Kosten- und Gebührenrecht

Stattgebender Kammerbeschluss: § 31 Abs 3 GKG 2004 verfassungskonform auszulegen – Keine Inanspruchnahme des obsiegenden Zweitschuldners bzgl Verfahrenskosten nach Widerruf der PKH-Gewährung für Entscheidungsschuldner gem § 124 Nr 2 ZPO (Verletzung von Mitwirkungspflichten) – Verletzung der Rechtsschutzgarantie bei Überbürdung von durch Gegenpartei verursachten, jedoch wegen PKH-Gewährung nicht durch Vorschuss gedeckten Verfahrenskosten – Gegenstandswertfestsetzung auf 8000 Euro

Aktenzeichen  1 BvR 2096/09

Datum:
23.5.2012
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Stattgebender Kammerbeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20120523.1bvr209609
Normen:
Art 2 Abs 1 GG
Art 20 Abs 3 GG
§ 93c Abs 1 S 1 BVerfGG
§ 58 Abs 2 GKG
§ 17 Abs 1 GKG 2004
§ 31 Abs 3 S 1 Halbs 1 GKG 2004
§ 37 Abs 2 RVG
§ 120 Abs 4 S 2 ZPO
§ 122 Abs 1 Nr 1 Buchst a ZPO
§ 379 ZPO
§ 402 ZPO
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend LG Saarbrücken, 20. Juli 2009, Az: 5 T 172/08, Beschlussvorgehend AG St. Wendel, 19. März 2008, Az: 15 C 260/03, Beschluss

Tenor

1. Die Kostenrechnung der Gerichtskasse Saarbrücken vom 29. November 2007 – Kassenzeichen 5900694208071 -, der Beschluss des
Amtsgerichts St. Wendel vom 19. März 2008 – 15 C 260/03 – und der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 20. Juli 2009
– 5 T 172/08 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsmäßigen Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit
Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der vorbezeichnete Beschluss des Landgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Landgericht Saarbrücken zurückverwiesen.

2. Das Saarland hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Inanspruchnahme der im zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren obsiegenden Beschwerdeführerin
als Zweitschuldnerin für Kosten des Rechtsstreits. Die Zweitschuldnerhaftung darf nach der gesetzlichen Ausgestaltung nicht
geltend gemacht werden, soweit demjenigen Kostenschuldner, dem die Kosten durch gerichtliche Entscheidung auferlegt sind,
Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist (vgl. § 29 Nr. 1, § 31 Abs. 1, Abs. 3 GKG).

2
Die Beschwerdeführerin, die einen Reifenhandel betreibt, machte gegenüber der Beklagten des Ausgangsverfahrens den Rest eines
Kaufpreisanspruchs in Höhe von noch 350 € für gelieferte Reifen und Felgen geltend. Die Beklagte verteidigte sich gegen die
Klage mit dem Einwand, drei der gelieferten Reifen hätten aufgrund eines Produktionsfehlers Höhenschlag aufgewiesen. Das Amtsgericht
beschloss, über diese Behauptung Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben, für welches Kosten in
Höhe von 1.292 € anfielen. Da das Amtsgericht gleichzeitig der Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligte, verlangte es für die
Einholung des Sachverständigengutachtens keinen Auslagenvorschuss von der an sich vorschusspflichtigen Beklagten (vgl. § 122
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, §§ 402, 379 ZPO, § 17 Abs. 1 GKG).

3
Der Sachverständige konnte den von der Beklagten behaupteten Mangel nicht feststellen, woraufhin das Amtsgericht der Klage
in vollem Umfange stattgab und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegte. Nachdem die Beklagte ein Jahr später
die von der Rechtspflegerin gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO angeforderten Angaben über ihre persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht einreichte, änderte das Amtsgericht den Beschluss über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ab und ordnete
die Nachzahlung der Verfahrenskosten an. Ein Versuch, die ausstehenden Kosten für das Sachverständigengutachten bei der Beklagten
beizutreiben scheiterte; diese hatte zwischenzeitlich die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Die Gerichtskasse nahm daraufhin
die Beschwerdeführerin als Zweitschuldnerin für die verauslagte Sachverständigenentschädigung in Höhe von 1.292 € in Anspruch.

4
Gegen diese Kostenrechnung legte die Beschwerdeführerin Erinnerung ein, die beim Amtsgericht erfolglos blieb. Die hiergegen
erhobene Beschwerde wies das Landgericht – ohne die weitere Beschwerde zuzulassen – mit der Begründung zurück, mit dem Widerruf
der Prozesskostenhilfe sei die ursprünglich aufgrund der Prozesskostenhilfebewilligung bestehende Sperrwirkung des § 31 Abs.
3 GKG (bis zum 30. Juni 2004: § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG) für die Inanspruchnahme eines anderen Kostenschuldners als des sogenannten
Entscheidungsschuldners weggefallen.

II.
5
Mit ihrer fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Kostenrechnung sowie
gegen die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs.
1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 MRK.

6
Die Auslegung des § 31 Abs. 3 GKG dahin, dass die Zweitschuldnerhaftung wieder auflebe, wenn nach Abschluss des Verfahrens
die dem Erstschuldner ursprünglich gewährte Prozesskostenhilfe widerrufen werde, verletze sie in ihren verfassungsmäßigen
Rechten. Die arme Partei habe es dann nämlich in der Hand, nach – einem für sie negativen – Abschluss des Verfahrens den Gegner
bewusst dadurch zu schädigen, dass sie einen Widerruf der bewilligten Prozesskostenhilfe herbeiführe, ohne dass der Gegner
dies verhindern könne. Hierdurch werde für den Gegner die Prozessführung im Hinblick auf das Kostenrisiko unkalkulierbar,
was zu einer faktischen Rechtswegsperre führe.

7
Auch sei es verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn ein Zweitschuldner für Auslagen in Anspruch genommen werde, die durch
ein Sachverständigengutachten angefallen seien, welches seitens der armen Partei veranlasst und für das nur aufgrund der ursprünglichen
Bewilligung von Prozesskostenhilfe kein Auslagenvorschuss angefordert worden sei. Dies führe zu einer willkürlichen Ungleichbehandlung
gegenüber Parteien, deren Prozessgegner keine Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, da ein solcher Prozessgegner für von
ihm veranlasste Beweiserhebungen einen Auslagenvorschuss zu leisten habe, so dass eine Inanspruchnahme als Zweitschuldner
nicht drohe. Auch unter diesem Gesichtspunkt führe die Überbürdung des Risikos der Insolvenz einer armen Partei auf den Gegner
bei diesem zu einer faktischen Rechtswegsperre.

8
Darüber hinaus wendet sich die Beschwerdeführerin mittelbar gegen die Vorschrift des § 31 Abs. 3 GKG sowie deren Vorläuferbestimmung
(§ 58 Abs. 2 GKG a.F.), die hier der Kostenrechnung, nicht aber den folgenden gerichtlichen Entscheidungen noch zugrunde zu
legen war (gemäß Art. 1 § 72 Nr. 1 KostRMoG).

III.
9
Die Verfassungsbeschwerde ist der Bundesregierung, allen Länderregierungen und den Beteiligten des Ausgangsverfahrens zugestellt
worden. Namens der Bundesregierung hat das Bundesministerium der Justiz Stellung genommen und ausgeführt, die von den Instanzgerichten
vorgenommene Auslegung des § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG sei zwar vom Wortlaut gedeckt, widerspreche aber nach Auffassung der Bundesregierung
der Intention des Gesetzgebers. Dieser habe vielmehr eine Handhabung der Norm im Sinne der Beschwerdeführerin beabsichtigt,
die der Wortlaut ebenfalls zulasse und die verfassungsrechtliche Bedenken von vornherein vermeide. Bei der Auslegung des Tatbestandselements
“Soweit (…) Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist” im Sinne des § 31 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 GKG sei nicht auf die Fortdauer
der Prozesskostenhilfebewilligung, sondern vielmehr punktuell auf die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebühren und Auslagen
bestehende Prozesskostenhilfebewilligung abzustellen. Nachträgliche Änderungen – wie etwa die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung
– müssten damit für die Zweitschuldnerhaftung unbeachtlich bleiben. Nur durch eine solche Auslegung komme die § 31 Abs. 3
GKG faktisch innewohnende Schutzfunktion zu Gunsten des antragstellenden Zweitschuldners zur Geltung. Für eine Auslegung des
§ 31 Abs. 3 Satz 1 GKG, die maßgeblich auf die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebühren und Auslagen bestehende Prozesskostenbewilligung
abstelle, spreche darüber hinaus auch, dass dem Zweitschuldner im Prozesskostenhilfeaufhebungsverfahren nach den §§ 124 ff.
ZPO nur ein Anhörungs-, aber kein besonderes Beteiligungs- oder gar Beschwerderecht nach § 127 ZPO zustehe.

10
Das Justizministerium Baden-Württemberg hat namens der Landesregierung zu bedenken gegeben, dass die Haftung der Beschwerdeführerin
der gesetzlichen Systematik entspreche. Die hier vorgenommene Auslegung des § 31 Abs. 3 GKG sei zwingend. Die Vorschrift diene
nicht dem Schutz des Prozessgegners, sondern dem Schutz der bedürftigen Partei. Wenn der unterlegene Gegner von vornherein
keine Prozesskostenhilfe erhalte und eine Beitreibung der Prozesskosten scheitere, greife die Zweitschuldnerhaftung ebenso
wie in dem hier in Rede stehenden Fall, in dem die zunächst bewilligte Prozesskostenhilfe nachträglich widerrufen werde.

11
Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

IV.
12
Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung sind erfüllt. Die für die Beurteilung
der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 11, 139
; 54, 39 ; 85, 337 ; 91, 389 ; 92, 26 ; 97, 332 ). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich
begründet. Die Vorschrift über die Sperrwirkung für die Zweitschuldnerhaftung bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 31
Abs. 3 GKG) bedarf aus verfassungsrechtlichen Gründen für Fallgestaltungen der vorliegenden Art einer die Wirksamkeit des
Rechtsschutzes wahrenden Auslegung. Nach deren Maßgabe können die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben.

13
1. Die Beschwerdeführerin macht zu Recht geltend, ihr werde ein wirkungsvoller Rechtsschutz verwehrt, wenn für sie die Geltendmachung
ihrer – bestehenden – Kaufpreisforderung mit einem derartigen Kostenrisiko wie hier auf der Grundlage der Auslegung des §
31 Abs. 3 GKG durch die Fachgerichte verbunden werde und dies zur Folge habe, dass ein wirtschaftlich denkender Rechtsuchender
regelmäßig von der Verfolgung seiner Rechte Abstand nehme. Das in Rede stehende, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene
Verständnis der Norm führt zu einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Erschwerung des Zugangs zum Rechtsschutz,
die mit dem verfassungsverbürgten Anspruch auf Justizgewähr nicht mehr vereinbar ist (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3
GG).

14
Die Beschwerdeführerin hatte für die Geltendmachung ihrer Klageforderung von 350 € einen Gerichtsgebührenvorschuss und – da
sie sich für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt entschied – die gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren aufzubringen. Dabei
musste ihr bewusst sein, dass sie nicht nur hinsichtlich der Durchsetzbarkeit ihrer noch offenen Kaufpreisforderung, sondern
auch hinsichtlich dieser Kosten im Falle des Prozesserfolges das Risiko einer Insolvenz der Beklagten traf. Es kann angenommen
werden, dass die Beschwerdeführerin bewusst eine wirtschaftliche Entscheidung dahingehend getroffen hat, diesen Kostenbetrag
zusätzlich zu riskieren, um einen Vollstreckungstitel gegen die Beklagte des Ausgangsverfahrens zu erlangen. Die letztlich
eingetretene Situation, in der die Beschwerdeführerin für insgesamt mehr als 1.500 € an Kosten haften soll, ohne dass der
erlangte Titel derzeit Vollstreckungsaussichten bietet, sprengt den Rahmen der ursprünglich von der Beschwerdeführerin vorzunehmenden
Kosten-Nutzen-Abwägung, da sich nunmehr die gesamten Verfahrenskosten auf ein Vielfaches der eigentlich und zu Recht verfolgten
Klageforderung belaufen. Das beruht allein auf einem Fehlverhalten der Beklagten nach Abschluss des Verfahrens, nämlich den
fehlenden Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, in Verbindung mit den Besonderheiten des Prozesskostenhilfeverfahrens
nach der Zivilprozessordnung. Daraus ergibt sich, dass auf der Grundlage des Verständnisses des § 31 Abs. 3 GKG in den angegriffenen
Hoheitsakten der Zugang zum Rechtsschutz in nicht mehr hinnehmbarer Weise beschränkt wird.

15
a) Das Rechtsstaatsprinzip verlangt einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten. Dieser Justizgewährungsanspruch
umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes
sowie eine verbindliche gerichtliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 80, 103 ; 85, 337 ; 97, 169 ; 107, 395 <401,
406 f.>). Eine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes kann der einzelne als Grundrechtsverletzung nach Art. 2 Abs. 1 GG
in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip beanstanden (vgl. BVerfGE 69, 381 ; 78, 123 ). Der Justizgewährungsanspruch
bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung. Dabei können auch Begrenzungen des Rechtsschutzes vorgesehen werden. Solche Einschränkungen
müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den Rechtsuchenden nicht
unverhältnismäßig belasten (vgl. BVerfGE 88, 118 ).

16
Für die Inanspruchnahme der Gerichte darf der Gesetzgeber die Erhebung von Gebühren vorsehen (vgl. BVerfGE 10, 264 ;
80, 103 ). Vorschriften über Gerichtsgebühren müssen aber sowohl den verfassungsrechtlichen Grundsätzen für Gebührenregelungen
genügen als auch der Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs im Rechtsstaat Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 85, 337 ).
Gebühren für staatliche Leistungen dürfen danach nicht völlig unabhängig von den tatsächlichen Kosten der gebührenpflichtigen
Staatsleistung festgesetzt werden; die Verknüpfung zwischen den Kosten und der Gebührenhöhe muss sachgerecht sein (vgl. BVerfGE
50, 217 ; 85, 337 ; BVerfGK 10, 148 ).

17
Gemessen an diesen allgemeinen verfassungsrechtlichen Maßstäben für Gebührenregelungen erweist es sich als zulässig, wenn
der Gesetzgeber für die mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens durch ein Gericht verbundenen Auslagen (vgl. Nr.
9005 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) einen Kostenansatz in voller Höhe vorsieht. Für das Gericht handelt es sich insoweit
gleichsam um einen “durchlaufenden Posten”. Die einem Kostenschuldner weiterbelasteten Auslagen können deshalb von vornherein
nicht dazu führen, von einer überhöhten, nicht mehr in einem sachgerechten Verhältnis zur “eigenen Leistung” des Gerichts
stehenden Inanspruchnahme auszugehen.

18
b) Eine solche “Durchleitung” von Auslagen für ein eingeholtes Sachverständigengutachten erschwert für sich gesehen den Zugang
zu den Gerichten nicht in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise (vgl. BVerfGE 10, 264 ; 74, 228
) und widerstreitet daher grundsätzlich nicht dem Justizgewährungsanspruch. Eine Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten
kommt zwar in Betracht, wenn – wie hier – die gesamten Kosten des Verfahrens die geltend gemachte Klageforderung um mehr als
das Vierfache übersteigen. Dabei kann allerdings den die Beschwerdeführerin treffenden Kosten für das eigentliche Gerichtsverfahren
(vgl. Nr. 1210 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) sowie für den von ihr eingeschalteten Rechtsanwalt eine solche den Zugang zu
den Gerichten erschwerende Wirkung nicht beigemessen werden. Das Hinzutreten der Auslagen für das eingeholte Sachverständigengutachten
zieht aber eine solche Wirkung nach sich. Dass derartige Auslagen durch das Gericht auch dann in voller Höhe an einen Kostenschuldner
weiter belastet werden dürfen, ist verfassungsrechtlich indes nicht zu beanstanden. Denn in Form des Sachverständigengutachtens
erlangen das Gericht wie auch die Parteien eine externe Leistung, die dem Sachverständigen angemessen vergütet wird. Dabei
ist es grundsätzlich nicht sachwidrig, dass die Kosten für diese externe Leistung – vom Sonderfall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
abgesehen – letztlich nicht von der Staatskasse zu tragen sind, sondern von jenen Beteiligten aufgebracht werden müssen, die
diese Leistung für die Klärung ihrer Streitigkeit benötigten. Das gilt zumal auch deshalb, weil es keinen Grundsatz des Inhalts
gibt, dass im Zivilprozess der Staat dessen Kosten zu übernehmen habe, und weil überdies im Blick auf die Vorschusspflicht
die Kostenrisiken für die Parteien gerade auch für die Beweiserhebungen kalkulierbar bleiben. Hinzu kommt, dass der Staat
für weniger Bemittelte Prozesskostenhilfe vorsieht (vgl. § 122 ZPO).

19
c) Aus den Besonderheiten des Prozesskostenhilfeverfahrens nach der Zivilprozessordnung ergibt sich jedoch für die hier in
Rede stehende Fallkonstellation eine den effektiven Rechtsschutz verfehlende Wirkung, wenn die Fachgerichte § 31 Abs. 3 GKG
dahin auslegen, dass die dort vorgesehene Sperrwirkung für eine Inanspruchnahme als Zweitschuldner entfällt, wenn die dem
Erstschuldner ursprünglich bewilligte Prozesskostenhilfe nachträglich aufgehoben wird.

20
aa) Zwar ist es auch in der Konstellation, in der dem Prozessgegner im Zivilrechtsstreit keine Prozesskostenhilfe bewilligt
wird, möglich, dass eine Partei durch unzutreffendes Vorbringen der anderen Partei einem höheren Kostenrisiko ausgesetzt wird,
was ihr eine Aufgabe der von ihr beabsichtigten Rechtsverfolgung oder -verteidigung nahe legen kann. Dies kann namentlich
dann der Fall sein, wenn die Partei ihrerseits verpflichtet ist, den Auslagenvorschuss für ein Beweismittel bei Gericht einzuzahlen,
dessen Erhebung durch ein prozessuales Verhalten des Gegners erforderlich wird. In derartigen Fällen hat es die gegebenenfalls
als Zweitschuldner haftende Partei jedoch jederzeit in der Hand, das Verfahren durch Klagerücknahme oder Anerkenntnis, eventuell
durch den Abschluss eines Vergleichs zu beenden, wenn sie das Insolvenzrisiko der gegnerischen Partei angesichts der durch
die beabsichtigte Beweisaufnahme entstehenden Mehrkosten nicht mehr tragen will, weil diese etwa außer Verhältnis zu dem klageweise
geltend gemachten Anspruch stehen. Wenn hingegen die gegnerische Partei zur Leistung des Auslagenvorschusses verpflichtet
ist (vgl. § 17 Abs. 1 GKG), wird dadurch die Zweitschuldnerhaftung der anderen Partei und damit die Tragung des Insolvenzrisikos
des Gegners nach § 31 GKG begrenzt: Wird der Vorschuss nicht gezahlt, so wird in der Regel von der kostenträchtigen Beweisaufnahme
abgesehen (vgl. §§ 402, 379 Satz 2 ZPO; Greger, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 379 Rn. 2, 7).

21
bb) Ist hingegen in dem Zeitpunkt der auslagen- und kostenauslösenden richterlichen Anordnung Prozesskostenhilfe bewilligt,
die erst später aufgehoben wird, führt die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Auslegung des § 31 Abs. 3 GKG
im Ergebnis zu einer Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten, die im Blick auf die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes
unzumutbar ist und einer tragfähigen sachlichen Rechtfertigung entbehrt.

22
Der Beschwerdeführerin ist das Zweitschuldnerrisiko nicht deshalb zumutbar, weil ihr die Möglichkeit einer nachträglichen
Inanspruchnahme als Zweitschuldnerin über § 31 Abs. 3 GKG in Verbindung mit § 124 ZPO bewusst sein musste. Zwar verfügte sie
nach Erlass des Beweisbeschlusses über alle Informationen, um angesichts der anstehenden, kostenaufwändigen Beweiserhebung
eine neue Risikobewertung vornehmen und über die Fortsetzung des Rechtsstreits entscheiden zu können. Die Beschwerdeführerin
hatte auch die Wahl zwischen der Verfahrensbeendigung und der Fortführung des Verfahrens. Bei Fortführung des Verfahrens sind
die mitunter erheblichen Mehrkosten für die Beweiserhebung jedoch bei einem prozesskostenhilfeberechtigten Gegner regelmäßig
nicht durch einen eingeforderten Vorschuss abgesichert. Hinzu kommt, dass es nach der Auslegung des § 31 Abs. 3 GKG im Ausgangsverfahren
nach Eintritt der Insolvenz des Gegners als Entscheidungskostenschuldner allein bei diesem liegt, durch die verweigerte Mitwirkung
im weiteren Verlauf (vgl. § 124 Ziff. 2 i.V.m. § 120 Abs. 4 ZPO) die Einstandspflicht des Zweitschuldners herbeizuführen.
Der Gegner hat es in dieser Fallkonstellation in der Hand, durch sein Unterlassen im Prozesskostenhilfeverfahren zu bewirken,
dass die Kosten dem obsiegenden Prozessgegner überbürdet werden.

23
Die Justizgewähr wird deshalb bei einem Verständnis der Sperrwirkungsbestimmung für den Prozesskostenhilfefall, wie sie die
Ausgangsgerichte zu Grunde gelegt haben, in unzumutbarer Weise erschwert; eine tragfähige sachliche Rechtfertigung dafür fehlt
namentlich im Blick darauf, dass die Realisierung des Kostenrisikos allein vom Belieben des nach Unterliegen in der Hauptsache
nicht mehr mitwirkungsbereiten Prozessgegners abhängt. Das würde dazu führen, den Prozessgegner einer armen Partei, der zunächst
Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, die dann aber wegen deren mangelnder Mitwirkung widerrufen wird, bei kostenträchtigen
Beweiserhebungen auf Beweisantritt dieser Partei hin zur Aufgabe der Rechtsverfolgung oder zur Übernahme eines von ihm nicht
zu vertretenden, wirtschaftlich völlig unvernünftigen Risikos zu zwingen. Wirkungsvoller Rechtsschutz ist damit in solchen
Fällen nicht mehr gewährleistet.

24
Deshalb ist es in derartigen Fallkonstellationen geboten, § 31 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 GKG verfassungskonform dahin auszulegen,
dass er auch dann einen Rückgriff auf den Zweitschuldner verbietet, wenn Prozesskostenhilfe im Zeitpunkt der jeweiligen auslagen-
und kostenauslösenden richterlichen Anordnung bewilligt war, diese aber nachträglich gemäß § 124 ZPO aufgehoben wurde. Der
Wortlaut des § 31 Abs. 3 GKG lässt eine solche Auslegung der Norm zu. Damit bleibt das Risiko der Nichtbeitreibbarkeit der
Kosten beim Entscheidungsschuldner zwar in solchen Ausnahmefällen beim Staat; das ist nach Lage der Dinge aber unvermeidlich.

25
cc) Mit der verfassungskonformen Auslegung des § 31 Abs. 3 GKG für den in Rede stehenden Ausnahmefall wird der Grundsatz der
Zweitschuldnerhaftung nicht in Frage gestellt. Diese Auslegung sichert lediglich die Vorhersehbarkeit der Kostenbelastung
und damit die Zumutbarkeit der darin liegenden Rechtsschutzerschwernis. Sie trägt dem Grundsatz Rechnung, dass eine Prozesspartei
im Vertrauen auf den Bestand der für eine potentielle Zweitschuldnerschaft relevanten Umstände über ihr prozessuales Vorgehen
entscheiden können soll. Weiter verhindert sie, dass das in einem hier offenkundigen Missverhältnis zum Streitwert stehende
Kostenrisiko auch deshalb nicht mehr verlässlich kalkulierbar ist, weil es allein vom Belieben der anderen, ursprünglich prozesskostenhilfeberechtigten
und später nicht mehr mitwirkungsbereiten Partei abhängt und so zu einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden
Erschwerung des Zugangs zum Rechtsschutz führt.

26
Dem kann nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, eine Prozesspartei müsse immer damit rechnen, dass eine zunächst bemittelte
gegnerische Partei später in Vermögensverfall gerät und sie daher trotz Obsiegens für alle Kosten ihrer Rechtsverfolgung haftet.
Denn alle in einem Rechtsstreit anfallenden Kosten hat der Zweitschuldner entweder unmittelbar selbst veranlasst – so etwa
die Gerichtsgebühren, die eigenen Anwaltskosten und die Aufwendungen für Beweiserhebungen über die Tatsachen, für die er beweispflichtig
ist – oder sie sind aufgrund der regelhaften Vorschusspflicht des Gegners gedeckt. Zu den hier in keinem wirtschaftlich vernünftigen
Verhältnis zum Streitwert stehenden, nicht vorschussgedeckten Auslagen für den Sachverständigen ist es nur deswegen gekommen,
weil der Gegnerin Prozesskostenhilfe bewilligt worden war. Wäre zum Zeitpunkt des Beweisbeschlusses die Prozesskostenhilfe
nicht bewilligt oder bereits aufgehoben gewesen, hätte die Gegnerin entweder den Vorschuss zahlen müssen oder die Beweiserhebung
wäre unterblieben.

27
2. Die danach verfassungsrechtlich gebotene und nach dem Wortlaut mögliche, verfassungskonforme Auslegung des § 31 Abs. 3
GKG führt dazu, dass die Vorschrift selbst nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen Bestand hat. Diesem Verständnis der Norm
tragen die angegriffenen Entscheidungen nicht Rechnung. Sie verletzen deshalb die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf effektiven
Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Mithin kann auf sich beruhen, ob und inwieweit die
angegriffene Auslegung des § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG die Beschwerdeführerin darüber hinaus in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs.
1 GG verletzt. Die weiteren von der Beschwerdeführerin als verletzt benannten Grundrechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art.
103 Abs. 1 GG werden von der Verfassungsbeschwerde nicht zum Gegenstand ihrer Begründung gemacht (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92
BVerfGG).

28
3. Die angegriffenen Hoheitsakte sind mit dem bezeichneten Grundrecht der Beschwerdeführerin für unvereinbar zu erklären (§
95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Kammer hebt den Beschluss des Landgerichts auf und verweist die Sache an dieses Gericht zurück
(§ 95 Abs. 2 BVerfGG), das nun erneut über die Beschwerde unter Beachtung der verfassungskonformen Auslegung des § 31 Abs.
3 GKG zu entscheiden haben wird.

29
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende
Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird,
in der Regel 8.000 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen
hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.

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