Aktenzeichen 11 O 234/17 Rae
Leitsatz
Es entspricht dem Gebot eines fairen transparenten Verfahrens, wenn ein Gericht den von ihm für richtig gehaltenen Verfahrensgang den Parteien offen legt und damit auch zwangsläufig zur Diskussion stellt. Den Parteien stehen dabei vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme, wie z. B. Äußerung und Protokollierung abweichender Ansichten, Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist oder auch der Korrektur (wie Rechtsbehelf oder Rechtsmittel oder Gegenvorstellungen) zur Verfügung. So lange sich ein Richter mit dem Vorbringen einer Partei unvoreingenommen auseinander setzt und dann den seiner Meinung nach richtigen Weg wählt, kann von Widerrechtlichkeit i. S. d. § 123 Abs. 1 BGB keine Rede sein. (Rn. 19 – 20) (red. LS Andy Schmidt)
Verfahrensgang
11 O 234/17 Rae 2018-03-01 Bes LGINGOLSTADT LG Ingolstadt
Tenor
I. Der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 19.05.2017 erledigt.
II. Die Beklagten haben gesamtverbindlich die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
Der Rechtsstreit ist durch den am 19.05.2017 geschlossenen Prozessvergleich beendet worden; die von den Beklagten erklärte Anfechtung führte nicht rückwirkend zur Unwirksamkeit des Vergleichs, da kein Anfechtungsgrund vorlag.
Der Rechtsstreit war nach der erklärten Anfechtung der Beklagten fortzuführen, da bei Geltendmachung der Nichtigkeit die rückwirkende Unwirksamkeit des Vergleichs nicht zur Beendigung des Rechtsstreits führen kann.
Den Beklagten steht nicht der Anfechtungsgrund der widerrechtlichen Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB zur Seite. Die Hinweise der Vorsitzenden der 1. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt in dem Güte- und Haupttermin vom 19.05.2017 entsprachen der Sach- und Rechtslage und waren aus dem Gebot fairer und transparenter Verfahrensführung gegenüber beiden Parteien geboten. Es entspricht dem Gebot eines fairen transparenten Verfahrens, dass das Gericht den von ihm für richtig gehaltenen Verfahrensgang den Parteien offen legt und damit auch zwangsläufig zur Diskussion stellt. Den Parteien stehen dabei vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme, wie z.B. Äußerung und Protokollierung abweichender Ansichten, Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist oder auch der Korrektur (wie Rechtsbehelf oder Rechtsmittel oder Gegenvorstellungen) zur Verfügung. So lange sich der Richter mit dem Vorbringen einer Partei unvoreingenommen auseinander setzt und dann den seiner Meinung nach richtigen Weg wählt, kann nach alledem von Widerrechtlichkeit keine Rede sein. Die im Termin vom 19.05.2017 vorgetragenen Hinweise zur Sach- und Rechtslage entsprachen der wie immer zuvor erfolgten Kammerberatung der 1. Zivilkammer in Vorbereitung auf diesen Termin. Es wurde in keiner Weise von der Vorsitzenden der Zivilkammer ein Vortrag wider besseres Wissens gehalten, der in irgendeiner Weise manipulativ oder gar drohend angebracht wurde.
Der diesbezügliche Angriff des Beklagtenvertreters, es habe kein rechtliches Bedürfnis für eine Wertermittlung der landwirtschaftlichen Grundstücke bestanden, geht fehl und kann nicht zur Ausführung des Tatbestandsmerkmals der widerrechtlichen Drohung mit einem empfindlichen Übel herangezogen werden. Es entsprach der Rechtsansicht der Kammer, dass bei Fortgang des Verfahrens hinsichtlich der Begründetheit der Widerklage in der Schadenshöhe die Anknüpfungstatsachen, hier der bestrittene Wert der Schadenshöhe, auch hinsichtlich der Grundstückswerte des landwirtschaftlichen Anwesens einer Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten hätten zugeführt werden müssen. Darauf bezog sich einer der gebotenen Hinweise der Kammer im Termin vom 19.05.2017. Die Angaben des Beklagten zu 2) und des Beklagtenvertreters im Termin vom 11.12.2018 ergaben, dass die Beklagte zu 1) während der Unterbrechung der Sitzung und der Beratung durch einen Prozessvertreter äußerte, sie wolle den Rechtsstreit erledigt wissen und insofern ihr Einverständnis erklärte. Der Beklagte zu 2) gab an, dass er es nicht als richtig empfunden habe, dass die Sache so schnell ging und das Gericht so bestimmend gewesen sei. Bereits aus diesen Äußerungen kann entnommen werden, dass die Motivlage bei den Beklagten nicht auf einer vermeintlichen Drohung beruhte.
Desweiteren erklärte der Beklagtenvertreter, dass es ein Fehler gewesen sei, dass er nicht eine Widerrufsfrist für die Beklagtenseite hatte sich einräumen lassen. Die Beklagtenseite hat somit in Eigenverantwortung auch nicht den prozessualen Spielraum, der ihr ebenso wie der Klageseite zugestanden hätte, wahrgenommen.
Die Kammer und insbesondere die Vorsitzende, welche die Verhandlungsleitung innehatte, war in den Termin vom 19.05.2017 ihren prozessualen Pflichten aus den §§ 278 Abs. 1, 139 ZPO nachgekommen: Mit dem Vergleichsvorschlag achtete die Kammer den Vorrang der gütlichen Streitbeilegung innerhalb der obligatorischen Güteverhandlung. Die entsprechenden Hinweise in der Erörterung der Sach- und Rechtslage entsprachen der Rechtslage, wie sie die Kammer in der Vorbereitung zu dem Termin beraten hatte. Damit kann der erhobene Vorwurf der widerrechtlichen Drohung mit einem empfindlichen Übel nur als haltlos erachtet werden.
Damit hatte der im Termin vom 19.05.2017 geschlossene Prozessvergleich seine Wirksamkeit behalten und beendete den Rechtsstreit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 analog.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.