Aktenzeichen M 25 K 16.1374
Leitsatz
Eine Klage gegen eine Ausweisungsverfügung erscheint schon dann nicht mutwillig, wenn das Bleibeinteresse wegen familiärer Bindungen jedenfalls vertretbar glaubhaft gemacht wurde und Art und Umfang dieser Bindungen in der mündlichen Verhandlung näher aufgeklärt werden müssen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Den Klägern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei … bewilligt.
Gründe
I.
Der Kläger zu 1) ist türkischer Staatsangehöriger und hält sich seit seinem vierten Lebensjahr im Bundesgebiet auf. Die Klägerin zu 2) ist seit der Heirat im Jahr 2002 seine Ehefrau; sie ist deutsche Staatsangehörige. Die Kläger haben eine gemeinsame volljährige Tochter. Mit einer anderen Frau hat der Kläger zu 1) außerdem zwei minderjährige, im Jahr 2013 geborene, Kinder (Zwillinge).
Der Kläger zu 1) ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und wurde von der Beklagten viermal ausländerrechtlich verwarnt. Zuletzt wurde er mit Urteil des Amtsgerichts … vom … Juli 2012, rechtskräftig seit dem … Juli 2015 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in fünf Fällen in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Haftende war für den *. Februar 2018 vorgesehen.
Mit Bescheid vom … Februar 2016 hat die Beklagte den Kläger zu 1) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Ziff. 1) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall nachgewiesener Straf- und Drogenfreiheit auf fünf Jahre, bei Nichteinhaltung dieser Bedingung auf sieben Jahre befristet (Ziff. 2). Sie hat dem Kläger zu 1) weiter mitgeteilt, dass er nach erfülltem Strafanspruch und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus der Haft abgeschoben werde. Für den Fall, dass er aus der Haft entlassen werden sollte, bevor die Abschiebung durchgeführt werden kann, verpflichtete sie den Kläger zu 1), das Bundesgebiet bis spätestens vier Wochen nach Haftentlassung zu verlassen und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat an, in den der Kläger zu 1) einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziff. 3).
Wegen der Begründung der Ausweisungsentscheidung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Die Kläger haben mit bei Gericht am … März 2016 eingegangenem Schreiben ihrer Bevollmächtigten Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben.
Mit Schreiben vom … Mai 2016 haben die Kläger außerdem Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der von Ihnen bevollmächtigten Kanzlei beantragt.
Die Klage wurde im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund der familiären Bindungen des Klägers zu 1) das für ihn streitende Bleibeinteresse das Ausweisungsinteresse überwiege.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Den Klägern war antragsgemäß Prozesskostenhilfe zu gewähren und die bevollmächtigte Kanzlei beizuordnen, § 121 Abs. 2 ZPO.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichend sind die Erfolgsaussichten in der Klage jedenfalls dann, wenn die Entscheidung von einer schwierigen, ungeklärten Rechtsfrage abhängt (BVerfG, B. v. 28.01.2013 – 1 BvR 274/12 – juris) oder wenn der von dem Beteiligten vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint (Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 166 Rn. 26). Dabei sollen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes nicht überspannt werden, um zu vermeiden, dass der unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten der grundrechtlich garantierte Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. BVerfG a.a.O.).
Bei den Klägern liegen die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu erfüllenden persönlichen Voraussetzungen vor. Die Klage erscheint auch nicht mutwillig. Angesichts der familiären Bindungen des Klägers zu 1), insbesondere zu seinen beiden minderjährigen Kindern, ist der von der Klägerseite eingenommene Rechtsstandpunkt, wonach das Bleibeinteresse des Klägers zu 1) vorliegend überwiege, jedenfalls vertretbar und sind Art und Umfang dieser Bindungen in der mündlichen Verhandlung näher aufzuklären. Vor diesem Hintergrund besteht auch für die Klage der Klägerin zu 2) eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinreichende Erfolgsaussicht (BVerwG v. 3.5.73 – 1 …; v. 27.08.1996 – 1 …).