Kosten- und Gebührenrecht

Fehlende Bevollmächtigung im Beschwerdeverfahren – Antrag auf Herausgabe sichergestellten Führerscheins

Aktenzeichen  10 CE 16.1145, 10 C 16.1146

Datum:
9.8.2016
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 67 Abs. 4, § 123 Abs. 1, § 146, § 166 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Ausnahme von der Pflicht zur Angabe der ladungsfähigen Anschrift bei Einleitung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kann bei unüberwindlichen oder nur schwer zu beseitigenden Schwierigkeiten oder schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen bestehen oder wenn glaubhaft gemacht wird, über eine solche Anschrift nicht zu verfügen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 E 16.437 2016-04-22 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Die Verwaltungsstreitsachen 10 CE 16.1145 und 10 C 16.1146 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Die Beschwerde im Verfahren 10 CE 16.1145 wird verworfen.
III.
Die Beschwerde im Verfahren 10 C 16.1146 wird zurückgewiesen.
IV.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
V.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 16.1145 wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Mit seinen Beschwerden verfolgt der Antragsteller seine in erster Instanz erfolglosen Anträge auf Herausgabe seines Führerscheins und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren weiter.
Die Verkehrspolizei Würzburg-Biebelried stellte am 28. Januar 2016 den Führerschein des Antragstellers sicher, weil gegen ihn eine sofort vollziehbare Entziehung der allgemeinen Fahrerlaubnis durch die Stadt Erfurt vorliegt.
Am 20. April 2016 beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seinen Führerschein an ihn herauszugeben. Er sei obdachlos und benötige seine Fahrerlaubnis. Zugleich beantragte er, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Das Polizeipräsidium Unterfranken teilte mit Schreiben vom 21. April 2016 mit, dass der Führerschein des Antragstellers bereits an die ausstellende Behörde versandt worden sei und deshalb nicht herausgegeben werden könne.
Mit Beschluss vom 22. April 2016 lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg den Antrag auf Herausgabe des Führerscheins sowie einen weiteren Antrag auf Verschaffung eines Ersatzes für den Führerschein ab. Der Antrag auf Herausgabe des Führerscheins könne keinen Erfolg haben, weil der Antragsgegner nicht mehr in Besitz des Führerscheins sei. Der zuletzt gestellte Antrag nehme die Hauptsache vorweg und sei deshalb abzulehnen. Ebenso lehnte es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab.
Der Beschluss vom 22. April 2016 wurde dem Antragsteller per Telefax an die von ihm angegebene Faxnummer übermittelt. Das Empfangsbekenntnis sandte er nicht zurück.
Andere Schriftstücke, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren per Post an die vom Antragsteller angegebene Adresse zugestellt werden sollten, kamen als unzustellbar zurück.
Mit Schreiben vom 24. April 2016 wandte sich der Antragsteller erneut an das Verwaltungsgericht Würzburg und führte aus, dass es sich bei dem Beschluss vom 22. April 2016 um keine Entscheidung handle, weil der Beschluss an eine Adresse gerichtet sei, an der der Antragsteller nicht im Sinne des § 166 ZPO anzutreffen sei. Es folgten weitere Schreiben des Antragstellers, in denen er sich dagegen wandte, dass das Verwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Mit Schreiben vom 1. Mai 2016 ergänzte er, dass weiterhin Prozesskostenhilfe beantragt werde.
Das Verwaltungsgericht Würzburg legte dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof die Schreiben des Antragstellers vor. Der Verwaltungsgerichtshof wies auf den Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO hin und bat um Klarstellung, ob der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. April 2016 einlegen wolle. Als keine Reaktion erfolgte, teilte der Verwaltungsgerichtshof dem Antragsteller mit, dass von der Durchführung eines Beschwerdeverfahrens abgesehen werde. Dem widersprach der Antragsteller mit E-Mail vom 8. Juni 2016.
Die im Beschwerdeverfahren an den Antragsteller per Postzustellungsurkunde an die angegebene Adresse versandte Erstzustellung mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten kam als unzustellbar zurück. Per E-Mail verwies der Antragsteller darauf, dass er zum Personenkreis des § 67 Abs. 4 Satz 3, 5 und 7 VwGO gehöre und sich selbst vertreten könne. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift sei nicht erforderlich, da er obdachlos sei.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.1. Die Verfahren 10 CE 16.1145 und 10 C 16.1146 waren gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.
2. Die Beschwerde im Verfahren 10 CE 16.1145 ist unzulässig und daher zu verwerfen (§ 173 Satz 1 i. V. m. § 572 Abs. 2 Satz 2 ZPO), weil sie ohne Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten vom Antragsteller persönlich eingelegt wurde. Damit wird aber die gesetzliche Form des § 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO nicht gewahrt. Nach dieser Regelung müssen sich die Beteiligten auch im Beschwerdeverfahren (§ 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO) durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Die Beschwerde des Antragstellers wurde entgegen dieser Regelung nicht durch einen Rechtsanwalt, Rechtslehrer an einer staatlich oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder andere als Prozessbevollmächtigte zugelassene Personen oder Organisationen eingelegt.
Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 9. Juni 2016 auf den Vertretungszwang hingewiesen. Sein Vortrag, er gehöre zum Personenkreis des § 67 Abs. 4 Satz 3, 5 und 7 VwGO, ist so nicht nachvollziehbar, da er keine Nachweise dafür vorgelegt hat, dass er eine dem § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO entsprechende Befähigung bzw. Berechtigung besitzt.
Insoweit kann daher offen bleiben, ob die Beschwerde bereits unzulässig ist, weil der Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat, unter der er tatsächlich zu erreichen ist. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa gegeben, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Ebenso ist das Fehlen der ladungsfähigen Anschrift dann unschädlich, wenn der Kläger glaubhaft macht, dass er über eine solche Anschrift nicht verfügt. In diesen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift verzichtet werden kann. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er an der in der Antragsschrift genannten Adresse tatsächlich zu erreichen ist, ohne dort einen Wohnsitz begründet zu haben.
Im Übrigen hätte die Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg, weil der Antragsgegner nicht mehr in Besitz des Führerscheins des Antragstellers ist und ihn daher auch nicht herausgegeben kann. Für einen Anspruch auf Ausstellung eines entsprechenden Ersatzes für den Führerschein fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Dem Antragsteller wurde seine Fahrerlaubnis entzogen. Nach § 47 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) hat der Antragsteller seinen Führerschein unverzüglich der entscheidenden Behörde vorzulegen (hier der Stadt Erfurt). Ein Ersatzdokument für den Führerschein darf daher nicht ausgestellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
3. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren auf Herausgabe des Führerscheins bzw. Ausstellung eines Ersatzführerscheins ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren zu Recht abgelehnt, weil die Vor-aussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bot zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B. v. 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris Rn. 3 m. w. N.) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der gegen den Freistaat Bayern gerichtete Antrag auf Herausgabe des Führerscheins bzw. Ausstellung eines Ersatzführerscheins hatte keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Da die Polizeiinspektion Würzburg-Biebelried den Führerschein des Antragstellers im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags bereits an die für die Entziehung der Fahrerlaubnis zuständige Behörde zurückgesandt hatte, war der Antragsgegner bezüglich des Herausgabeanspruchs nicht passivlegitimiert. Ein Anspruch auf Ausstellung eines Ersatzführerscheins besteht nicht, wenn die Fahrerlaubnis entzogen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es insoweit nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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