Aktenzeichen 10 C 19.1760
ZPO § 114 Abs. 2
Leitsatz
1. Mutwillig im Sinne von § 143 Abs. 2 ZPO ist die Rechtsverfolgung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg ebenso erfolgversprechend ist. (Rn. 14) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Es unterfällt zwar dem prozessualen Dispositionsrecht des Klägers, ob er den nach Erhebung der Untätigkeitsklage ergangenen Bescheid in das bereits anhängige Klageverfahren einbezieht oder ein neues Klageverfahren anstrengt (vgl. OVG NW BeckRS 2012, 48672). Kann er jedoch die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, kommt es für eine positive Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht nur darauf an, ob die weitere Klage in der Sache Erfolg hätte, sondern auch darauf, ob sein prozessuales Vorgehen wirtschaftlich vernünftig – nicht mutwillig – war. (Rn. 15) (red. LS Alexander Tauchert)
Verfahrensgang
Au 1 K 19.943 2019-08-23 VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18. Juni 2019 zur Änderung der Wohnsitzauflage zu verpflichten, weiter. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Aufhebung oder Änderung der Wohnsitzauflage in seiner Duldungsbescheinigung abgelehnt.
Nach dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens ist der Kläger seit dem 6. April 2017 in Besitz von Duldungen, die den Hinweis enthalten, dass weiterhin die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der durch die Regierung von Schwaben zugewiesenen Unterkunft besteht.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2018 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf diesen Hinweis in der Duldung die Aufhebung der Wohnsitzauflage. Er wolle dem Wohnort seines Kindes und dessen Mutter im Landkreis Schaumburg zugewiesen werden.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Landkreis Schaumburg für die abschließende Entscheidung über den Antrag auf Umverteilung zuständig sei.
Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 ließ der Kläger Untätigkeitsklage (Au 1 K 18.2004) erheben. Er beantragte, die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag vom 6. Juli 2018 zu entscheiden und das Verfahren weiter zu betreiben. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten.
Mit Beschluss vom 10. Mai 2019 bewilligte das Verwaltungsgericht Augsburg die beantragte Prozesskostenhilfe. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18. Juni 2019 den Antrag des Klägers auf Aufhebung bzw. Änderung der Wohnsitzauflage ab. Die Beklagte sei hierfür nicht zuständig.
Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht Augsburg am 27. Juni 2019, erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2019 und beantragte, ihm auch für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen (Au 1 K 19.943).
Am 26. Juni 2019 erklärte er das Verfahren betreffend die Untätigkeitsklage (Au 1K 18.2004) für erledigt und wies darauf hin, dass gegen den ablehnenden Bescheid vom 18. Juni 2019 bereits Klage erhoben worden sei.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2019 stellte das Verwaltungsgericht Augsburg das Verfahren Au 1 K 18.2004 ein und legte dem Kläger die Kosten des Verfahrens auf. Im Einstellungsbeschluss wies es darauf hin, dass der Kläger gleichzeitig mit der Erledigungserklärung eine neue Klage gegen die nunmehr ergangene Entscheidung der Beklagten erhoben habe, obwohl er das anhängige Klageverfahren unter Einbeziehung des neuen Bescheids hätte fortsetzen können. Durch seine Vorgehensweise produziere er zusätzliche Kosten und bürde der Beklagten ein doppeltes Prozessrisiko auf. Seinem Schriftsatz vom 22. Juli 2019 sei kein schützenswertes Interesse zu entnehmen, den von der Beklagten erlassenen Bescheid nicht in das vorliegende Klageverfahren einzubeziehen.
Mit dem hier streitgegenständlichen Beschluss vom 23. August 2019 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren Au 1 K 19.943 ab. Die Klage sei mutwillig. Der Kläger hätte den Bescheid vom 18. Juni 2019 in die bereits erhobene Untätigkeitsklage einbeziehen können. Ihm sei für dieses Verfahren bereits Prozesskostenhilfe bewilligt worden.
Im Beschwerdeverfahren bringt der Kläger vor, die Ablehnung der Prozesskostenhilfe sei zu Unrecht erfolgt. Das Verwaltungsgericht hätte auf die Möglichkeit der Einbeziehung hinweisen können. Dies sei nicht erfolgt. Zudem sei auf das rechtswidrige Verwaltungshandeln der Beklagten zu verweisen.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten, auch im Verfahren Au 1 K 18.2004, verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein (weiteres) Klageverfahren auf Verpflichtung der Beklagten zur Änderung der Wohnsitzauflage zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig im Sinne des § 114 Abs. 2 ZPO (i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist.
Mutwillig ist die Rechtsverfolgung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg ebenso erfolgversprechend ist. Mutwilligkeit in diesem Sinn liegt deshalb regelmäßig vor, wenn eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt, warum sie ihre Ansprüche nicht in einer Klage, sondern im Wege die Kosten der Rechtsverfolgung erhöhender Teilklagen geltend macht oder nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können (BAG, B.v. 8.9.2011 – 3 AZ B 46/10 – NJW 2011, 3260).
Vorliegend hat der Kläger mutwillig in diesem Sinne gehandelt, weil er zunächst eine auf Verbescheidung seines Antrags auf Änderung der Wohnsitzauflage gerichtete Untätigkeitsklage erhoben, dann nach Erlass des ablehnenden Bescheides eine neue Klage, gerichtet auf Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juni 2019 und auf Verpflichtung der Beklagten zur Änderung der Wohnsitzauflage, erhoben und schließlich die Untätigkeitsklage in der Hauptsache für erledigt erklärt hat. Es wäre kostengünstiger und prozessökonomischer gewesen, den Bescheid vom 18. Juni 2019 in das bereits anhängige Klageverfahren einzubeziehen (OVG Bremen, B.v. 14.10.2009 – 1 S 331/09 – BeckRS 2009, 40493 m.w.N.; OVG NW, B.v. 9.3.2012 – 18 E 1326 /11 – BeckRS 2012, 48672). Denn bei einer Untätigkeitsklage handelt es sich um keine eigene Klageart, sondern nur um eine Form der Verpflichtungsklage, die nach Ablauf der Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO wegen Säumnis der Ausgangsbehörde (primäre Untätigkeitsklage) zulässig ist. Ein nach Erhebung der Untätigkeitsklage ergehender Ablehnungsbescheid erwächst auch dann nicht in Bestandskraft, wenn gegen ihn nicht gesondert Klage erhoben werden würde, weil es keiner weiteren Verfahrenshandlung bedarf, um die Untätigkeitsklage als Verpflichtungsklage fortzuführen (OVG NW, B.v. 4.8.2010 – 2 A 796/09 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Wenn sich der Kläger nach Erhebung der Untätigkeitsklage mit der nachträglichen Verbescheidung inhaltlich zufrieden gibt und das Klageverfahren nicht fortführen will, kann er sich ohne weiteres Kostenrisiko aus dem Prozess zurückziehen und den Rechtsstreit für erledigt erklären. Dadurch, dass der Kläger die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt hat, obwohl er den Bescheid vom 18. Juni 2019 für rechtswidrig hält, und ein weiteres Klageverfahren angestrengt hat, hat er ohne Notwendigkeit in derselben Angelegenheit zweimal Gerichts- und Anwaltskosten verursacht. Es unterfällt zwar seinem prozessualen Dispositionsrecht, ob er den nach Erhebung der Untätigkeitsklage ergangenen Bescheid in das bereits anhängige Klageverfahren einbezieht oder ein neues Klageverfahren anstrengt (OVG NW, B.v. 9.3.2012 – 18 E 1326/11 – a.a.O.). Kann er jedoch die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, kommt es für eine positive Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht nur darauf an, ob die weitere Klage in der Sache Erfolg hätte, sondern auch darauf, ob sein prozessuales Vorgehen wirtschaftlich vernünftig – nicht mutwillig – war.
Hinreichend nachvollziehbare Gründe dafür, dass er den Bescheid vom 18. Juni 2019 nicht in die bereits anhängige Klage einbezogen hat, hat der Kläger weder im Schreiben vom 22. Juli 2019 im Verfahren Au 1 K 18.2004 noch in der Beschwerdebegründung angegeben. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids hätte auch durch die Einbeziehung in die Untätigkeitsklage erreicht werden können. Das Verwaltungsgericht hätte den Kläger auch nicht auf die Möglichkeit der Einbeziehung hinweisen können. Er hat nämlich noch vor Abgabe der Erledigungserklärung Klage gegen den Bescheid vom 18. Juni 2019 erhoben und ein weiteres Verfahren angestrengt. Das zweite Verfahren war also bereits anhängig, als die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt wurde. Zudem hat die Beklagte im Schreiben vom 4. Juli 2019 darauf aufmerksam gemacht, dass es kostengünstiger gewesen wäre, den Bescheid in die anhängige Klage einzubeziehen anstatt das Verfahren für erledigt zu erklären. Der Kläger ist darauf jedoch nicht eingegangen und hat auch im Schriftsatz vom 22. Juli 2019 noch daran festgehalten, dass die Erhebung einer weiteren Klage zur Aufhebung der Wohnsitzauflage aufgrund des Verhaltens der Beklagten angezeigt sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).