Aktenzeichen M 1 M 18.52807
VV RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz
Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr bei Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist konsequent auf die Fälle zu beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen könnte; bei fehlender Beschwer ist dies nicht der Fall (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Juni 2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt der Antragsteller. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2015 hatte das Bayerische Verwaltungsgericht München im Verfahren M 1 K 14.50575 den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. September 2014, der den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ablehnte und die Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens anordnete, aufgehoben. Aufgrund des vollumfänglichen Erfolgs der Klage, wurden im Gerichtsbescheid die Kosten der Antragsgegnerin auferlegt.
Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 28. Mai … die Kostenfestsetzung. Neben einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr machte er u.a. auch eine 1,2-fache Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG geltend.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Juni … (M 1 K 14.50575) kürzte das Verwaltungsgericht München die beantragten Kosten um die Terminsgebühr. Begründet wurde dies damit, dass zwar ein Gerichtsbescheid ergangen sei, aufgrund des vollständigen Obsiegens in der Hauptsache aber mangels Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe werden können (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG).
Mit dem am 1. Juli 2018 bei Gericht eingegangenen Schreiben beantragte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten die Entscheidung des Gerichts.
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, entscheidend sei, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung überhaupt gestellt habe werden können. Dies sei für die Gegenseite möglich gewesen. Deshalb sei die fiktive Terminsgebühr angefallen.
Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Verfahren M 1 K 14.50575 verwiesen.
II.
Die Kostenerinnerung ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Kostenfestsetzungsbeschlusses erhoben (§§ 165, 151 VwGO).
Zur Entscheidung über die vorliegende Kostenerinnerung ist im Rahmen einer Annexzuständigkeit der auch für die Hauptsache zuständige Einzelrichter berufen (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2003 – 1 N 01.1845).
Die Erinnerung ist unbegründet. Die Kostenbeamtin hat zu Recht bei der Festsetzung der dem Kläger zu erstattenden Kosten (§§ 164, 162 Abs. 1 und 2 VwGO) die beantragte Terminsgebühr nicht festgesetzt. Die streitgegenständliche Terminsgebühr ist nicht zu erstatten. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt, sodass es allein um die Frage der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr geht. Diese ist vorliegend nicht zu gewähren, da abgesehen davon, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde, diese auch nicht in zulässiger Weise beantragt hätte werden können.
Das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt – RVG) sieht in seiner Anlage 1 unter der Nr. 3104 Fälle der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr vor. So entsteht gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG die Terminsgebühr auch dann, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Vorliegend wurde durch Gerichtsbescheid entschieden; die weitere Voraussetzung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG fehlt jedoch. Der Antragssteller hätte zwar formal die Möglichkeit gehabt, innerhalb von 2 Wochen nach Erlass des ihm vollumfänglich stattgebenden Gerichtsbescheids, mündliche Verhandlung zu beantragen; so sieht es im Übrigen auch die Rechtsbehelfsbelehrung:vor. Ein solcher Antrag wäre jedoch durch Beschluss als unzulässig abzulehnen gewesen. Gegen einen Gerichtsbescheid kann nur derjenige Beteiligte einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist (vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, § 84 Rn. 21). Der Antragsteller konnte somit keine mündliche Verhandlung erzwingen (vgl. VG Regensburg, B.v. 9.3.16 – RN 2 M 16.30211 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Nr. 3104 I Nr. 2 VV RVG soll ebenso wie die übrigen Nrn. des Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Vielmehr soll der Rechtsanwalt die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17). Bei fehlender Beschwer – die im Fall einer obsiegenden Klage besonders augenscheinlich ist – hat es der Anwalt nicht in der Hand, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Dieser Sinn und Zweck ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 2. Kostenrechtsmodernierungsgesetz heißt es, die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr solle konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen könne, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig sei (BR-Drs. 517/12, 428).
Nach alledem war die Erinnerung zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG, hier auch aufgrund § 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG; vgl. hierzu auch VGH BW, B.v. 28.2.2017 – A 2 S 271/17 – juris Rn. 3).