Aktenzeichen W 3 M 18.31764
VV RVG Nr. 3104
Leitsatz
1 Für das Entstehen einer Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG kommt es allein darauf an, ob gegen einen Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft ist, nicht dagegen, ob kein anderes Rechtsmittel als der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben ist (entgegen VG Regensburg BeckRS 2016, 49111 und VG Schleswig BeckRS 2015, 54993). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Voraussetzungen für die fiktive Terminsgebühr müssen nur im Verfahren überhaupt gegeben sein – ungeachtet bei welcher Seite sie vorliegen -, damit der Gebührentatbestand erfüllt wird (Anschluss an VG Magdeburg BeckRS 2017, 140892). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. Juni 2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt die Erinnerungsführerin. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Im Verfahren W 3 K 16.30895 wurde die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2018 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und die Kosten des Verfahrens der Beklagten auferlegt.
Auf Antrag des Klägerbevollmächtigten erließ die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Würzburg einen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. Juni 2018 und setzte die Kosten antragsgemäß inklusive einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG fest.
Hiergegen beantragte die Erinnerungsführerin (frühere Beklagte) mit Schriftsatz vom 29. Juni 2018 die Entscheidung des Gerichts. Eine Terminsgebühr sei nicht entstanden. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG umfasse nur Gerichtsbescheide im Sinne des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut und aus der Gesetzesbegründung. Zudem fehle es vorliegend an der Tatbestandsvoraussetzung, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Ein solcher Antrag könne vorliegend nicht gestellt werden, weil er offensichtlich unzulässig gewesen wäre, weil der Kläger nicht beschwert worden sei. Es wurde eine Vielzahl von Entscheidungen aus der Rechtsprechung zitiert.
Mit Nichtabhilfeentscheidung vom 24. August 2018 legte die Urkundsbeamtin dem Gericht die Erinnerung zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Das Gericht entscheidet über die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. Juni 2018 in der Besetzung, in der die zu Grunde liegende Kostenentscheidung getroffen wurde (BayVGH, B.v. 19.1.2007 – 24 C 06.2426 – BayVBl 2008, 417), somit vorliegend durch den Einzelrichter.
Die zulässige Erinnerung (§§ 165, 151 VwGO) ist nicht begründet.
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, denn gegen den Gerichtsbescheid vom 2. März 2018 hätte ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gerichtsbescheid der Klage vollständig stattgegeben hat. Soweit das erkennende Gericht dies in früheren Erinnerungsverfahren (z.B. W 3 M 16.50054) anders entschieden hat, wird daran nicht mehr festgehalten.
Zunächst gilt Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nicht nur für die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
Für das Entstehen einer Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG kommt es allein auf darauf an, ob gegen einen Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft ist, nicht dagegen ob kein anderes Rechtsmittel als der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben ist (a.A. VG Regensburg, B.v. 27.6.2016 – RO 9 M 16.929 – juris und VG Schleswig-Holstein, B.v. 13.11.2015 – 12 A 30/15). Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG ist bereits vom Wortlaut her nicht auf Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt, sondern bezieht sich allgemein auf § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO und damit zunächst auf alle Gerichtsbescheide. Sinn und Zweck der Vorschrift ist zudem die Vermeidung von mündlichen Verhandlungen, die ausschließlich im Gebühreninteresse erfolgen. Auch dies spricht dagegen, das Entstehen einer Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu beschränken. Denn eine mündliche Verhandlung kann auch bei Entscheidungen nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO erzwungen werden. Das Gericht folgt insoweit der ausführlichen Begründung im Beschluss des VG Oldenburg vom 27. Juli 2017 (Az.: 1 E 5687/17 – juris).
Desweiteren entfällt die Terminsgebühr auch nicht deswegen, weil die Kläger durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert sind.
Der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG ist nicht dahingehend zu verstehen, dass derjenige, der die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG beansprucht, auch derjenige sein muss, der einen (zulässigen) Antrag auf mündliche Verhandlung stellen können muss. Durch den Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, der von „Parteien oder Beteiligten“ spricht, wird deutlich, dass zumindest die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG für beide Seiten gilt und die Voraussetzungen – ungeachtet bei welcher Seite sie vorliegen – nur im Verfahren überhaupt gegeben sein müssen, damit der Gebührentatbestand erfüllt wird und die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht (vgl. VG Magdeburg, B.v.15.11.2017 – 5 E 485/17 – BeckRS 2017, 140892).
Die Erinnerung war somit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG zurückzuweisen.