Aktenzeichen M 30 E 18.5442
IRG § 13 Abs. 1 S. 1, § 29, § 33, § 79 Abs. 2 S. 3, Abs. 3
GVG § 17a Abs. 2
Leitsatz
1 Die Pflicht zur Prüfung der gerichtlichen Zuständigkeit nach § 173 S. 1 VwGO iVm § 17a Abs. 2 GVG von Amts wegen und ggf. zur Verweisung des Verfahrens besteht auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO (Anschluss an BayVGH BeckRS 2010, 49287). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Auslieferungssachen liegt gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 IRG iVm § 79 Abs. 2 S. 3, Abs. 3, § 29, § 33 IRG eine abdrängende Sonderzuweisung iSv § 40 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwGO an die Oberlandesgerichte vor, soweit nicht ausdrücklich eine Zuweisung zu den Amtsgerichten in §§ 21, 22 und 39 Abs. 2 IRG erfolgt (Anschluss an BVerwG BeckRS 2010, 49810). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine bestehende Rechtskraft kann als Prozesshindernis einer Verweisung entgegenstehen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Oberlandesgericht … verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Oberlandesgerichts vorbehalten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Rückabwicklung seiner Auslieferung an die … Am 19. September 2018 hat der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Klageverfahren beim Verwaltungsgericht München gestellt, der mit Beschluss vom (heutigen) 15. Januar 2019 abgelehnt wurde ( … … …). Mit der angekündigten Klage beabsichtigt der Antragsteller, die Rückabwicklung seiner bereits am 19. März 2018 erfolgten Auslieferung an die … zu erreichen bzw. hilfsweise die Feststellung, dass die Auslieferung unzulässig gewesen sei. Zur Begründung des Klagebegehrens wurde mit Schriftsätzen vom 19. September 2018, 25. September 2018, 16. Oktober 2018, 17. Oktober 2018, 7. November 2018, 21. November 2018 und 14. Januar 2019 vorgetragen und Unterlagen aus den vorangegangenen Verfahrenen beim Oberlandesgericht … und Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Dabei wurde mit Schriftsatz vom 14. Januar 2019 ausdrücklich klargestellt, dass mit der Klage auch die Bewilligungsentscheidung der Bewilligungsbehörde angegriffen werde und nicht nur die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts … Aus Art. 19 Abs. 4 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich, dass die Bewilligungsbehörde bei einer Auslieferung in eigener Verantwortung sämtliche materiell-rechtliche Rechtspositionen des Verfolgten zu prüfen habe. Sei das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung dem umfassenden und im grundrechtlichen Prüfungsauftrag gebotenen Rahmen nicht oder nicht vollständig nachgekommen und interveniere die Bewilligungsbehörde nicht, sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Oberlandesgericht habe vorliegend über einen Antrag auf Aufschub der Auslieferung vor Durchführung und Vollziehung der Auslieferung durch die Bewilligungsbehörde nicht (mehr) entschieden, sondern erst nach der Vollziehung die Entscheidung hierüber getroffen. Zum Zeitpunkt der Vollziehung der Auslieferung sei der Antragsteller somit rechtlos gestellt gewesen, nachdem die Bewilligungsbehörde die von Amts wegen gebotenen Schritte nicht veranlasst habe. Die Bewilligungsentscheidung sei daher unzulässig gewesen und die Vollziehung der Auslieferung rückgängig zu machen.
Mit Schriftsätzen vom 7. November 2018 sowie 21. November 2018 hat der Antragsteller zudem „Eilantrag bezüglich der Rückabwicklung der Auslieferung“ gestellt, da es sich um eine Haftsache handle.
Er beantragt durch seine Bevollmächtigten,
„im Rahmen einer einstweiligen Anordnung – der Kläger/Antragsteller befindet sich weiterhin in Haft, die Rückabwicklung der Rechtshilfe anzuordnen im Rahmen der Außervollzugsetzung.“
Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung nahm der Antragsgegner auf seine Stellungnahme im Prozesskostenhilfeverfahren Bezug. Zudem wurde unter anderem ausgeführt, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sei und dem antragstellerischen Begehren in Bezug auf die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts … hinsichtlich der Auslieferung deren Rechtskraft entgegenstehe.
Im Prozesskostenhilfeverfahren … … … ist der Antragsteller mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Oktober 2018 sowie 17. Oktober 2018 auf die sich stellende Frage der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs sowie ggf. entgegenstehender Rechtskraft bezüglich der beabsichtigten Klage hingewiesen worden. Zudem wurden die Beteiligten ausdrücklich im vorliegenden Eilverfahren gemäß Vermerk vom 4. Januar 2019 zu einer Verweisung an das Oberlandesgericht angehört.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren … … … und M 30 E 18.5442 sowie die vorgelegten Akten des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft … sowie der Bevollmächtigten des Antragstellers bzgl. des Verfahrens vor dem OLG … verwiesen.
II.
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ist die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs festzustellen und der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten an das zuständige Oberlandesgericht … zu verweisen. Für den geltend gemachten Anordnungsanspruch ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet (1.). Ein vollumfängliches Prozesshindernis entgegenstehender Rechtskraft besteht nicht (2.).
1. Das Gericht hat seine Zuständigkeit nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG von Amts wegen zu prüfen und ggf. das Verfahren zu verweisen. Dies gilt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO (BayVGH, B.v. 4.12.1992 – 12 CE 92.3045 – juris Rn 13; std. Rspr. der erkennenden Kammer; str.).
Der Antragsteller begehrt im Eilverfahren die Rückabwicklung seiner am 19. März 2018 erfolgten Auslieferung an die …, in der er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, die er derzeit seit der Auslieferung verbüßt.
Bei der Rückabwicklung der Auslieferung handelt es sich um eine Auslieferungssache i.S.d. Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). Dieses sieht für Auslieferungssachen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG i.V.m. § 79 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3, § 29, § 33 IRG jedoch eine ausschließliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte und damit eine abdrängende Sonderzuweisung i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO vor, soweit nicht ausdrücklich eine Zuweisung zu den Amtsgerichten in §§ 21, 22 und 39 Abs. 2 IRG erfolgt ist (s. B.v. 15.1.2019 im isolierten PKH-Verfahren M 30 K0 18.4658; BVerwG, B.v. 18.5.2010 – 1 B 1.10 – BVerwGE 137, 52 sowie beck-online; OVG Hamburg, B.v. 23.1.2009 – 5 Bs 240/08 – juris Rn 17 ff.; a.A. Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn 665 – beck-online – sowie OVG Berlin, B. 26.3.2001 – 2 S 2.01 – juris). Auf die umfangreichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts und Oberverwaltungsgerichts Hamburg in den zitierten Beschlüssen und die Ausführungen im ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss … … … wird Bezug genommen.
Über den geltend gemachten Anordnungsanspruch auf Rückabwicklung der Auslieferung ist daher vom Oberlandesgericht aufgrund der Sonderzuweisung zu entscheiden und nicht im Verwaltungsrechtsweg.
2. Das Verfahren ist an das zuständige Oberlandesgericht zur Entscheidung zu verweisen.
Einer Verweisung stünde als Prozesshindernis eine bereits bestehende Rechtskraft entgegen. Dies ist weitgehend der Fall (a). Es verbleibt aber ein formal – zum Oberlandesgericht … eröffnetes – Rechtsmittel im Zusammenhang mit der Bewilligungsentscheidung der Auslieferung des Antragstellers, das antragstellerseits gemäß Schriftsatz vom 14. Januar 2019 auch beabsichtigt ist (b).
a) Bezüglich der Zulässigkeit der Auslieferung hat der Antragsteller bereits erschöpfend und erfolglos den Rechtsweg zum Oberlandesgericht … – inkl. mehrfacher Befassung des Bundesverfassungsgerichts – beschritten.
Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung mit Beschluss des Oberlandesgerichts … vom 29. Dezember 2017 – … … – gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 IRG ist unanfechtbar.
Das Gesetz sieht in § 33 IRG jedoch die Möglichkeit einer Abänderung der Zulässigkeitsentscheidung vor und gemäß § 33 Abs. 4 IRG sogar einstweiligen bzw. vorläufigen Rechtsschutz.
Allerdings ist fraglich, ob § 33 IRG nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck nunmehr nach bereits erfolgter Auslieferung überhaupt noch Anwendung finden kann (vgl. auch die Ausführungen des Antragsgegners auf Bl. 8f. der Stellungnahme vom 2. November 2018 mit Bezugnahme auf Kommentarliteratur).
Jedenfalls hat das Oberlandesgericht … mit Beschluss vom 22. Januar 2018 bereits einen Antrag nach § 33 Abs. 4 IRG vom 19. Januar 2018 als unbegründet abgewiesen und auch der Gehörsrüge vom 5. Februar 2018 am 9. Februar 2018 keine Folge gegeben. Über einen „Aufschubantrag“ nach § 33 IRG vom 18. März 2018 erfolgte ausweislich des Vermerks vom 20. März 2018 keine förmliche Entscheidung mehr, da das Auslieferungsverfahren mit der Überstellung des Antragstellers in die … beendet sei. Zudem hat das Oberlandesgericht … mit seinen Beschlüssen vom 23. März 2018, 25. Juli 2018 und 1. August 2018 auf weitere Anträge und Gegenvorstellungen, u.a. vom 20. März 2018 und 5. April 2018, hin unter dem Aktenzeichen … … entschieden, dass es bei den bisherigen Beschlüssen sein Bewenden habe. Das Auslieferungsverfahren sei mit der Auslieferung am 19. März 2018 beendet und über die erneuten Anträge nach § 33 IRG nicht mehr zu entscheiden, nachdem im Übrigen hierüber bereits vor der Auslieferung entschieden worden sei. In den Gründen wurde ausgeführt, dass weitere Eingaben mit im Wesentlichen unverändertem Vorbringen nach sachlicher Prüfung nicht mehr verbeschieden würden.
In Bezug auf die Zulässigkeit der Auslieferung in die … sind somit alle Rechtsmittel ausgeschöpft und käme eine Verweisung an das OLG aufgrund entgegenstehender Rechtskraft der Entscheidungen des OLG nicht in Betracht.
b) Hingegen mag es von vornherein nicht ausgeschlossen sein, einen Anordnungsanspruch auf Rückabwicklung der Auslieferung aus einem – vorliegend noch nicht anhängigen, aber im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren … … … bereits angekündigten – Rechtsmittel gegen die Bewilligung der Auslieferung, für das das Oberlandesgericht zuständig wäre (s.o.), abzuleiten.
Zwar lässt sich dem IRG selber wohl kein normiertes Rechtsmittel gegen eine Bewilligungsentscheidung der Auslieferung an einen EU-Drittstaat entnehmen. Der Rechtsprechung und Literatur ist jedoch – unter gewissen, sehr eingeschränkten Voraussetzungen – eine Rechtsmittelmöglichkeit gegen die Bewilligungsentscheidung zu entnehmen (BVerwG, a.a.O.; OVG Hamburg, a.a.O.; OVG Berlin, a.a.O.; vgl. auch BVerfG, B.v. 9.6.2015 – 2 BvR 965/15 – beck-online Rn 21 ff.; a.A. wohl Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 129; die von den Bevollmächtigten des Antragstellers zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273-348 und juris – ist hingegen nicht einschlägig, da sie eine andere Rechtslage und insbesondere eine Auslieferung in einen EU-Mitgliedstaat betrifft).
Bezüglich der Bewilligung der Auslieferung des Antragstellers liegt jedoch bislang keine rechtskräftige Entscheidung des – dafür zuständigen (s.o.) – Oberlandesgerichts vor.
Zwar haben die Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 20. März 2018 an das Oberlandesgericht … u.a. ausdrücklich beantragt, die Bewilligung der Auslieferung aufzuheben, geben aber durch das angegebene Datum des 29. Dezember 2018 als Bezugsdatum, das aber das Datum der Zulässigkeitsentscheidung ist, im Zusammenhang mit den weiteren inhaltlichen Ausführungen klar zu erkennen, dass die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts und nicht die Bewilligung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 9. Januar 2018 (Gz. E4 – 9351 E – IIa – 11888/17) Gegenstand ihres Antrags ist. Auch in den weiteren Schriftsätzen der Bevollmächtigten wird zwar immer wieder die Aufhebung der Auslieferungsbewilligung gefordert, jedoch gerade nicht in Bezug auf eine Bewilligungsentscheidung vom 9. Januar 2018 des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz. Erkennbar haben sich die Bevollmächtigten bislang vielmehr gegen die Zulässigkeitsentscheidung im Beschluss vom 29. Dezember 2018 des Oberlandesgerichts … gewehrt und deren Abänderung etc. beantragt – dies wurde von den Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 23. Mai 2018 ausdrücklich klargestellt – nicht aber gegen die Bewilligungsentscheidung.
Besteht aber damit keine entgegenstehende Rechtskraft eines etwaigen Rechtsmittels gegen die Bewilligungsentscheidung, steht der Verweisung insoweit kein Prozesshindernis entgegen.
Dabei hat sowohl außer Betracht zu bleiben, ob eine solche Rechtsmittelmöglichkeit, ggf. analog § 33 IRG, nach bereits erfolgter Auslieferung überhaupt bzw. noch statthaft ist, als auch, ob der Antragsteller insoweit antrags- bzw. klagebefugt ist und ein Rechtsschutzbedürfnis hat – schließlich diente ein solches Verfahren nach bisheriger Rechtsprechung nicht der Wahrung der subjektiven Rechte des Antragstellers (s. OVG Berlin, a.a.O.; vgl. a. BVerfG, v. 9.6.2015 – 2 BvR 965/15 Rn 21 ff). Hierüber hat erst das zuständige Gericht im eröffneten Rechtsweg zu befinden.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 GVG der Endentscheidung des Oberlandesgerichts vorbehalten.