Aktenzeichen W 3 M 18.31763
VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 5, § 149 Abs. 1 S. 2, § 151 S. 3, § 165 S. 2
AsylG § 80
Leitsatz
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Dies gilt unabhängig davon, ob der Gerichtsbescheid der Klage vollständig stattgegeben hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. Juli 2018 wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 19. Juli 2018 wird abgelehnt.
III. Die Kosten des gebührenfreien Erinnerungsverfahrens trägt die Erinnerungsführerin.
Gründe
I.
Im Verfahren W 3 K 17.32321 erging am 16. Mai 2018 ein Gerichtsbescheid, in welchem die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. Mai 2017 verpflichtet wurde, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Beklagte (Erinnerungsführerin) wurde verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Auf Antrag des Klägerbevollmächtigten vom 10. Juli 2018 erließ die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts am 19. Juli 2018 einen Kostenfestsetzungsbeschluss und setzte die Kosten antragsgemäß – inklusiv einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG – fest.
Hiergegen beantragte die Erinnerungsführerin mit Schriftsatz vom 25. Juli 2018 die Entscheidung des Gerichts und beantragte gleichzeitig gemäß §§ 165 Satz 2, 151 Satz 3, 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO die vorläufige Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG seien in zweifacher Weise nicht erfüllt. Zum einen sei der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet, denn sie erfasse nicht alle Gerichtsbescheide, sondern nur Gerichtsbescheide im Sinne des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO und § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG. Zum anderen fehle es an der Tatbestandsvoraussetzung, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung könne hier nicht gestellt werden, weil ein solcher Antrag offensichtlich unzulässig wäre und deshalb auch nicht zu einer mündlichen Verhandlung geführt hätte. Auf die Begründung im Übrigen wird Bezug genommen.
Mit Nichtabhilfeentscheidung vom 24. August 2018 legte die Urkundsbeamtin dem Gericht die Erinnerung zur Entscheidung vor.
Die Klägerbevollmächtigte beantragte, die Erinnerung sowie den Antrag auf vorläufige Aussetzung des Verfahrens abzulehnen, weil im Kostenfestsetzungsbeschluss, wie vom Gesetz vorgesehen, richtigerweise eine Terminsgebühr festgesetzt worden sei.
II.
Das Gericht entscheidet über die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. Juli 2018 in der Besetzung, in der die zu Grunde liegende Kostenentscheidung getroffen wurde (BayVGH, B.v. 19.1.2007 – 24 C 06.2426 – BayVBl 2008, 417), somit vorliegend der Einzelrichter.
Die zulässige Erinnerung ist nicht begründet.
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, denn gegen den Gerichtsbescheid vom 16. Mai 2018 hätte ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gerichtsbescheid der Klage vollständig stattgegeben hat.
Zunächst gilt Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nicht nur für die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
Für das Entstehen einer Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG kommt es allein auf darauf an, ob gegen einen Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft ist, nicht dagegen ob kein anderes Rechtsmittel als der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben ist (a.A. VG Regensburg, B.v. 27.6.2016 – RO 9 M 16.929 – juris und VG Schleswig-Holstein, B.v. 13.11.2015 – 12 A 30/15). Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG ist bereits vom Wortlaut her nicht auf Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt, sondern bezieht sich allgemein auf § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO und damit zunächst auf alle Gerichtsbescheide. Sinn und Zweck der Vorschrift ist zudem die Vermeidung von mündlichen Verhandlungen, die ausschließlich im Gebühreninteresse erfolgen. Auch dies spricht dagegen, das Entstehen einer Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu beschränken. Denn eine mündliche Verhandlung kann auch bei Entscheidungen nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO erzwungen werden. Das Gericht folgt insoweit der ausführlichen Begründung im Beschluss des VG Oldenburg vom 27.7.2017 (1E5687/17 – BeckRS 2017,118630).
Des Weiteren entfällt die Terminsgebühr auch nicht deswegen, weil die Klägerin durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert ist.
Der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG ist nicht dahingehend zu verstehen, dass derjenige, der die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG beansprucht, auch derjenige sein muss, der einen (zulässigen) Antrag auf mündliche Verhandlung stellen können muss. Durch den Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, der von „Parteien oder Beteiligten“ spricht, wird deutlich, dass zumindest die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG für beide Seiten gilt und die Voraussetzungen – ungeachtet bei welcher Seite sie vorliegen – nur im Verfahren überhaupt gegeben sein müssen, damit der Gebührentatbestand erfüllt wird und die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht (vgl. VG Magdeburg, B.v. 15.11.2017 – 5 E 485/17 – BeckRS 2017, 140892).
Die Erinnerung war somit zurückzuweisen.
Für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird auf oben stehende Ausführungen Bezug genommen.