkreter Ausgestaltung ggf. mehr in den Vordergrund. (Zum Ganzen: Dietz, GewArch Beilage WiVerw Nr. 02/2016, 101-129 (S.114f.) Dass so nicht in manchen der schwieriger voneinander zu unterscheidenden Konstellationen noch nach dem LadSchlG ein weiterer Verwaltungsakt erlangt werden muss, trägt dem oben beschriebenen Vereinfachungszweck der gewerberechtlichen Reformen somit Rechnung.
3. Durch die rechtswidrige Kostenentscheidung im Rahmen des Antrags zu 1.) und die zugrundeliegende rechtswidrige Erlaubniserteilung im Rahmen des Antrags zu 2.) wird die Klägerin auch jedenfalls in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, verletzt.
4. Nach § 154 Abs. 1 VwGO hat die Beklagte als Unterlegene die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.