Aktenzeichen M 6 K 15.321
VwGO VwGO § 62 Abs. 1, § 74 Abs. 1 S. 2
Leitsatz
Ist vom Amtsgericht nach Art. 16 BayVwVfG ein Vertreter bestellt, so kann dieser im Verwaltungsverfahren alle Handlungen mit Bindungswirkung für den vertretenen Beteiligten vornehmen. Die Behörde ihrerseits kann sich ihm gegenüber ihrer Pflichten einschließlich erforderlicher Bekanntgaben und Zustellungen von Bescheiden wie gegenüber dem Beteiligten selbst entledigen. Im Verhältnis zum Beteiligten hat der Vertreter die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Beteiligte selbst kann, wenn eine Vertreter nach Art. 16 BayVwVfG bestellt ist, in dem betreffenden Verwaltungsverfahren keine Handlungen mehr vornehmen, wenn und solange die Vertreterbestellung nicht aufgehoben ist, denn er steht einer nicht handlungsfähigen Person gleich. Ein vom Beteiligten selbst an sich fristgerecht eingelegter Widerspruch bleibt daher für Zwecke der Fristwahrung außer Betracht, wenn er ohne Mitwirkung und auch ohne Genehmigung des Vertreters erfolgt ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist insgesamt unzulässig und daher ohne Erfolg.
1. Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom … September 2014 ist unzulässig.
1.1 Die Klage wurde vom Kläger mit seinem Schriftsatz vom … Januar 2015 wirksam erhoben.
Entgegen der Eintragung im Vertreterausweis des Amtsgerichts A. vom … Juli 2013 war nur das Verwaltungsverfahren zur Überprüfung der Fahreignung des Klägers von der Vertretung durch Rechtsanwalt A. aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts A. vom … Juli 2013 nach Art. 16 Abs. 1 Nr. 4 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG -umfasst, nicht aber auch ein ggf. nachfolgendes verwaltungsgerichtliches Verfahren. Damit hätte es der Genehmigung der Klage durch Rechtsanwalt A. mit Schriftsatz vom … Februar 2015 nicht bedurft.
1.2 Die erkennende Kammer ist auch zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger im vorliegenden Klageverfahren fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen war und ist, § 62 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -.
1.2.1 Die sog. Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, einen Prozess selbst oder durch einen Prozessbevollmächtigten zu führen; die Verhandlungsfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit, mit anderen Verfahrensbeteiligten und dem Gericht zu verhandeln. Die Prozessfähigkeit ist eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung (Schmidt in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 62 Rn. 1). Anlass zur Prüfung besteht aber nur dann, wenn sich aus irgendeinem Grund vernünftige Zweifel an dem Vorliegen der Prozessfähigkeit ergeben. Über die Frage der Prozessfähigkeit eines Beteiligten entscheidet jedoch nicht ein medizinischer Sachverständiger (bzw. dessen Gutachten), sondern das Gericht nach seiner freien Überzeugung in Würdigung des gesamten Prozessstoffes und unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung, gegebenenfalls auch ohne psychiatrisches Gutachten (Schmidt, a. a. O., § 62 Rn. 8).
1.2.2 Die erkennende Kammer hat sich anhand des gesamten Prozessstoffes, insbesondere vieler, zum Teil umfangreicher, Schreiben und Schriftsätze des Klägers eine Grundlage für ihre Überzeugung hinsichtlich der Prozessfähigkeit des Klägers im vorliegenden Klageverfahren verschafft.
Dabei hat sie durchaus das ebenfalls umfangreiche forensisch-psychiatrische und neurologische Gutachten von Dr. A. – Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Forensische Psychiatrie – vom … Oktober 2012, vom Verwaltungsgericht zum Verfahren M 6a K 11.217 – nachfolgend M 6a K 12.5596 – eingeholt, mit berücksichtigt und eingehend geprüft. Dr. A. diagnostizierte beim Kläger im Ergebnis eine paranoide Schizophrenie, musste das Gutachten allerdings mangels Kooperation durch den Kläger ohne dessen persönliche Begutachtung erstellen. Die Kammer hat auch nicht unberücksichtigt gelassen, dass der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem Landgericht A. herangezogene Gutachter Dr. B. diese Diagnose von Dr. A. als bestätigt ansah. Allerdings verweigerte sich der Kläger auch bei Dr. B. einem Explorationsgespräch, so dass das Landgericht A. in seinem Beschluss vom … August 2015 letztlich ausführte, dass eine Begutachtung durch Dr. B. nicht habe stattfinden können.
Die Kammer hingegen konnte sich in der mündlichen Verhandlung am 27. April 2016 ergänzend einen persönlichen Eindruck vom Kläger verschaffen. Unter Berücksichtigung der dabei zusätzlich gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse ist die Kammer zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger sowohl hinsichtlich des Verfahrensgegenstandes und des Prozessstoffes als auch hinsichtlich der Bedeutung der gesamten Angelegenheit für ihn ausreichend orientiert ist. Die Kammer hat den Eindruck gewonnen, dass der Kläger im vorliegenden Klageverfahren in einem Ausmaß selbstbestimmt seinen Willen bilden und Entscheidungen treffen kann, das – unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers – zur Annahme der Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen im Sinne des § 62 Abs. 1 VwGO ausreicht.
1.2.3 Die Frage allerdings, ob der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Straßenverkehrsgesetz – StVG -, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – i. V. m. Nr. 7.6 der Anlage 4 zur FeV), bleibt davon ausdrücklich gänzlich unberührt.
1.3 Die am … Januar 2015 beim Bayerischen Verwaltungsgericht eingegangene Klage wurde jedoch zu spät erhoben, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Der angefochtene Bescheid vom … September 2014 ist – mangels wirksam erhobenen Widerspruchs – bereits bestandskräftig geworden.
1.3.1 Der streitgegenständliche Bescheid vom … September 2014 wurde dem damals noch wirksam vom Amtsgericht A. bestellten Vertreter des Klägers, Rechtsanwalt A., am … September 2014 ordnungsgemäß zugestellt. Der Bescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, die zutreffend über die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruchs oder alternativ unmittelbar einer Klage informierte.
1.3.2 Rechtsanwalt A. hat für den Kläger keinen Widerspruch und auch keine Klage gegen den Bescheid erhoben. Vielmehr hat er gegenüber dem Landgericht A. mit Schreiben vom … September 2014 – und damit noch innerhalb der Rechtsmittelfrist – ausdrücklich erklärt, dass er keinen Rechtsbehelf beabsichtige. Dies teilte er auch dem Kläger mit Schreiben vom … September 2014 mit.
1.3.3 Zwar hat der Kläger selbst mit Schreiben vom … Oktober 2014, bei der Fahrerlaubnisbehörde eingegangen am … Oktober 2014, an sich fristgerecht Widerspruch erhoben. Aber dieser Widerspruch war wegen der damals wirksamen Vertreterbestellung von Rechtsanwalt A. durch das Amtsgericht A. nicht wirksam. Er wurde nachfolgend von Rechtsanwalt A. auch nicht genehmigt.
Ist vom Amtsgericht nach Art. 16 BayVwVfG ein Vertreter bestellt, so kann dieser im Verwaltungsverfahren alle Handlungen mit Bindungswirkung für den vertretenen Beteiligten vornehmen. Die Behörde ihrerseits kann sich ihm gegenüber ihrer Pflichten einschließlich erforderlicher Bekanntgaben und Zustellungen von Bescheiden wie gegenüber dem Beteiligten selbst entledigen. Im Verhältnis zum Beteiligten hat der Vertreter die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Beteiligte selbst kann, wenn eine Vertreter nach Art. 16 BayVwVfG bestellt ist, in dem betreffenden Verwaltungsverfahren keine Handlungen mehr vornehmen, wenn und solange die Vertreterbestellung nicht aufgehoben ist, denn er steht einer nicht handlungsfähigen Person gleich (Schmitz in: Stelkens /Bonk /Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 16 Rn. 10).
Das Landgericht A. hob den – für sofort wirksam erklärten – Beschluss des Amtsgerichts A. zur Vertreterbestellung vom … Juli 2013 zwar mit Beschluss vom … August 2015 auf. Tenor und Gründe lassen jedoch keinen Zweifel aufkommen, dass die Aufhebung durch das Landgericht A. offensichtlich mit der Wirkung ex nunc – und nicht etwa ex tunc – erfolgte, was andernfalls zu schwierigen rechtlichen Folgeproblemen hätte führen können. Das Landgericht A. hob den Beschluss des Amtsgerichts auf, weil die Vertretung im angeordneten Aufgabenkreis nicht mehr erforderlich sei, nachdem kein Verwaltungsverfahren mehr betrieben werde, sondern die Sache nunmehr nur noch vor dem Verwaltungsgericht behandelt werde. Diese Formulierungen machen deutlich, dass eine Aufhebung der Vertreterbestellung ex nunc erfolgt ist, eben weil sie zukünftig nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens bei der Beklagten sachlich nicht mehr notwendig war.
2. Soweit der Kläger von der Beklagten – nach seinem vorherigen Schreiben vom … Dezember 2014 – klageweise Erstattung von ihm entrichteter Gebühren aus drei Kostenrechnungen vom … Februar 2014 (b… Euro), … September 2010 (c… Euro) und … Juni 2010 begehrt (d… Euro), ist die Klage ebenfalls unzulässig (geworden).
Die Beklagte hatte mit Schriftsatz an den Vertreter des Klägers vom … März 2015 ihre Bereitschaft erklärt, diesem e… EUR (d… EUR zzgl. f… EUR Mahngebühr; der vom Kläger in seinem Schreiben vom …12.2014 genannte Betrag von c… EUR stellt ein offensichtliches Schreibversehen dar) bezüglich einer Gutachtensaufforderung vom … Mai 2010 und b… EUR hinsichtlich eines – später aufgehobenen – Bescheids über die Entziehung der Fahrerlaubnis vom … Dezember 2010 zu erstatten, und um Mitteilung einer Kontoverbindung gebeten. In der mündlichen Verhandlung am 27. April 2016 hat der Vertreter der Beklagten auf Frage des Gerichts bestätigt, dass die Erstattung daraufhin auch erfolgt sei. Damit fehlt es dem Kläger insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage. Trotz Hinweises des Gerichts hat er den Rechtstreit insoweit auch nicht für erledigt erklärt, so dass die Klage in diesem Umfang als unzulässig (geworden) abzuweisen war.
3. Die mit dem weiteren Schriftsatz vom … Januar 2015 erhobene Klage gegen das Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten vom … Dezember 2014 an das Landgericht A. ist unzulässig, weil dieses Schreiben keinen Verwaltungsakt darstellt, § 42 Abs. 1 VwGO. Es handelte sich um eine bloße Stellungnahme an das Landgericht A. zum dortigen Beschwerdeverfahren …. Gegen eventuelle Maßnahmen des Landgerichts A. wären die Rechtsbehelfe nach der dortigen Verfahrensordnung einschlägig.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 15.216,30 festgesetzt
(§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. den Empfehlungen in den Nrn. 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14] sowie § 52 Abs. 2 GKG und § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.