Aktenzeichen 22 C 16.1849
SchfHwG § 15
Leitsatz
1 Für die Bestimmung des Streitwertes ist der Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung maßgeblich. Es ist deshalb unerheblich, wenn der Rechtsuchende der Rechtssache später – nach Ergehen des Urteils – geringere Bedeutung beimisst. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Auffangstreitwert von 5.000 Euro (§ 52 Abs. 2 GKG) ist gerade für Fälle vorgesehen, in denen eine Bewertung der “Bedeutung der Sache” in Geld nicht möglich ist. Nur in seltenen Ausnahmefällen, wenn es für den Kläger erkennbar um eine “Bagatelle” geht und allenfalls die Mindestgebühr angemessen erscheint, kann ein “symbolischer” Streitwert von 1 Euro festgesetzt werden. (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird die Verpflichtung, dem Schornsteinfeger Zutritt zur Wohnung zu gewähren, vor dem Hintergrund der Unverletzlichkeit der Wohnung angegriffen und nicht wegen der Kosten der Schornsteinreinigung, ist der Auffangstreitwert angemessen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 1 K 16.641 2016-06-22 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtsgebührenfreien Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1. Die Klägerin wandte sich gegen einen gegenüber Herrn H. persönlich ergangenen Bescheid des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen vom 4. Februar 2016, mit dem Herr H. als Bewohner des einem Dritten (Frau und Herr M.) gehörenden Anwesens verpflichtet wurde, dem bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger zu einer angegebenen Zeit Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren. Der Bescheid war damit begründet, dass für das betroffene Anwesen keine Feuerstätten und keine Feuerungsanlagen gemeldet seien, jedoch beobachtet worden sei, dass aus dem Kamin des Anwesens Rauch aufsteige. Daher müsse eine anlassbezogene Prüfung nach dem Schornsteinfegerhandwerksgesetz (SchfHwG) vorgenommen werden, um gegebenenfalls notwendige Maßnahmen zur Gewährleistung der Betriebs- und der Brandsicherheit ergreifen zu können. Die Klägerin beantragte die Aufhebung des Bescheids vom 4. Februar 2016 (Nr. 1 der Klageschrift vom 12.2.2016). Zugleich begehrte sie (Nr. 2 der Klageschrift), der land- und forstwirtschaftliche Betrieb unter der von ihr als Firmensitz bzw. Wohnanschrift angegebenen Adresse („Mühle 25, Eschenlohe“) solle „von Anfang an und künftig vom Landratsamt Garmisch-Partenkirchen weder als Gewerbe noch als Hobby“ erfasst werden.
Zur mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2016 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München war weder die Klägerin, die vergeblich einen Vertagungsantrag und Befangenheitsanträge gegen die Kammer und die Einzelrichterin gestellt hatte, noch Herr H. erschienen.
Mit Urteil vom 22. Juni 2016 wies das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin) die Klage ab und legte der Klägerin die Kosten auf; mit Beschluss vom selben Tag setzte es den Streitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000 € fest.
Das Urteil wurde rechtskräftig. Gegen den Streitwertbeschluss legte die Klägerin mit Schreiben vom 7. September 2016 Beschwerde ein und machte geltend, der Streitwert sei zu hoch festgesetzt; angemessen seien höchstens 500 €. Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
2. Die Beschwerde, über die gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG der Einzelrichter zu befinden hat, ist unbegründet, weil das Verwaltungsgericht den Streitwert nicht zu hoch festgesetzt hat.
2.1. In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 € anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).
2.1.1. Die Prüfung, ob sich aus dem Sach- und Streitstand, insbesondere dem Antrag des Rechtsuchenden genügende Anhaltspunkte ergeben, um die Bedeutung der Sache für ihn ermessen zu können, oder ob – mangels solcher Anhaltspunkte – der sogenannte Auffangwert von 5.000 € anzunehmen ist (§ 52 Abs. 2 GKG), geschieht grundsätzlich zu Beginn des Gerichtsverfahrens. Denn nach der Rechtsprechung ist für die Wertberechnung gemäß § 40 GKG der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, maßgebend. Diese Vorschrift bezweckt eine Vereinfachung der Wertberechnung. Streitwerterhöhende bzw. streitwertmindernde Umstände eines unveränderten Streitgegenstands, die erst nach der den Rechtszug einleitenden Antragstellung eintreten, bleiben unberücksichtigt (BayVGH, B. v. 27.6.2011 – 5 C 11.520 – juris, Rn. 3; BVerwG, B. v. 18.4.2006 – 8 B 112/05 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 61, juris Rn. 8, m. w. N.). Zwar kommt in Betracht, dass in manchen Fällen nicht bereits der das Verfahren einleitende Schriftsatz, sondern erst erläuternde Äußerungen des Rechtsuchenden oder anderer Beteiligter oder die beigezogenen Verwaltungsverfahrensakten dem Gericht hinreichende Klarheit über das Rechtschutzziel und demgemäß über die „Bedeutung der Sache“ im Sinn des § 52 GKG verschaffen. Dies ändert aber nichts daran, dass das am Anfang des Rechtsstreits bestehende Interesse des Rechtsuchenden maßgeblich ist; dieses Interesse ist – sofern es anhand hinreichender Anhaltspunkte möglich ist (vgl. § 52 Abs. 2 GKG) – in Geld zu bewerten; es bleibt grundsätzlich (abgesehen von – vorliegend ohnehin nicht einschlägigen – Fällen einer gestuften Streitwertfestsetzung, z. B. bei einer Klageänderung, einer teilweisen Erledigung oder einer Trennung oder Verbindung von Verfahren) unbeeinflusst vom Prozessverlauf und namentlich von der sich möglicherweise während des Gerichtsverfahrens ändernden Einschätzung seiner Erfolgsaussichten durch den Rechtsuchenden. Zeitverzögert kann lediglich die Bestimmbarkeit der Bedeutung der Sache für den Rechtsuchenden sein.
2.1.2. Der Auffangwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG kommt (außer in den Fällen des § 52 Abs. 3 GKG) dann nicht zum Zug, wenn die aus dem Antrag des Rechtsuchenden sich für ihn ergebende Bedeutung der Sache nicht anhand von Anhaltspunkten im Sach- und Streitstand wertmäßig bestimmt werden kann. Eine Orientierungshilfe für das Gericht, welcher Wert angemessen erscheint, können hierbei die Empfehlungen des sogenannten „Streitwertkatalogs 2013“ (Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der zuletzt am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen) mit den im Katalog aufgeführten Fallgruppen und Untergliederungen bieten; anhand dieser Orientierungshilfe lassen sich auch solche verwaltungsgerichtliche Verfahren bezüglich des Streitwerts einordnen, die zwar im Streitwertkatalog 2013 nicht aufgelistet sind, aber dort genannten Fällen derart ähneln, dass das Gericht bei seiner ermessensgerechten Streitwertfestsetzung den für einen ähnlichen Fall empfohlenen Streitwert um einen bestimmten Faktor oder Betrag verringert oder anhebt oder zur Überzeugung gelangt, dass der Auffangwert (5.000 €) jedenfalls eindeutig unangemessen zu hoch wäre. Letzteres ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn das vor Gericht geltend gemachte Begehren des Rechtsuchenden zwar objektiv in finanzieller Hinsicht unbedeutend erscheint (z. B. weil dem Betroffenen durch die von ihm im Klageweg bekämpfte Maßnahme nur marginale Kosten entstehen), die Angelegenheit jedoch für ihn persönlich beträchtliche, gegebenenfalls auch ideelle Bedeutung hat. Das rein wirtschaftliche Interesse an einem Erfolg des Rechtsbehelfs kann größer oder geringer sein als die „Bedeutung der Sache“ für den Rechtsuchenden; im Einzelfall kann sich die „Bedeutung der Sache“ einer Bewertung in Geld vollständig entziehen. Für derartige Fälle ist der Auffangwert von 5.000 € (§ 52 Abs. 2 GKG) vorgesehen. Nur in seltenen Ausnahmen, wenn für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bestehen, aber die Bedeutung der als „Bagatelle“ anzusehenden Sache für den Kläger erkennbar (nicht nur mutmaßlich) so gering ist, dass allenfalls die Mindestgebühr nach Anlage 2 zu § 34 GKG bedeutungsangemessen erscheint, hat der Verwaltungsgerichtshof einen „symbolischen“ Streitwert von 1 € für angemessen gehalten (BayVGH, B. v. 30.7.2013 – 22 C 13.497 – juris).
2.2. Vorliegend bot weder der Sach- und Streitstand ausreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts noch erweist sich der Auffangwert – wegen einer „Bagatelle“ – als offenbar unangemessen hoch.
2.2.1. Unabhängig von dem Klageantrag unter Nr. 2 des Schriftsatzes vom 12. Februar 2016, dessen Inhalt und Ziel für das Verwaltungsgericht nicht verständlich waren und ersichtlich die Streitwertfestsetzung nicht maßgeblich beeinflusst haben, wehrte sich die Klägerin mit ihrem Klageantrag unter Nr. 1 gegen die Verpflichtung, dem Bezirksschornsteinfeger Zutritt zur Wohnung zu gewähren. Wie ihre ausdrücklich hierauf bezogene Argumentation (Schriftsatz vom 12.2.2016, S. 2 oben) zeigt, sah sie die Duldungsverpflichtung durch das Landratsamt als einen „sämtlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen“ widersprechenden Akt an; sie argumentierte damit, dass sich das Landratsamt bereits wenige Tage vorher widerrechtlich Zutritt zum Anwesen verschafft habe und dass Gleiches auch künftig zu befürchten sei. Sinngemäß beruft sich die Klägerin mit dieser Argumentation auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), das – ausweislich des angefochtenen Bescheids (S. 1, vorletzter Abschnitt) – mit der angeordneten Verpflichtung ausdrücklich eingeschränkt werden sollte. Das gerichtlich geltend gemachte Interesse an der Sicherung dieses Grundrechts entzieht sich grundsätzlich einer Bewertung mit einem bestimmten Geldbetrag. Ein derartiger Fall gehört vielmehr zum typischen Anwendungsbereich des Auffangwerts nach § 52 Abs. 2 GKG.
2.2.2. Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 7. April 2016, in dem sie – als Reaktion auf die vorläufige Streitwertfestsetzung – den festgesetzten Auffangwert als zu hoch beanstandet hat mit den Argumenten, möglicherweise sei irrtümlich der (ohnehin gleichfalls zu hohe) Streitwert aus einem anderen von ihr angestrengten Verfahren übernommen worden (Schriftsatz vom 7.4.2016, S. 2 oben) und außerdem geschehe die „Aufhebung der Duldungsanordnung wie die Erfassung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs … auf dem Bürowege innerhalb einer Stunde“, so dass ein Streitwert von nur 500 € angemessen sei (Schriftsatz vom 7.4.2016, S. 4 oben). Um eine Verwechslung zweier Gerichtsverfahren handelte es sich vorliegend nicht. Der Behördenaufwand, der für die bürotechnische Aufhebung oder den Erlass eines Bescheids anfällt, ist offensichtlich kein tauglicher Anhaltspunkt für die Bestimmung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG.
2.2.3. Auch mit dem – erstmals in der Begründung der Streitwertbeschwerde vorgetragenen – Einwand, mit dem die Klägerin auf die Kosten einer Schornsteinreinigung abstellt, kann sie nicht durchdringen. Sie macht geltend, es sei dem Bescheid zufolge „angeblich um Schornsteinfegungen“ gegangen und eine Schornsteinreinigung koste nur 30 €, das Landratsamt erhebe für alle seine Bescheide keine Kosten. Auf Letzteres, nämlich die Kostenerhebungspraxis des Landratsamts, kommt es vorliegend nicht an. Unabhängig davon war vorliegend – wie dargelegt (siehe oben 2.1) – im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aus dem Antrag der Klägerin und dem Sach- und Streitstand nicht erkennbar, dass es ihr lediglich um die aus der verfügten Verpflichtung für sie entstehenden Kosten gegangen wäre. Welche Bedeutung die Klägerin nunmehr – nachdem ein Urteil ergangen und rechtskräftig geworden ist – der Sache beimisst, ist unerheblich (siehe oben 1.1).
Selbst wenn man vorliegend – abweichend von dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sich anders darstellenden Rechtsschutzziel – auf die wirtschaftlichen Auswirkungen abstellen wollte, die sich bei Befolgung der angefochtenen Duldungsanordnung für die Klägerin ergeben könnten, wäre der mit der Beschwerde erhobene Einwand der Klägerin inhaltlich unzutreffend. Denn zum einen betraf die vom Landratsamt der Klägerin auferlegte Duldungsverpflichtung ausweislich des Bescheids nicht (nur) eine Schornsteinreinigung, sondern – wie es im Betreff heißt – eine „anlassbezogene Überprüfung gemäß § 15 SchfHwG“. Von einer bloßen Schornsteinreinigung ist weder im Betreff noch in der Begründung des Bescheids die Rede. Vielmehr führt das Landratsamt dort aus, dass – je nach dem Ergebnis der anlassbezogenen Überprüfung – gegebenenfalls vorläufige Sicherungsmaßnahmen zur Gewährleistung der Betriebs- und der Brandsicherheit getroffen werden müssten. Die Kosten solcher Maßnahmen indes können die Kosten einer Schornsteinfegerreinigung – und selbst den Auffangwert – übersteigen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 3 GKG.
Gegen diesen Beschluss ist nach § 66 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG keine weitere Beschwerde eröffnet.