Kosten- und Gebührenrecht

Feststellung der Erledigung eines Verfahrens

Aktenzeichen  L 11 AS 281/17

Datum:
7.3.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5267
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 159, § 160, § 162 Abs. 1 S. 3, § 165 S. 1, § 580
BGB § 119, § 123, § 133

 

Leitsatz

Keine Fortsetzung des Verfahrens vor dem Sozialgericht nach wirksamer Erledigterklärung einer Klage.

Verfahrensgang

S 10 AS 400/16 WA 2017-02-27 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.02.2017 wird zurückgewiesen
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass das Verfahren S 10 AS 84/16 erledigt ist.
Mit seinem Antrag, das Urteil des SG aufzuheben, begehrt der Kläger das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.02.2017 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 10 AS 84/16 vor dem Sozialgericht Würzburg fortzuführen ist. Dahin war der Berufungsantrag deshalb auszulegen (§ 123 SGG). Die Erklärung des Klägers, er sei mit der Niederschrift über den Erörterungstermin vom 06.07.2016 nicht einverstanden und habe seine Klage nicht zurückgenommen, hat das SG zu Recht als Antrag auf Fortsetzung des Klageverfahrens S 10 AS 214/16 ausgelegt (zur Auslegung: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 123 Rn 3). Das Verfahren S 10 AS 84/16 war jedoch nicht vor dem SG fortzusetzen.
Die im Erörterungstermin am 06.07.2016 vom Kläger abgegebene Erklärung, wonach er das Verfahren für erledigt erklärt hat, hat das Verfahren S 10 AS 84/16 beendet. Der Kläger hat, wie sich aus der Niederschrift in den Verfahren S 10 AS 84/16, S 10 AS 213/16 und S 10 AS 214/16 ergibt (§ 122 SGG iVm § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung -ZPO-), ausdrücklich das Verfahren für erledigt erklärt. Anhaltspunkte, dass er den Inhalt seiner Erklärung nicht verstanden haben könnte, sind weder ersichtlich noch von ihm behauptet. Die Erklärung wurde wirksam abgegeben. Zwar ist in der Niederschrift nicht vermerkt, dass der Wortlaut der Erklärung dem Kläger vorgelesen und von diesem genehmigt worden ist (§ 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO), dies nimmt aber dem Protokoll lediglich die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde, führt aber grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit der Erklärung (vgl dazu auch Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Auflage, § 162 Rn 2). Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass die Erklärung der Erledigung so vom Kläger im Erörterungstermin abgegeben worden ist. Er bestreitet lediglich pauschal die Abgabe der Erklärung, ohne dies weiter zu begründen. Insbesondere erscheint es im Hinblick auf die in der Niederschrift vor der Abgabe der Erklärung festgehaltenen Umstände, wonach sich die Beteiligten darauf verständigt hätten, dass hinsichtlich der Bescheide vom 22.09.2015, 29.11.2015 und 09.12.2015 nur noch ein Widerspruchsverfahren (W156/16) geführt werde und etwaige Einwendungen gegen den Änderungsbescheid vom 09.12.2015 in den laufenden Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 22.09.2015 und 29.11.2015 Berücksichtigung finden sollen, als die logische Konsequenz. Auch ist die Niederschrift im Übrigen den gesetzlichen Vorschriften entsprechend ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§ 122 SGG iVm §§ 159, 160 ZPO). Die Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich.
Als Prozesshandlung ist die einseitige Erledigterklärung im Sinne einer Rücknahme der Klage gemäß § 102 Abs. 1 SGG auszulegen (zu einer Erledigterklärung im Berufungsverfahren: Urteil des Senats vom 14.05.2014 – L 11 AS 387/11; allgemein dazu auch: BSG, Urteil vom 23.02.2017 – B 11 AL 2/16 R – jeweils veröffentlich in juris). Maßgebend ist der objektive Erklärungswert, der sich danach bestimmt, wie der Empfänger nach den Umständen die Erklärung verstehen muss, wobei § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend heranzuziehen ist (BayLSG, Urteil vom 29.11.2007 – L 10 AL 179/07 -veröffentlich in juris). Die Erledigterklärung des Klägers im Erörterungstermin am 06.07.2016 ist nach dem Empfängerhorizont als Rücknahme der Klage auszulegen und hat damit das Klageverfahren S 10 AS 84/16 beendet.
Der Kläger kann diese Erklärung weder entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) anfechten noch widerrufen. Sie ist eine gestaltende Prozesshandlung, auf die die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung nach allgemeiner Meinung nicht anwendbar sind (BayLSG, Urteil vom 29.11.2007 – aaO – mwN). Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Formerfordernisse unterliegt sie dem Prozessrecht und nicht dem materiellen Recht. Gründe für eine Irrtumsanfechtung sind im Übrigen auch nicht nachvollziehbar dargetan.
Restitutionsgründe im Sinne des § 179 Abs. 1 SGG iVm § 580 Nrn 1 bis 7 ZPO sind weder vorgetragen worden noch erkennbar. Anhaltspunkte für das Vorliegen der in den Nrn 1 bis 7 normierten Voraussetzungen des § 580 ZPO liegen nicht vor. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch nicht gemäß § 179 Abs. 2 SGG statthaft. Es ist kein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat.
Das Klageverfahren S 10 AS 84/16 ist damit wirksam durch die Erledigterklärung des Klägers beendet worden und war nicht fortzusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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