Aktenzeichen 4 S 17.986
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1 Für die Beurteilung im Rahmen des § 69a GKG, ob eine „Überraschungsentscheidung“ unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, weil das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte gestützt hat, mit denen die Beteiligten nach bisherigem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchten, gilt derselbe Maßstab wie bei der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 55677). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit beträgt der Streitwert in selbständigen Vollstreckungsverfahren, wenn nicht ein Zwangsgeld oder eine Ersatzvornahme im Raum stehen, ein Viertel des Streitwertes der Hauptsache. Hieran orientiert sich der Verwaltungsgerichtshof, wenn er bei behördlichen Pfändungs- und Überweisungsverfügungen den Streitwert regelmäßig auf ein Viertel des Wertes der zu vollstreckenden Forderung festsetzt (ebenso BayVGH BeckRS 2009, 37020). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
4 B 15.878 2017-05-02 Urt VGHMUENCHEN VGH München
Tenor
Die Anhörungsrüge gegen den Streitwertbeschluss vom 2. Mai 2017 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 2. Mai 2017 (Az. 4 B 15.878) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. Oktober 2014 aufgehoben. Die Klage mit dem Antrag auf Feststellung, dass sich das Verfahren durch Rücknahme der angefochtenen Pfändungs- und Überweisungsverfügung seitens der beklagten Gemeinde erledigt habe, wurde abgewiesen. Der Klägerin wurden die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen auferlegt. Mit Beschluss vom selben Tag wurde der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 54.849,63 Euro festgesetzt.
Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge der Klägerin vom 18. Mai 2017, mit der sie eine Gehörsverletzung in Gestalt einer Überraschungsentscheidung des Senats bei der Streitwertfestsetzung geltend macht. Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren 4 S. 17.986 und 4 B 15.878 verwiesen.
II.
1. Die nach § 69a GKG statthafte Anhörungsrüge gegen den gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbaren Streitwertbeschluss vom 2. Mai 2017 bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Senat hat bei der Streitwertfestsetzung den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Nach § 69a GKG ist auf die Rüge eines durch die Entscheidung Beschwerten das Verfahren fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Für die Beurteilung, ob eine „Überraschungsentscheidung“ vorliegt, weil das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte gestützt hat, mit denen die Beteiligten nach bisherigem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchten, gilt derselbe Maßstab wie bei der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO (vgl. etwa BayVGH, B.v. 2.12.2016 – 10 BV 16.962 – juris Rn. 35). Hierbei ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich nicht zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Insbesondere müssen die Beteiligten alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen, wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist (vgl. nur BVerwG, B.v. 24.7.2008 – 6 PB 18.08 – DÖV 2008, 1005 m.w.N.).
Hieran gemessen ist eine Gehörsverletzung nicht gegeben. Mit Beschluss vom 20. April 2015 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg zugelassen und den Streitwert gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG vorläufig auf 54.849,63 Euro festgesetzt. Diese Festsetzung erfolgte in gleicher Höhe wie die – von der Klägerin nicht beanstandete – Streitwertfestsetzung in dem von der Beklagten angefochtenen erstinstanzlichen Urteil. Die Klägerin hatte im Laufe des Berufungsverfahrens ausreichend Gelegenheit, sich zur Bemessung des Streitwerts zu äußern. Eine solche Äußerung ist nicht – auch nicht im Zuge des Verzichts der Beteiligten auf mündliche Verhandlung – erfolgt, obwohl die Klägerin spätestens ab diesem Zeitpunkt mit einer endgültigen Festsetzung des Streitwerts nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG rechnen musste. Eine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vor der Festsetzung des endgültigen Streitwerts gesondert anzuhören, besteht nicht.
2. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG die Möglichkeit besteht, den Streitwert von Amts wegen zu ändern. Auf eine derartige Änderung können die Beteiligten unabhängig vom Anhörungsrügeverfahren hinwirken, wenn sie der Auffassung sind, dass die betreffende Festsetzung unrichtig ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2016 – 10 BV 16.962 – juris Rn. 37; B.v. 13.8.2015 – 15 C 15.1674 – NVwZ-RR 2016, 158). Sollte es sich bei der von der Klägerin hilfsweise erhobenen Gegenvorstellung um eine solche Anregung handeln, bliebe sie ebenfalls ohne Erfolg. Der Senat hätte auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin im Schreiben vom 18. Mai 2017 vorgebrachten Einwendungen einen Streitwert von 54.849,63 Euro im Erledigungsrechtsstreit betreffend die Pfändungs- und Überweisungsverfügung festgesetzt. Nach Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit beträgt der Streitwert in selbständigen Vollstreckungsverfahren, wenn nicht ein Zwangsgeld oder eine Ersatzvornahme im Raum stehen, ein Viertel des Streitwertes der Hauptsache. Hieran orientiert sich der Verwaltungsgerichtshof, wenn er bei behördlichen Pfändungs- und Überweisungsverfügungen den Streitwert regelmäßig auf ein Viertel des Wertes der zu vollstreckenden Forderung festsetzt (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2006 – 4 C 05.3292 – juris Rn. 8; B.v. 9.1.1995 – 4 C 94.1919). Diese Festsetzung erscheint auch im hiesigen Rechtsstreit sachgerecht. Der von der Klägerin betonte Umstand, dass sich die Pfändungs- und Überweisungsverfügung auf eine „wertlose“ Forderung bzw. eine nutzlose Pfändung bezogen habe, ändert daran nichts.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, weil das Kostenverzeichnis zu § 3 Abs. 2 GKG für das Verfahren nach § 69a GKG keinen Kostentatbestand vorsieht (vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2016 – 10 BV 16.962 – juris Rn. 39; B.v. 4.11.2014 – 11 C 14.1481 – juris Rn. 6). Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 69a Abs. 6 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 69a Abs. 4 Satz 4 GKG).