Kosten- und Gebührenrecht

Teilerfolg einer Streitwertbeschwerde

Aktenzeichen  4 C 17.1098

Datum:
19.2.2018
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 535
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Nr. 22.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
GKG § 52 Abs. 1 und § 2

 

Leitsatz

1. Bei Rechtsstreitigkeiten über einen Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich einer kommunalen Entwässerungseinrichtung ist regelmäßig der Auffangwert des § 52 Abs. 1 GKG als Streitwert festzusetzen, soweit nicht ausreichend konkrete Anhaltspunkte für die Höhe der zu erwartenden Anschlusskosten vorliegen. (Rn. 6 – 7)
2. Sonstige wirtschaftliche Vor- und Nachteile des Anschlusses (z. B. Benutzungsgebühren, ersparte Kosten für eine Kleinkläranlage und ggf. eine Wertsteigerung des Grundstücks) bleiben bei der Streitwertfestsetzung ebenso unberücksichtigt wie ein gleichzeitig gestellter Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang. (Rn. 11 – 14)

Verfahrensgang

Au 7 K 16.1647 2017-04-05 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. April 2017 wird der Streitwert für das Verfahren Au 7 K 16.1647 auf 30.000,- Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

1. Über die zulässige Streitwertbeschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zuständige Berichterstatter als Einzelrichter, weil der angefochtene Beschluss von einem „Einzelrichter“ im Sinn des § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG erlassen worden ist. „Einzelrichter“ im Sinn dieser Vorschrift ist nicht nur der Richter, der aufgrund einer Übertragung des Rechtsstreits durch die Kammer nach § 6 VwGO entschieden hat, sondern auch der unmittelbar kraft Gesetzes allein entscheidende Berichterstatter nach § 87a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2013 – 4 C 13.2196 – BayVBl 2014, 673 m.w.N.).
2. Die Streitwertbeschwerde hat in der Sache größtenteils Erfolg.
Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Bedeutung der Sache ist objektiv, nicht subjektiv zu verstehen (BT-Drs. 7/2016, S. 70) und ist dem Antrag des Klägers zu entnehmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,- Euro anzunehmen, § 52 Abs. 2 GKG (sog. Auffang-wert).
Unstreitig enthielt hier das mit der Klage verfolgte Interesse des Klägers auch wirtschaftliche Aspekte, denn mit Abwehr des mit dem streitgegenständlichen Bescheid verfügten Anschluss- und Benutzungszwangs wollte er finanzielle Aufwendungen vermeiden. Diese umfassten zum einen die Kosten für den Anschluss an die gemeindliche Kanalisation, zum anderen die Vermeidung von Benutzungsgebühren, die mit der Benutzung des gemeindlichen Kanals verbunden sind.
a) Der Verwaltungsgerichtshof orientiert sich bei der Streitwertfestsetzung in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14), dem zwar keine normative Wirkung zukommt, der den Gerichten aber als Orientierungshilfe dienen kann (vgl. Kopp/Schenke a.a.O. Anh. § 146 Rn. 6). Dieser sieht in Nr. 22.4 eine Streitwertfestsetzung in Höhe der ersparten Anschlusskosten, sonst den Auffangwert vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hält in ständiger Rechtsprechung bei Streitigkeiten wegen Anschluss- und Benutzungszwangs die Festsetzung des Auffangwerts für sachgerecht (vgl. B.v. 2.4.2014 – 4 ZB 13.2496 – juris Rn. 28; B.v. 29.2.2008 – 4 C 08.283 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 16.4.2008 – 4 C 08.929 – nicht veröffentlicht; B.v. 11.2.2008 – 4 C 07.3169 – juris Rn. 4 ff.), denn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung stehen regelmäßig die exakten (unbestrittenen) Anschlusskosten nicht fest und die potentiellen sonstigen wirtschaftlichen Vor- und Nachteile eines Anschlusses wie z. B. Benutzungsgebühren, die nicht Streitgegenstand sind, müssten allein zum Zweck der Streitwertfestsetzung vom Gericht ermittelt werden (vgl. auch OVG NW, B.v. 1.4.2015 – 15 E 284/15 – juris Rn. 6).
b) Der vorliegende Fall bietet jedoch Anlass, hiervon abzuweichen. Der Rückgriff auf den Auffangwert ist nur in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für die zu erwartenden Anschlusskosten veranlasst (vgl. SächsOVG, B.v. 4.7.2013 – 4 E 29/13 – juris Rn. 4; OVG NW, B.v. 1.4.2015 a.a.O.; BayVGH, B.v. 17.6.2013 – 4 C 13.1024 – juris Rn. 7; B.v. 15.10.2008 – 4 ZB 08.483 – juris Rn. 7). Hier bestanden jedoch ausreichend konkrete Anhaltspunkte, deren Berücksichtigung bei pflichtgemäßer Ermessensausübung eine Bemessung des Streitwerts mit 30.000,- Euro nach § 52 Abs. 1 GKG unter Vermeidung eines Rückgriffs auf den in § 52 Abs. 2 GKG genannten Auffangwert geboten. Das Vorliegen ausreichend konkreter Anhaltspunkte ist nicht lediglich notwendige, sondern hinreichende Bedingung und damit zur konkreten Bemessung des Streitwerts ausreichend (vgl. SächsOVG, B.v. 18.8.2011 – 4 E 52/11 – juris Rn. 2).
Solche ausreichend konkreten Anhaltspunkte sind hier darin zu sehen, dass der Beklagte im Vorprozess (Az. Au 7 K 13.323), bei dem es ebenfalls um den Anschluss- und Benutzungszwang für das klägerische Grundstück über denselben Anschluss Weg ging, auf Aufforderung des Verwaltungsgerichts eine Kostenschätzung vom 26. November 2013 vorgelegt hat, die die zu erwartenden Kosten für den Anschluss des klägerischen Grundstücks an die Entwässerungsanlage der Beklagte ausreichend detailliert aufführt und die das Verwaltungsgericht bei dem im Anschluss an sein stattgebendes Urteil vom 5. September 2014 erlassenen Streitwertbeschluss (30.000,- Euro) zugrunde gelegt hat.
Für die Annahme geringerer als der im Vorprozess ausreichend detailliert geschätzten Anschlusskosten gibt es keine Anhaltspunkte. Zwar hat die Beklagte vor dem erneuten Erlass eines Anschluss- und Benutzungszwangsbescheids den Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund (mit Kontrollschacht), der nach der Entwässerungssatzung der Beklagten zur Einrichtung gehört, selbst hergestellt und ist dem Anschlusspflichtigen insoweit „entgegen“ gekommen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich die Anschlusskosten im Vergleich zur Kostenschätzung im Vorprozess vermindert würden, weil Grundstücksanschlusskosten (für den öffentlichen Straßengrund) dort nicht aufgeführt sind.
c) Eine Erhöhung des an den Anschlusskosten orientierten Streitwerts ist nicht sachgerecht. Die Beschwerde mit dem Antrag auf Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von 35.000,- Euro war daher im Übrigen zurückzuweisen.
aa) Die Benutzungsgebühren und etwaige Kostensteigerungen im Vergleich zur Kostenschätzung vom 26. November 2013 lassen sich nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand nicht beziffern; ersteren stehen im Übrigen auch Leistungen (Ableitung und Reinigung des Schmutzwassers) und die ersparten Kosten für die Erneuerung und den Unterhalt der klägerischen Kleinkläranlage (mit biologischer Reinigungsstufe), für deren Erneuerung der Kläger bereits eine Kostenschätzung vorgelegt hat, und ggf. auch eine Wertsteigerung des Grundstücks durch einen dauerhaft gesicherten Anschluss an die kommunale Entwässerungseinrichtung gegenüber.
bb) Der zusätzlich gestellte Klageantrag auf Aufhebung der Ablehnung der beantragten Befreiung (isolierte Anfechtungsklage) wirkt sich entgegen dem Beschwerdeantrag der Bevollmächtigten der Beklagten hier schon deswegen nicht streitwerterhöhend aus, weil der Kläger mit der bloßen Aufhebung der Ablehnung seines Antrags noch keinen zusätzlichen wirtschaftlichen Vorteil hat.
Im Übrigen liegt insoweit, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen eigenen Streitgegenstand handelt, wirtschaftlich dasselbe Interesse wie bei der Klage gegen den Anschluss- und Benutzungszwang vor, weil der Befreiungsantrag gerade mit den hohen Anschlusskosten begründet wurde. Werden aber bei der Klage gegen den Anschluss- und Benutzungszwang der Streitwertentscheidung anstelle des Auffangwerts die Anschlusskosten zugrunde gelegt, ist es nicht angemessen, für den gleichzeitig aus diesem Grund gestellten Befreiungsantrag die Anschlusskosten noch einmal oder auch nur den Auffangwert zusätzlich anzusetzen.
cc) Etwaige für das klägerische Grundstück anfallende Herstellungsbeiträge wirken sich ebenfalls nicht streitwerterhöhend aus (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2008 – 4 ZB 08.483 – juris Rn. 7). Sie entstehen unabhängig vom Anschlusszwang an die Entwässerungseinrichtung der Beklagten nach Maßgabe einer etwaigen Beitrags- und Gebührensatzung allein für die Möglichkeit der Inanspruchnahme (vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG).
3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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