Kosten- und Gebührenrecht

Antrag auf Zulassung einer Berufung – Verlust des Rechts auf Freizügigkeit

Aktenzeichen  10 ZB 18.152

Datum:
11.4.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6892
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 67, § 124a

 

Leitsatz

1 Ein als “Berufung” bezeichnetes Rechtsmittel kann als Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nur wenn der Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist er so lange als ohne Verschulden an der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch einen Prozessbevollmächtigten verhindert anzusehen, bis über seinen Antrag entschieden worden ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine rechtliche Fehleinschätzung ist verschuldet iSd § 60 VwGO, wenn sie vermeidbar war. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt ist keine rechtskundige Stelle, deren Einschaltung einem Verschulden iSd § 60 VwGO entgegenstehen könnte. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.2339 2017-08-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2017 weiter, mit dem diese den Verlust seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt und seine Einreise und seinen Aufenthalt für (zuletzt) sechs Jahre untersagt hat.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig.
1. Das Schreiben des Klägers vom 15. Januar 2018, in dem er „Berufung“ gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hat, kann zwar gemäß § 88 VwGO als Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt werden, es wahrt jedoch nicht die gesetzliche Form des § 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO. Nach dieser Regelung müssen sich die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 VwGO sind nur Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, als Bevollmächtigte zugelassen, außerdem weitere in § 67 Abs. 4 Satz 7 u. 8, Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO aufgeführte Personen und Organisationen.
2. Der durch seinen nunmehrigen Bevollmächtigten gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung in dem Schriftsatz vom 23. Februar 2018 ist verfristet.
Da das vollständige Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 17. August 2017 dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 18. Dezember 2017 zugestellt worden ist, ist die Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO am 18. Januar 2018 abgelaufen.
Dem Kläger kann auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, da er nicht glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung unter Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO).
Der mit Schreiben des nunmehrigen Bevollmächtigten vom 31. Januar 2018 gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung kann nicht zu einer Wiedereinsetzung führen, denn dies käme nur dann in Betracht, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe vor dem Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO (18. Januar 2018) gestellt worden wäre. Denn nur wenn ein Rechtsmittelführer innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist er so lange als ohne Verschulden an der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch einen Prozessbevollmächtigten verhindert anzusehen, bis über seinen Antrag entschieden worden ist (Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 60 Rn. 81). Gleiches gilt, wenn man die im Schreiben des Klägers vom 24. Januar 2018 enthaltene Bitte um „Zuteilung eines Prozessbevollmächtigten bzw. eines Pflichtverteidigers“ als Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Prozesskostenhilfe ansieht.
Der Kläger bringt zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung weiter vor, er spreche zwar deutsch, könne aber kaum lesen. Aufgrund der Auskünfte des Sozialdienstes der Justizvollzugsanstalt, der ihm beim Schriftverkehr behilflich gewesen sei, sei er davon ausgegangen, er benötige nicht bereits für die Einlegung des Rechtsmittels einen Prozessbevollmächtigten, sondern könne erst einen Rechtsanwalt beigeordnet bekommen, der dann wieder zwei Monate Zeit habe, das Rechtsmittel zu begründen.
Dieser Vortrag ist allerdings bereits nicht hinreichend glaubhaft gemacht (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Der Kläger hat nur eine eigene eidesstattliche Versicherung dieses Sachverhalts vorgelegt, jedoch keine Äußerung eines Mitarbeiters des Sozialdienstes, die seinen Sachvortrag stützen würde. Auch kann aus dieser Erklärung lediglich entnommen werden, dass er wohl die Auskunft des Sozialdienstes lediglich falsch verstanden hat („habe ich so verstanden“), nicht aber, dass die Auskunft selbst falsch gewesen wäre.
Jedenfalls aber geht aus seiner Schilderung nicht hervor, dass er ohne sein Verschulden an einer Wahrung der Rechtsmittelfrist, sei es durch die rechtzeitige Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten oder durch die rechtzeitige Stellung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts, gehindert gewesen wäre.
Kann sich der Kläger trotz einer – wie hier – eindeutigen und zutreffenden Rechtsmittelbelehrungkeine Klarheit darüber verschaffen, in welcher Frist und in welcher Form ein beabsichtigtes Rechtsmittel einzulegen ist, so muss er im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht zumutbare Anstrengungen unternehmen, um sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über die rechtlichen Voraussetzungen einer wirksamen Rechtsmitteleinlegung zu verschaffen. Eine rechtliche Fehleineschätzung des Beteiligten – auch über die vorgeschriebene Form und Frist eines Rechtsmittels – ist in der Regel verschuldet, jedenfalls dann, wenn der Irrtum vermeidbar war. Als vermeidbar gelten nach der Rechtsprechung mangelnde Rechtskenntnisse des Unkundigen, denn er ist grundsätzlich verpflichtet, unverzüglich juristischen Rat einzuholen und eine rechtskundige Stelle einzuschalten (BayVGH, B.v. 18.8.2017 – 10 ZB 17.1323 – juris Rn. 9, m.w.N.).
Es genügt den dargestellten Sorgfaltspflichten im Falle von Rechtsunkundigkeit nicht, lediglich den Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt einschalten. Dieser ist keine rechtskundige Stelle, da ihm eine Pflicht zur Rechtsberatung der Insassen der Justizvollzuganstalt nicht obliegt. Der Kläger kann sich daher nicht auf Auskünfte durch den Sozialdienst berufen, um ein mangelndes Verschulden an der Fristversäumnis zu belegen (BayVGH, B.v. 18.8.2017 – 10 ZB 17.1323 – juris Rn. 10), abgesehen davon, dass seine eidesstattliche Versicherung eher darauf hindeutet, dass er selbst diese Auskunft falsch verstanden hat.
Unglaubhaft ist seine Angabe, er habe den Hinweis des Gerichts auf den gesetzlichen Vertretungszwang in der Eingangsbestätigung vom 18. Januar 2018, die noch am gleichen Tag per Telefax an die Justizvollzugsanstalt übermittelt wurde, nicht erhalten. In seinem Schreiben vom 24. Januar 2018 nimmt er erkennbar gerade auf diese Eingangsmitteilung Bezug.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Da der Antrag auf Zulassung der Berufung aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ist auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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