Kosten- und Gebührenrecht

Keine Gerichtskostenerhebung ohne Streitwertfestsetzung

Aktenzeichen  L 15 SF 230/14 E

Datum:
9.4.2016
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GKG GKG § 66 Abs. 1, § 71

 

Leitsatz

1. Ist der der Erhebung von Gerichtskosten zugrunde liegende Streitwertbeschluss aufgehoben worden, ist schon deshalb eine Gerichtskostenfeststellung aufzuheben. (amtlicher Leitsatz)
Der gerichtliche Streitwertbeschluss ist unverzichtbare Grundlage für die Gerichtskostenfeststellung; wird dieser ersatzlos aufgehoben, dürfen Gerichtskosten nicht festgestellt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 21 SF 57/12 2014-08-06 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 6. August 2014 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Streitig ist eine Gerichtskostenfeststellung des Kostenbeamten in einem Verfahren nach § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Das unter dem Aktenzeichen S 43 KA 1275/02 beim Sozialgericht (SG) München geführte Klageverfahren der Erinnerungsführer und jetzigen Beschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdegegner) gegen die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns wurde durch Klageerhebung am 11.06.2002 eingeleitet. Mit Beschluss vom 29.07.2005 wurde das Klageverfahren zum Ruhen gebracht. Nach sechsmonatigem Ruhen wurde es mit Abschlussverfügung vom 27.02.2006 als nach der Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in der Sozialgerichtsbarkeit (SG-Statistik) erledigt betrachtet und das Weglegen der Akten verfügt.
Mit Beschluss vom 08.06.2011 setzte das SG den Streitwert auf 148.095,79 € fest, wobei dieser Beschluss später vom Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit Beschluss vom 22.04.2014, Az.: L 12 KA 99/12 B, (ersatzlos) aufgehoben wurde.
Mit Gerichtskostenfeststellung vom 09.06.2011 setzte der Kostenbeamte des SG, ausgehend von dem im Beschluss des SG vom 08.06.2011 festgesetzten Streitwert, Gerichtkosten in Höhe von insgesamt 1.156,- € fest. Er legte dabei den Gebührentatbestand nach Nr. 4110 Kostenverzeichnis (KV) der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz (GKG) (KV GKG) und die Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 KV GKG zugrunde.
Dagegen haben die Beschwerdegegner mit Schreiben vom 05.09.2011 und der Begründung, die Gerichtskostenforderung sei verjährt, Erinnerung eingelegt.
Das SG hat der Erinnerung mit Beschluss vom 06.08.2014 stattgegeben und die Aufhebung der Gerichtskostenfeststellung vom 09.06.2011 damit begründet, dass weder eine unbedingte Entscheidung des SG über die Kosten ergangen noch das Klageverfahren beendet sei und daher die Fälligkeit der Gebühren gemäß § 63 Abs. 1 a. F. GKG noch nicht vorliege. Für den Fall, dass im Ruhen des Klageverfahrens und der fehlenden Verfahrensfortführung eine anderweitige Verfahrenserledigung gesehen werden sollte, hat das SG darauf hingewiesen, dass dann die Gerichtskostenforderung gemäß § 10 Abs. 1 a. F. GKG verjährt sei.
Dagegen hat der Bezirksrevisor (im Folgenden: Beschwerdeführer) Beschwerde erhoben und diese sinngemäß damit begründet, dass in dem zugrunde liegenden Klageverfahren nicht mit einer Fortführung zu rechnen und daher nicht absehbar sei, wie das Hauptsachegericht auf diesen Umstand reagieren werde. Sinngemäß sieht der Beschwerdeführer keine Aussicht darauf, dass das Klageverfahren einer ordnungsgemäßen kostenrechtlichen Schlussbehandlung zugeführt werden könne, wenn der Ansicht des SG gefolgt werde. Unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 27.01.2015, Az.: L 15 SF 162/12 B, vertritt er die Ansicht, dass von einer Verjährung nicht ausgegangen werden dürfe, weil eine Aufhebung der Verjährung durch ein späteres Ereignis der Rechtsordnung fremd sei.
Der Senat hat die Akten des SG zum Hauptsacheverfahren, zum Beschwerdeverfahren wegen der Streitwertfestsetzung und zum Erinnerungsverfahren beigezogen.
II.
Die gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das SG hat im Ergebnis zutreffend mit Beschluss vom 06.08.2014 die Gerichtskostenfeststellung vom 09.06.2011 aufgehoben.
Die Erhebung von Gerichtskosten am 09.06.2011 ist schon deshalb unzulässig geworden, weil es infolge des Beschlusses des Bayer. LSG vom 22.04.2014, Az.: L 12 KA 99/12 B, an einer Streitwertfestsetzung als Grundlage für den Kostenansatz fehlt. Die Frage, ob die Gerichtskostenforderung zum Zeitpunkt ihrer Erhebung am 09.06.2011 entweder noch nicht fällig oder bereits verjährt gewesen ist – damit hat das SG seine Entscheidung begründet -, ist daher nicht mehr entscheidungserheblich.
1. Anzuwendende Fassung des GKG
Die Frage, welche gesetzlichen Regelungen der Erhebung von Gerichtskosten zugrunde zu legen sind, hat der Gesetzgeber mit den Übergangsvorschriften der §§ 71 f. GKG geregelt. Danach ist die zum Zeitpunkt des Eingangs der Klage maßgebliche Rechtslage zugrunde zu legen.
2. Prüfung der Gerichtskostenfeststellung
Die Gerichtskostenfeststellung vom 09.06.2011 war schon deswegen aufzuheben, weil eine Streitwertfestsetzung als Grundlage für den Kostenansatz nicht (mehr) vorliegt.
Der als Grundlage für die Gerichtskostenfeststellung vom 09.06.2011 herangezogene Beschluss des SG vom 08.06.2011, mit dem der Streitwert auf 148.095,79 € festgesetzt worden war, ist mit Beschluss des Bayer. LSG vom 22.04.2014, Az.: L 12 KA 99/12 B, (ersatzlos) aufgehoben wurde. Damit ist rückwirkend eine unverzichtbare Grundlage für die Gerichtskostenfeststellung vom 09.06.2011 entfallen.
Da bereits mangels Streitwertfestsetzung die Gerichtskostenfeststellung aufzuheben war, kommt es für die Entscheidung auf die Fragen der Fälligkeit und Verjährung, die die wesentliche Grundlage der Entscheidung des SG waren, überhaupt nicht mehr an.
3. Abschließende Hinweise des Senats
Der Senat erlaubt sich, ohne dass dies entscheidungserheblich wäre, folgende Hinweise:
3.1. Für den Senat ist es nachvollziehbar, dass die vorliegende Situation aus Sicht der Staatskasse mit Blick auf das berechtigte Interesse an der Erhebung der Gerichtskosten unbefriedigend ist.
Einerseits haben die Beschwerdegegner mit ihrer Klage gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen, die eine Gerichtskostenpflicht auslöst. Andererseits liegt es sehr nahe, dass es nie zu einem Abschluss des Klageverfahrens in Form einer Erledigung des Verfahrens im prozessrechtlichen Sinn, also insbesondere durch einen Prozessvergleich (§ 101 Abs. 1 SGG), ein angenommenes Anerkenntnis (§ 101 Abs. 2 SGG), eine Klagerücknahme (§ 102 SGG) oder eine übereinstimmende Erledigungserklärung, kommen wird. Insofern ist es mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass es trotz der Gerichtskostenpflichtigkeit in dem zugrunde liegenden Klageverfahren zu einer Erhebung der Gerichtskosten nicht mehr kommen wird.
Eine Lösung dieses Problems außerhalb des Kompetenzbereichs des Hauptsachegerichts ist aber nicht möglich.
Auf diesen Gesichtspunkt, nämlich dass lediglich das SG als Hauptsachegericht die Grundlagen für die Erhebung der Gerichtskosten schaffen kann, hat auch das Bayer. LSG in seiner Beschwerdeentscheidung vom 22.04.2014, Az.: L 12 KA 99/12 B, zum Streitwertbeschluss des SG hingewiesen, wenn es am Ende seines Beschlusses Folgendes ausgeführt hat:
„Das Sozialgericht hat abzuwarten, bis eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder die Verfahren sich anderweitig erledigt haben, bevor endgültig über den Streitwert entschieden werden kann. Zu diesem Zeitpunkt ist dann auch eine Kostengrundentscheidung zu treffen.“
Ob das SG als Hauptsachegericht die Grundlagen für eine Erhebung der Gerichtskosten schaffen wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin sind dem Kostenbeamten die Hände gebunden.
3.2. Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass Probleme wie das vorliegende auf einen begrenzten Zeitraum in der Vergangenheit beschränkt sind.
Mit dem gemäß Art. 8 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) zum 01.07.2004 in Kraft getretenen KostRMoG ist das Recht zur Fälligkeit im GKG neu geregelt worden. Es sind dabei mit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GKG auch für das sozialgerichtliche Verfahren sofort, d. h. mit der Einreichung der Klageschrift, fällige Gerichtskosten eingeführt worden, die es weitgehend verhindern, dass es zu einer Situation, wie sie dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegt, kommen kann. Es liegt für den Senat nicht fern, dass dem Gesetzgeber bei der Änderung des GKG auch die aus § 61 a. F. GKG resultierende unbefriedigende Konstellation, wie sie hier streitgegenständlich ist, bewusst war, auch wenn er dies in der Gesetzesbegründung nicht explizit zum Ausdruck gebracht hat und die Änderung nur knapp wie folgt begründet hat (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG] – Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 152 – zu § 6 GKG):
„Die frühzeitige Fälligkeit der Verfahrensgebühr wird nunmehr auch für die Prozessverfahren vor den Gerichten der … Sozialgerichtsbarkeit vorgeschlagen.“
Das LSG hat über die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 Satz 1 GKG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Er ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 66 Abs. 8 GKG).

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