IT- und Medienrecht

Zu den Voraussetzungen der vorläufigen Durchsetzung eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen die Veröffentlichung lebensmittelrechtlicher Verbraucherinformationen

Aktenzeichen  W 8 E 19.1661

Datum:
20.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 315
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
LFGB § 40 Abs. 1a S. 1 Nr. 3, Abs. 4
GG Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Wenn eine Verbraucherinformation zu angeblichen Rechtsverstößen eines Unternehmens für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend sein kann, ist diesem nicht zuzumuten, die Bekanntgabe der Kontrollergebnisse im Internet bis zu einer Klärung der streitigen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren hinzunehmen (Anschluss an VGH BW BeckRS 2019, 11231). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind nach der Feststellung inzwischen beseitigter Hygieneverstößen mehr als sechs Monate vergangen und liegen keine diese Verzögerung rechtfertigende Umstände vor, fehlt es an der für die Veröffentlichung einer entsprechenden Verbraucherinformation erforderlichen Unverzüglichkeit. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:
Verantwortliche Behörde:
Datum:
Lebensmittel-/Futtermittel-unternehmen
Betroffenes Lebensmittel/Futtermittel
Stadt W.
Einstelldatum:
.
.
.
Verstoß:
Mängel bei der Betriebshygiene/ Reinigungsmängel;
Temperaturverstöße;
Inverkehrbringen von unter unhygienischen Zuständen/ Bedingungen hergestellten/behandelten Lebensmitteln
Verstoß festgestellt:
Kategorie:
Produkt:
14.06.2019
Gastronomie,
Gaststätten, Imbiss-einrichtungen
Speiseeis, Sushi mit Lachs, gebackener Fisch, Shrimps gekocht, gebratener Reis, Shrimps roh, Muscheln roh
Verstoß beseitigt:
17.06.2019
Diese Untersagung wird unwirksam, wenn die Antragstellerin nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses an ihren Prozessbevollmächtigten ein gerichtliches Hauptverfahren eingeleitet hat oder sich ein anhängig gemachtes Hauptsacheverfahren (durch Zurücknahme oder auf andere Weise) in der Hauptsache ohne Sachentscheidung erledigt oder sich schon vor Klageerhebung das streitgegenständliche Anliegen der Antragstellerin (durch endgültige Abstandnahme der Antragsgegnerin von der geplanten Veröffentlichung) in sonstiger Weise erledigt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Internetveröffentlichung von einer auf einem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) basierenden Beanstandung wegen Mängel bei der Betriebshygiene, Temperaturverstößen und Inverkehrbringens von unter unhygienischen Zuständen hergestellten bzw. behandelten Lebensmitteln. Die Antragstellerin betreibt ein Restaurant.
1. Bei der Lebensmittelüberwachung der Antragsgegnerin ging am 14. Juni 2019 eine Verbraucherbeschwerde ein. Nach Angaben des Beschwerdeführers hatten sich bei ihm, seiner Ehefrau und Schwiegermutter nach einem Mittagessen (Buffet) bei der Antragstellerin am 12. Juni 2019 am Abend starke Bauchschmerzen, Durchfälle und Erbrechen eingestellt, welche bis 13. Juni 2019 angehalten hätten und medikamentös behandelt worden seien. Daraufhin nahm die Antragsgegnerin bei einer Kontrolle des Restaurants der Antragstellerin Verdachtsproben. Das LGL beanstandete mit Gutachten vom 28. Juni 2019 folgende Verdachtsproben: Die mikrobiologische Beschaffenheit der vorgelegten Verdachtsprobe „Reinigungswasser für Eisportionierer aus dem Vorratsbehälter vom SB-Buffet“ sei auffällig gewesen. Es seien Enterobacteriaceae mit einem Keimgehalt von 2,3 x 104 KbE/g nachgewiesen worden. Bei Verwendung des vorgelegten Reinigungswassers zum Spülen des Eisportionierers könnten die Mikroorganismen das Speiseeis kontaminieren. Bei der Verdachtsprobe „Sushi mit Lachs aus Selbstbedienungsbuffet“ handle es sich um ein leicht verderbliches Lebensmittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 LMHV, das ausreichend kühl zu halten sei. Bei der mikrobiologischen Untersuchung der vorgelegten Probe seien Enterobacteriaceae mit einem Keimgehalt von 5,4 x 10³ KbE/g nachgewiesen worden. Als Ursache für das Vorhandensein dieser Keime in der genannten Größenordnung kämen vor allem Hygienemängel, wie eine unsachgemäße bzw. eine lange Lagerung und/oder eine Rekontamination des Lebensmittels oder des Ausgangsmaterials in Betracht. Bei der Verdachtsprobe „gebackener Fisch aus Selbstbedienungsbuffet“ handle es sich um heiß zu haltende, verzehrfertige Lebensmittel. Nach allgemeiner Sachverständigenmeinung und den Vorgaben der DIN 10508 seien derartige Lebensmittel bei einer Temperatur von mind. +65 °C heiß zu halten. Sofern das Lebensmittel nicht nur kurzfristig bei +46,8 °C (s. Entnahmeniederschrift, amtliche Messung) gelagert werde, unterliege es der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 LMHV. Bei den Verdachtsproben „Shrimps gekocht vom Selbstbedienungsbuffet“ und „gebratener Reis vom Selbstbedienungsbuffet“ handle es sich um heiß zu haltende, verzehrfertige Lebensmittel. Nach allgemeiner Sachverständigenmeinung und den Vorgaben der DIN 10508 seien derartige Lebensmittel bei einer Temperatur von mind. +65 °C heiß zu halten. Sofern die Lebensmittel nicht nur kurzfristig bei +47,6 ° C bzw. +46,8 °C (s. Entnahmeniederschrift, amtliche Messung) gelagert würden, unterlägen sie der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 LMHV. Bei der Verdachtsprobe „Shrimps roh“ handle es sich um ein leicht verderbliches Lebensmittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 LMHV, das ausreichend kühl zu halten sei. Nach allgemeiner Sachverständigenmeinung und den Vorgaben der DIN 10508 seien derartige Lebensmittel bei einer Temperatur von max. +2 °C zu halten. Sofern das Lebensmittel nicht nur kurzfristig bei +9 °C (s. Entnahmeniederschrift, amtliche Messung) gelagert werde, unterliege es der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 LMHV. Bei der Verdachtsprobe „Muscheln roh vom Selbstbedienungsbuffet“ handle es sich um ein leicht verderbliches Lebensmittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 LMHV, das ausreichend kühl zu halten sei. Nach allgemeiner Sachverständigenmeinung und den Vorgaben der DIN 10508 seien derartige Lebensmittel bei einer Temperatur von max. +2 °C zu halten. Sofern das Lebensmittel nicht nur kurzfristig bei +13,4 °C (s. Entnahmeniederschrift, amtliche Messung) gelagert werde, unterliege es der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 LMHV. Der vorgelegte „Putzlappen grau gelagert neben Kunststoffschneidebrett“ könne der Lagerung nach zu urteilen zur Reinigung von Lebensmittel-Bedarfsgegenständen i.S. des § 2 Abs. 6 Nr. 1 LFGB verwendet werden. Er entspreche aufgrund seiner Beschaffenheit (stark verschmutzt) in Verbindung mit dem im Gutachten genannten mikrobiologischen Befund nicht den Vorschriften des Anh. II Kap. V Nr. 1 Buchst. a und b i.V.m. Art. 4 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 852/2004.
Auf ein Anhörungsschreiben in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren vom 30. Juli 2019 hin gab der Geschäftsführer der Antragstellerin die Verstöße zu. Mit Bußgeldbescheid vom 23. Oktober 2019 wurde eine Geldbuße von 750 EUR festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 26. November 2019 wurde die Antragstellerin zu einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB angehört, unter Mitteilung des Textes der geplanten Veröffentlichung:
Verantwortliche Behörde:
Datum:
Lebensmittel-/Futtermittel-unternehmen
Betroffenes Lebensmittel/Futtermittel
Stadt W.
Einstelldatum:
.
.
.
Verstoß:
Mängel bei der Betriebshygiene/ Reinigungsmängel;
Temperaturverstöße;
Inverkehrbringen von unter unhygienischen Zuständen/ Bedingungen hergestellten/behandelten Lebensmitteln
Verstoß festgestellt:
Kategorie:
Produkt:
14.06.2019
Gastronomie,
Gaststätten, Imbiss-einrichtungen
Speiseeis, Sushi mit Lachs, gebackener Fisch, Shrimps gekocht, gebratener Reis, Shrimps roh, Muscheln roh
Verstoß beseitigt:
17.06.2019
Eine Äußerung der Antragstellerin innerhalb der gesetzten Frist bis 6. Dezember 2019 erfolgte nicht. Daraufhin erging mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. Dezember 2019 eine Mitteilung über die geplante Veröffentlichung.
2. Am 17. Dezember 2019 ließ die Antragstellerin beantragen,
dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die mit „Mitteilung der geplanten Veröffentlichung“ vom 10. Dezember 2019 in Bezug genommenen Informationen gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB zu veröffentlichen.
Zur Antragsbegründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen: Mit Schreiben vom 10. Dezember 2019 habe die Antragsgegnerin die geplante Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a LFGB angekündigt. Eine entsprechende vorherige Anhörung mit dem genauen Inhalt der geplanten Veröffentlichung liege zumindest dem Prozessbevollmächtigten nicht vor. Die beabsichtigte Veröffentlichung sei unbegründet und entsprechende Veröffentlichungen könnten erhebliche wirtschaftliche Folgen haben. Der Erlass der öffentlichen Anordnung sei geboten, weil eine kurzfristige Veröffentlichung angekündigt sei. Der Ruf der Antragstellerin würde in nicht reparabler Weise verletzt mit nicht überschaubaren wirtschaftlichen Konsequenzen. Auch das Bundesverfassungsgericht stelle in seinem Beschluss vom 21. März 2018 (1 BvF 1/13) darauf ab, dass der Schutz vor Gesundheitsgefahren größeres Gewicht habe, als die bloße Verbraucherinformation z.B. über (behobene) Hygienemängel. Dies sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit entsprechend zu berücksichtigen. Das Gericht bestätige ebenfalls, dass eine weithin einsehbare und leicht zugängliche Veröffentlichung von teilweise nicht endgültig festgestellten, teilweise bereits erhobenen Rechtsverstößen zu einem erheblichen Verlust des Ansehens des Unternehmens und zu Umsatzeinbußen führen könne, was im Einzelfall zur Existenzvernichtung reichen könne. Insbesondere dürfe nicht über jede Abweichung berichtet werden, sondern nur über solche Abweichungen, die Erheblichkeitsschwellen überschritten. Der Verstoß müsse von nicht unerheblichem Ausmaß sein. Dies sei anhand von quantitativen und qualitativen Kriterien zu konkretisieren. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, da ein Gesundheitsrisiko im Hinblick auf die angeblich festgestellten Mängel nicht ersichtlich sei.
Die Stadt W. beantragte mit Schriftsatz vom 8. Januar 2020:
Der Antrag nach § 123 VwGO wird abgelehnt.
Zur Begründung der Antragserwiderung ist im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht, da die Antragstellerin keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Nichtveröffentlichung der Mitteilung nach § 40 Abs. 1a LFGB glaubhaft gemacht habe. Eine Veröffentlichung müsse vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes und der Verbraucherinformation erfolgen. Dies ergebe sich schon aus der Zweckrichtung der gesetzlichen Regelungen. Die erforderliche Bußgeldhöhe von 350,00 EUR und somit die Erheblichkeitsschwelle sei vorliegend überschritten worden. Laut der Verbraucherbeschwerde vom 14. Juni 2019 seien drei Personen nach einem Besuch der Gaststätte der Antragstellerin am 12. Juni 2019 erkrankt. Es handle sich hierbei um besonders nachteilige Folgen für einzelne Verbraucher. Das Gesundheitsrisiko habe sich auch bei der Untersuchung der am 14. Juni 2019 entnommenen Verdachtsproben bestätigt. Die Interessen der Antragstellerin müssten dahinter zurücktreten. Diese sei auch nicht rechtswidrig in ihrem Grundrecht auf Berufsausübung betroffen. Zudem werde die Veröffentlichung mit dem Hinweis erfolgen, dass die Mängel mittlerweile beseitigt worden seien. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB seien somit gegeben.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und – im tenorierten Umfang – begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts eines Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Dies ist dann der Fall, wenn aufgrund einer im Verfahren des Eilrechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung ein Anordnungsgrund, also ein Grund für die erhöhte Eilbedürftigkeit der Entscheidung, besteht und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht wird (vgl. § 920 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO).
Die begehrte einstweilige Anordnung würde zudem – jedenfalls teil- bzw. zeitweise – die Hauptsache vorwegnehmen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kann sich daraus ergeben, dass infolge der zu erwartenden Verfahrensdauer in der Hauptsache eine Rückgängigmachung der Folgen der einstweiligen Anordnung nicht mehr möglich ist. Auch eine solche eingeschränkte Vorwegnahme der Hauptsache ist im Hinblick auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 1 VwGO nur dann zulässig, wenn eine bestimmte Regelung zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn sonst die zu erwartenden Nachteile unzumutbar wären und eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache besteht. Soweit eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache geboten ist, weil das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes faktisch an die Stelle des Hauptsacheverfahrens tritt und dem Antragsteller ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung ein irreparabler Rechtsverlust droht, muss bei Bestehen des zu sichernden Anspruchs eine einstweilige Anordnung ergehen, wobei ausreichen kann, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache aussichtsreich ist (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 24. Aufl. 2018, Rn. 13 f. und 26). Da die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB unverzüglich zu erfolgen hat und diese nach § 40 Abs. 4a LFGB nach sechs Monaten wieder zu löschen ist, findet ein Hauptsacheverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung umfassend geprüft wird, regelmäßig nicht statt, so dass der gerichtliche Rechtsschutz nahezu ausschließlich in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verlagert wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 20 CE 19.1634).
Die dargestellten Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Antragstellerin in der gegebenenfalls noch einzuleitenden (siehe Tenor Nr. I. Satz 2) Hauptsache nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts voraussichtlich obsiegen wird. Die Antragstellerin hat vorliegend sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsgrund ist gegeben. Denn es liegt auf der Hand, dass die geplante Veröffentlichung im Internet für die Antragstellerin ganz erhebliche negative Konsequenzen haben kann, die auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Denn das Verwaltungshandeln durch amtliche Informationen ist irreversibel. Bei Fehlinformationen ändern daran auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts, da die faktischen Wirkungen von Informationen regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können. Eine Verbraucherinformation zu angeblichen Rechtsverstößen eines Unternehmens kann für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend sein. Der Antragstellerin kann nicht zugemutet werden, die Bekanntgabe der Kontrollergebnisse im Internet bis zu einer Klärung der streitigen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren hinzunehmen (vgl. VGH BW, B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – juris; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – ZLR 2019, 281). Der Antragsgegner hat die unmittelbar beabsichtigte Veröffentlichung mit Schreiben vom 10. Dezember 2019 angekündigt.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch, und zwar einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin, glaubhaft gemacht. Die geplante Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB wäre rechtswidrig und würde ungerechtfertigt in die Grundrechte der Antragstellerin, insbesondere in das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen (vgl. VGH BW, B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – juris; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – ZLR 2019, 281; BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 20 CE 19.1634).
In Bezug auf eine erforderliche Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG bringt der Bevollmächtigte der Antragstellerin vor, dass eine Anhörung zumindest ihm nicht vorliege. Nach den Behördenakten wurde ein formloses an die Antragstellerin gerichtetes Anhörungsschreiben vom 26. November 2019 am 27. November 2019 in den Postauslauf gegeben (Bl. 74 der Behördenakte). Es kann vorliegend jedoch dahinstehen, ob tatsächlich eine Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG erfolgt ist, da ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls zwischenzeitlich gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG als geheilt anzusehen wäre.
Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB nicht erfüllt. Angesichts der Ausführungen der Antragsgegnerin im Anhörungsschreiben vom 26. November 2019 und in der Antragserwiderung vom 8. Januar 2020 wird davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Veröffentlichung entgegen der Angabe des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB im Anhörungsschreiben auf Grundlage des § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB erfolgen sollte.
Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittels- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 39 Abs. 1 Satz 2 LFGB auf der Grundlage mindestens zweier Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG Nr. 882/2004), hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgelds von mindestens 350,00 EUR zu erwarten ist.
Wie das Bundesverfassungsgericht mittlerweile entschieden hat, verstößt § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB – in der heute geltenden Fassung mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Befristung von sechs Monaten – nicht gegen das Grundgesetz (siehe BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40).
Zwar spricht hier mit Bezugnahme auf das Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 28. Juni 2019 viel dafür, dass Verstöße gegen § 3 Satz 1 LMHV (Lebensmittelhygiene-Verordnung) i.V.m. Kapitel II Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II Kapitel IX Nr. 3 bzw. 5 VO (EG) Nr. 852/2004 und damit gegen Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die dem Verbraucherschutz vor Gesundheitsgefährdungen oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß vorliegen. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hat die Verstöße im Rahmen des Bußgeldverfahrens im Übrigen auch zugegeben.
Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB (in der Fassung vom 24. April 2019) muss als allgemeine Voraussetzung unter anderem die Information der Öffentlichkeit durch die zuständige Behörde jedoch unverzüglich erfolgen. Dies ist hier nicht der Fall.
Der Begriff „unverzüglich“ i.S.d. § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB bezieht sich auf den gesamten Zeitraum zwischen dem Verstoß und der Veröffentlichung (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 174. EL Juli 2019, § 40 LFGB Rn. 126). Aus dem Besonderen Teil des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (BT-Drucksache 19/8349) in Bezug auf den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs vom 24. April 2019 (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 174. EL Juli 2019, § 40 LFGB Rn. 2h und 127; Boch, LFGB, 8. Online-Auflage 2019, § 40 Rn. 38) ergibt sich unter „Zu Nummer 1 Zu Buchstabe a“, dass nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen ist. Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung seien im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich. Je weiter der Verstoß zeitlich entfernt sei, desto geringer sei der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmers schließen lasse (s. BVerfG, B.v. 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 – juris Rn. 58 in Bezug auf die Dauer der Veröffentlichung).
Vorliegend sind zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt mehr als sechs Monate seit den Verstößen (Kontrolldatum: 14. Juni 2019), die zudem am 17. Juni 2019 wieder beseitigt waren, vergangen, und damit mehrere Monate. Dies gilt auch bei Abstellung auf die ursprünglich für Mitte Dezember 2019 geplante Veröffentlichung (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. Dezember 2019). Nachvollziehbare Gründe für die Verzögerung der Veröffentlichung wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Das Gutachten des BayLGL wurde mit Schreiben vom 28. Juni 2019 an die Antragsgegnerin versendet und ging laut Poststempel bei der Antragsgegnerin am 29. Juli 2019 ein. Am 30. Juli 2019 wurde die Antragstellerin zu den festgestellten Verstößen in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren angehört, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die erforderlichen Untersuchungen und die rechtliche Beurteilung zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen waren. Der Wortlaut des § 40 Abs. 1a Nr. LFGB, wonach als weitere Voraussetzung die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 EUR zu erwarten sein muss, zeigt, dass in dem Zeitpunkt, in dem die Information der Öffentlichkeit veranlasst ist, ein Bußgeld noch nicht verhängt sein kann (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 174. EL Juli 2019, § 40 LFGB Rn. 115). Dies ist hier jedoch mit Bußgeldbescheid der Antragsgegnerin vom 23. Oktober 2019 bereits erfolgt. Im Übrigen entspricht der hier gegebene Zeitraum von (ungefähr) sechs Monaten bis zur geplanten Veröffentlichung dem Zeitraum, nach dessen Ablauf gemäß § 40 Abs. 4 LFGB eine (unverzüglich erfolgte) Veröffentlichung bereits wieder gelöscht werden soll. Die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB ist hier folglich nicht gegeben.
Nach alledem war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Sie ist nach einem Auffangstreitwert auszurichten, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen der Anordnung nicht im Einzelnen beziffert werden können (vgl. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs). Der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.

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