Aktenzeichen 11 CE 17.2376
GKG § 21 Abs. 1
Leitsatz
1 Es stellt einen offensichtlich schweren Fehler und damit eine die Nichterhebung von Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 GKG rechtfertigende Unrichtigkeit dar, wenn das Gericht nach tatsächlicher Erledigung vor Ablauf der für eine Erledigungserklärung gesetzten Frist entscheidet, auch wenn die Fristsetzung auf einem Schreibfehler basiert. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist nicht möglich, die durch die unrichtige Sachbehandlung verursachten außergerichtlichen Kosten der anderen Beteiligten oder der Staatskasse aufzuerlegen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 23 E 17.2246 2017-10-26 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2017 ist wirkungslos geworden.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
III. Der Streitwert für beide Rechtszüge wird auf 1.250,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wandte sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollstreckung aus einem von ihr angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2017, mit dem die Zulassung ihres Kraftfahrzeugs widerrufen wurde. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2017 über den Eilantrag und die Anfechtungsklage (M 23 K 17.1777) sicherte die Antragsgegnerin zu, dass sie bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides hieraus nicht vollstrecken und für den Fall der Erledigung die Kosten im Eilverfahren übernehmen werde. Außerdem stimmte sie einer etwaigen Erledigungserklärung zu. Das Gericht setzte hierauf der nicht erschienenen Antragstellerin eine Frist bis „Mittwoch, den 25. November 2017“ um verfahrensbeendende Erklärungen abzugeben. Mit Beschluss vom 26. Oktober 2017 lehnte es den Eilantrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ab. Am 6. November 2017 erklärte die Antragstellerin, nunmehr anwaltlich vertreten, die Hauptsache für erledigt. Am 10. November 2017 wurde ihr der ablehnende Gerichtsbeschluss zugestellt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie geltend macht, der Erlass eines ablehnenden Eilbeschlusses vor Ablauf der Äußerungsfrist habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Auch wenn die Fristsetzung bis zum 25. November 2017 nach Auskunft des Gerichts auf einem Schreibversehen beruhe, liege objektiv ein Gehörsverstoß vor. Dieser sei auch entscheidungserheblich, da die Erledigungserklärung vor Ablauf der Äußerungsfrist am 6. November 2017 abgegeben worden sei und der Antragsgegnerin aufgrund ihrer Übernahmeerklärung die Verfahrenskosten aufzuerlegen gewesen wären.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 21. Dezember 2017, das Verfahren einzustellen und den Gerichtsbeschluss vom 26. Oktober 2017 für wirkungslos zu erklären. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sollten wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht erhoben und sonstige Kosten des Beschwerdeverfahrens nach billigem Ermessen gegeneinander aufgehoben werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vom 13. Oktober und 6. November 2017 beendet und in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3, § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzustellen.
Über die Kosten des Verfahrens entscheidet der Berichterstatter (§ 87a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 VwGO) gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands, d.h. der Sach- und Rechtslage unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 161 Rn. 16 f.; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 161 Rn. 75 ff., 83 m.w.N.). In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5/07 – juris Rn. 2). Dabei befreit der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit das Gericht jedoch davon, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden (BVerwG, a.a.O.), Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären (Kopp/Schenke, a.a.O. Rn. 15; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 161 Rn. 15 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2010 – 20 BV 10.2130 – juris Rn. u. B.v. 11.11.2016 – 15 B 16.1239 – juris Rn. 2). Ferner ist zu berücksichtigen, inwieweit das erledigende Ereignis auf den Willensentschluss eines Beteiligten zurückzuführen ist; es wird dann in der Regel billig sein, ihm die Kostenlast zu überbürden (vgl. Schmidt, a.a.O. § 161 Rn. 18; Kopp/Schenke, a.a.O. § 161 Rn. 17; BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5/07 – juris Rn. 3). Soweit ein Beteiligter eine Kostenübernahmeerklärung abgegeben hat, folgt die Kostenentscheidung dieser Erklärung (vgl. Nr. 5211 Nr. 3 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Demgemäß entspricht es hier billigem Ermessen, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Die Entscheidung folgt ihrer in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2017 abgegebenen Kostenübernahmeerklärung mit der Folge, dass sich die Gerichtsgebühren gemäß Nr. 5211 Nr. 3 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG um zwei Drittel ermäßigen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, weil diese Kosten bei richtiger Sachbehandlung durch das Verwaltungsgericht nicht entstanden wären (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). Auch wenn die gesetzte Frist möglicherweise auf einem Schreibversehen beruht, wofür spricht, dass der 25. Oktober, nicht aber der 25. November 2017 auf einen Mittwoch fiel, war dies für die Antragstellerin nicht ohne weiteres erkennbar. Jedenfalls ist das Schreibversehen allein dem Gericht zuzurechnen. Davon ausgehend hat es über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor Ablauf der zur Abgabe einer Erledigungserklärung gesetzten Frist und damit unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (st Rspr BVerfG, B.v. 19.12.2013 – 1 BvR 859/13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BVerwG, U.v. 12.2.1991 – 1 C 20/90 – NJW 1991, 2037) entschieden, was einen offensichtlichen schweren Fehler und damit eine Unrichtigkeit im Sinne von § 21 Abs. 1GKG darstellt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl. 2017, § 21 GKG Rn. 8, 30; OVG NW, B.v. 17.2.2015 – 4 B 1479/14 – NVwZ-RR 2015, 561/562 = juris Rn. 9).
Allerdings ist es nicht möglich, die durch die unrichtige Sachbehandlung verursachten außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin der Antragsgegnerin oder der Staatskasse aufzuerlegen (st Rspr. BVerwG, B.v. 20.8.2001 – 3 B 88/01 – BayVBl. 2002, 125 = juris Rn. 2; B.v. 14.6.1991 – 4 B 189/90 – juris Rn. 2; VGH BW, B.v. 2.10.2015 – 9 S 1048/15 – juris Rn. 27; OVG Berlin-Bbg., B.v. 27.2.2012 – OVG 2 S. 78.11 – juris Rn. 7; OVG Bremen, B.v. 25.3. 2010 – 2 B 447/09 – juris Rn. 3; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 155 Rn. 14; Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, Vorbem. zu § 154 Rn. 44; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 155 Rn. 24). Diese hat die Antragstellerin nach dem den gesetzlichen Kostenregelungen der §§ 154 ff. VwGO zugrunde liegenden Veranlasserprinzip, wonach der Beteiligte die Kosten zu tragen hat, durch dessen Verhalten sie verursacht worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1998 – 1 B 110/98 – NVwZ 1999, 405 = juris Rn. 11 a.E.), selbst zu tragen. Die Antragsgegnerin hätte sie nur zu tragen, wenn sie im Beschwerdeverfahren unterlegen wäre oder diese Kosten veranlasst hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Sie ist der Beschwerde der Antragstellerin nicht entgegengetreten, sondern hat diese vielmehr durch einen gleichgerichteten Antrag sogar unterstützt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen Nr. 1.5, 46.16 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 93 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog, § 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).