Kosten- und Gebührenrecht

Beschränktes Beschwerderecht der Staatskasse gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf fälschlich unterlassene Zahlungsanordnungen

Aktenzeichen  L 16 AS 823/15 B PKH

Datum:
20.2.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102821
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 115 Abs. 3, § 127 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 572 Abs. 2 S. 2
SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 99 Abs. 1, § 177, § 202

 

Leitsatz

1. Das Beschwerderecht der Staatskasse gemäß § 127 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist darauf beschränkt, eine fälschlich unterlassene Zahlungsanordnung gemäß § 120 ZPO nachträglich zu erreichen.
2. Eine zulässige Klage- bzw. Antragsänderung setzt ein zuvor zulässiges Rechtsmittel voraus.

Verfahrensgang

S 4 AS 357/15 ER 2015-09-22 Bes SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 22. September 2015 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin stellte über ihre anwaltliche Prozessvertreterin am 04.08.2015 beim Sozialgericht Regensburg den Antrag, den Antragsgegner im Verfahren S 4 AS 357/15 ER zu verpflichten, vorläufig einen Betrag von 679 EUR zu zahlen. Gleichzeitig stellte sie Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. In der dazu vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gab sie eine Rechtsschutzversicherung an, die Verfahren im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende allerdings nicht umfasst. Die Frage nach einer Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Organisation (z.B. Sozialverband), der einen Prozessbevollmächtigten stellen könnte, verneinte sie. Ausweislich eines der Erklärung beigefügten Kontoauszugs hatte sie am 06.07.2015 an den VDK Bayern 18 EUR überwiesen.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde am 17.08.2015 für erledigt erklärt.
Das Sozialgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 22.09.2015 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt, der den Beteiligten jeweils am 24.09.2015 zugestellt worden ist.
Am 13.10.2015 hat der Beschwerdeführer (Staatskasse) gegen den Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss vom 22.09.2015 Beschwerde nach § 127 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und geltend gemacht, dass der Beschluss aufzuheben sei, weil Prozesskostenhilfe nicht zustehe. Die Antragstellerin verfüge offensichtlich über ein nach § 115 Abs. 3 ZPO einzusetzendes Vermögen. Aus dem Kontoauszug vom 27.07.2015 gehe die Abbuchung des VdK-Mitgliedbeitrags von 18 EUR am 06.07.2015 hervor. Die Mitgliedschaft im VdK beinhalte als ganz wesentliches Element den kostenlosen gerichtlichen Rechtsschutz. Der Anspruch auf die entsprechende Vertretung habe als eine verwertbare Forderung zu gelten, die es unmöglich mache, ersatzweise die Gemeinschaft der Steuerzahler für die Prozessvertretung finanziell in Anspruch zu nehmen. Die Rechtsprechung des Hessischen Landesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 28.06.2012 (16 Ta 206/12 – Rechtsschutzgewährung durch Gewerkschaft) sei zwanglos auf die Vertretung durch Behindertenverbände zu übertragen. Zitiert bzw. vorgelegt worden sind Entscheidungen verschiedener Gerichte, z.B. ein Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21.07.2011 (L 3 U 172/10 B PKH), mit dem in einer vergleichbaren Konstellation der Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss des Sozialgerichts aufgehoben worden war, ein Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 05.11.2012 (3 AZB 23/12) mit dem Leitsatz, dass die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, zur Durchführung eines Arbeitsgerichtsprozesses gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, Vermögen im Sinn des § 115 ZPO darstellt, und ein Beschluss des OLG Celle vom 13.03.2015 (4 W 15/15) zur Beschwerdebefugnis der Staatskasse bei fehlendem Verweis auf vorrangige Familienunterhaltsansprüche.
Am 12.02.2016 hat der Beschwerdeführer hilfsweise beantragt, eine Einmalzahlung aus dem Vermögen der Antragstellerin in Höhe der anfallenden Anwaltskosten anzuordnen. Zumutbar sei der Einsatz des Vermögens im Sinn des § 115 Abs. 3 ZPO, nämlich der Anspruch auf kostenfreien Rechtsschutz durch den VdK.
Die Antragstellerin hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen. Begehrt werde die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung. Die Beschwerde der Staatskasse könne aber gemäß § 127 Abs. 3 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Partei nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten habe. Es könne auch keine Einmalzahlung angeordnet werden, weil kein einsetzbares Vermögen bestehe. Das Verfahren, um das es hier gehe, sei abgeschlossen, so dass es nicht möglich sei, dass Rechtsschutz durch den VdK noch gewährt werden könne. Die Rechtsprechung zum Prozesskostenvorschuss gegen Familienangehörige sei auf den hier vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil die Antragstellerin nicht über einen Prozesskostenvorschussanspruch verfüge.
Der Senat hat die Beteiligten schriftlich darauf hingewiesen, dass es nicht Gegenstand einer zulässigen Beschwerde gemäß § 127 Abs. 3 SGG sein könne, wenn geltend gemacht werde, dass Prozesskostenhilfe nicht hätte bewilligt werden dürfen. Bei dem Hilfsantrag handele es sich um einen gemäß § 127 Abs. 3 Sätze 1 und 2 ZPO grundsätzlich statthaften Antrag, der aber mangels Zulässigkeit der in diesem Verfahren erfolgten Klage- bzw. Antragsänderung (bzw. -erweiterung) nicht zulässig sei. Eine Klageänderung im Rechtsmittelverfahren setze ein zulässiges Rechtsmittel voraus, woran es hier fehle.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte des Sozialgerichts Regensburg Bezug genommen.
II.Die Beschwerde des Freistaats Bayern ist gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 572 Abs. 2 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Der Hauptantrag ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 ZPO nicht statthaft und damit unzulässig. Der Hilfsantrag ist mangels zulässiger Antragserweiterung ebenfalls nicht zulässig.
Mit dem Hauptantrag wird die Aufhebung des Prozesskostenhilfebeschlusses vom 22.09.2015 begehrt. Das Rechtsschutzziel der gänzlichen Versagung von Prozesskostenhilfe ist aber nicht vom Beschwerderecht der Staatskasse umfasst. Gemäß § 127 Abs. 3 Sätze 1 und 2 ZPO findet gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat. Nach nahezu einhelliger und nach Auffassung des Senats richtiger Auffassung ist das Beschwerderecht der Staatskasse darauf beschränkt, fälschlich unterlassene Zahlungsanordnungen gemäß § 120 ZPO nachträglich zu erreichen (vgl. Thomas/ Putzo, ZPO 37. Auflage 2016, § 127 Rn. 7 und 9; Zöller, ZPO 31. Auflage 2016, § 127 Rn. 16, 17; Baumbach/ Lauterbach/ Albers/ Hartmann, ZPO 75. Auflage 2017, § 127 Rn. 26; Musielak/ Voit, ZPO 12. Auflage 2015, § 127 Rn. 9, 10; BGH, Beschluss vom 17.11.2009, VIII ZB, 44/09, Juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 19.09.2012, XII ZB 587/11, Juris Rn. 13; BAG, Beschluss vom 18.11.2015, 10 AZB 34/15).
Der Hilfsantrag auf Anordnung einer Einmalzahlung aus dem Vermögen der Antragstellerin in Höhe der anfallenden Anwaltskosten ist unzulässig, weil die damit einhergehende Antragserweiterung unzulässig ist. Eine zulässige Klage- bzw. Antragsänderung im Rechtsmittelverfahren setzt nämlich ein zuvor zulässiges Rechtsmittel voraus, woran es hier fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2001, Juris Rn. 20; B 11 AL 19/01 R m.w.N.; Meyer-Ladewig, SGG 11. Auflage 2014, § 99 Rn. 12, m.w.N.). Der Versuch des Beschwerdeführers, mit dem Hilfsantrag die Beschwer herzustellen, die für den Hauptantrag infolge der gesetzlichen Ausgestaltung des Beschwerderechts der Staatskasse fehlt, bleibt ohne Erfolg. Die für ein Rechtsmittel erforderliche Beschwer kann nicht durch eine Klage- bzw. Antragserweiterung begründet werden.
Wollte man den am 12.02.2016 gestellten Hilfsantrag als Einlegung einer weiteren Beschwerde gegen den Bewilligungsbeschluss vom 22.09.2015 verstehen, wäre diese nicht fristgemäß, d.h. erst nach Ablauf der Drei-Monats-Frist im Dezember 2015 (vgl. § 127 Abs. 3 Satz 4 ZPO), erhoben worden und damit unzulässig. Da eine entsprechende „Umdeutung“ nicht zielführend wäre, kann dahingestellt bleiben, ob sie überhaupt vertretbar wäre.
Der Hilfsantrag wäre im Übrigen auch dann nicht zulässig, wenn die Antragserweiterung wegen Sachdienlichkeit als zulässig im Sinn von § 99 Abs. 1 SGG angesehen würde. Eine wirksame Klage- bzw. Antragserweiterung ersetzt nicht die für die Zulässigkeit des weiteren (Hilfs-) Antrags fehlenden Prozessvoraussetzungen (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2008, B 2 KN 2/07 U R, Juris Rn. 17). Wie soeben ausgeführt, ist der Hilfsantrag nicht fristgerecht gestellt worden, sondern erst nach Ablauf der Beschwerdefrist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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