Kosten- und Gebührenrecht

Beschwerde gegen Ablehnung der Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 C 16.312

Datum:
20.12.2016
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 117, § 118 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2
AsylG AsylG § 71 Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Auch nach Einstellung des Verfahrens nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen kann ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausnahmsweise weiterverfolgt und rückwirkend Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn der Antrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (stRspr, VGH München BeckRS 2016, 43620). (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme eintritt (Anschluss an BVerwG BeckRS 2007, 26678). (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Angabe, eine Familie erhalte „Leistungen gem. AsylbLG“, ist auch ohne Vorlage des Leistungsbescheids bei Unterbringung der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft und der fehlenden Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit zum Beleg der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichend. (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Ausfüllung eigener Prozeskostenhilfeformulare für zwei in 2002 bzw. 2004 geborene Kinder bedarf es nicht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 15.5929 2016-01-22 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München wird den Klägern und Antragstellern zu 1, 3 und 4 Prozesskostenhilfe für die (bereits erledigten) Verfahren M 4 K 15.5929 und M 4 S 15.5933 bewilligt und Rechtsanwalt Haas als Bevollmächtigter beigeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II.
Der Beklagte und Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu drei Vierteln, die Klägerin und Antragstellerin zu 2 zu einem Viertel.

Gründe

Die Beschwerdeführer verfolgen mit ihrer Beschwerde den in erster Instanz erfolglosen Antrag, ihnen für ihre Klage vom 31. Dezember 2015 gegen den Bescheid des Beklagten und Antragsgegners (i.F.: Beklagter) vom 22. Dezember 2015 und ihren Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihren Prozessbevollmächtigten beizuordnen, weiter.
1. Mit dem Bescheid vom 22. Dezember 2015 wurde den Klägern und Antragstellern (i.F.: Kläger) vom Landratsamt Garmisch-Partenkirchen unter Androhung der Abschiebung für den Fall, dass sie die Bundesrepublik Deutschland nicht bis zu diesem Datum verlassen haben sollten, eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis 11. Januar 2016 gesetzt. Des Weiteren wurden ihre Duldungen widerrufen. Nachdem das Landratsamt mit Einlegung der Rechtsmittel von der am 27. November 2015 erfolgten Stellung eines Asylfolgeantrags der Klägerin zu 2 Kenntnis erlangt hatte, hob es mit Bescheid vom 5. Januar 2016 den angefochtenen Bescheid auf. Mit Beschluss vom gleichen Tag stellte das Verwaltungsgericht das Klage- und das Eilverfahren nach Eingang übereinstimmender Hauptsacheerledigungserklärungen ein und legte den Beschwerdeführern die Kosten auf. Mit Beschluss vom 22. Januar 2016 lehnte das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung ab, die Angaben des Klägers zu 1 im Formblatt seien unvollständig, während für die Kläger zu 2 bis 4 die Formblatt-Erklärungen erst am 19. Januar 2016 und damit nach Abschluss der Instanz übersandt worden seien; zudem hätten weder die Klagen noch die Anträge zum Zeitpunkt ihrer Erledigung hinreichende Aussicht auf Erfolg besessen.
2. Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der Senat in der Besetzung mit drei Richtern berufen, weil es sich im vorliegenden Fall nach Beendigung des Verfahrens in der Hauptsache bereits in der ersten Instanz nicht um eine Entscheidung im Sinn von § 87a Abs. 1 Nr. 3 VwGO handelt; im Beschwerdeverfahren geht es nämlich nicht nur noch um eine (dem Berichterstatter zugewiesene) bloße Nebenentscheidung, sondern um die Richtigkeit des Beschlusses vom 22. Januar 2016 (BayVGH, B. v. 1.8.2005 – 24 C 05.1190 – juris; ThürOVG, B. v. 9.6.2007 – 3 ZO 1098/06 – juris, obiter dictum).
3. Die zulässige Beschwerde gegen den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Januar 2016 ist insoweit begründet, als er sich auf die Kläger zu 1, 3 und 4 bezieht; im Hinblick auf die Klägerin zu 2 ist die Beschwerde dagegen unbegründet.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO) sind für die Kläger zu 1, 3 und 4 erfüllt, weil ihre Bedürftigkeit mit Eingang der Formularerklärung am 31. Dezember 2015 beim Verwaltungsgericht nachgewiesen war und die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach der Sach- und Rechtslage zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt (5.1.2016, 3.1) hinreichende Erfolgsaussichten besaß (3.2). Die Klägerin zu 2 dagegen hatte ihren Antrag erst nach diesem (Erledigungs-)Zeitpunkt wirksam gestellt, weil eine von ihr unterschriebene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst danach beim Verwaltungsgericht eingegangen ist (4.).
3.1. Der Gewährung von Prozesskostenhilfe steht hier nicht entgegen, dass sowohl die Klage- als auch die Eilverfahren nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien bereits am 5. Januar 2016 in der Hauptsache beendet waren und am gleichen Tag durch das Verwaltungsgericht eingestellt wurden, somit ab diesem Zeitpunkt eine weitere Rechtsverfolgung im Sinn von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mehr „beabsichtigt“ ist. Denn ein Rechtsschutzsuchender kann seinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem derartigen Fall ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, wenn sein entsprechender Antrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B. v. 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris).
Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (st. Rspr.; vgl. zuletzt BayVGH, B. v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m. w. N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B. v. 12.9.2007- 10 C 39.07 u. a. – juris Rn. 1; BayVGH, B. v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14). Danach ist die Entscheidungsreife sowohl im Klage- wie auch im Eilverfahren der Kläger zu 1, 3 und 4 zwar nicht bereits mit Einreichung der Klage und des Eilantrags beim Verwaltungsgericht sowie der Vorlage der (nur vom Kläger zu 1 unterschriebenen) Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, jedenfalls aber im Zeitpunkt der schriftlichen Äußerung des Beklagten vom 5. Januar 2016 eingetreten.
Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger zu 1, 3 und 4 war in der beim Verwaltungsgericht am 31. Dezember 2015 eingegangenen Form ausreichend. Die dort gemachte Angabe, die Familie erhalte „Leistungen gem. AsylbLG“ in Höhe von etwa 500 Euro, ist auch ohne Vorlage des die Leistung bewilligenden Bescheids angesichts der Unterbringung der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft und der fehlenden Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit ausreichend; zudem wurde die Richtigkeit der Angaben in Kenntnis einer andernfalls möglichen Strafverfolgung versichert. Die Erklärung enthält auch ausreichende Angaben zu möglichen eigenen Einnahmen der Klägerin zu 2 (vgl. Abschn. E 3.); dabei fällt die fehlende Beantwortung der Frage E 4. zu „anderen Einnahmen“, womit etwa ein jährlich gezahltes Weihnachtsgeld oder eine Steuererstattung erfasst werden soll, nicht ins Gewicht. Der Ausfüllung eigener Formulare für die beiden 2002 bzw. 2004 geborenen Kinder, wie es das Verwaltungsgericht verlangt hat, bedurfte es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs hier nicht.
3.2 Zum maßgeblichen Zeitpunkt bot die von den Klägern zu 1, 3 und 4 mit ihrer Anfechtungsklage und den Anträgen nach § 80 Abs. 5 VwGO beabsichtigte Rechtsverfolgung auch hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die – dem Landratsamt bis zur Klageerhebung nicht bekannte – Stellung des Asylfolgeantrags der Ehefrau des Klägers zu 1 und Mutter der Kläger zu 3 und 4 bereits im November 2015 und deren eigene Asylfolgeanträge vom 4. Januar 2016 ein rechtliches Abschiebungshindernis darstellen (vgl. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG); dementsprechend hat das Landratsamt den angefochtenen Bescheid umgehend aufgehoben und damit den Rechtsschutzbegehren der Kläger entsprochen.
4. Die Klägerin zu 2 hatte dagegen zum maßgeblichen Zeitpunkt noch keinen wirksamen (eigenen) Prozesskostenhilfeantrag gestellt. Auch wenn der von ihrem Ehemann gestellte, beim Verwaltungsgericht am 31. Dezember 2015 eingegangene Antrag wohl zugleich für sie gelten sollte, hätte es zur Wirksamkeit der Antragstellung jedenalls der (hier fehlenden) eigenhändigen Unterschrift der Klägerin zu 2 bedurft; diese Notwendigkeit ergibt sich schon aus den verschiedenen, mit der Verwendung des vorgeschriebenen Formblatts (vgl. § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 3, 4 ZPO) verfolgten Funktionen, insbesondere den dort (s. Abschn. K) enthaltenen Hinweisen auf die Verpflichtung zu vollständigen und zutreffenden Angaben sowie zur Mitteilung von Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse. Der von der Klägerin zu 2 unterschriebene Antrag auf Prozesskostenhilfe ging beim Verwaltungsgericht erst am 21. Januar 2016 und damit nach Beendigung der Rechtshängigkeit ihrer Klage und des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ein.
Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO damit nur für drei der Kläger vor, so kann nur ihnen ihr Prozessbevollmächtigter nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO beigeordnet werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO für die Kläger zu 1, 3 und 4 sowie aus § 154 Abs. 2 VwGO für die Klägerin zu 2.; dabei ist von der Gleichwertigkeit aller vier Anträge auszugehen.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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