Aktenzeichen 11 ZB 17.2504
Leitsatz
Ein Urteil, das aufgrund eines Schreibversehens des Gerichts vor Ablauf der zur Erklärung über die Klagerücknahme gesetzten Frist gefällt wird, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (stRspr, vgl. BVerfG BeckRS 2014, 46308). (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)
Verfahrensgang
M 23 K 17.1777 2017-10-26 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2017 ist wirkungslos.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Gerichtskosten für das Zulassungsverfahren werden nicht erhoben.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.500,- EUR
festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen einen Bescheid der Beklagten vom 20. März 2017, mit dem die Zulassung ihres Kraftfahrzeugs widerrufen wurde. In der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2017, zu der sie nicht erschienen ist, stimmte die Beklagte einer etwaigen Erledigungserklärung der Klägerseite zu und verzichtete auf weitere mündliche Verhandlung. Einen Antrag stellte sie nicht. Das Gericht setzte der Klägerin daraufhin eine Frist bis „Mittwoch, den 25. November 2017“, um die voraussichtlich nicht erfolgversprechende Klage zurückzunehmen. Mit Urteil vom 26. Oktober 2017 wies es die Klage ab. Am 6. November 2017 nahm die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, die Klage zurück. Am 10. November 2017 wurde ihr das Urteil zugestellt.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte nicht entgegentrat, macht die Klägerin geltend, der Erlass eines klageabweisenden Urteils vor Ablauf der Äußerungsfrist habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Auch wenn die Fristsetzung bis zum 25. November 2017 nach Auskunft des Gerichts auf einem Schreibversehen beruhe, liege objektiv ein Gehörsverstoß vor. Dieser sei auch entscheidungserheblich, da die Rücknahmeerklärung vor Ablauf der Äußerungsfrist am 6. November 2017 abgegeben worden sei und damit keine Sachentscheidung mit Kostenauferlegung ergangen wäre. Die erklärte Zustimmung zu einer etwaigen Erledigungserklärung umfasse auch eine Zustimmung zur Klagerücknahme.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Aufgrund der am 6. November 2017 durch die Klägerin erklärten Klagerücknahme ist
das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und das erstinstanzliche Urteil für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Nachdem in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2017 von keiner Seite ein Sachantrag gestellt worden ist, bedurfte es gemäß § 92 Abs. 2 Satz 2 VwGO keiner Einwilligung in die Klagerücknahme durch die Beklagte (vgl. Clausing in Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 92 Rn. 25; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 92 Rn. 12). Abgesehen davon hat sie mit ihrer Zustimmung zu einer etwaigen Erledigungserklärung konkludent auch einer Klagerücknahme zugestimmt, da hierin – was insoweit maßgeblich ist (zum Zweck des Einwilligungserfordernisses vgl. BVerwG, Urt. v. 12.1.2012 − 7 C 5/11 – BVerwGE 141, 311 = juris Rn. 35; Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 92 Rn. 12) – der Verzicht auf eine streitige Sachentscheidung liegt.
Die Kosten des Verfahrens hat gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die Klägerin zu tragen. Dabei ermäßigen sich die Gerichtsgebühren im erstinstanzlichen Verfahren gemäß Nr. 5111 Nr. 1a des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG um zwei Drittel. Denn bei der am 13. Oktober 2017 geschlossenen mündlichen Verhandlung handelte es sich nicht um eine letzte mündliche Verhandlung im Sinne der gebührenrechtlichen Vorschriften, auf die eine Endentscheidung hätte ergehen können (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.1010 – 9 KSt 18/09, 9 A 23/07 – juris Rn. 2 m.w.N.), da bereits die der Klägerin gesetzte Frist zur Erklärung der Klagerücknahme jenseits der zur Wahrung des zeitlichen Zusammenhangs mit der mündlichen Verhandlung einzuhaltenden (vgl. BVerwG, B.v. 6.5.1998 – 7 B 437/97 – BVerwGE 106, 366 = juris Rn. 4; B.v. – 9 B 931/97 – juris Rn. 2) Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO lag. Zudem wurde die Verhandlung geschlossen, ohne dass Anträge gestellt worden waren, und auf Beklagtenseite vorsorglich auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Dahinstehen kann deshalb, ob die Ermäßigungsregelung auch im Falle der Klagerücknahme innerhalb einer hierzu gesetzten Frist bzw. innerhalb einer nachgelassenen Schriftsatzfrist analog anzuwenden ist (so OVG Thüringen, B.v. 4.12.2015 – 1 W 481/15 – juris Rn. 5; FG Nürnberg, B.v. 1.1.2008 – 1 Ko 1583/2007 – juris).
Gerichtskosten für das Zulassungsverfahren werden nicht erhoben, weil diese Kosten bei richtiger Sachbehandlung durch das Verwaltungsgericht nicht entstanden wären (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). Auch wenn die zur Klagerücknahme gesetzte Frist möglicherweise auf einem Schreibversehen beruht, wofür spricht, dass der 25. Oktober, nicht aber der 25. November 2017 auf einen Mittwoch fiel, war dies für die Klägerin nicht ohne weiteres erkennbar. Jedenfalls ist das Schreibversehen allein dem Gericht zuzurechnen. Davon ausgehend hat es das Urteil vor Ablauf der zur Erklärung der Klagerücknahme gesetzten Frist gefällt und damit unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (st Rspr BVerfG, B.v. 19.12.2013 – 1 BvR 859/13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BVerwG, U.v. 12.2.1991 – 1 C 20/90 – NJW 1991, 2037), was einen offensichtlichen schweren Fehler und damit eine Unrichtigkeit im Sinne von § 21 Abs. 1 GKG darstellt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl. 2017, § 21 GKG Rn. 8, 30; OVG NW, B.v. 17.2.2015 – 4 B 1479/14 – NVwZ-RR 2015, 561/562 = juris Rn. 9).
Allerdings ist es nicht möglich, die durch die unrichtige Sachbehandlung verursachten außergerichtlichen Kosten der Klägerin der Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen (st Rspr. BVerwG, B.v. 20.8.2001 – 3 B 88/01 – BayVBl. 2002, 125 = juris Rn. 2; B.v. 14.6.1991 – 4 B 189/90 – juris Rn. 2; VGH BW, B.v. 2.10.2015 – 9 S. 1048 /15 – juris Rn. 27; OVG Berlin-Bbg., B.v. 27.2.2012 – OVG 2 S. 78.11 – juris Rn. 7; OVG Bremen, B.v. 25.3. 2010 – 2 B 447/09 – juris Rn. 3; Rennert in Eyermann, VwGO, § 155 Rn. 14; Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorbem. zu § 154 Rn. 44; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, § 155 Rn. 24). Diese hat die Klägerin nach dem den gesetzlichen Kostenregelungen der §§ 154 ff. VwGO zugrunde liegenden Veranlasserprinzip, wonach der Beteiligte die Kosten zu tragen hat, durch dessen Verhalten sie verursacht worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1998 – 1 B 110/98 – NVwZ 1999, 405 = juris Rn. 11 a.E.), selbst zu tragen. Die Beklagte hätte sie nur zu tragen, wenn sie im Zulassungsverfahren unterlegen wäre oder diese Kosten veranlasst hätte. Hiervon kann jedoch keine Rede sein. Sie ist auch dem Zulassungsantrag nicht entgegengetreten.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, §§ 47, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. der Empfehlung Nr. 46.16 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 93 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog, § 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).