Kosten- und Gebührenrecht

Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren

Aktenzeichen  AN 6 K 16.01565

Datum:
15.12.2016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 101 Abs. 2, § 162 Abs. 1
VwVfG VwVfG § 80 Abs. 1 u. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Auch ohne Berücksichtigung der regelmäßig vorhandenen Sprachschwierigkeiten war die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig, da das Integrationsrecht Spezialwissen darstellt, das einem Ausländer regelmäßig nicht geläufig ist, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Ausländer in einer Doppelrolle (Asylverfahren und Zulassung zum Integrationskurs) gegenübertritt und materiell-rechtlich schwierige Fragen aufgeworfen werden. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 3 des Abhilfebescheides vom 5. Juli 2016 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte und der Kläger haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte bzw. der Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, bleibt jedoch insoweit, als der Kläger die Erstattung der notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens verlangt, erfolglos. Nach § 80 Abs. 1 und Abs. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) setzt die Erstattung von Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren voraus, dass neben der Feststellung, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, eine Kostenentscheidung getroffen wurde und auf Antrag der Betrag der zu erstattenden Aufwendungen festgesetzt wurde. Im streitgegenständlichen Verfahren bleibt der Kläger zwar insoweit erfolgreich, als die Beklagte verpflichtet wird, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, jedoch fehlen für einen Erstattungsanspruch eine Kostenentscheidung und der auf Antrag festzusetzende Betrag der zu erstattenden Aufwendungen. Aus diesem Grunde kann dieser Antrag keinen Erfolg haben.
Erfolgreich ist die Klage, wie bereits ausgeführt, hinsichtlich der ausgesprochenen Verpflichtung, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren als notwendig erachtet wird.
Die Maßstäbe für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. dazu die im Beschluss vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 29.4.2016 – 5 C 16.574 – erwähnten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.10.2009 – 6 B 14.99 – und vom 1.6.2010 – 6 B 77.09 -).
Danach ist die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalles und nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen, wobei die Notwendigkeit einer Aufwendung gemäß § 162 Abs. 1 VwGO aus der Sicht einer verständigen Partei zu beurteilen ist, die bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.7.2000 – 11 A 1/99, 11 KSt 2/99 -).
Maßgebend ist daher, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes danach nur dann, wenn es dem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2.7.2014 – 6 B 21/14 -). Die Schwierigkeit der Sachlage ist allerdings nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der Sachkunde und der persönlichen Verhältnisse des Widerspruchsführers festzustellen. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit der Zuziehung auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt.
Unter Berücksichtigung des verwirrenden Inhalts des Ablehnungsbescheides vom 12. April 2016 und der Tatsache, dass die Beklagte als Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger in zwei verschiedenen Funktionen gegenübertritt, durfte der Kläger anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, um in ausreichender Weise seine Rechte gegenüber der Verwaltung wahrzunehmen.
So war der Kläger mit dem Ablehnungsbescheid vom 12. April 2016 zunächst damit konfrontiert, dass ihm eine gute Bleibeperspektive abgesprochen wurde, obwohl er in seinem Antrag angegeben hatte, syrischer Staatsangehöriger zu sein, und das Bundesamt regelmäßig syrischen Staatsangehörigen eine gute Bleibeperspektive bescheinigt. Des Weiteren war der Kläger damit konfrontiert, dass trotz einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 26. November 2015, mit der dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgariens eingeräumt wurde, im Bescheid vom 12. April 2016, also knapp fünf Monate später, die Rede davon war, dass Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates vorlägen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht vollständig mächtig war und Integrationsrecht Spezialwissen darstellt, das insbesondere einem Ausländer nicht geläufig ist, durfte der Kläger zur Einordnung der fehlerhaften Begründung der Beklagten und einer zutreffenden Entscheidung über das weitere Vorgehen anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Selbst ohne die zusätzlichen Sprachschwierigkeiten zu berücksichtigen, hätte auch jeder andere vernünftige Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand Hilfe bei einem Rechtsanwalt gesucht.
Unter Berücksichtigung der fehlerhaften Aussagen des Bundesamtes im Ablehnungsbescheid vom 12. April 2016 kann vom Kläger auch nicht verlangt werden, dass er darauf vertraut, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Widerspruchsverfahren eine andere, für ihn günstigere Entscheidung trifft. Alleine die Beurteilung des Begriffs der fehlenden Bleibeperspektive (Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts) wirft tatsächliche und rechtliche Fragen auf, die der Kläger wohl ohne anwaltliche Hilfe nicht überblicken konnte. Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verpflichten, unter Aufhebung von Ziffer 3 des Abhilfebescheides die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Anlass, die Berufung zuzulassen, bestand nicht, da die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.

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