Kosten- und Gebührenrecht

Fiktive Terminsgebühr

Aktenzeichen  5 C 18.1932

Datum:
24.10.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28752
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 2 Abs. 2
VwGO § 84

 

Leitsatz

Der Anspruch eines Rechtsanwalts auf eine fiktive Terminsgebühr bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid besteht nur, wenn dieser im konkreten Fall einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können. Dies ist mangels Beschwer bei einem vollumfänglich stattgebenden Gerichtsbescheid nicht der Fall. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 M 18.1103 2018-08-16 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Erstattungsfähigkeit einer (fiktiven) Terminsgebühr.
Die Klägerin wandte sich im Ausgangsverfahren (Az. RO K 16.1414) gegen einen Bescheid der Beklagten, der den Entzug und die Beschränkung des Geltungsbereichs von Ausweispapieren zum Inhalt hatte. Mit Gerichtsbescheid vom 3. Januar 2018 wurde die Klage abgewiesen; die Kosten des Verfahrens wurden der Klägerin auferlegt. Ein Antrag auf Zulassung der Berufung oder auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde von keiner der Parteien gestellt.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 9. Januar 2018 machte der Bevollmächtigte der Beklagten Kosten in Höhe von 777,50 Euro geltend, die auch eine fiktive Terminsgebühr nach § 13 RVG, Nr. 3104 VV-RVG in Höhe von 363,60 Euro beinhalteten. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2018 setzte der Urkundsbeamte des Verwaltungsgerichts die außergerichtlichen Aufwendungen der Beklagten ohne die geforderte fiktive Terminsgebühr fest, weil der Gebührentatbestand nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG nicht gegeben sei. Gegen diese Entscheidung hat sich der Bevollmächtigte der Beklagten mit der Erinnerung gewandt, die das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. August 2018 zurückgewiesen hat.
Mit der am 27. August 2018 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenen Beschwerde verfolgt der Bevollmächtigte der Beklagten das Festsetzungsbegehren weiter.
Die Klägerin äußerte sich nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die nach § 146 Abs. 1 und 3 VwGO zulässige Beschwerde, über die der Senat in seiner vollen Besetzung entscheidet (BayVGH, B.v. 4.8.2016 – 4 C 16.755 – juris Rn. 10; OVG NRW, B.v. 17.7.2017 – 19 E 614/16 – juris Rn. 1), bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2018 zu Recht zurückgewiesen. Die hiergegen im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände führen zu keiner anderen Beurteilung.
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG nicht vorliegen, weil die Beklagte nach Ergehen des klageabweisenden Gerichtsbescheids keinen – zulässigen – Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) stellen konnte.
a) Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Stets erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, die sich nach dem in Anlage 1 zum RVG enthaltenen Vergütungsverzeichnis (VV-RVG) bemessen. Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV-RVG entsteht die Terminsgebühr für die tatsächliche Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen oder außergerichtlichen Terminen und Besprechungen. Darüber hinaus regelt das Vergütungsverzeichnis Ausnahmetatbestände, zu denen auch Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG zählt, in denen eine – fiktive – Terminsgebühr auch ohne die Wahrnehmung eines Termins gezahlt wird. Nach dieser Regelung entsteht die Terminsgebühr auch dann, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
b) Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Beklagten hat bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur derjenige Rechtsanwalt einen Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG, der im konkreten Fall einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können. Da die Beklagte in erster Instanz vollumfänglich obsiegt hatte, wäre ein dennoch gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung mangels Beschwer unzulässig gewesen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2018 wurde daher ihrem Bevollmächtigen zu Recht keine fiktive Terminsgebühr zugesprochen.
Der Einwand des Bevollmächtigten der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe in unzulässiger Weise einen klaren gesetzlichen Wortlaut mit Verweis auf vermeintlich festgestellte gesetzgeberische Motive missachtet, greift nicht. Denn der Wortlaut in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob nur ein zulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung den Gebührentatbestand erfüllt, d.h. die Terminsgebühr nur derjenige Prozessbevollmächtigte beanspruchen kann, dessen Partei das Recht auf mündliche Verhandlung zusteht, oder ob auch ein lediglich theoretisches Antragsrecht und somit ein Antragsrecht irgendeines Beteiligten ausreicht (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 38). Der Regelungsinhalt ist daher – wie vom Verwaltungsgericht vorgenommen – durch Auslegung zu ermitteln.
Ein lediglich theoretisches Antragsrecht ist mit Sinn und Zweck der mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergänzten Ausnahmevorschrift nicht vereinbar. Der Gebührentatbestand in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG soll ebenso wie die übrigen Nummern diese Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Der Rechtsanwalt soll die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, 19171 Rn. 13; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 38a). Auch die Entstehungsgeschichte der in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG getroffenen Regelung spricht für dieses Normverständnis. Während nach der bis zum 31. Juli 2013 gültigen Vorgängerfassung die fiktive Terminsgebühr bereits entstand, „wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird“, wurde mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz im Jahr 2013 (BGBl. I S. 2586) Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG insoweit ergänzt, als die Gebühr nur entsteht, wenn durch Gerichtsbescheid entschieden wird „und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 275) sollte die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann. Dies ist jedoch nur dem Beteiligten möglich, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist. Ein ohne Beschwer gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung wäre durch Beschluss als unzulässig abzulehnen (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 84 Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 37; BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 1 C 15.01 – juris Rn. 10). Würde man der Auffassung des Bevollmächtigen der Beklagten folgen, wonach für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr das Antragsrecht irgendeines Beteiligten ausreichen soll, wäre die Ergänzung des Gebührentatbestands um den Zusatz „und ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden kann“ obsolet, da die Terminsgebühr in diesem Fall in Übereinstimmung mit der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Rechtslage allein dadurch entstehen würde, dass der Instanzenzug mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid abgeschlossen wurde. Die an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Vorschrift führt zwar dazu, dass trotz gleicher Beteiligung am Prozess nur der unterliegende Beteiligte eine fiktive Terminsgebühr beanspruchen kann. Für diese Ungleichbehandlung besteht aber ein rechtfertigender sachlicher Grund, weil nur die zumindest teilweise unterlegene Partei über die Möglichkeit verfügt, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, 19171 Rn. 16).
Der in diesem Sinn vorgenommenen teleologischen Einschränkung stehen die vom Bevollmächtigten der Beklagten dargelegten gesetzgeberischen Motive des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes nicht entgegen. Die mit diesem Gesetz bezweckte Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung an die gestiegenen Kosten und an die allgemeine Einkommensentwicklung war nur eines von mehreren Zielen des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, das auch anderweitige strukturelle Änderungen und Korrekturen zum Inhalt hat (vgl. BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 2).
c) Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Beklagten hat das Verwaltungsgericht den Anwendungsbereich von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG nicht auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt. Es hat unter Bezugnahme auf die insoweit widersprüchliche Gesetzesbegründung lediglich die unterschiedlichen Möglichkeiten einer teleologischen Auslegung von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG erörtert und dargelegt, dass auch für den Fall, dass man der in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen Auffassung folgte, der Anwendungsbereich von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG sei auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt, im vorliegenden Fall eine fiktive Terminsgebühr nicht zu gewähren wäre.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedurfte es nicht, weil für das Verfahren eine Festgebühr von 60 Euro vorgesehen ist (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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