Aktenzeichen 6 W 618/16
VV RVG 3 Abs. 4
Leitsatz
1 Die Rechtskraft des die Kosten des Hauptsacheverfahrens betreffenden Kostenfestsetzungsbeschlusses steht einem Antrag auf Nachfestsetzung der erstmals zur Festsetzung angemeldeten Kosten des vorangegangenen selbständigen Beweisverfahrens nicht entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Wurden mit dem ursprünglichen Festsetzungsantrag nicht sämtliche festsetzungsfähigen Kosten, sondern nur die Kosten des Hauptsacheverfahrens geltend gemacht, ist entgegen dem Regelfall in umgekehrter Weise die im Hauptsacheverfahren entstandene Verfahrensgebühr auf die im Nachliquidationsverfahren geltend gemachte Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens anzurechnen (im Anschluss an OLG Köln BeckRS 2013, 11627). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 3 vom 10. Februar 2016 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. Januar 2016 dahingehend abgeändert und neugefasst, dass die von der Klägerin an die Beklagte zu 3 gem. § 104 ZPO nach dem Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. März 2014 zu erstattenden Kosten auf weitere
2.815,06 €
nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB hieraus seit 4. November 2015 festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen.
II.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte zu 3) 43% und die Klägerin 57%
III.
Der Beschwerdewert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.716 € festgesetzt.
Gründe
I. Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 3 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist zulässig, aber nur im tenorierten Umfang begründet.
1. Zutreffend ist die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte zu 3 hinsichtlich der im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten eine Nachliquidation beantragen kann.
Zwar hat das Landgericht die das Hauptsacheverfahren betreffenden Kosten mit Beschluss vom 15. April 2014 rechtskräftig festgesetzt. Die Folge der materiellen Rechtskraft ist, dass sich eine neue Entscheidung über denselben Streitgegenstand verbietet. Kostenfestsetzungsbeschlüsse können jedoch nur hinsichtlich zu- oder aberkannter Kosten formell und materiell rechtskräftig werden. Die Rechtskraft steht einem Antrag auf Nachfestsetzung deshalb dann nicht entgegen, wenn mit diesem Antrag – wie hier – ein bisher nicht geltend gemachter Posten erstmals zur Festsetzung angemeldet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2003 – V ZB 51/02 -, juris Rn. 3; OLG Celle, Beschluss vom 23. November 2010 – 2 W 378/10 -, juris Rn. 16; Zöller/Herget, ZPO, 31. Auflage, § 104 Rn. 21 „Nachliquidation“).
2. Die Beklagte kann nach Auffassung des Senats für das selbstständige Beweisverfahren auch eine 1,2 Terminsgebühr aus dem für dieses Verfahren festgesetzten Streitwert in Höhe von 90.000 € in Ansatz bringen. Die 1,2 Terminsgebühr beträgt daher 1.532,40 €.
a) Die Kostenfestsetzung beruht hier auf einer Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO nach einer Klagerücknahme. Danach trägt der Kläger die Kosten der Beklagten zu 3. Zu den Kosten des Rechtsstreits gehören grundsätzlich die im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten, wenn die Parteien und der Streitgegenstand des Beweisverfahrens und des Hauptprozesses identisch sind. Die Einbeziehung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens beruht darauf, dass gemäß § 493 Abs. 1 ZPO die selbstständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht, wenn sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen, über die selbstständig Beweis erhoben worden ist, berufen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – XII ZB 176/03 -, juris Rn. 18).
b) Die für die Kostenfestsetzung erforderliche Identität ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits dann hergestellt, wenn die Klagepartei den Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens mit der Klage ganz oder teilweise gegen den Gegner des selbstständigen Beweisverfahrens weiter verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2004 – V ZB 28/04 – juris Rn. 6). So liegt der Fall hier. Die Beschränkung der Klage in Richtung der Beklagten zu 3 in Höhe des auf 26.3000 € begrenzten Bürgschaftshöchstbetrags ist daher für die Festsetzung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens grundsätzlich unbeachtlich.
c) Die Klägerin kann sich auch nicht auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs 9. Februar 2006 (VII ZB 59/05) berufen.
aa) Hiernach gehören die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens – entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Verfahren V ZB 28/04 – auch dann zu den Kosten des Klageverfahrens, wenn die Hauptsacheklage hinter dem Verfahrensgegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens zurückbleibt. Das bedeutet daher im Ausgangspunkt, dass die gesamten Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens grundsätzlich von der im Hauptsacheverfahren getroffenen Kostengrundentscheidung erfasst und der hierin enthaltenen Kostenquote zugeführt werden.
bb) Allerdings weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass ausnahmsweise eine andere – für die spätere Kostenfestsetzung verbindliche – Kostenentscheidung dann in Betracht kommt, wenn das Gericht der Hauptsache dem Antragsteller in entsprechender Anwendung von § 96 ZPO die dem Antragsgegner durch den überschießenden Teil des selbstständigen Beweisverfahrens entstandenen Kosten auferlegt. Hat das Gericht der Hauptsache allerdings – wie hier – von dieser Möglichkeit keinen Gebrach gemacht, scheidet eine Korrektur der Kostengrundentscheidung im Wege der Kostenfestsetzung aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 – VII ZB 59/05 -, juris Rn. 14).
cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin beantragt aber die Beklagte zu 3 keine Korrektur von der Kostengrundentscheidung, die gerade im Grundsatz die vollständigen Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens erfasst. Vielmehr verfolgt die Klägerin mit ihrer Stellungnahme das Ziel, dass die Kostengrundentscheidung im Wege der Kostenfestsetzung dergestalt korrigiert wird, dass nicht die vollständigen Kosten des Beweisverfahrens als Kosten des Rechtsstreits entsprechend der Kostenquote festgesetzt werden sollen.
Auch der Bundesgerichtshof hat in der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung aus den vorgenannten rechtlichen Maßstäben die Schlussfolgerung gezogen, dass dann, wenn das Hauptsachegericht (dort: das Amtsgericht) bei seiner Kostenentscheidung § 96 ZPO nicht angewendet hat, die gesamten Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens gemäß der im Kostenausspruch (dort: im Urteil des Amtsgerichts) angegebenen Quote von den Parteien anteilig zu tragen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 – VII ZB 59/05 -, juris Rn. 14).
dd) Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet dies Folgendes: In der Kostengrundentscheidung (Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. März 2014) hat das Landgericht der Klägerin in Richtung der Beklagten zu 3 die Kostentragung auferlegt. Bei dieser Quote muss es daher bezogen auf die gesamten Kosten des Beweisverfahrens (bezogen auf den dortigen Streitwert) sein Bewenden haben.
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass vorliegend auch keine Umstände dafür ersichtlich sind die im Hauptsacheverfahren – in entsprechender Anwendung des § 96 ZPO eine andere Kostenverteilung (auf die die Klägerin hätte hinwirken können) angezeigt hätten. Eine Auferlegung der Kosten analog § 96 ZPO kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn der Gegenstand der Klage deshalb wesentlich hinter dem Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens zurückbleibt, weil sich dort ergeben hat, dass der geltend gemachte Anspruch insoweit unbegründet war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2004 – V ZB 28/04 -, juris Rn. 7).
3. Der Senat teilt allerdings die Auffassung der Klägerin, dass wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles, in dem die Beklagte zu 3 eine Nachliquidation beantragt hat, ausnahmsweise – und umgekehrt zum Regelfall – die im Hauptsacheverfahren entstandene 1,3 Verfahrensgebühr auf die im selbstständigen Beweisverfahren entstandene 1,3 Verfahrensgebühr gem. Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG anzurechnen ist.
Im Hauptsacheverfahren ist aus einem Streitwert in Höhe von 26.300 € eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 985,40 € entstanden. Im selbstständigen Verfahren ist aus einem – wie ausgeführt hier auch relevanten – Streitwert in Höhe von 90.000 € eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 1.660,10 € entstanden. Es verbleibt daher insoweit – nach der Anrechnung – nur noch ein Betrag in Höhe von 674,70 €.
a) Zwar hat der Bundesgerichtshof – bezogen auf Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG – entschieden, dass eine entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs bleibt eine bereits entstandene Geschäftsgebühr unangetastet. Durch die hälftige Anrechnung verringere sich eine (später) nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr. Nach dem Gesetzeswortlaut sei die gerichtliche Verfahrensgebühr zu mindern, nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2007 – VIII ZR 86/06 -, juris Rn. 11). In entsprechender Anwendung dieser Grundsätze müsste daher – jedenfalls im Regelfall die Verfahrensgebühr aus dem selbstständigen Beweisverfahren auf die „Verfahrensgebühr des Rechtszugs“ (der Hauptsache) angerechnet werden.
b) Allerdings ist diese Anrechnung, deren Zweck darin besteht, dass der Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit nicht doppelt honoriert werden soll, hier nur deswegen nicht zu erreichen, weil die Beklagte zu 3 nicht bereits mit dem ursprünglichen Festsetzungsantrag sämtliche festsetzungsfähigen Kosten geltend gemacht, sondern den Antrag zunächst auf die Kosten des Hauptsacheverfahrens beschränkt hat.
Zum damaligen Zeitpunkt war daher die an sich veranlasste Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG nicht möglich. Zum jetzigen Zeitpunkt scheitert die Anrechnung daran, dass die Kosten der Hauptsache rechtskräftig festgestellt sind und dieser Beschluss daher nicht zum Nachteil der Beklagten zu 3 abgeändert werden kann.
Der Gesetzeszweck kann daher bei der vorliegenden Fallgestaltung nur in der Weise erreicht werden, dass entgegen dem Regelfall in umgekehrter Weise die Verfahrensgebühr der Hauptsache auf die im Nachliquidationsverfahren geltend gemachte Verfahrensgebühr des Beweisverfahrens angerechnet wird (so auch OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2012 – 17 W 109/12 -, juris Rn. 13). Die Möglichkeit der Nachliquidation steht im Zusammenhang mit dem Schutz der Rechtskraft. Die Beklagte zu 3 hat den Verfahrensablauf selbst gestaltet. Diese Verfahrensweise kann aber nicht dazu führen, dass sie hiernach insgesamt besser gestellt wäre als bei einer an sich veranlassten einheitlichen Kostenfestsetzung hinsichtlich sämtlicher festsetzungsfähiger, teilweise aber anzurechnender Kosten.
] 4. Zusammengefasst sind daher folgende Kosten im Nachliquidationsverfahren festzusetzen:
– 1,2 Termingebühr aus 90.000 € =
1.532,40 €
– Auslagenpauschale =
20 €
– Reisekosten =
138,80 €
– Verfahrensgebühr Beweisverfahren unter Beachtung der Anrechnung der Verfahrensgebühr aus dem Hauptsacheverfahren =
674,40 €
– Umsatzsteuer aus den vorgenannten Beträgen =
449,46 €
– Insgesamt daher: 1.532,40 € + 20 € + 138,80 € + 674,40 € + 449,46 € =
2.815,06 €
II. 1. Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht der Beschwer, die die Beklagte zu 3 in dem Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat (Differenz aus der begehrten Kostenfestsetzung in Höhe von 3.988,05 € und der vom Landgericht festgesetzten Erstattung in Höhe von 1.271,40 €).
2. Die Kostenquote entspricht dem Ausmaß des Unterliegens der Parteien des Beschwerdeverfahrens gemessen am Beschwerdewert.