Kosten- und Gebührenrecht

Keine Gewährung der Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat

Aktenzeichen  L 16 AS 222/16 B PKH

Datum:
24.8.2016
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 19, § 20, § 23
SGB XII SGB XII § 28, § 28a
SGG SGG § 73a, § 172 Abs. 3 Nr. 2, § 173, § 177
ZPO ZPO § 114, § 121 Abs. 2 S. 1, § 127 Abs. 4

 

Leitsatz

1. § 28 SGB XII enthält keine Umsetzungsfrist. Der Gesetzgeber muss den das Existenzminimum sichernden Leistungsanspruch fortwährend überprüfen (BVerfGE 125, 175 m. w. N.). Die Ergebnisse einer neuen EVS müssen zeitnah berücksichtigt werden. (amtlicher Leitsatz)
2 Nach einer summarischen Prüfung bestehen keine Zweifel daran, dass durch die Leistungen nach dem SGB II das Existenzminimum in ausreichender Höhe gesichert wird. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 46 AS 273/16 2016-02-18 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 18. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Zwischen den Beteiligten ist in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht München die Gewährung eines höheren Regelbedarfs nach § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Januar bis März 2016 streitig.
Die 1981 geborene Klägerin zu 1 lebt zusammen mit ihrer 2008 geborenen Tochter, der Klägerin zu 3, in einer Bedarfsgemeinschaft. Die 2002 geborene Klägerin zu 2 ist, nach den Angaben des Beklagten, seit dem 01.12.2015 nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2015 wurden der Klägerin zu 1 und zu 3 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.10.2015 bis 31.03.2016 bewilligt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 29.11.2015 wurden die Leistungen für Januar bis März 2016 neu berechnet, da der Regelbedarf zum 01.01.2016 neu festgesetzt wurde und sich die Höhe des Kindergeldes geändert habe. Für die Klägerin zu 1 wurde der Berechnung der Leistungen ein Regelbedarf in Höhe von 404 € (§ 20 SGB II) zugrunde gelegt und für die Klägerin zu 3 ein Regelbedarf-Sozialgeld in Höhe von 270 € (§ 19 i. V. m. § 23 SGB II).
Gegen den Änderungsbescheid vom 29.11.2015 legte der Bevollmächtigte der Klägerinnen für alle drei Klägerinnen Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2016 zurückgewiesen wurde. Der Widerspruch sei nicht begründet worden, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei nicht erkennbar. Bei dem Bescheid handle es sich um einen von der Zentrale automatisch übersandten Änderungsbescheid aufgrund der Erhöhung der Regelbedarfe ab dem 01.01.2016.
Mit Schreiben vom 01.02.2016 erhob der Prozessbevollmächtigte ausdrücklich im Namen der drei Klägerinnen Klage zum Sozialgericht München und beantragte den Bescheid vom 29.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Klägern die ihnen nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zustehenden Leistungen zu bewilligen. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Regelsatzerhöhung zum 01.01.2016 nicht gesetzeskonform sei und dem Grunde nach verfassungswidrig. Die Bundesregierung habe die Regelsätze auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstatistik 2008 (EVS 2008) fortgeschrieben. Die Regelsätze hätten allerdings anhand der EVS 2013 grundlegend neu berechnet werden müssen. Die EVS 2013 sei am 10.09.2015 vom statistischen Bundesamt veröffentlicht worden. Das Bundesverfassungsgericht habe den Gesetzgeber verpflichtet die Entwicklung der Strompreise zeitnah anzupassen. Zugleich beantragte der Bevollmächtigte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Mit Beschluss vom 18.02.2016 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da der Rechtsstreit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
Gegen diesen Beschluss hat der Bevollmächtigte am 24.03.2016 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung der Beschwerde die Klagebegründung wiederholt.
Nach Aufforderung bezifferte der Bevollmächtigte der Klägerinnen seinen Antrag. Der Streitgegenstand betreffe den Zeitraum Januar bis März 2016. Der Beschwerdewert betrage 1170 €. Als zusätzlichen Regelbedarf würden monatlich pro Klägerin 130 € geltend gemacht.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 13.07.2016 wurde der Bevollmächtigte der Klägerinnen darauf hingewiesen, dass der angegriffene Bescheid lediglich gegenüber den Klägerinnen zu 1 und zu 3 ergangen sei. Außerdem wurde er gebeten die zur Ermittlung des Streitwerts angegebenen Beträge näher zu erläutern, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in die Berechnung des Beschwerdewertes solche Begehren nicht mit eingehen würden, die ohne erkennbaren Grund verfolgt würden. Eine weitere Äußerung des Bevollmächtigten der Klägerinnen ist ausgeblieben.
Der Beklagte hat zur Erwiderung auf die den erstinstanzlichen Beschluss tragenden Gründe verwiesen und beantragt die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Auch wenn der Senat Zweifel hat, dass der Bevollmächtigte der Klägerinnen seinen Antrag nicht vor dem Hintergrund des Erreichens des Beschwerdewertes gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG mit 1170 € beziffert hat, da er trotz Aufforderung nicht erläutert hat, wie sich der genannte Betrag zusammensetzt, geht der Senat davon aus, dass die Beschwerde statthaft ist.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
Nach § 73a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Die Beschwerde ist unbegründet, weil die Klage nach summarischer Prüfung ohne Erfolgsaussicht ist. Die nach § 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht des Klageverfahrens ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Antrag auf Prozesskostenhilfe zu verneinen.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist stets gegeben, wenn der Rechtsstandpunkt der Klägerinnen aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zumindest vertretbar gehalten werden kann und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit der Beweisführung besteht (vgl. Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 73a Rn. 7a).
Hinsichtlich der von der Klägerin zu 2 erhobenen Klage ist festzuhalten, dass diese bereits keine Erfolgsaussicht haben kann, da die Klägerin zu 2 nicht Adressatin des angefochtenen Verwaltungsaktes ist. Die Klägerin zu 2 ist nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen zu 1 und zu 3.
Für die Klage der Klägerin zu 1 und 3 wegen der Erhöhung der Regelsätze zum 01.01.2016 ist eine Erfolgsaussicht nicht erkennbar. Die Klägerinnen zu 1 und 3 erhalten die ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen nach dem SGB II. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass ihnen ein höherer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zusteht, weil der Regelbedarf zum 01.01.2016 so niedrig festgesetzt wurde, dass das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung von Art und Höhe der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums. Der Gesetzgeber hat einen Entscheidungsspielraum bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs (Bundesverfassungsgericht – BVerfG-, Beschluss vom 23.07.2014 -1 BvL10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 -, BVerfGE 137, 34-103, Rn. 76). Grundsätzlich schreibt das Grundgesetz dem Gesetzgeber auch keine bestimmte Methode vor um die Höhe des Regelbedarfs zu ermitteln (BVerfG, a. a. O., Rn. 78).
Der Bevollmächtigte der Klägerinnen rügt in seiner Klagebegründung, dass die am 10.09.2015 veröffentlichten Ergebnisse der EVS 2013 nicht bei der Regelsatzerhöhung zum 01.01.2016 berücksichtigt wurde. Hierzu sei die Bundesregierung nach § 28 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zwingend verpflichtet. Eine Fortschreibung der Regelsätze auf der Basis der EVS 2008 nach § 28a SGB XII sei verfassungswidrig.
Nach § 28 Abs. 1 SGB XII wird die Höhe des Regelbedarfs in einem Bundesgesetz neu ermittelt, wenn die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen.
Diese Vorschrift sieht zwar bei Vorliegen der Ergebnisse einer neuen EVS eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuermittlung der Regelbedarfshöhe vor, aber anders als etwa § 28a Abs. 1 SGB XII bestimmt sie für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen keinen festen Zeitpunkt. Bei der Umsetzung des § 28 Abs. 1 SGB XII durch den Gesetzgeber ist zu berücksichtigen, dass zum einen zur Umsetzung eine Sonderauswertung der EVS 2013 erforderlich ist und zum anderen ein Gesetzgebungsverfahren eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt (Gutzler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 28 SGB XII, Rn. 26). Vor diesem Hintergrund enthält § 28 Abs. 1 SGB XII keine Umsetzungsfrist. Auch wenn zu beachten ist, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG, der das Existenzminimum deckende Leistungsanspruch fortwährend zu überprüfen und weiterzuentwickeln ist ( BVerfG v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – juris Rn. 140 – BVerfGE 125, 175 m.w.N). Daher ist der Bundesgesetzgeber gehalten, die Ergebnisse einer neuen EVS zeitnah in die Berechnung des Regelbedarfes einfließen zu lassen.
Es ist bereits nicht erkennbar, ob eine verzögerte Anpassung des Regelbedarfs an die Ergebnisse der EVS 2013 vorliegt. Dem Senat ist der aktuelle Stand der Gesetzgebung nicht bekannt ebenso wenig wie der Umstand, seit wann der Bundesregierung die Sonderauswertung der EVS 2013 vorliegt. Der Bevollmächtigte der Klägerinnen macht hierzu keine Angaben. Aus einer Antwort auf eine Anfrage im Bundestag vom 16.11.2015 geht hervor, dass zumindest im November 2015 die Ergebnisse der Sonderauswertung dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorlag (BT-Drs. 18/6760, Seite 25).
Der Senat hat nach summarischer Prüfung keine Zweifel daran, dass durch die Leistungen nach dem SGB II das Existenzminimum der Klägerinnen in ausreichender Höhe gesichert wird. Der Regelbedarf wurde letztmals zum 01.01.2016 um 1,24% gemäß § 28a SGB XII erhöht. Zum 01.01.2011 wurden die Regelsätze auf der Grundlage der EVS 2008 neu festgesetzt und in den Folgejahren mit der Änderungsrate des Mischindexes (§ 28a Abs. 2 Satz 1 SGB XII) fortgeschrieben. 2012 betrug die Erhöhung 1,99%, 2013 2,26%, und im Jahr 2014 2,27%. Im Vergleich hierzu erhöhte sich der Verbraucherpreisindex im Jahr 2012 um 2%, im Jahr 2013 um 1,5% und im Jahr 2014 um 0,9% (vgl. BT-Drs. 18/6552 Seite 6 und 7). Von diesen Zahlen kann nicht ohne weiteres auf eine Bedarfsunterdeckung des Existenzminimums geschlossen werden. Eine ausreichende Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens ist folglich nicht gegeben und die Beschwerde ist zurückzuweisen.
Eine Kostenentscheidung unterbleibt im Beschwerdeverfahren gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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