Kosten- und Gebührenrecht

Keine Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der geltend gemacht wird, dass der seit 01.01.2016 geltende Regelbedarf zu niedrig festgesetzt wurde

Aktenzeichen  L 18 AS 405/16 B PKH

Datum:
21.7.2016
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XII SGB XII § 28, § 28a
SGB II SGB II § 20 V
SGG SGG § 73a

 

Leitsatz

1. Zu den Erfolgsaussichten einer Klage, mit der geltend gemacht wird, dass der seit 01.01.2016 geltende Regelbedarf zu niedrig festgesetzt wurde. (amtlicher Leitsatz)
Das SGB XII sieht keinen festen Zeitpunkt für die Neufestsetzung der Regelbedarfsstufen nach § 28 SGB XII vor. (redaktioneller Leitsatz)
Vor Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens nach § 28 Abs. 1 SGB XII sind gemäß § 28 Abs. 3 SGB XII auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) umfangreiche Sonderauswertungen durchzuführen, woraus sich nachvollziehbar ergibt, weshalb die Neuermittlung des Regelbedarfs aus der EVS 2013 bislang noch nicht zum Abschluss gebracht werden konnte. (redaktioneller Leitsatz)
Dieses gesetzliche Verfahren zur Ermittlung des Regelbedarfs steht im Einklang mit der Verfassung (vgl. BVerfG BeckRS 2014, 55837). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 01.06.2016 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Kläger (Beschwerdeführer) steht beim Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Am 28.01.2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag. Mit Bescheid vom 02.03.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum März 2016 bis Februar 2017. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2016 zurückgewiesen wurde. Am 15.04.2016 und am 21.04.2016 ergingen Änderungsbescheide des Beklagten für den Bewilligungszeitraum.
Bereits am 11.04.2016 hatte der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt,
1. den Bescheid vom 02.03.2016 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2016 aufzuheben.
2. dem Kläger einen gesetzeskonformen Regelsatz im Sinne des § 20 Abs. 5 Satz 2 SGB II i. V. m. § 28 Abs. 1 SGB XII bzw. § 28 SGB XII ab dem 01.01.2016 zu gewähren.
Zugleich hat er beantragt,
ihm Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von RA R., A-Stadt zu gewähren.
Mit Beschluss vom 01.06.2016 hat das SG den Antrag auf Gewährung von PKH und auf Beiordnung von RA R. abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Beklagte habe die Regelleistung auf der Grundlage der derzeit geltenden Rechtsnormen festgesetzt. Das SG habe keinen Zweifel daran, dass diese Vorschriften verfassungskonform seien.
Hiergegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, dass der Regelsatz in rechts- bzw. verfassungswidriger Weise bislang nicht auf der Grundlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2013 angepasst worden sei.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb eines Monats ab Zustellung des angegriffenen Beschlusses erhoben worden (§ 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Ein Ausschlussgrund im Sinne von § 172 Abs. 3 SGG liegt nicht vor; insbesondere hat das SG seine Ablehnung der Bewilligung von PKH nicht auf das Fehlen der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen gestützt.
Die Beschwerde ist aber unbegründet, weil das SG im Ergebnis zu Recht den Antrag auf PKH mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt hat.
Nach § 73a Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der PKH erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Dabei ist der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) zu beachten. Deshalb dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 07.04.2000 – 1 BvR 81/00, NJW 2000, 1936). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 73a Rn. 7, 7a) bzw. wenn die Erfolgsaussicht nicht nur eine entfernte ist (vgl. z. B. BVerfG vom 13.07.2005 – 1 BvR 175/05; BVerfGE 81,347,7 f.; st.Rspr.). Denn der Zweck der PKH, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zum Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko mitberücksichtigt (BVerfG, BVerfGE 81, 347, 356 ff = NJW 1991, 413 f; BVerfG FamRZ 1993, 664, 665).
Auch unter Zugrundelegung dieser weiten Auslegung des § 114 ZPO ist eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zu verneinen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat der Kläger keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfs für den Bewilligungszeitraum März 2016 bis Februar 2017 und damit auch keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Erfolgsaussicht ist daher allenfalls eine entfernte.
Die Regelsätze i. S. d. § 20 Abs. 1 bis 4 SGB II werden gem. § 20 Abs. 5 S. 2 i. V. m. § 28 SGB XII und dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) neu ermittelt oder, soweit eine Neuermittlung nicht erfolgt, gem. § 20 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 28a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) jährlich angepasst. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt jeweils spätestens zum 1. November eines Kalenderjahres die Höhe der Regelbedarfe, die für die folgenden zwölf Monate maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt (§ 20 Abs. 5 S. 3 SGB II).
Gemäß Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2016 vom 22.10.2015 wird ab 01.01.2016 ein Regelbedarf nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II in Höhe von monatlich 404,00 € ab 01.01.2016 anerkannt. Diesen Regelbedarf hat der Beklagte dem angefochtenen Bewilligungsbescheid vom 02.03.2016 zugrunde gelegt.
Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung des Regelbedarfs rechts- bzw. verfassungswidrig erfolgt wäre, sieht der Senat derzeit nicht.
Der genannte Regelbedarf in Höhe von monatlich 404,00 € wurde gemäß § 20 Abs. 5 Satz 1 SGB II i. V. m. § 28a SGB XII aus der im Jahr 2015 festgesetzten Regelbedarfsstufe für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, in Höhe von 399,00 € zum 01.01.2016 mit einer Veränderungsrate von 1,24% fortgeschrieben. Die Fortschreibung erfolgte zutreffender Weise, weil eine Neuermittlung des Regelbedarfs durch den Gesetzgeber nach § 28 SGB XII bislang nicht erfolgt ist. Diese hätte entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht zum 01.01.2016 erfolgen müssen; das Gesetz sieht keinen festen Zeitpunkt für die Neufestsetzung der Regelbedarfsstufen vor (vgl. Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 28 Rn. 26). Insbesondere hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Neuermittlung durch den Gesetzgeber oder die am Ermittlungsverfahren beteiligten Behörden verschleppt worden wäre. Wie der Kläger selbst vorträgt, lag das Ergebnis der bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 des Statistischen Bundesamtes im Herbst 2015 vor. Allerdings sind vor Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens nach § 28 Abs. 1 SGB XII gemäß § 28 Abs. 3 SGB XII auf Grundlage der EVS zunächst auch noch umfangreiche Sonderauswertungen durchzuführen. Aus diesen Umständen ergibt sich nachvollziehbar, weshalb die Neuermittlung des Regelbedarfs aus der EVS 2013 bislang noch nicht zum Abschluss gebracht werden konnte. Das beschriebene gesetzliche Verfahren zur Ermittlung des Regelbedarfs steht auch im Einklang mit der Verfassung (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschl. v. 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13). Soweit der Kläger seine Klage darauf stützt, dass die Regelbedarfsstufen ab Januar 2016 nach einer Expertise des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V. vom Dezember 2015 zu niedrig festgelegt worden seien, überzeugt das den Senat nicht. Denn die Expertise stützt sich in erster Linie darauf, dass der Regelbedarf 2011 infolge einer Reihe von willkürlichen Eingriffen in die statistischen Grundlagen der EVS 2008 fehlerhaft festgelegt worden sei und die dadurch entstandene Bedarfsunterdeckung durch die Fortschreibung des Regelbedarfs in den Folgejahren von Jahr zu Jahr gewachsen sei. Dem steht aber gegenüber, dass nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 12/12 R) die Höhe des Regelbedarfs ab 01.01.2011 nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen worden ist. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde der Paritätische Gesamtverband bereits mit seiner Einwendung, dass die Regelungen zur Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs für 2011 und 2012 verfassungswidrig seien, gehört. Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 23.07.2014 ausgeführt habe, dass der Gesetzgeber bei einer offensichtlichen und erheblichen Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter zeitnah reagieren muss und nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten darf, führt dies zu keiner anderen Einschätzung der Erfolgsaussichten der Klage. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine solche offensichtliche und erhebliche Diskrepanz eingetreten wäre. Auch der Kläger hat – insbesondere für die von ihm ausdrücklich erwähnten Bereiche „Haushaltsstrom“, „Mobilität“ und „langlebige Konsumgüter“ – keine Belege dafür genannt, dass trotz der jährlichen Fortschreibung des Regelbedarfs innerhalb der letzten zwei Jahre eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen entstanden wäre, auf die der Gesetzgeber vorzeitig durch eine Neufestsetzung des Regelbedarfs hätte reagieren müssen.
Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des § 114 ZPO ist mithin für den geltend gemachten Klageanspruch nicht gegeben. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei, § 183 SGG; er ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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